Gibraltar muss Steuernachzahlungen von illegal begünstigten multinationalen Unternehmen eintreiben

Die Europäische Kommission ist nach einer eingehenden Prüfung zu dem Ergebnis gekommen, dass die Körperschaftsteuerbefreiung für Zinsen und Tantiemen in Gibraltar sowie fünf Steuervorbescheide einen Verstoß gegen die EU-Beihilfevorschriften darstellen. Die Begünstigten müssen nun Steuernachzahlungen von rund 100 Mio. Euro an Gibraltar leisten.

Die für Wettbewerbspolitik zuständige EU-Kommissarin Margrethe Vestager erklärte: „Unsere Untersuchung hat ergeben, dass Gibraltar mehreren multinationalen Unternehmen durch eine Körperschaftsteuerbefreiung und durch fünf Steuervorbescheide unfaire und selektive Steuervergünstigungen gewährt hat. Diese steuerliche Vorzugsbehandlung ist nach den EU-Beihilfevorschriften unzulässig, und deshalb muss Gibraltar nun die nicht gezahlten Steuern einziehen. Gleichzeitig begrüße ich die umfassenden Maßnahmen, die Gibraltar ergriffen hat, um die unzulässigen Steuerbefreiungen aufzuheben, seine Vorgehensweise bei Steuervorbescheiden anzupassen und seine Vorschriften über die Verrechnungspreisgestaltung zu stärken. Somit dürften diese Probleme der Vergangenheit angehören.“

Im Oktober 2013 leitete die Kommission eine eingehende Untersuchung des Körperschaftsteuerrechts von Gibraltar ein, um zu prüfen, ob die in den Jahren 2011 bis 2013 angewandte Körperschaftsteuerbefreiung von Einkünften aus Zinsen (vor allem für konzerninterne Darlehen) und Tantiemen bestimmte Kategorien von Unternehmen selektiv begünstigte und damit gegen die EU-Beihilfevorschriften verstieß.

Im Oktober 2014 weitete die Kommission ihre beihilferechtliche Untersuchung auf die Steuervorbescheide Gibraltars aus und konzentrierte sich dabei vor allem auf 165 Steuervorbescheide, die zwischen 2011 und 2013 erteilt worden waren. Die Kommission hatte Bedenken, dass mit diesen Steuervorbescheiden staatliche Beihilfen gewährt wurden, da bei Erteilung der Bescheide nicht genügend Informationen vorlagen, um sicherzustellen, dass die betreffenden Unternehmen zu den gleichen Bedingungen wie andere Unternehmen besteuert werden, deren Einkünfte in Gibraltar erwirtschaftet wurden oder von dort stammten.

Nach den EU-Beihilfevorschriften dürfen die Mitgliedstaaten keine unfairen, nur bestimmten Unternehmen vorbehaltenen Steuervorteile gewähren. Die Mitgliedstaaten dürfen bestimmte Unternehmen nicht besser behandeln als andere, da dies den Wettbewerb verfälschen und gegen die EU-Beihilfevorschriften verstoßen würde.

Die Europäische Kommission ist zu dem Schluss gelangt, dass die Körperschaftsteuerbefreiung für Zinsen und Tantiemen in Gibraltar in den Jahren 2011 bis 2013 sowie fünf dort ausgestellte Steuervorbescheide selektive steuerliche Vergünstigungen bieten und einen Verstoß gegen die EU-Beihilfevorschriften darstellen.

Steuerbefreiung für Einkünfte aus Zinsen und Tantiemen

Nach dem in Gibraltar geltenden Territorialitätsprinzip sollten Unternehmen Körperschaftsteuern auf Einkünfte zahlen, die in Gibraltar angefallen sind oder von dort stammen. Die Untersuchung der Kommission ergab jedoch, dass Unternehmen, die Einkünfte aus Zinsen oder Tantiemen erzielten, ohne triftigen Grund von der Besteuerung in Gibraltar befreit waren.

Diese Maßnahme begünstigte Unternehmen, die multinationalen Konzernen angehören und mit bestimmten Funktionen betraut sind (Unternehmen, die z. B. konzerninterne Darlehen gewähren oder Rechte des geistigen Eigentums nutzen). Die Kommission kam daher zu dem Schluss, dass die Steuerbefreiung darauf ausgerichtet war, Gibraltar für multinationale Unternehmen attraktiv zu machen, und dass sie tatsächlich dazu führte, dass eine begrenzte Zahl von Unternehmen multinationaler Konzerne weniger Körperschaftsteuer entrichten musste.

