Geänderte Verwaltungsauffassung: BFH-Urteil von 1977 zur Besteuerung auf hoher See nicht mehr uneingeschränkt anwendbar

Das Bundesministerium der Finanzen (BMF) hat am 15. April 2025 ein Schreiben veröffentlicht, das weitreichende Auswirkungen auf die steuerliche Behandlung von Einkünften an Bord von Seeschiffen hat – insbesondere im Rahmen von Doppelbesteuerungsabkommen (DBA).

In Abstimmung mit den obersten Finanzbehörden der Länder nimmt die Finanzverwaltung nun Abstand von der bisherigen Anwendung des BFH-Urteils vom 5. Oktober 1977 (BStBl II 1978, S. 50), soweit es um die Zuordnung von Schiffen auf hoher See zum Hoheitsgebiet des Staates geht, dessen Flagge sie führen.


Was bisher galt – und was sich nun ändert

Der Bundesfinanzhof hatte 1977 entschieden, dass Schiffe auf hoher See als „schwimmende Gebietsteile“ des Flaggenstaates zu werten seien. Daraus wurde steuerlich abgeleitet, dass Tätigkeiten auf solchen Schiffen wie im Inland des Flaggenstaates ausgeübt gelten.

Diese Sichtweise wird nun revidiert.

Die neue Verwaltungsauffassung:

  • Schiffe auf hoher See stellen aus Sicht des internationalen Steuerrechts kein Hoheitsgebiet eines Vertragsstaates mehr dar.
  • Diese Änderung orientiert sich an der völkerrechtlichen Sichtweise und gilt ab dem Veranlagungszeitraum 2026.
  • Eine Ausnahme besteht nur dann, wenn das jeweils anzuwendende DBA ausdrücklich eine andere Regelung vorsieht (z. B. durch Bezug auf den „Geltungsbereich des Grundgesetzes“ als geografische Definition der Bundesrepublik Deutschland).

Was bedeutet das für Arbeitnehmer an Bord von Seeschiffen?

Je nach Ausgestaltung des jeweiligen DBA kommt es zu unterschiedlichen Besteuerungsrechten:

1. DBA mit Artikel 15 Absatz 3 OECD-MA 2014:

  • Einkünfte aus unselbständiger Arbeit von Bordpersonal können im Staat der tatsächlichen Geschäftsleitung des die Schifffahrt betreibenden Unternehmens besteuert werden.

2. DBA mit Artikel 15 Absatz 3 OECD-MA 2017:

  • Das Besteuerungsrecht liegt ausschließlich beim Ansässigkeitsstaat der Arbeitnehmerin oder des Arbeitnehmers.

3. DBA ohne spezielle Regelung zu Seeschiffen:

  • Dann greifen die allgemeinen Regeln (Artikel 15 Abs. 1 und 2 OECD-MA).
  • Arbeitstage auf hoher See gelten nicht als im Tätigkeitsstaat ausgeübte Tage.
  • Das Besteuerungsrecht bleibt beim Ansässigkeitsstaat, sofern kein anderes DBA eine abweichende Regelung trifft.

Was bleibt unverändert?

Unabhängig von der steuerlichen Einordnung:

  • Die Staatsangehörigkeit eines Schiffes und das darauf geltende Rechtsregime bestimmen sich weiterhin nach der Beflaggung – wie im Seevölkerrecht vorgesehen.

Ab wann gilt die neue Auffassung?

Die geänderte Verwaltungsauffassung ist erstmals anzuwenden ab dem 1. Januar 2026 – sowohl für Veranlagungszeiträume als auch für Lohnzahlungszeiträume.

Ziel: Härtefälle im Übergang zu vermeiden und betroffenen Unternehmen sowie Arbeitnehmern ausreichend Zeit zur Umstellung zu geben.


Fazit und Handlungsempfehlung

Diese Änderung ist von hoher Relevanz für:

  • Reedereien mit internationalem Personal
  • Steuerberater mit grenzüberschreitenden Mandaten im Seeverkehr
  • Bordpersonal mit Wohnsitz in Deutschland oder im Ausland

Unser Tipp: Prüfen Sie bestehende DBA-Regelungen und Ihre steuerliche Einordnung sorgfältig. Es kann sinnvoll sein, bereits jetzt Anpassungen in der Lohnabrechnung, Vertragsgestaltung oder der Steuerplanung vorzunehmen – insbesondere für das Jahr 2026.


Quelle:
BMF-Schreiben vom 15.04.2025, Az. IV B 2 – S 1301/01408/007/001,
veröffentlicht im Bundessteuerblatt Teil I (abrufbar auf der Website des BMF).