Archiv der Kategorie: Einkommen- und Lohnsteuer

Einkommensteuer: Anforderungen an die Dokumentation des Widmungsakts bei der Willkürung von Wertpapieren als Sonderbetriebsvermögen

Finanzgericht Köln, 1 K 1896/17

Datum:
26.04.2018
Gericht:
Finanzgericht Köln
Spruchkörper:
1. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
1 K 1896/17
ECLI:
ECLI:DE:FGK:2018:0426.1K1896.17.00
Nachinstanz:
Bundesfinanzhof, IV R 17/18
Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

Die Kosten des Verfahrens, einschließlich der Kosten des Revisionsverfahrens, trägt die Klägerin.

Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.

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Scheidungsfolgenvereinbarung: Abfindungszahlung zur Vermeidung eines schuldrechtlichen Versorgungsausgleiches keine Sonderausgaben

Finanzgericht Köln, 11 K 1494/14

Datum:
16.02.2018
Gericht:
Finanzgericht Köln
Spruchkörper:
11. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
11 K 1494/14
ECLI:
ECLI:DE:FGK:2018:0216.11K1494.14.00
Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

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 Mindestens 12 Tage als „kurze Zeit” i. S. d. § 11 Abs. 2 S. 2 i. V. m. § 11 Abs. 1 S. 2 EStG (gegen ständige BFH-Rspr.)

FG München  v.  – 13 K 1029/16

 Leitsatz

  1. Regelmäßig wiederkehrende Ausgaben, die dem Steuerpflichtigen kurze Zeit vor oder kurze Zeit nach Beendigung des Kalenderjahres, zu dem sie wirtschaftlich gehören, abgeflossen sind, gelten als in diesem Kalenderjahr angefallen. Als „kurze Zeit” ist ein Zeitraum von mindestens 12 Tagen anzunehmen (gegen ständige BFH-Rspr. zu einem 10-Tageszeitraum als „kurze Zeit”).
  2. Umsatzsteuervorauszahlungen sind bei Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG regelmäßig wiederkehrende Ausgaben i. S. d. § 11 Abs. 2 S. 2 EStG .
  3. Verschiebt sich die Fälligkeit einer nach § 18 Abs. 1 S. 4 UStG am 10. Januar fälligen Umsatzsteuervorauszahlung nach § 108 Abs. 3 AO auf den nächstfolgenden Werktag, weil der 10. Januar ein Samstag oder Sonntag ist, liegt der gesetzliche Fälligkeitstag deswegen außerhalb des 10-Tageszeitraums und hat der Unternehmer die Umsatzsteuerzahlung bis zum 12. Januar überwiesen, so kann er im Rahmen der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG gem. § 11 Abs. 2 S. 2 EStG die Zahlung noch für das „alte” Jahr, zu dem sie auch wirtschaftlich gehört, als Betriebsausgabe abziehen (Abgrenzung z. B. zu Thüringer FG, Urteil v. 27.1.2016, 3 K 791/15 ).

 Gesetze

EStG § 11 Abs. 2 S. 2
EStG § 11 Abs. 1 S. 2
BGB § 193
AO § 108 Abs. 1
AO § 108 Abs. 3
UStG § 18 Abs. 1 S. 4

 Instanzenzug

BFH – VIII R 10/18

 Tatbestand

 Gründe

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Betrag von 2.054,28 EUR, welchen der Kläger am 7. Januar 2015 auf seine Umsatzsteuervoranmeldung Dezember 2014 durch Banküberweisung vom 4. Januar 2015 beglichen hatte, als Betriebsausgabe bei dessen Einnahme-Überschussrechnung des Jahres 2014 angesetzt werden kann.

Im Erstbescheid 2014 vom 13. August 2015, wie auch in den folgenden Änderungsbescheiden vom 11. Dezember 2015 und 4. Januar 2016 berücksichtigte das Finanzamt lediglich die geleisteten Zahlungen auf die Umsatzsteuervoranmeldungen Januar bis November 2014.

Hiergegen hatten sich die Kläger mit Einspruch vom 17. August 2015 (Eingang beim Finanzamt) gewandt. Sie vertreten die Auffassung, durch die – unstreitig – am 7. Januar 2015 bewirkte Zahlung wegen Umsatzsteuervoranmeldung Dezember 2014 sei unter Berücksichtigung des § 11 Abs. Abs. 2 Satz 2 Einkommensteuergesetz – EStG – eine Zahlung für das Wirtschaftsjahr 2014 erfolgt und dort erfolgswirksam zu berücksichtigen.

Das Finanzamt vermochte sich dieser Rechtsauffassung nicht anzuschließen und lehnte eine Berücksichtigung mit Einspruchsentscheidung vom 30. März 2016 ab.

Hiergegen wenden sich die Kläger mit ihrer Klage. Sie wenden, wie bereits im Einspruchsverfahren ein, bei der Zahlung der Umsatzsteuervoranmeldung Dezember 2014 handle es sich um eine wiederkehrende Betriebsausgabe, die unter den Anwendungsbereich des § 11 Abs. 2 S. 2 EStG falle. Auf die abgabenrechtliche Fälligkeit, die sich für das Streitjahr nach § 108 Abs. 3 AO um 2 Tage auf den 12. Januar 2015 verschoben habe, könne es nicht ankommen, denn eine Berücksichtigung dieser Verschiebung führe gerade zu den vom Gesetzgeber nicht bezweckten Zufallsergebnissen, als in zwei von sieben Jahren, unabhängig von der tatsächlich erfolgten Zahlung eine Zurechnung in das andere Wirtschaftsjahr erfolge.

Die Kläger beantragen (sinngemäß),  unter Änderung des Einkommensteuerbescheides 2014 vom 13. August 2015, geändert am 11. Dezember 2015 und 4. Januar 2016 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 30. März 2016, die Einkommensteuer 2014 unter Berücksichtigung weiterer Betriebsausgaben in Höhe von 2.054,28 EUR bei den Einkünften des Klägers aus freiberuflicher Tätigkeit entsprechend herabzusetzen.

Der Beklagte (das Finanzamt) beantragt,  die Klage abzuweisen.

Er verweist auf die Einspruchsentscheidung vom 30. März 2016, in der ausgeführt ist, dass es sich zwar um eine regelmäßig wiederkehrende Ausgabe handle, dass auch die Zahlung innerhalb des „kurzen Zeitraums” des § 11 Abs. 2 Satz 2 EStG erfolgt sei, die Zahlung jedoch zu einem Zeitpunkt erfolgt sei, zu dem die Leistung noch nicht fällig gewesen sei, weil sich der Fälligkeitszeitpunkt nach § 108 Abs. 3 EStG im Jahr 2015 ausnahmsweise auf Montag, den 11. Januar 2015 (  sic ) verschoben habe.

Wegen der Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten, sowie auf die vorgelegten Unterlagen und Akten gemäß § 105 Abs. 3 Finanzgerichtsordnung – FGO – verwiesen.

 Gründe

  

  1. Es erscheint als sachgerecht, durch Gerichtsbescheid zu entscheiden (§ 90 a FGO ).

Es ist ausschließlich über eine Rechtsfrage zu befinden, deren Klärung in den Verfahren X R 44/16 und VIII R 23/17 (zunächst III R 1/17) vor dem Bundesfinanzhof ohnehin zu erwarten ist. Sachverhaltsfragen sind nicht streitig. Sofern eine obergerichtliche Klärung herbeigeführt werden soll, kann dies direkt durch Revisionseinlegung auf den Gerichtsbescheid erfolgen.

Da nur der Beklagte einem Ruhen des Verfahrens zugestimmt hat, lagen die gesetzlichen Voraussetzungen für ein Abwarten der obergerichtlich zu erwartenden Entscheidungen (vgl. § 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 251 Zivilprozessordnung – ZPO –) nicht vor, so dass, angesichts bestehender Entscheidungsreife, streitig zu entscheiden war.

  1. Die Klage ist begründet.
  2. a) Gem. § 11 Abs. 2 Satz 1 EStG sind Ausgaben für das Kalenderjahr abzusetzen, in dem sie geleistet worden sind. Nach § 11 Abs. 2 Satz 2, Abs. 1 Satz 2 EStG gelten regelmäßig wiederkehrende Ausgaben, die bei dem Steuerpflichtigen kurze Zeit vor Beginn oder kurze Zeit nach Beendigung des Kalenderjahres angefallen sind, zu dem sie wirtschaftlich gehören, als in diesem Kalenderjahr abgeflossen.
  3. aa) Als „kurze Zeit” im Sinne des § 11 Abs. 2 Satz 2, Abs. 1 Satz 2 EStG gilt nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung ein Zeitraum von bis zu zehn Tagen (aus neuerer Zeit vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs –BFH– vom 1. August 2007 XI R 48/05 , BFHE 218, 372, BStBl II 2008, 282 , BFH, Urteil vom 11. November 2014 VIII R 34/12 , BFHE 247, 432, BStBl II 2015, 285 ).

Für das Auslegungsergebnis, dass der unbestimmte Begriff „kurze Zeit” einen Zeitraum von höchstens 10 Tagen umfassen soll, wird als Ursprung auf ein Urteil des BFH vom 13. März 1964 VI 152/63 , StRK § 11 R 50 zu § 11 Abs. 1 Satz 2 EStG verwiesen, in welchem ohne Begründung darauf abgestellt wird, dass als „kurzer Zeitraum” in einer früheren Entscheidung, die nicht genannt ist, „höchstens 10 Tage” angesehen wurden und dies für zutreffend erachtet werde. Mit BFH-Urteil vom 09. Mai 1974 VI R 161/72 , BFHE 112, 373, BStBl II 1974, 547 wurde der 10 Tageszeitraum – wiederum ohne Begründung – auch für eine Anwendung im Rahmen des § 11 Abs. 2 Satz 2 EStG , unter Bezugnahme, auf das erstgenannte Urteil für angemessen erachtet.

  1. bb) Umsatzsteuervorauszahlungen zählen zu den regelmäßig wiederkehrenden Ausgaben im Sinne des § 11 Abs. 1 S.1 Abs. 2. Satz 2 EStG (BFH, BStBl II 2008, 282 ; BStBl II 2015, 285 ).