Diese selektive steuerliche Behandlung verschaffte multinationalen Unternehmen einen selektiven Vorteil gegenüber anderen Unternehmen. Dadurch verfälschte sie den Wettbewerb im EU-Binnenmarkt und verstieß gegen die EU-Beihilfevorschriften. Die Kommission kam daher zu dem Schluss, dass die von Gibraltar zwischen 2011 und 2013 gewährte Steuerbefreiung für Unternehmen mit Einkünften aus Zinsen und Tantiemen nach den EU-Beihilfevorschriften unzulässig ist und von den Unternehmen Steuernachzahlungen verlangt werden müssen.

Die Kommission begrüßt, dass Gibraltar die unzulässige Steuerbefreiung bereits im Juli 2013 für Zinserträge und im Januar 2014 für Tantiemen abgeschafft hat.

Steuervorbescheide von Gibraltar zwischen 2011 und 2013

Nach sorgfältiger Prüfung von 165 von Gibraltar erteilten Steuervorbescheiden kam die Kommission zu dem Schluss, dass durch fünf Steuervorbescheide‚ die Gibraltar in den Jahren 2011 und 2012 großen multinationalen Unternehmen erteilt hatte, unzulässige staatliche Beihilfen gewährt wurden.

Die fünf beanstandeten Steuervorbescheide betreffen die steuerliche Behandlung bestimmter Einkünfte niederländischer Kommanditgesellschaften in Gibraltar. Nach den in Gibraltar und den Niederlanden geltenden Steuervorschriften sollten die Gewinne, die eine Kommanditgesellschaft in den Niederlanden erzielt, auf der Ebene der Gesellschafter besteuert werden. In den fünf in Rede stehenden Fällen waren die Gesellschafter der niederländischen Kommanditgesellschaften in Gibraltar steuerlich ansässig und hätten dort besteuert werden müssen.

Nach den fünf beanstandeten Steuervorbescheiden mussten die Unternehmen aber keine Steuern auf die von den niederländischen Kommanditgesellschaften erzielten Tantiemen und Zinseinkünfte entrichten, während Unternehmen mit anderen Einkünften keine Steuerbefreiung erhielten.

Noch nach der Annahme von Gesetzesänderungen, durch die Einkünfte aus passiven Zinsen (2013) und Tantiemen (2014) steuerpflichtig wurden, befreite Gibraltar diese Einkünfte auf der Grundlage der weiterhin geltenden Vorbescheide von der Körperschaftsteuer.

Da diese Befreiungen den Begünstigten einen ungerechtfertigten selektiven Vorteil verschafften, kam die Kommission zu dem Schluss, dass die fünf Steuervorbescheide gegen die EU-Beihilfevorschriften verstießen und dass der gewährte Vorteil zurückgefordert werden muss.

Im Gegensatz dazu hat die Kommission nach einer eingehenden Prüfung der Situation der einzelnen Adressaten bei den 160 anderen Vorbescheiden keinen selektiven Vorteil festgestellt und ist deshalb zu dem Ergebnis gekommen, dass diese Vorbescheide nicht gegen die EU-Beihilfevorschriften verstoßen.

Zudem änderte Gibraltar während der Untersuchung der Kommission seine Steuervorschriften, um sein Steuervorbescheidverfahren zu verbessern, seine Vorschriften über die Verrechnungspreisgestaltung zu stärken, umfassendere Verpflichtungen für die Steuerpflichtigen vorzusehen (z. B. die Abgabe jährlicher Steuererklärungen, die Bereitstellung aussagekräftiger Informationen in Anträgen auf Vorbescheide) und die Transparenz bei der Umsetzung des Systems der territorialen Besteuerung zu verbessern. Die Kommission begrüßt diese verbesserten Vorschriften, die im Oktober 2018 in Kraft getreten sind.

Rückforderung

Nach den EU-Beihilfevorschriften müssen nicht mit dem Binnenmarkt vereinbare staatliche Beihilfen grundsätzlich zurückgefordert werden, um die durch die Beihilfe verursachte Verfälschung des Wettbewerbs zu beseitigen. Durch die Rückforderung wird das betreffende Unternehmen nicht bestraft, und es werden keine Geldbußen verhängt. Die Rückforderung stellt lediglich die Gleichbehandlung gegenüber anderen Unternehmen wieder her.