Nach der für den Streitzeitraum gültigen Fassung des § 18 Abs. 1 Satz 4 UStG ist eine Umsatzsteuervorauszahlung am zehnten Tag nach Ablauf des Voranmeldungszeitraums fällig, im Streitfall demnach zunächst am 10. Januar 2015, einem Samstag (Sonnabend). Nach §§ 108 Abs. 1 und 3 AO i.V.m. § 193 Bürgerliches Gesetzbuch – BGB – verlängert sich eine Frist bis zum folgenden Werktag, sofern deren Ende auf einen Sonntag, einen gesetzlichen Feiertag oder einen Sonnabend fällt. § 193 BGB findet auch auf Fristen Anwendung, die die Fälligkeit betreffen (vgl. Urteil des Bundesgerichtshof vom 1. Februar 2007, BGHZ 171, 33). Durch die gem. § 108 Abs. 3 AO beachtliche Verschiebung hat sich die Fälligkeit der Leistung im Streitfall auf den 12. Januar 2015 verschoben.

  1. cc) Ausgehend von BFH, Urteil vom 09. Mai 1974 VI R 161/72 , BFHE 112, 373, BStBl II 1974, 547 (zuletzt bestätigt mit BFH, Urteil vom 24. August 2017 VI R 58/15 , BFHE 259, 321, BStBl II 2018, 72 ), ist es für die Zurechenbarkeit einer Zahlung zu einem anderen als dem tatsächlichen Zahlungsjahr ebenfalls erforderlich, dass die Fälligkeit der Forderung innerhalb des 10 Tageszeitraums nach Beendigung des Kalenderjahres eingetreten ist.
  2. b) Das Thüringer Finanzgericht, Urteil vom 27. Januar 2016 – 3 K 791/15 –, juris, EFG 2016, 1425 und das Sächsisches Finanzgericht, Urteil vom 30. November 2016 – 2 K 1277/16 –, juris EFG 2017, 227 vertreten die Auffassung, aus teleologischen Gründen sei eine Anwendung des § 108 Abs. 3 AO im Rahmen des § 11 Abs. 2 Satz 2 EStG dann zu unterlassen, wenn dessen Anwendung dazu führe, dass eine wirtschaftliche Zuordnung der Umsatzsteuervorauszahlung zum wirtschaftlich zugehörigen Jahr, ungeachtet einer tatsächlichen Zahlung im 10 Tageszeitraum des § 11 Abs. 2 Satz 2 EStG grundsätzlich nicht möglich sei.
  3. c) Vorstehende Grundsätze und Auffassungen berücksichtigend, gelangt der entscheidende Senat zu der Auffassung, dass eine Anwendung des § 11 Abs. 2 Satz 2 EStG i.V.m. § 11 Abs. 1 Satz 2 EStG im Streitfall möglich ist und die Umsatzsteuervorauszahlung Dezember 2014 dem Wirtschaftsjahr 2014 zuzurechnen ist, weil der unbestimmte Rechtsbegriff der „kurzen Zeit” in Bezug auf die Leistung und der damit einhergehenden Fälligkeit aus gesetzesimmanenten Gründen – entgegen der bisherigen Rechtsprechung – mit mindestens 12 Tagen zu bemessen ist.

Der erkennende Senat gelangt zu dieser Auffassung, weil er das Auslegungsergebnis, der unbestimmte Begriff „kurze Zeit” im Rahmen des § 11 Abs. 2 Satz 2 EStG i.V.m. § 11 Abs. 1 Satz 2 EStG umfasse einen Zeitraum von bis zu höchstens 10 Tagen für modifizierungsbedürftig hält, weil es sich mit der innergesetzlichen steuerlichen Logik, die sich im Zusammenhang mit der möglichen Berücksichtigung von Umsatzsteuerzahlungen als Aufwand ergibt, nicht in Einklang bringen lässt.

Zwar kann die Rechtsprechung, es sei davon auszugehen, der unbestimmte Rechtsbegriff „kurze Zeit” erfasse einen Zeitraum von höchstens 10 Tagen auf eine lange Tradition zurückblicken. Gleichwohl kann nicht außer Betracht bleiben, dass die entsprechende Festlegung völlig willkürlich und ohne nachvollziehbare Begründung erfolgte.

Ergibt sich daher aus der Systematik des Gesetzes ein anderes Auslegungsergebnis, so ist diesem Ergebnis gegenüber einer unbegründeten willkürlichen Festlegung der Vorzug zu geben, auch wenn sie über Jahre Bestand hatte. Entsprechend zur Erweiterung des Zeitraums der „kurzen Zeit” hinsichtlich der Leistung erweitert sich auch der Zeitraum, der für die Fälligkeit der entsprechenden Leistung zu berücksichtigen ist, auf mindestens 12 Tage.

Dass die Umsatzsteuerzahlungen eines Jahres in ihrer Gesamtheit dem Wirtschaftsjahr und Kalenderjahr ihrer Entstehung – im Streitfall wäre dies 2014 – zuzurechnen sein sollen, entspricht periodengerechter Besteuerung und dem systematischen Abstellen der Besteuerung auf das Kalenderjahr (vgl. auch BFH, Urteil vom 06. Juli 1995 IV R 63/94 , BFHE 178, 326, BStBl II 1996, 266 ).

Ein plausibler Grund, dass Trennungen des Wirtschaftsjahres hinsichtlich der Berücksichtigungsfähigkeit von Umsatzsteuerzahlungen unter gesonderter Betrachtung des letzten Monats für den „Normalfall” vom Gesetzgeber beabsichtigt oder in Kauf genommen werden sollten, ist nicht ersichtlich. Sie widerspricht auch dem natürlichen Rechtsempfinden, weil sich der Aufwand für die Umsatzsteuer eines Jahres als natürliche Gesamtheit ergibt.

Eine künstliche Trennung dieser Gesamtheit ergibt sich für den „Normalfall” aber zwangsläufig, wenn an der Rechtsprechung der „kurzen Zeit” im Rahmen des § 11 EStG festgehalten wird, weil durch die vom Gesetzgeber vorgesehene Verschiebung der Fälligkeit gem. § 108 Abs. 2 AO in zwei oder einem von sieben Jahren (je nach Schaltjahresauswirkung) eine derartige künstliche Trennung bewirkt wird, als die aufwandsmäßige Zuordnung dann nicht im Rahmen der Einheit des Wirtschaftsjahres erfolgen kann, weil die Fälligkeit der Umsatzsteuerforderung die Festlegung des 10 Tageszeitraumes überschreitet. Diese Verschiebung erfolgt, weil der Gesetzgeber die Fälligkeit der Umsatzsteuervorauszahlungen im Rahmen des § 18 Abs. 1 UStG (zunächst in dessen Satz 5, ab 1999 in dessen Satz 3 und ab 2011 in dessen Satz 4) auf den 10. festgelegt hat, § 108 Abs. 3 AO aber regelmäßig eine Verschiebung auf den 11. oder 12. bewirkt, wenn der 10. auf einen Samstag oder Sonntag fällt. Es ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber mit seiner Regelung der Fälligkeit zum 10. einen kurzen Zeitraum zu bestimmen gedachte, weil die Entrichtung der Umsatzsteuer in kurzer Zeit abgewickelt sein sollte.

Soweit daher der Gesetzgeber im Wege des § 108 Abs. 3 AO einen abweichenden Fristablauf festgelegt hat und dieser den „kurzen Zeitraum” der Umsatzsteuerfälligkeit ausdehnt, ist diese Gesetzesabsicht auch in die Auslegung des unbestimmten Begriffs „kurze Zeit” im Rahmen des § 11 Abs. 2 Satz 2 EStG i.V.m. § 11 Abs. 1 Satz 2 EStG miteinzubeziehen.

Zweck der Vorschrift des § 108 Abs. 3 AO ist es, die Sonn- und Feiertagsruhe zu wahren und die in der Wirtschaft und der öffentlichen Verwaltung übliche Fünftagewoche zu berücksichtigen (vgl. BFH, Urteil vom 14. Oktober 2003 – IX R 68/98 –, BFHE 203, 26, BStBl II 2003, 898 ). Diese gesetzgeberische Überlegung sollte auch in die Auslegung und Bestimmung des Begriffs der „kurzen Zeit” i.S.d. § 11 Abs. 2 Satz 2 EStG , § 11 Abs. 1 Satz 2 EStG miteinfließen. Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass sich gerade Anfang Januar der Handlungsspielraum durch Feiertage (1. Januar und in einigen Bundesländern 6. Januar) und Wochenenden eingeschränkt zeigt. Stellt man auf die gesetzgeberische Wertung hinsichtlich der Umsatzsteuer mit dem Setzen von Fälligkeitsbestimmungen zum 10. + maximal 2 Tage ab, die eine Berücksichtigung des originären und kalendarischen Umsatzsteuerjahres im Blick haben dürfte, ergibt sich ein innergesetzlich begründetes Auslegungsergebnis, die „kurze Zeit” des § 11 Abs. 2 Satz 2 EStG mit mindestens 12 Tagen zu bemessen unter entsprechender Erweiterung auch der Maßgabe der Fälligkeit der Leistung innerhalb von 12 Tagen.

Der Senat hält dieses Auslegungsergebnis – der Bestimmung der kurzen Zeit für Leistung und Fälligkeit mit 12 Tagen – auch deshalb für zutreffend, weil es im Sinne einer Gleichmäßigkeit der Besteuerung zu einer einheitlichen periodengerechten Aufwandsberücksichtigung der pünktlich zahlenden Umsatzsteuerpflichtigen führt, denn mit dieser Auslegung werden auch die „Fälligkeitszahler” – insbesondere die Vielzahl der Lastschrifterteilenden – in die periodengerechte Aufwandsberücksichtigung der Umsatzsteuer miteinbezogen.

Es ist offensichtlich, dass das letztlich nicht begründbare Festhalten an einer ursprünglich ohne nachvollziehbaren Grund getroffenen Auslegungsentscheidung dazu führt, dass in aller Regelmäßigkeit (zwei von sieben oder eins von sieben Jahren, je nach Schaltjahresauswirkung) sowohl Härten – durch die zunächst fehlende Berücksichtigung des Voranmeldungszeitraums in einem Wirtschaftsjahr mit hinausgeschobener Fälligkeit – wie auch Begünstigungen – durch die hinzukommende Berücksichtigung des künstlich ausgeschiedenen Voranmeldungszeitraums im Folgejahr – zu besorgen sind.

Sinn und Zweck der Regelung des § 11 Abs. 1 Satz 2 und § 11 Abs. 2 Satz 2 EStG war es aber gerade, derartige wirtschaftlich nicht bezweckte Verschiebungen zu vermeiden.

Soweit das FG Sachsen und das FG Thüringen in ihren Entscheidungen im Ergebnis dazu gelangen, dass nur für Vorfälligkeitszahler – wie den Kläger im Streitfall – eine periodengerechte Besteuerung über § 11 Abs. 2 Satz 2 EStG zu besorgen sei, vermag der erkennende Senat diese Auffassung nicht zu teilen, weil sie zu kurz greift. Vielmehr ist der erkennende Senat der Auffassung, dass die periodengerechte Berücksichtigung der Umsatzsteuerzahlung zum 10.1. respektive 12.1. (oder auch 11.1) für alle pünktlich zur oder bereits vor Fälligkeit entrichtenden und damit sich gesetzeskonform verhaltenden Umsatzsteuerpflichtigen gleich zu beurteilen ist.

Auch wenn es sich bei der Rechtsprechung zur Auslegung des § 11 Abs. 1 Satz 2 und § 11 Abs. 2 Satz 2 EStG im Sinne eines 10-Tages Zeitraums um eine langjährige handelt, ist nicht ersichtlich, welchem positivem Zweck ein Festhalten daran dienen soll, wenn die innergesetzliche Logik ein anderes Auslegungsergebnis im Sinne eines 12-Tages Zeitraumes nahelegt.

Noch viel weniger einsehbar ist, dass Handlungsbedarf für den Gesetzgeber gesehen werden könnte, wenn ein dem Gesetzeszweck des § 11 Abs. 1 Satz 2 und § 11 Abs. 2 Satz 2 EStG entsprechendes Ergebnis im Hinblick auf die Berücksichtigung von Umsatzsteuerzahlungen als wirtschaftliche Einheit des Kalenderjahres durch angepasste Auslegung einer nie begründeten Festlegung zur „kurzen Zeit” und Fälligkeit im Rahmen des § 11 Abs. 1 Satz 2 und § 11 Abs. 2 Satz 2 EStG erlangt werden kann.

  1. Das Finanzamt trägt gem. § 135 Abs. 1 FGO die Kosten des Verfahrens.
  2. Die Revision wird gem. § 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 FGO zugelassen.

 

Gründerzuschüsse des EXIST-Programms führen nicht zu Sonderbetriebseinnahmen

Der 14. Senat des Finanzgerichts Münster hat mit Urteil vom 13. April 2018 (Az. 14 K 3906/14 F) entschieden, dass an Gesellschafter einer GbR gezahlte Existenzgründerzuschüsse des EXIST-Programms keine Sonderbetriebseinnahmen darstellen.

Die Klägerin ist eine GbR, deren ebenfalls klagende zwei Gesellschafter Stipendiatenverträge mit einer Universität abschlossen. Danach erhielten die Gesellschafter Mittel aus dem Programm „Existenzgründungen aus der Wissenschaft (EXIST)“ zur Realisierung eines Gründungsvorhabens im Bereich der Softwareentwicklung. Nach dem jeweiligen Stipendiatenvertrag sollte das Stipendium den Gesellschaftern ermöglichen, sich ganz der Verfolgung und Realisierung ihrer Gründungsidee zu widmen. Es war weder als Vergütung noch als Arbeitsentgelt ausgestaltet, sondern diente vielmehr allein der Sicherung des Lebensunterhalts und einer angemessenen Absicherung gegen das finanzielle Risiko von Krankheit des Existenzgründers während der Phase der Weiterverfolgung und Realisierung der Gründungsidee.

Die nach diesen Vereinbarungen an die beiden Gesellschafter gezahlten Stipendien in Höhe von 18.000 Euro bzw. 16.800 Euro behandelte das Finanzamt als Sonderbetriebseinnahmen aus ihrer Mitunternehmerschaft bei der GbR.

Der hiergegen erhobenen Klage gab der Senat in vollem Umfang statt. Die Stipendien seien nicht als Sonderbetriebseinnahmen der Gesellschafter anzusehen. Dies folge bereits daraus, dass die Beträge bei der GbR nicht zu einer Gewinnminderung geführt hätten. Darüber hinaus stellten die Stipendien auch keine Vergütungen von der Gesellschaft dar, da sie von der Universität gewährt worden seien. Sie seien auch nicht als Zahlungen von dritter Seite anzusehen, da keine Veranlassung durch das Gesellschaftsverhältnis gegeben sei. Die Stipendiatenverträge hätten die Kläger vielmehr unabhängig von ihrer Eigenschaft als Gesellschafter der GbR mit der Universität abgeschlossen. Da die Stipendien der Sicherung des Lebensunterhalts und einer angemessenen Absicherung gegen das finanzielle Risiko von Krankheit der Gesellschafter gedient hätten, sei nicht davon auszugehen, dass die Zahlungen der GbR zugutekommen sollten. Der Senat hat zur Fortbildung des Rechts die Revision zum Bundesfinanzhof zugelassen.

Quelle: FG Münster, Mitteilung vom 15.05.2018 zum Urteil 14 K 3906/14 F vom 13.04.2018

 

Angemessenheit des Gewinnvorabs für eine am Vermögen nicht beteiligte Komplementär-GmbH

Mit am 15. Mai 2018 veröffentlichtem Urteil vom 23. Februar 2018 (Az. 1 K 2201/17 F) hat der 1. Senat des Finanzgerichts Münster entschieden, dass ein Gewinnvorab für eine am Vermögen einer Kommanditgesellschaft nicht beteiligte Komplementär-GmbH bei gleichzeitigem Verzicht der Gesellschafter der Komplementär-GmbH auf eine Vergütung für ihre Geschäftsführertätigkeit keine unangemessene Gewinnverteilung darstellt.

Der Gesellschaftsvertrag der Klägerin, einer GmbH & Co. KG, sah vor, dass die an Ergebnis und Vermögen nicht beteiligte Komplementär-GmbH für die Geschäftsführung und die Übernahme der persönlichen Haftung einen jährlichen Vorabgewinn erhalten sollte. Der nach Abzug des Vorabgewinns verbleibende Gewinn sollte unter den Kommanditisten im Verhältnis ihrer Kapitalanteile aufgeteilt werden. Beide Kommanditisten, die auch Gesellschafter und Geschäftsführer der Komplementärin waren, tätigten aus ihren Kapitalkonten laufend monatliche Entnahmen, die von den Gewinnanteilen gedeckt waren. Eine Vergütung für die Geschäftsführertätigkeit der beiden Gesellschafter (und zugleich Kommanditisten) zahlte die Komplementärin nicht. Das Finanzamt sah diese Gewinnverteilung als unangemessen an und rechnete den der Komplementär-GmbH zugewiesenen Gewinnvorab zu gleichen Teilen den Kommanditisten zu. Zur Begründung stellte es darauf ab, dass die Geschäftsführertätigkeit auf der Ebene der KG bei wirtschaftlicher Betrachtung nicht von der Komplementärin, sondern von den Kommanditisten erbracht werde.

Der hiergegen erhobenen Klage gab der 1. Senat des Finanzgerichts Münster statt. Die von den Gesellschaftern der Klägerin beschlossene handelsrechtliche Gewinnverteilungsabrede stelle weder hinsichtlich ihrer einzelnen Bestandteile noch in ihrer Gesamtschau eine wirtschaftlich unangemessene Gewinnverteilung dar. Für die Führung der Geschäfte und die Übernahme der persönlichen Haftung stehe der GmbH eine marktgerechte Gegenleistung zu, unabhängig davon, ob sie diese Vergütung an ihre Anteilseigner oder Geschäftsführer (etwa in Form eines Geschäftsführergehalts) weitergebe. Die Gesellschafter-Geschäftsführer wiederum seien frei in ihrer Entscheidung, ihre Geschäftsführertätigkeit unentgeltlich zu erbringen. Die Folge, dass ein gewisser Anteil am Gesamtgewinn der Klägerin in den Bereich der Komplementär-GmbH „verlagert“ und dort thesauriert werde, mache die Gestaltung nicht unangemessen, sondern sei letztlich Folge der gesetzgeberischen Entscheidung, Personengesellschaften und Körperschaften unterschiedlich zu besteuern. Ein wirtschaftlicher „Durchgriff“ auf die Kommanditisten sei mit dem sog. Trennungsprinzip unvereinbar.

Wegen grundsätzlicher Bedeutung der Streitfrage hat der Senat die Revision zum Bundesfinanzhof zugelassen. Das Verfahren ist dort unter dem Az. IV R 11/18 anhängig.

Quelle: FG Münster, Pressemitteilung vom 15.05.2018 zum Urteil 1 K 2201/17 F vom 23.02.2018 (nrkr – BFH-Az.: IV R 11/18).

 

Vergütung für nebenberuflich tätige Fahrer einer gemeinnützigen Einrichtung im Bereich der Altenhilfe kann steuerfrei sein

 Das Finanzgericht Baden-Württemberg (FG) entschied mit Urteil vom 8. März 2018 (Az. 3 K 888/16; Revision wurde zugelassen), die Klägerin, eine von der Körperschaftsteuer befreite gemeinnützige Gesellschaft mit beschränkter Haftung im Bereich der Altenpflege, hafte nicht für nicht einbehaltene und abgeführte Lohnsteuer für die Vergütungen an ihre Fahrer.