Gibraltar muss nun die nicht gezahlten Steuern von folgenden Unternehmen einziehen:

den Unternehmen, die von Gibraltar zwischen 2011 und 2013 von der Körperschaftsteuer auf Zinsen und Tantiemen befreit waren. Die Steuerverwaltung Gibraltars muss nun die einzelnen Unternehmen, die diese Befreiung in Anspruch genommen haben, und die genauen Beträge, die von den einzelnen Unternehmen einzuziehen sind, anhand der im Beschluss der Kommission festgelegten Methode ermitteln.

den Unternehmen, denen im Rahmen der fünf Steuervorbescheide eine unzulässige steuerliche Behandlung gewährt worden war, d. h. von i) Ash (Gibraltar) One Ltd, ii) Ash (Gibraltar) Two Ltd, iii) Heidrick & Struggles (Gibraltar) Holdings Ltd, iv) Heidrick & Struggles (Gibraltar) Ltd und v) MJN Holdings (Gibraltar) Ltd. Diese Unternehmen müssen von nun an wie jedes andere Unternehmen Steuern auf ihre Gewinne in Gibraltar zahlen. Die Forderungsbeträge hängen von der steuerlichen Situation der einzelnen Beihilfeempfänger ab und müssen nun von der Steuerverwaltung Gibraltars anhand der im Beschluss der Kommission festgelegten Methode ermittelt werden.

Auf der Grundlage der derzeit verfügbaren Informationen geht die Kommission davon aus, dass sich die nicht entrichtete Steuer insgesamt auf rund 100 Mio. Euro belaufen dürfte.

Hintergrundinformationen zum Steuersystem Gibraltars

Gibraltar ist in Steuerangelegenheiten autonom und hat daher ein vom Vereinigten Königreich getrenntes Einkommensteuerrecht.

Das Einkommensteuergesetz von 2010, das am 1. Januar 2011 in Kraft getreten ist, sieht eine Besteuerung nach dem Territorialitätsgrundsatz vor, d. h. nur Einkommen, das in Gibraltar angefallen ist oder von dort stammt, ist steuerpflichtig. Die Besteuerung von (Passiv-)Zinsen für konzerninterne Darlehen und von Tantiemen war dagegen nicht vorgesehen. Im Jahr 2013 führte Gibraltar jedoch Änderungen ein, durch die solche Einkünfte ab dem 1. Juli 2013 (Zinsen) bzw. dem 1. Januar 2014 (Tantiemen) körperschaftsteuerpflichtig wurden.

Die Kommission hat das Körperschaftsteuersystem Gibraltars in der Vergangenheit bereits mehrfach geprüft. 1999 leitete die Kommission eine Untersuchung zu einer Steuerregelung ein, nach der Unternehmen, die keine Handels- oder Geschäftstätigkeit in Gibraltar ausübten und deren Eigentümer nicht in Gibraltar ansässig waren, von der Körperschaftsteuer befreit waren. Unternehmen, die diese Voraussetzungen erfüllten, aber eine Repräsentanz in Gibraltar unterhielten, zahlten eine Steuer von 2 % bis 10 % auf die Gewinne. Gibraltar schaffte diese Regelung, die als Fördermaßnahme für Offshore-Unternehmen angesehen wurde, später ab.

Im August 2002 meldete das Vereinigte Königreich eine geplante Körperschaftsteuerreform an, die für alle Unternehmen in Gibraltar gelten sollte und eine Lohnsummensteuer, eine Gewerbegrundbenutzungssteuer und eine Eintragungsgebühr vorsah. Im März 2004 stellte die Kommission fest, dass die geplante Steuerreform bestimmten Unternehmenskategorien unter Verstoß gegen die EU-Beihilfevorschriften einen selektiven Vorteil verschaffte. Im November 2011 bestätigte der Gerichtshof der Europäischen Union diese Entscheidung der Kommission, indem er urteilte, dass sich aus den Auswirkungen der Steuermaßnahmen insgesamt ein selektiver Vorteil für „Offshore-Unternehmen“ ergibt, die in Gibraltar weder Mitarbeiter noch Geschäftsräume haben.

Hintergrundinformationen zur beihilferechtlichen Prüfung von Steuervorbescheiden durch die Kommission

Nach Artikel 355 Absatz 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union finden die Verträge einschließlich der Vorschriften über staatliche Beihilfen auf Gibraltar Anwendung.