Die Vergütungen seien steuerfrei nach § 3 Nr. 26 Einkommensteuergesetz (EStG). Die Norm sei aus gesellschaftspolitischen Gründen zur Anerkennung der für das Gemeinwesen wichtigen Tätigkeit der Pflege und zur Motivation bürgerschaftlichen Engagements eingeführt worden. Die Klägerin sei eine Einrichtung zur Förderung mildtätiger Zwecke. Die Nutzer der Tagespflege seien aufgrund ihres Alters und ihres geistigen oder körperlichen Zustands hilfebedürftige Personen. Die Tätigkeit der Fahrer erschöpfe sich nicht in der reinen Beförderung. Sie enthalte die Pflege alter Menschen. Pflege umfasse „sämtliche persönlich zu erbringende Hilfeleistungen bei den Verrichtungen des täglichen Lebens“. Dazu gehöre die Hilfe zur Mobilität pflegebedürftiger Personen. Helfe ein Fahrer beim Verlassen und Aufsuchen der Wohnung sowie beim Ein- und Ausstieg, bestehe auch ein unmittelbarer und persönlicher Kontakt. Die Fahrer seien nebenberuflich, im Durchschnitt weniger als 12 Stunden wöchentlich, tätig gewesen.Die Klägerin betreibt ein Seniorenzentrum. Sie bietet u. a. teilstationäre Tagespflege an. Die Tagespflege wird grundsätzlich an einem oder mehreren Tagen pro Woche von älteren Menschen besucht, die in der Regel über 75 Jahre alt sind. Mehr als die Hälfte von ihnen waren bei Abschluss der Nutzungsverträge in Pflegestufen eingestuft. Teil der im Rahmen der Tagespflege von der Klägerin zu erbringenden Leistungen ist die notwendige Beförderung der Nutzer von der Wohnung zur Einrichtung und zurück. Die Fahrten führt sie mit Kleinbussen mit Hebebühne mit maximal acht Nutzern durch. Jeweils ein Fahrer führt eine Tour durch. Dieser hilft den Nutzern von der Wohnung zum Bus und zurück. Die Fahrer werden hierzu von der Klägerin oder externen Anbietern geschult. Sie erhielten in den Streitjahren für ihre Tätigkeit eine Aufwandsentschädigung, maximal 2.100 Euro bzw. 2.400 Euro jährlich. Die acht Fahrer machten Stundenaufzeichnungen. Die Klägerin führte für sie keine Lohnsteuer ab. Der Lohn sei nach § 3 Nr. 26 EStG für bürgerschaftlich engagierte, nebenberuflich tätige Mitarbeiter steuerfrei. Das beklagte Finanzamt gelangte nach einer Lohnsteuer-Außenprüfung zu dem Ergebnis, die Fahrtätigkeit diene mangels persönlichem Kontakt nicht der Förderung der geistigen und körperlichen Fähigkeiten. Anzuwenden sei der Freibetrag nach § 3 Nr. 26a EStG in Höhe von 500 Euro bzw. 750 Euro ab 2013. Das Finanzamt erließ gegenüber der Klägerin einen Lohnsteuer-Haftungsbescheid. Nach Ansicht des FG war dieser aus den genannten Gründen rechtswidrig.

Quelle: FG Baden-Württemberg, Pressemitteilung vom 16.04.2018 zum Urteil 3 K 888/16 vom 08.03.2018

FG Baden-Württemberg Urteil vom 8.3.2018, 3 K 888/16

§ 3 Nr. 26 EStG: Steuerfreiheit von Vergütungen für Fahrer einer Einrichtung der teilstationären Tagespflege für alte Menschen

Tenor

1. Der Lohnsteuer-Haftungsbescheid vom 12. November 2015 in Gestalt der Ein-spruchsentscheidung vom 25. Februar 2016 wird dahingehend geändert, dass der Haftungsbetrag für das Jahr 2011 auf 0 EUR, für das Jahr 2012 auf 16,20 EUR (davon Lohnsteuer 15 EUR, pauschale Kirchensteuer 1,20 EUR), für das Jahr 2013 auf 83,87 EUR (davon Lohnsteuer 77,66 EUR, pauschale Kirchensteuer 6,21 EUR) und für das Jahr 2014 auf 45,36 EUR (davon Lohnsteuer 42,00 EUR, pauschale Kirchensteuer 3,36 EUR) herabgesetzt wird.

2. Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.

3. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird für notwendig erklärt.

4. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Ermöglicht der Kostenfestsetzungsbeschluss eine Vollstreckung im Wert von mehr als 1.500 EUR, hat die Klägerin in Höhe des vollstreckbaren Kostenerstattungsanspruches Sicherheit zu leisten. Bei einem vollstreckbaren Kostenerstattungsanspruch bis zur Höhe von 1.500 EUR kann der Beklagte der vorläufigen Vollstreckung widersprechen, wenn die Klägerin nicht zuvor in Höhe des vollstreckbaren Kostenanspruchs Sicherheit geleistet hat.

5. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1
Streitig ist im Rahmen der Überprüfung der Rechtmäßigkeit eines Lohnsteuer-Haftungsbescheids, ob Vergütungen für Fahrer, die für eine Einrichtung der teilstationären Tagespflege im Fahrdienst tätig waren, nach § 3 Nr. 26 des Einkommensteuergesetzes in den für die Jahre 2011 bis 2014 jeweils geltenden Fassungen (EStG) steuerfrei sind.
2
Die Klägerin, eine gemeinnützige Gesellschaft mit beschränkter Haftung in der Trägerschaft der A – Genossenschaft X e.V., ist im Bereich der Altenhilfe tätig und betreibt in X das Seniorenzentrum A (www. __ A __.de). Angeboten werden u.a. vollstationäre Dauerpflege (__ Plätze), Kurzzeitpflege (__ Plätze), Betreutes Wohnen (__ Wohneinheiten), ein ambulanter Pflegedienst sowie __ Gruppen (insgesamt __ Plätze) teilstationäre Tagespflege (vgl. § 41 des Elften Buches Sozialgesetzbuch -SGB XI-). Die Klägerin ist nach § 5 Nr. 9 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) von der Körperschaftsteuer befreit.
3
Die Einrichtung der Tagespflege ist von Montag bis Freitag bzw. Samstag ab 8 Uhr bis 17 Uhr geöffnet. Sie wird an einem oder mehreren Tagen pro Woche von älteren (von Einzelfällen abgesehen Jahrgang 1935 und älter) pflegebedürftigen Menschen, den „Gästen“, besucht. Von den Gästen (133) sind mindestens 82 % (109) über 75 Jahre alt (Jahrgang 1935 und älter). 58 % (77) der Gäste waren bei Abschluss der Nutzungsverträge bereits in die Pflegestufen I, II oder III (vgl. § 14, § 15 SGB XI i.d.F. des Gesetzes vom 26. März 2007 -SGB XI a.F.-) eingestuft, teilweise war eine entsprechende Einstufung zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses noch in Vorbereitung. Auf die dahingehenden Angaben in den mit den Gästen abgeschlossenen Nutzungsverträgen (LO – Anlagenkonvolut 7) wird Bezug genommen. Wegen der von der Klägerin zu erbringenden Leistungen wird auf den Rahmenvertrag für teilstationäre Pflege gemäß § 75 Abs. 1 SGB XI (im Folgenden Rahmenvertrag; Anlage 4 zur Klagebegründung, Gerichtsakten Bl. 47 ff.) verwiesen.
4
Teil der im Rahmen der Tagespflege von der Klägerin zu erbringenden Leistungen ist die notwendige Beförderung der Gäste von der Wohnung zur Einrichtung und zurück (vgl. § 41 Abs. 1 Satz 2 SGB XI; § 1 Abs. 3 Buchst. g des Rahmenvertrags; Nr. 3 b der Nutzungsverträge). Diese Fahrten werden mit zwei Kleinbussen [ … ] (9 Sitzer, davon 2 Rollstuhlplätze), die bis zu acht Gäste befördern können, durchgeführt. Die Busse sind mit einer Hebebühne ausgestattet. Der Platz des Fahrers ist nicht von den Plätzen der Gäste abgegrenzt.
5
Die Touren (vgl. die Zusammenstellung der Klägerin für den Zeitraum 16. bis 20. November 2015; Anlagenkonvolut 5 Gerichtsakten Bl. 67 – 140) werden jeweils von einem Fahrer gefahren. Da die meisten Gäste sich infolge ihrer unterschiedlichen körperlichen und geistigen Einschränkungen nicht selbständig von ihren Wohnungen in den Bus begeben können, werden sie von den Fahrern von der Wohnung zum Bus bzw. vom Bus in die Wohnung gebracht. Die Fahrer leisten hierbei und während der Fahrt die erforderlichen Hilfestellungen, beispielsweise beim Setzen in den Rollstuhl, bei der Versorgung mit Sauerstoffgeräten und beim Anschnallen im Bus. Bei dementen Gästen achten sie darauf, dass die notwendigen persönlichen Gegenstände dabei sind. Auch beim Bringen der Gäste vom Bus in die Einrichtung bzw. von der Einrichtung in den Bus unterstützen die Fahrer die Mitarbeiter der Tagespflege.
6
Bei den Fahrern handelt es sich um bürgerschaftlich engagierte, nebenberuflich tätige Mitarbeiter der Klägerin (vgl. Vereinbarung für Bürgerschaftliche Engagierte, Gerichtsakten Bl. 44). Sie werden von der Pflegedienstleitung der Klägerin oder externen Anbietern für die Durchführung der Fahrten geschult, insbesondere in Notfallsituationen in der Altenhilfe, im Umgang mit Demenz, in Validation und in Kinästhetik. Sie erhielten für ihre Tätigkeit eine Aufwandsentschädigung von 6 EUR (2011, 2012) bzw. 7,50 EUR (2013, 2014) pro Stunde; die Summe der an die einzelnen Fahrer geleisteten Zahlungen überstieg nicht den Betrag von 2.100 EUR/Jahr (2011, 2012) bzw. 2.400 EUR/Jahr (2013, 2014; vgl. Tz. 2 der Anlage zum Prüfungsbericht vom 11. November 2015, Lohnsteuerprüfungsakten Bl. 46). In den einzelnen Jahren des Streitzeitraums waren jeweils 8 Fahrer im Fahrdienst tätig. Wegen des zeitlichen Umfangs der Tätigkeiten wird auf die Stundenaufzeichnungen der Fahrer (LO – Anlagenkonvolut 6) Bezug genommen. Die Klägerin hat im Hinblick auf den Steuerfreibetrag nach § 3 Nr. 26 EStG von den an die Fahrer gezahlten Vergütungen keine Lohnsteuer einbehalten und abgeführt.
7
Nach Durchführung einer Lohnsteuer-Außenprüfung (LSt-Ap) für den Zeitraum 1. Januar 2011 bis 31. Dezember 2014 war der Beklagte (das Finanzamt -FA-) der Auffassung, dass die Fahrtätigkeit, da sie -anders als im Fall der mit zwei Personen durchgeführten Behindertentransporte (Hinweis auf die Verfügung der Oberfinanzdirektion -OFD- Karlsruhe vom 15. Dezember 2009, S 2121, FMNR019070009 Ziff. 2.5, juris)- keinen persönlichen Kontakt zwecks Förderung der geistigen und körperlichen Fähigkeiten zulasse, nicht unter § 3 Nr. 26 EStG falle. Es könne daher lediglich der Freibetrag gemäß § 3 Nr. 26a EStG in Höhe von 500 EUR (2011, 2012) bzw. 750 EUR (2013, 2014) gewährt werden. Auf den Prüfungsbericht vom 11. November 2015 wird Bezug genommen (Lohnsteuerprüfungsakten Bl. 43 – 48).
8
Auf Grundlage der Prüfungsfeststellungen erließ das FA am 12. November 2015 nach § 42d EStG einen Lohnsteuer-Haftungsbescheid über 6.052,01 EUR (Lohnsteuer 5.362,56 EUR; Solidaritätszuschlag 260,43 EUR; ev. Kirchensteuer 214,40 EUR; rk. Kirchensteuer 214,62 EUR; Lohnsteuerprüfungsakten Bl. 79). Die der Haftung zugrunde gelegte Lohnsteuer für die Fahrer wurde nach Steuerklasse VI bemessen (vgl. Anlage zum Prüfungsbericht vom 11. November 2015 zur Zusammenstellung der Haftungsschuld, Lohnsteuerprüfungsakten Bl. 48).
9
Der Einspruch der Klägerin, der sich allein darauf stützte, dass die Fahrer eine begünstigte Tätigkeit im Sinne des § 3 Nr. 26 EStG ausgeübt hätten, blieb erfolglos (Einspruchsentscheidung vom 25. Februar 2016). Zur Begründung führte das FA aus, dass die Fahrer keine einem Betreuer vergleichbare Tätigkeit im Sinne von § 3 Nr. 26 1. Alt. EStG ausgeübt hätten, da die Tätigkeit der Fahrer keinen direkten pädagogisch ausgerichteten persönlichen Kontakt zu den betreuten Menschen beinhaltet habe. Bei einer Ein-Mann-Besetzung sei während der Fahrt keine Betreuung möglich, da sich der Fahrer voll auf die Fahrtätigkeit konzentrieren müsse. Die Klägerin könne sich auch nicht darauf berufen, dass der Fahrdienst Bestandteil der Betreuungsleistung im Rahmen der Tagespflege sei. Der Rahmenvertrag nach § 75 SGB XI entfalte keinerlei steuerliche Bindungswirkung und verlange keine (besondere) Vorbildung im Bereich sozialer Betreuungs- und Pflegeleistungen.
10
Die Tätigkeit der Fahrer sei auch nicht als Pflegetätigkeit im Sinne des § 3 Nr. 26 3. Alt. EStG anzusehen. Es müsse sich um Leistungen handeln, die im persönlichen Kontakt zum Empfänger erbracht würden. Des Weiteren müssten sie einen spezifischen, ihre Gemeinnützigkeit begründenden Inhalt haben. Daran fehle es, wenn sich die Tätigkeit fast ausschließlich auf die Leistung fahrerischer Verrichtungen beschränke und ein unmittelbarer Bezug zu den Fahrgästen im Sinne der Pflege nicht aufgebaut werden könne.
11
Das dem FA zustehende Auswahlermessen sei zutreffend ausgeübt worden. Die Inanspruchnahme des Arbeitgebers sei ermessensfehlerfrei, wenn sie der Vereinfachung diene, weil der gleiche Berechnungsfehler bei einer größeren Anzahl von Arbeitnehmern gemacht worden sei und nicht alle Arbeitnehmer veranlagt worden seien.
12
Mit der hiergegen erhobenen Klage macht die Klägerin weiterhin geltend, dass die Tätigkeit der Fahrer für die Beförderung der Gäste von der Wohnung zur Einrichtung als nebenberufliche Pflege alter Menschen im Sinne des § 3 Nr. 26 3. Alt. EStG anzusehen sei.
13
Zur Begründung lässt sie im Wesentlichen Folgendes vortragen: Beim Abholen und Zurückbringen in die Wohnung und auch während der Fahrt bestehe Kontakt zwischen Fahrer und Gästen. Die Fahrer kennen die Gäste und würden oftmals mit persönlichen Anliegen konfrontiert. Auch während der Fahrt ergäben sich Gespräche, man singe
14
oder tausche sich über aktuelle Geschehnisse aus. Die für einen exemplarischen Zeitraum von einer Woche im Jahr 2015 vorgenommene Auswertung der Arbeitszeiten der Fahrer habe ergeben, dass 41% der Abwesenheitszeiten der Fahrer auf die Zurücklegung der Fahrstrecken entfielen und 59% auf sonstige Tätigkeiten im Rahmen der Beförderung der Gäste (vgl. Anlagenkonvolut 5, Gerichtsakten Bl. 67 – 140). Eine Reduktion der Tätigkeit der Fahrer auf die formal-technische Erbringung einer Personenbeförderungsleistung werde angesichts der Pflegebedürftigkeit der Gäste und der damit einhergehenden Fürsorgepflichten der Fahrer dem konkreten Lebenssachverhalt nicht gerecht.
15
Der Begriff der Pflege sei im Rahmen des § 3 Nr. 26 EStG entsprechend seiner Zwecksetzung, nachbarschaftliche Hilfe im Bereich der Altenpflege zu fördern, weit auszulegen und umfasse nicht nur die körperliche Pflege, sondern auch hauswirtschaftliche oder betreuende Hilfstätigkeiten für alte Menschen. Der geforderte unmittelbare persönliche Kontakt zum Gepflegten müsse, wie die Anerkennung der Erledigung von Einkäufen oder Schriftverkehr als „Pflege“ im Sinne des § 3 Nr. 26 EStG zeige, keine große Intensität aufweisen. Die Betreuung durch den Fahrer stelle eine unmittelbare Tätigkeit an den Gästen dar. Die reine Fahrleistung stehe entgegen der Ansicht des FA gerade nicht im Vordergrund. Ein Aufspalten in einen das (reine) Fahren und einen die Pflege betreffenden Anteil sei bereits denklogisch nicht möglich. Auch komme es nicht auf eine fachliche Qualifikation der Pflegenden an. Der Gesetzgeber habe mit der Begünstigung der Pflege gerade das bürgerschaftliche Engagement in der Pflege stärken wollen und Bürger ermutigen wollen, Hilfspflegetätigkeiten zu übernehmen.
16
Die Klägerin beantragt,

den Lohnsteuer-Haftungsbescheid vom 12. November 2015 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 25. Februar 2016 dahingehend zu ändern, dass der Haftungsbetrag um 5.906,58 EUR auf 145,43 EUR herabgesetzt wird.

17
Das FA beantragt,

die Klage abzuweisen, hilfsweise die Revision zuzulassen.

18
Der reine Fahrdienst für die Gäste der Tagespflege erfülle nicht die von § 3 Nr. 26 EStG geforderten Merkmale. Eine Aufteilung in Betreuungs- und Fahrtätigkeit könne bei Behindertenfahrdiensten, die nur von einem Fahrer durchgeführt werden, nicht vorgenommen werden, da sich die Tätigkeit des Fahrers der Natur der Sache nach und seiner Verantwortung entsprechend fast ausschließlich auf die Fahrtätigkeit erstrecken müsse. Die Fahrtätigkeit enthalte kein pflegerisches/betreuendes Element dahingehend, dass es sich bei der Fahrtätigkeit einheitlich um pflegerische Leistungen handeln könne. Zwischen dem Fahrer und den Gästen entstehe kein persönlicher (pflegerischer) Kontakt, um die geistigen und körperlichen Fähigkeiten der Gäste zu fördern. Gelegentlich vom Fahrer geleistete Gefälligkeitsleistungen seien insgesamt von untergeordnetem Umfang, selbst wenn diese zeitlich einen nicht ganz untergeordneten Anteil der Tätigkeitszeit der Fahrer in Anspruch nähmen.
19
Eine nebenberufliche Pflegetätigkeit, die die Unterstützung bei der Grund- und Behandlungspflege, bei häuslichen Verrichtungen, bei Einkäufen, beim Schriftverkehr und bei der Altenhilfe entsprechend § 71 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII) beinhalte, sei bei den Fahrern nicht zu erkennen. Eine Tätigkeit, die ihrer Art nach keine Pflege sei, sei nicht nach § 3 Nr. 26 EStG begünstigt.
20
Die gesonderte Vergütung, die von den Pflegekassen für die Beförderungen bezahlt werde, indiziere nicht, dass es sich bei den Fahrten um eine Betreuungs-/Pflegeleistung handele.
21
Am 27. Oktober 2017 hat die Berichterstatterin den Streitfall mit den Beteiligten erörtert. Auf die Niederschrift wird Bezug genommen (Gerichtsakten Bl. 205 ff.). Im Anschluss haben die Beteiligten unstreitig gestellt, dass (zusätzlich zu der getrennt aufgeschriebenen Hausmeistertätigkeit eines bürgerschaftlich engagierten Mitarbeiters) von den im Jahr 2013 abgerechneten Zeiten der Fahrer 10 Stunden und von den im Jahr 2014 abgerechneten Zeiten 30 Stunden einer anderen Tätigkeit (z.B. Autopflege, Schneeschippen) als dem Fahrdienst zuzuordnen sind. Auf die von der Klägerin vorgenommene Berechnung der hierauf entfallenden Lohnsteuer wird Bezug genommen (Gerichtsakten Bl. 221).
22
Bei der Entscheidung lagen die vom FA übersandten Steuerakten (1 Bd. Lohnsteuerprüfungsakten, 1 Bd. Handakte) vor.