Solange das Vereinigte Königreich ein EU-Mitgliedstaat ist, hat es alle mit der Mitgliedschaft verbundenen Rechte und Pflichten. Insbesondere das EU-Wettbewerbsrecht, einschließlich der Beihilfevorschriften, gilt weiterhin uneingeschränkt für das Vereinigte Königreich und ist dort anwendbar, bis das Vereinigte Königreich nicht mehr Mitglied der EU ist. Sobald das Vereinigte Königreich nicht mehr Mitglied der EU ist, wird die Anwendung der EU-Beihilfevorschriften im Vereinigten Königreich durch das Austrittsabkommen geregelt, das auf der Ebene der Verhandlungsführer vereinbart und vom Europäischen Rat am 25. November gebilligt wurde, aber noch von der Union geschlossen und vom Vereinigten Königreich ratifiziert werden muss, bevor es in Kraft treten kann.

Steuervorbescheide an sich stellen nach den EU-Beihilfevorschriften kein Problem dar, wenn sie lediglich bestätigen, dass steuerliche Vereinbarungen zwischen verschiedenen Unternehmen einer Unternehmensgruppe mit den einschlägigen Steuervorschriften im Einklang stehen. Steuervorbescheide, die bestimmten Unternehmen einen selektiven Vorteil verschaffen, können hingegen den Wettbewerb im EU-Binnenmarkt verfälschen und damit gegen die EU-Beihilfevorschriften verstoßen.

Seit Juni 2013 führt die Kommission beihilferechtliche Prüfungen der von den Mitgliedstaaten erteilten Steuervorbescheide für einzelne Unternehmen durch. Im Dezember 2014 weitete sie diese Untersuchung auf alle Mitgliedstaaten aus.

Folgende Prüfungen von Steuervorbescheiden hat die Kommission bereits abgeschlossen:

  • Im Oktober 2015 stellte die Kommission fest, dass Luxemburg und die Niederlande Fiat bzw. Starbucks selektive Steuervorteile gewährt hatten. Auf diese Kommissionsbeschlüsse hin musste Fiat in Luxemburg 23,1 Mio. EUR und Starbucks in den Niederlanden 25,7 Mio. EUR nachzahlen.
  • Im Januar 2016 stellte die Kommission fest, dass Belgien im Rahmen seiner „Mehrgewinn“-Steuerregelung mindestens 35 multinationalen Unternehmen (überwiegend EU-Unternehmen) selektive Steuervorteile gewährt hatte, die nach den EU-Beihilfevorschriften unzulässig waren. Der Gesamtbetrag, der von den 35 Unternehmen eingezogen werden muss, wird einschließlich Zinsen auf rund 900 Mio. EUR veranschlagt. Belgien hat bereits mehr als 90 % der unzulässigen Beihilfen zurückgefordert.
  • Im August 2016, stellte die Kommission fest, dass Irland Apple unzulässige Steuervergünstigungen gewährt hat. Daraufhin forderte Irland 14,3 Mrd. Euro von Apple zurück.
  • Im Oktober 2017 stellte die Kommission fest, dass Luxemburg Amazon unzulässige Steuervergünstigungen gewährt hat. In der Folge forderte Luxemburg 282,7 Mio. Euro von Amazon zurück.
  • Im Juni 2018 stellte die Kommission fest, dass Luxemburg Engie unzulässige Steuervergünstigungen von 120 Mio. Euro gewährt hat. Das Rückforderungsverfahren ist noch nicht abgeschlossen.
  • Im September 2018 hat die Kommission festgestellt, dass die Nichtbesteuerung bestimmter Gewinne von McDonald’s in Luxemburg keine unzulässige staatliche Beihilfe bewirkte, da sie mit dem luxemburgischen Steuerrecht und dem Doppelbesteuerungsabkommen zwischen Luxemburg und den USA im Einklang stand.

Zudem untersucht die Kommission derzeit die Steuervorbescheide, die die Niederlande Inter IKEA erteilt haben, und eine Steuerregelung für multinationale Unternehmen im Vereinigten Königreich.

Sobald alle Fragen im Zusammenhang mit dem Schutz vertraulicher Daten geklärt sind, wird die nichtvertrauliche Fassung des Beschlusses unter der Nummer SA.34914 im Beihilfenregister auf der Website der GD Wettbewerb zugänglich gemacht. Über neu im Internet und im Amtsblatt veröffentlichte Beihilfebeschlüsse informiert der elektronische Newsletter State Aid Weekly e-News.

Quelle: EU-Kommission, Pressemitteilung vom 19.12.2018