Entscheidungsgründe

23
Die Klage ist zulässig und in dem in der mündlichen Verhandlung aufrechterhaltenen Umfang auch begründet. Der angefochtene Lohnsteuer-Haftungsbescheid vom 12. November 2015 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 25. Februar 2016 ist, soweit darin die Vergütung der bürgerschaftlich engagierten Mitarbeiter der Klägerin für ihre Tätigkeit im Fahrdienst der Tagespflege der Lohnsteuer unterworfen wurde, rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung -FGO-).
24
1. Nach § 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG haftet der Arbeitgeber für die Lohnsteuer, die er nach § 38 Abs. 1 Sätze 1 und 3, Abs. 3 Satz 1 EStG bei jeder Lohnzahlung vom Arbeitslohn für Rechnung des Arbeitnehmers einzubehalten und nach § 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG abzuführen hat.
25
Im Streitfall durfte die Klägerin – soweit zwischen den Beteiligten streitig – von der Einbehaltung und Abführung von Lohnsteuer für die Vergütungen, die sie an die im Fahrdienst der Tagespflege tätigen bürgerschaftlich engagierten Mitarbeiter der Klägerin gezahlt hat, absehen, da diese der Steuerbefreiungsvorschrift des § 3 Nr. 26 EStG unterfielen.
26
Nach § 3 Nr. 26 Satz 1 EStG sind Einnahmen aus nebenberuflichen Tätigkeiten als Übungsleiter, Ausbilder, Erzieher, Betreuer oder vergleichbaren nebenberuflichen Tätigkeiten (1. Alt.), aus nebenberuflichen künstlerischen Tätigkeiten (2. Alt.) oder der nebenberuflichen Pflege alter, kranker oder behinderter Menschen (3. Alt.) im Dienst oder im Auftrag einer inländischen juristischen Person des öffentlichen Rechts oder einer unter § 5 Abs. 1 Nr. 9 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) fallenden Einrichtung zur Förderung gemeinnütziger, mildtätiger und kirchlicher Zwecke (§§ 52 bis 54 der Abgabenordnung –AO-) bis zur Höhe von insgesamt 2.100 EUR (2011/2012) bzw. 2.400 EUR (2013/2014) steuerfrei.
27
a) Bei der Klägerin handelt es sich um eine Einrichtung im Sinne von § 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG zur Förderung mildtätiger Zwecke. Die Gäste der Tagespflege gehören aufgrund ihres Alters (vgl. Anwendungserlass zur Abgabenordnung zu § 53 Ziff. 4) und körperlichen bzw. geistigen Zustands (Leistungsberechtigung nach §§ 14, 15 SGB XI a.F.) zu den persönlich hilfebedürftigen Personen gemäß § 53 Nr. 1 AO. Dies ist zwischen den Beteiligten nicht streitig und bedarf keiner weiteren Erörterung.
28
b) Nach den vorgelegten Arbeitszeitnachweisen der Fahrer (LO Anlagenkonvolut 6) waren diese in den Streitjahren nebenberuflich tätig. Ihre durchschnittliche Wochenarbeitszeit lag unter 12 Stunden. Bei den Gästen der Tagespflege handelte es sich ausweislich der vorgelegten Nutzungsverträge um alte Menschen im Sinne des § 3 Nr. 26 3. Alt. EStG, d.h. um altersbedingt pflegebedürftige Menschen.
29
c) Die Tätigkeit der Fahrer im Hol- und Bringdienst der Tagespflege beinhaltete die Pflege alter Menschen.
30
aa) Ausweislich der Gesetzesmaterialien wurde der Steuerbefreiungstatbestand des § 3 Nr. 26 3. Alt. EStG aus gesellschaftspolitischen Gründen eingeführt, um der für das Gemeinwesen wichtigen Tätigkeit der Pflege auch steuerliche Anerkennung zu gewähren (BT-Drs. 11/5582 S. 27, 32). Mit der Anhebung des Freibetrags auf 2.100 EUR sollten Hilfen für Helfer im Sinne von Erleichterungen für das bürgerschaftliche Engagement gegeben werden und Wertschätzung für die Menschen ausgedrückt werden, die sich bürgerschaftlich engagieren, und ein Zeichen gesetzt werden, um noch mehr Menschen zu motivieren, sich ehrenamtlich für die Gesellschaft einzusetzen (BT-Drs. 16/5200 S. 12). Auch die nochmalige Anhebung des Freibetrags auf 2.400 EUR sollte die Bereitschaft zum bürgerschaftlichen Engagement stärken, bestehende Hindernisse bei der Ausübung gemeinnütziger Tätigkeiten abbauen und die gesellschaftliche Anerkennung des bürgerschaftlichen Engagements bekunden (BT-Drs. 17/11316 S. 8).
31
bb) In Übereinstimmung mit der gesetzgeberischen Zielsetzung, das bürgerschaftliche Engagement für alte Menschen zu stärken und anzuerkennen, wird der Begriff der Pflege in § 3 Nr. 26 EStG weit ausgelegt (vgl. FG Köln, Urteil vom 25. Februar 2015 3 K 1350/12, EFG 2015, 1507; FG Hamburg, Urteil vom 23. März 2006 II 317/04, juris; Bergkemper in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 3 Nr. 26 EStG Rz. 5b) und weiter gefasst als in § 33b Abs. 6 EStG (v. Beckerath in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 3 Nr. 26 B26/98).
32
Pflege im Sinne des § 3 Nr. 26 EStG setzt eine unmittelbare, in persönlichem Kontakt zum Empfänger zu erbringende Leistung des Pflegenden voraus (BFH-Beschluss vom 1. Juni 2004 XI B 117/02, BFH/NV 2004, 1405). Darunter fallen sämtliche persönlich zu erbringende Hilfeleistungen bei den Verrichtungen des täglichen Lebens einschließlich der Körperpflege und der Einnahme von Mahlzeiten, wobei Umfang und Dauer der Pflege ohne Bedeutung sind (vgl. Stuhrmann in Bordewin/Brandt, EStG, § 3 Nr. 26 Rz. 33; v. Beckerath in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 3 Nr. 26 B26/102). Begünstigt sind auch nebenberufliche Hilfeleistungen bei der häuslichen Betreuung durch ambulante Pflegedienste, Unterstützungsleistungen bei der Grund- und Behandlungspflege, Hilfe bei der Haushaltsführung wie Kochen und Putzen (kritisch v. Beckerath in Kirchhof, EStG, § 3 Rz. 51 und ders. in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 3 Nr. 26 B26/102) sowie bei Einkäufen, Behördengängen, beim Schriftverkehr oder Altenpflegeleistungen im Sinne von § 71 SGB XII (vgl. FG Köln in EFG 2015, 1507; Stuhrmann in Bordewin/Brandt, EStG, § 3 Nr. 26 Rz. 33; Steiner in Lademann, EStG, § 3 Rz. 211; Handzik in Littmann/Bitz/Pust, EStG, § 3 Rz. 1027; Bergkemper in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 3 Nr. 26 EStG Rz. 5b; Erhard in Blümich, EStG, § 3 Rz. 17; vgl. auch LSt-Handbuch R 3.26). Es ist jedenfalls nicht ausgeschlossen, den Kreis der begünstigten Tätigkeiten auf sämtliche in § 14 Abs. 4 SGB XI a.F. und § 71 Abs. 2 SGB XII genannten Tätigkeiten zu erstrecken (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 2. Juli 2014 L 8 R 961/13, juris).
33
Die Tatbestandsvoraussetzung „Pflege alter, kranker oder behinderter Menschen“ soll den Anwendungsbereich des Befreiungstatbestands eingrenzen und erreichen, dass nur Tätigkeiten begünstigt werden, die „den eigentlichen, die Gemeinnützigkeit begründenden Inhalt“ haben (v. Beckerath in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 3 Nr. 26 B26/100).
34
cc) Im Sozialrecht wird die Mobilität ebenso wie die Körperpflege, Ernährung oder hauswirtschaftliche Versorgung als Bereich angesehen, in dem pflegebedürftige Personen der Hilfe bedürfen. Nach § 14 Abs. 4 Nr. 3 SGB XI a.F. wird die Pflegebedürftigkeit einer Person u.a. mit Hilfebedarf beim Verlassen und Aufsuchen der Wohnung begründet.
35
Die Leistungen der teilstationären Pflege umfassen gemäß § 41 Abs. 1 S. 2 SGB XI und § 1 Abs. 3 Buchst. c des Rahmenvertrags auch die notwendige Beförderung des Pflegebedürftigen von der Wohnung zur Einrichtung der Tagespflege oder der Nachtpflege und zurück. Damit sind die Beförderungskosten regelmäßig Bestandteil des Pflegesatzes. Der Einrichtung obliegt es daher sicherzustellen, dass die Gäste zur Tages- oder Nachtpflegeeinrichtung befördert werden (Luik in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XI, 2. Aufl. 2017, § 41 SGB XI Rz. 88). Wie der Transport erfolgt, liegt im Ermessen der teilstationären Einrichtung. In Betracht kommt -wie im Streitfall- ein Transport durch einrichtungseigene PKWs oder die Kooperation mit Dritten (Taxiunternehmen, andere Leistungsanbieter; vgl. Möwisch/Wasem/Heberlein, SGB-XI-Kommentar – Pflegeversicherung, § 41 Rz. 26).
36
Zu den Leistungen der Altenhilfe gehören nach § 71 Abs. 2 Nr. 5 SGB XII auch Leistungen zum Besuch von Veranstaltungen oder Einrichtungen, die der Geselligkeit, der Unterhaltung, der Bildung oder den kulturellen Bedürfnissen alter Menschen dienen. Die Leistungen können in der Beratung und Unterstützung der Hilfesuchenden bei Auswahl und Besuch der Veranstaltung bestehen (beispielsweise Unterstützung beim Erwerb von Eintrittskarten, Organisation von Fahrdiensten usw.), aber auch in der Organisation entsprechender Veranstaltungen selbst. Auch die Übernahme von Kosten ist möglich (Sehmsdorf in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 71 SGB XII Rz. 24).
37
d) Nach diesen Grundsätzen unterfällt die Tätigkeit der Fahrer im Hol- und Bringdienst der Gäste dem Begriff der Pflege im Sinne des § 3 Nr. 26 EStG.
38
Zweifelsohne treten die Fahrer bei Erbringung des Hol- und Bringdienstes in unmittelbaren und persönlichen Kontakt zu den Gästen der Einrichtung. Sie helfen ihnen beim Verlassen und Aufsuchen der Wohnung und beim Ein- und Ausstieg und führen damit Tätigkeiten aus, die in § 14 Abs. 4 Nr. 3 SGB XI a.F. genannt sind. Während der Fahrt „betreuen“ die Fahrer die Gäste jedenfalls in dem Sinne, dass sie die Verantwortung für eine sichere Beförderung tragen und sich ggf. auftretender Probleme annehmen. Die Tätigkeit der Fahrer erschöpft sich daher nicht in einer nur mittelbaren Hilfe durch eine „Sachleistung“, der (reinen) Beförderung, ohne unmittelbaren Kontakt zu der zu pflegenden Person, wie beispielsweise der Reinigung der Räumlichkeiten einer Pflegeeinrichtung, der Zubereitung von Mahlzeiten in der Küche einer Einrichtung oder der Auslieferung von Essen (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 2. Juli 2014 L 8 R 961/13, juris). Auch handelt es sich bei der Tätigkeit der Fahrer im Hol- und Bringdienst um eine Tätigkeit, die in Zusammenhang mit der gemeinnützigen Tätigkeit der Klägerin, hier dem Betreiben einer Einrichtung der Tagespflege für ältere pflegebedürftige Menschen, steht. Dies folgt insbesondere aus der Aufnahme des Hol- und Bringdienstes in den in § 41 Abs. 1 S. 2 SGB XI normierten Leistungsumfang von Einrichtungen der Tagespflege.
39
Entgegen der Auffassung des FA sieht der Senat in Anbetracht der weiten Auslegung des Begriffes der Pflege in § 3 Nr. 26 EStG keine Veranlassung, die Tätigkeit der Fahrer im Hol- und Bringdienst der Tagespflege aus dem Anwendungsbereich der Vorschrift herauszunehmen. Insbesondere lässt der Umstand, dass der Hol- und Bringdienst -anders als Kranken- oder Behindertentransporte (vgl. Verfügung der OFD Karlsruhe vom 15. Dezember 2009)- von nur einem Fahrer durchgeführt wird, nicht die Schlussfolgerung zu, diese Tätigkeit nicht mehr als Pflege, sondern als Sachleistung (Beförderung) anzusehen. Pflege im Sinne des § 3 Nr. 26 3. Alt. EStG verlangt anders als die Tätigkeiten der in § 3 Nr. 26 1. Alt. EStG genannten Übungsleiter, Ausbilder, Erzieher, Betreuer keine bestimmte Intensität der Betreuung im Sinne einer Einflussnahme auf die geistigen und körperlichen Fähigkeiten der gepflegten Person. Die fehlende Notwendigkeit eines zweiten Fahrers beeinflusst nicht den unmittelbaren und persönlichen Kontakt des Fahrers zu den Gästen, der mit dem Abholen in der Wohnung beginnt und mit dem Ankommen in der Einrichtung endet. Sie führt auch nicht dazu, die Tätigkeit der Fahrer, die jedenfalls mit der Hilfe beim Verlassen und Aufsuchen der Wohnung und beim Ein- und Ausstieg in den Bus eindeutige und ihrem Umfang nach nicht gänzlich unbedeutende pflegerische Elemente enthält, die die „eigentliche“ Fahrtätigkeit umrahmen, nicht als Pflege anzusehen. Andernfalls entstünde ein Wertungswiderspruch im Hinblick auf andere auch von der Finanzverwaltung als Pflege im Rahmen des § 3 Nr. 26 EStG anerkannte Tätigkeiten, wie z.B. der Erledigung von Einkäufen, Behördengängen und Schriftverkehr, die ebenfalls keine intensive Betreuung der pflegebedürftigen Person beinhalten bzw. ohne diese durchgeführt werden können.
40
2. a) Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 3 FGO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit im Kostenpunkt folgt aus §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 709 und 711 der Zivilprozessordnung.
41
b) Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren ist gemäß § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO für notwendig zu erklären. Die Klägerin konnte die Hilfe eines sachkundigen Bevollmächtigten für unentbehrlich halten (vgl. BFH-Beschluss vom 21. Dezember 1967 VI B 2/67, BStBl II 1968, 181).
42
c) Die Zulassung der Revision erfolgt wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO.

Ertragsteuerliche Behandlung von Sanierungsgewinnen

Auswirkungen der BFH-Urteile vom 23. August 2017 (I R 52/14, X R 38/15)

Im Einvernehmen mit den obersten Finanzbehörden der Länder sind die Grundsätze der BFH-Urteile vom 23. August 2017 (Az. I R 52/14, X R 38/15, BStBl II 2018 S. xxx) nicht über die entschiedenen Einzelfälle hinaus anzuwenden.

Begründung

Die Finanzverwaltung sieht sich an die mit BMF-Schreiben vom 27. April 2017 (BStBl I S. 741) veröffentlichte Vertrauensschutzregelung im Umgang mit Altfällen (Schuldenerlass bis einschließlich 8. Februar 2017) durch den Willen des Gesetzgebers weiterhin gebunden. In der Begründung zum Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen CDU/CSU und SPD zum Gesetz gegen schädliche Steuerpraktiken im Zusammenhang mit Rechteüberlassungen wird ausdrücklich auf diese Vertrauensschutzregelung Bezug genommen (vgl. BT-Drs. 18/12128, S. 33). Demnach ist für Schulderlasse bis (einschließlich) zum 8. Februar 2017 aus Vertrauensschutzgründen entsprechend dem o. g. BMF-Schreiben weiterhin nach dem BMF-Schreiben vom 27. März 2003 (BStBl I S. 240 (sog. Sanierungserlass)) zu verfahren.

Der Deutsche Bundestag hat sich diesem Vorschlag angeschlossen und die Verfahrensweise der Verwaltung gebilligt, für Altfälle den Sanierungserlass weiterhin anzuwenden. Der Finanzausschuss des Deutschen Bundestags hat damit im Rahmen seines Berichtes die in der Gesetzesbegründung ausdrücklich genannte Vertrauensschutzregelung der Verwaltung mittels sog. beredtem Schweigens des Gesetzgebers akzeptiert.

Dieses Schreiben wird im Bundessteuerblatt zusammen mit den BFH-Urteilen vom 23. August 2017 (Az. I R 52/14, X R 38/15) veröffentlicht.

Quelle: BMF, Schreiben (koordinierter Ländererlass) IV C 6 – S-2140 / 13 / 10003 vom 29.03.2018

 

Einkommensteuer Dienstwagen für Ehegatten mit Minijob

Die Kosten für einen Dienstwagen sind auch dann als Betriebsausgaben abzugsfähig, wenn dieser dem Ehegatten im Rahmen eines geringfügigen Beschäftigungsverhältnisses (Minijob) überlassen wird. Dies hat der 3. Senat des Finanzgerichts Köln für den Fall einer sog. „Barlohnumwandlung“ in seinem am 15.03.2018 veröffentlichten Urteil vom 27.09.2017 (Az. 3 K 2547/16) entschieden.

Der Kläger beschäftigte seine Ehefrau im Rahmen eines Minijobs als Büro-, Organisations- und Kurierkraft für 400 Euro monatlich. Er überließ seiner Frau hierfür einen Pkw, den sie auch privat nutzen durfte. Der geldwerte Vorteil der privaten Nutzung wurde mit 385 Euro (1 % des Kfz-Listenneupreises) monatlich angesetzt und vom Arbeitslohn der Ehefrau abgezogen.

Im Rahmen einer Betriebsprüfung erkannte das Finanzamt das Arbeitsverhältnis nicht an. Es erhöhte den Gewinn des Klägers um die Kosten für den Pkw und den Lohnaufwand für die Ehefrau. Denn nach Ansicht des Finanzamts wäre eine solche Vereinbarung nicht mit fremden Arbeitnehmern geschlossen worden.

Der 3. Senat gab der Klage statt und erkannte sämtliche Kosten als Betriebsausgaben des Klägers an. Zwar sei die Gestaltung bei einem Minijob ungewöhnlich, doch entsprächen Inhalt und Durchführung des Vertrages noch dem, was auch fremde Dritte vereinbaren würden. Insbesondere könne nicht festgestellt werden, dass Dienstwagen nur Vollzeitbeschäftigten oder Führungspersonal auch zur privaten Nutzung überlassen würden.

Das Finanzamt hat die zugelassene Revision beim Bundesfinanzhof in München eingelegt. Das Revisionsverfahren wird unter dem Aktenzeichen X R 44/17 geführt.

Quelle: FG Köln, Pressemitteilung vom 15.03.2018 zum Urteil 3 K 2547/16 vom 27.09.2017 (nrkr – BFH-Az.: X R 44/17)

 

Keine zeitlich unbegrenzte Änderungsmöglichkeit des Finanzamts bei Liebhaberei

Mit Urteil vom 21. Februar 2018 (Az. 7 K 288/16 E) hat der 7. Senat des Finanzgerichts Münster entschieden, dass eine Änderung von Steuerbescheiden, die wegen Liebhaberei bei einer Ferienwohnung vorläufig ergangen waren, zulasten des Steuerpflichtigen nicht mehr möglich ist, wenn alle für die Beurteilung notwendigen Tatsachen schon seit mehreren Jahren festgestanden haben.
Die miteinander verheirateten Kläger machten seit 1998 Werbungskostenüberschüsse für eine Ferienwohnung geltend, die sie zeitweise vermieteten und zeitweise selbst nutzen. Das Finanzamt erkannte diese negativen Einkünfte zunächst vorläufig gemäß § 165 AO an und führte aus, dass die Frage der Liebhaberei nicht abschließend beurteilt werden könne. Bereits im Rahmen der Veranlagung für 2000 hatten die Kläger eine Prognose für den Zeitraum bis 2029 eingereicht, die zu einem Totalüberschuss führte. Dabei gingen sie davon aus, dass sich die Schuldzinsen ab 2006 wegen geplanter Tilgungen des Darlehens erheblich reduzieren würden. Nachdem die Schuldzinsen tatsächlich nahezu vollständig weggefallen waren, erklärten die Kläger für die Jahre 2010 bis 2012 positive Einkünfte aus der Ferienwohnung. Bei Durchführung der Veranlagungen für die Jahre 2010 und 2011 vermerkten die Bearbeiter des Finanzamts, dass die Frage der Liebhaberei im jeweiligen Folgejahr geprüft werden solle. Im Rahmen der Veranlagung für 2012 erstellte das Finanzamt eine Prognoseberechnung, aus der sich trotz der geminderten Schuldzinsen kein Totalüberschuss ergab. Daraufhin änderte es die Steuerfestsetzungen für die Streitjahre 1998 bis 2004.Mit ihrer hiergegen erhobenen Klage beriefen sich die Kläger auf Festsetzungsverjährung. Demgegenüber war das Finanzamt der Auffassung, dass die Ungewissheit nicht allein wegen der Minderung der Schuldzinsen entfallen sei, sondern von weiteren Faktoren (z. B. Umfang der Selbstnutzung oder Veräußerung der Wohnung) abhinge.

Die Klage hatte in vollem Umfang Erfolg. Der Senat führte aus, dass eine Änderung der Einkommensteuerbescheide wegen Ablaufs der Festsetzungsfrist nicht mehr möglich gewesen sei, weil zum Zeitpunkt der Änderung mehr als ein Jahr ab Beseitigung der Ungewissheit im Sinne von § 165 AO verstrichen sei. Bei Bescheiden, die wegen der Frage der Liebhaberei vorläufig ergangen sind, sei die Ungewissheit beseitigt, wenn das Finanzamt die für die Beurteilung der Einkünfteerzielungsabsicht maßgeblichen Hilfstatsachen kenne. Deren Würdigung sei demgegenüber Teil der rechtlichen Beurteilung. Im Streitfall sei die Ungewissheit spätestens im Rahmen der Veranlagung für das Jahr 2010 entfallen, weil zu diesem Zeitpunkt festgestanden habe, dass die von den Klägern angekündigte Darlehenstilgung erfolgt war. Der Umfang der Selbstnutzung einer Ferienwohnung führe nicht dazu, dass eine endgültige Veranlagung auf Dauer ausgeschlossen sei. Die erst im Rahmen der Veranlagung für das Jahr 2012 vom Finanzamt erstellte Überschussprognose enthalte keine Berechnungsgrundlage, bei der im Rahmen der Veranlagung für 2010 noch eine Ungewissheit bestanden habe. Dementsprechend hätte diese Prognose bereits zwei Jahre früher erstellt werden können. Der Ablauf der Festsetzungsfrist könne nicht von der steuerrechtlichen Beurteilung des Sachverhalts durch das Finanzamt abhängig gemacht werden.

 Quelle: FG Münster, Mitteilung vom 15.03.2018 zum Urteil 7 K 288/16 vom 21.02.2018
 

Kosten für ein häusliches Arbeitszimmer bei nur geringfügiger beruflicher Nutzung steuerlich nicht abzugsfähig

Mit Urteil vom 25. Januar 2018 (Az. 6 K 2234/17) hat das Finanzgericht Rheinland-Pfalz (FG) entschieden, dass Kosten für ein häusliches Arbeitszimmer nicht als Betriebsausgaben bei den gewerblichen Einkünften aus dem Betrieb einer Photovoltaik-Anlage zu berücksichtigen sind, wenn eine geringfügige betriebliche Nutzung des Arbeitszimmers vorliegt und der Raum vereinzelt privat genutzt wird.
 

Die verheirateten Kläger wohnen im Zuständigkeitsbereich des Finanzamtes Speyer-Germersheim, sind beide berufstätig und haben zwei Kinder. Die Klägerin erzielt außerdem gewerbliche Einkünfte aus dem Betrieb einer Photovoltaikanlage. Für das Streitjahr 2010 errechnete sie einen Verlust in Höhe von rund 1.795 Euro und machte (u. a.) Aufwendungen für ein Arbeitszimmer in Höhe von 1.700 Euro als Betriebsausgaben geltend. Die Aufwendungen für das Arbeitszimmer entsprechen 8,1 % der Gesamtkosten für das Wohnhaus der Kläger und damit dem Flächenanteil des Arbeitszimmers (11,93 qm) an der Gesamtwohnfläche (149,03 qm).

Das beklagte Finanzamt erkannte die Aufwendungen nicht an, weil für das Betreiben der Photovoltaikanlage kein Arbeitszimmer erforderlich sei. Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Auch das Finanzgericht versagte den Betriebsausgabenabzug, allerdings mit einer anderen Begründung:

Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes (BFH) sei zwar nicht die „Erforderlichkeit“, aber der Umfang der Privatnutzung eines häuslichen Arbeitszimmers zu prüfen. Denn Aufwendungen für einen in die häusliche Sphäre des Steuerpflichtigen eingebundenen Raum, der sowohl zur Erzielung von Einkünften als auch – in mehr als nur untergeordnetem Umfang – zu privaten Zwecken genutzt werde, seien insgesamt nicht abziehbar. Eine Aufteilung der Kosten finde nicht statt. Das Gericht habe aber nach Würdigung aller Umstände (u. a. den Feststellungen des Ermittlungsbeamten) die Überzeugung gewonnen, dass das Arbeitszimmer allenfalls wenige Stunden pro Jahr für betriebliche Zwecke und im Übrigen entweder privat oder gar nicht genutzt worden sei. Der Anteil der Privatnutzung sei zwar nicht zweifelsfrei feststellbar. Erfolge aber – wie hier – eine nur geringfügige betriebliche Nutzung, sei der Betriebsausgabenabzug schon dann zu versagen, wenn der Raum auch nur vereinzelt privat genutzt werde.

Kontext der Entscheidung:

Mit dem Jahressteuergesetz (JStG) 2010 wurde der Betriebsausgaben- und Werbungskostenabzug für ein häusliches Arbeitszimmer neu geregelt (§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b Satz 1 EStG i. V. m. § 9 Abs. 5 EStG). Nach dieser (auch heute noch aktuellen) Gesetzesfassung kann ein Steuerpflichtiger Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer nicht als Betriebsausgaben oder Werbungskosten abziehen. Dies gilt nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b Satz 2 EStG nicht, wenn für die betriebliche oder berufliche Tätigkeit kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht. In diesem Fall ist die Höhe der abziehbaren Aufwendungen auf 1.250 Euro begrenzt; allerdings gilt nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b Satz 3 EStG die Beschränkung der Höhe nach nicht, wenn das Arbeitszimmer den Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung bildet.

Wie sich eine private Mitnutzung des häuslichen Arbeitszimmers auswirkt, ist auch in der Neufassung nicht geregelt. Der BFH war – bis zur grundlegenden Änderung seiner Rechtsprechung mit Beschluss des Großen Senats vom 21. September 2009 (GrS 1/06, BFHE 227, 1, BStBl II 2010, 672) – der Auffassung, dass aus § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG nicht nur ein Abzugsverbot für privat veranlasste Aufwendungen, sondern auch ein Abzugs- und Aufteilungsverbot für gemischt (d. h. beruflich und privat) veranlasste Aufwendungen folge. Daran hielt er allerdings nicht fest und ließ in dem o. g. Beschluss erstmals die Aufteilung und Abzugsfähigkeit der Kosten nach Maßgabe der beruflich und privat veranlassten Zeitanteile zu. Mit (weiterem) Beschluss vom 27. Juli 2015 (GrS 1/14, BFHE 251, 408, BStBl II 2016, 265) stellte er allerdings klar, dass eine solche Aufteilung bei einem häuslichen Arbeitszimmer nicht in Betracht komme, weil schon der Begriff „häusliches Arbeitszimmer“ voraussetze, dass der jeweilige Raum ausschließlich oder nahezu ausschließlich für betriebliche/berufliche Zwecke genutzt werde. Nur eine unwesentliche bzw. untergeordnete private (Mit-)Nutzung könne toleriert werden. Dafür spreche bereits der Gesetzeswortlaut, weil ein Zimmer, das zwar büromäßig eingerichtet sei, aber in nennenswertem Umfang neben der Verrichtung von (Büro-)Arbeiten auch anderen Zwecken diene, etwa als Spiel-, Gäste- oder Bügelzimmer, bereits nach dem allgemeinen Wortverständnis kein Arbeitszimmer sei. Auch der Zweck der gesetzlichen Regelung stehe einer Aufteilung der Aufwendungen entgegen. Aufwendungen für ein Arbeitszimmer seien vom Betriebsausgabenabzug ausgeschlossen worden, um zu einer sachgerechten Abgrenzung des beruflichen und des privaten Bereichs des Steuerpflichtigen zu gelangen, Gestaltungsmöglichkeiten zu unterbinden und den Verwaltungsvollzug zu erleichtern. Diese Ziele würden verfehlt, wären Aufwendungen für als Arbeitszimmer ausgestattete Räume in betrieblich oder beruflich veranlasste Aufwendungen einerseits und privat veranlasste Kosten andererseits aufzuteilen. Der Umfang der jeweiligen Nutzung lasse sich objektiv nicht überprüfen, u. a. wegen des engen Zusammenhangs zur Sphäre der privaten Lebensführung und des Schutzes durch Art. 13 GG. Die Behauptungen des Steuerpflichtigen, zu welcher Zeit er auf welche Weise ein in die häusliche Sphäre eingebundenes Zimmer nutze, seien daher regelmäßig nicht verifizierbar.

Diese Entscheidung des BFH lässt allerdings offen, wo die Grenze zwischen einer nur „unwesentlichen“ bzw. „untergeordneten“ und einer erheblichen privaten (Mit-)Nutzung liegen soll. Das Finanzgericht Rheinland-Pfalz vertritt dazu in seinem Urteil vom 25. Januar 2018 (Az. 6 K 2234/17) die Auffassung, dass es keine allgemeingültige, sondern eine am Umfang der betrieblichen/beruflichen Nutzung orientierte Wesentlichkeitsgrenze gebe. Bei einer nur geringfügigen betrieblichen Nutzung sei dementsprechend schon eine vereinzelte Privatnutzung schädlich.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Die Frist für die (beim BFH) einzulegende Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision endet am 6. März 2018.

Quelle: FG Rheinland-Pfalz, Pressemitteilung vom 21.02.2018 zum Urteil 6 K 2234/17 vom 25.01.2018 (nrkr)