Grunderwerbsteuer (beim „fiktiven einheitlichen Leistungsgegenstand“)

Niedersächsisches Finanzgericht 7. Senat, Beschluss vom 22.03.2018, 7 K 150/17, ECLI:DE:FGNI:2018:0322.7K150.17.00

§ 1 Abs 1 Nr 1 GrEStG, § 138 FGO, § 4 Nr 9a UStG

TENOR

Die Kosten des Klageverfahrens hat das beklagte Finanzamt zu tragen.

GRÜNDE

1
Die Beteiligten haben übereinstimmend den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt. Deshalb war nunmehr gemäß § 138 der Finanzgerichtsordnung (FGO) durch Beschluss über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden.
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Die Kosten waren gemäß § 138 Absatz 2 FGO dem beklagten Finanzamt aufzuerlegen, da dem Begehren der Kläger durch die Änderungsbescheide vom 3.11.2017 mit Festsetzung auf jeweils 1.911 Euro (statt jeweils 4.723 Euro), in denen die Baukosten eines Gebäudes, die zur Verbreiterung der Bemessungsgrundlage für die Grunderwerbsteuer zunächst vom beklagten Finanzamt herangezogen worden waren (angeblicher einheitlicher Leistungsgegenstand), bei der gütlichen Beilegung des Rechtsstreits in vollem Umfang stattgegeben worden ist.
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Die Kosten waren auch nicht nach § 138 Absatz 2 Satz 2, § 137 FGO den Klägern aufzuerlegen. Die Kostenfolge aus diesen Normen trifft die Steuerpflichtigen dann, wenn sie letztlich das Klagebegehren erreichen, obwohl sie die zur Abhilfe durch das beklagte Finanzamt führenden Tatsachen früher hätten geltend machen oder beweisen können und sollen. Nach Ansicht des beklagten Finanzamts habe die Klägerseite erstmals mit Klageerhebung am 10.7.2017 den Sachverhalt offengelegt und in diesem Zusammenhang insbesondere Angaben zum tatsächlichen Ablauf des Grundstückskaufs gemacht. Erst hierdurch sei das beklagte Finanzamt in die Lage versetzt worden, das vormalige Einspruchs- und jetzige Klageverfahren sachgerecht zu bewerten und mit objektiv nachvollziehbaren Unterlagen abzugleichen. Dagegen sei – so die Klägerseite – den Klägern die beantragte Akteneinsicht im Vorverfahren nicht gewährt worden, so dass sie nicht im Stande gewesen seien, substantiiert vorzutragen.
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Wie auch immer – letztlich kann der Streit um angebliches verspätetes Vorbringen der Kläger dahinstehen. Denn nach den gesetzlichen Vorschriften hätte das beklagte Finanzamt den Einsprüchen der Kläger in den Vorverfahren folgen und die Grunderwerbsteuer – wie im Klageverfahren erfolgt – herabsetzen müssen.
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Nach § 1 Absatz 1 Nr. 1 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) unterliegt der Grunderwerbsteuer ein Kaufvertrag, der sich auf ein inländisches Grundstück bezieht und der den Anspruch auf Übereignung begründet. Als Bemessungsgrundlage für die Festsetzung der Grunderwerbsteuer ist nach § 8 Absatz 1 GrEStG der Wert der Gegenleistung maßgeblich; danach gilt bei einem Kauf als Gegenleistung der Kaufpreis einschließlich der vom Käufer übernommenen sonstigen Leistungen (vgl. § 9 Absatz 1 Nr. 1 GrEStG). Dazu gehören nicht künftige Baukosten für ein unbebautes Grundstück; ein Bauvertrag vermittelt keinen „Anspruch auf Übereignung“ im Sinne des § 1 Absatz 1 Nr. 1 GrEStG. Das beklagte Finanzamt hatte zu Unrecht die Kosten für das nach Erwerb des unbebauten Grundstücks hergestellte Wohngebäude in die Bemessungsgrundlage der Grunderwerbsteuer einbezogen. Schon deshalb waren die von den Klägern angefochtenen Grunderwerbsteuerbescheide rechtswidrig.
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Dass das beklagte Finanzamt bei der Grunderwerbsteuerfestsetzung der Rechtsprechung des für Grunderwerbsteuer zuständigen II. Senats des Bundesfinanzhofs zum so genannten „fiktiven einheitlichen Leistungsgegenstand“ (auch „einheitliches Vertragswerk“ oder „einheitlicher Erwerbsgegenstand“ genannt) gefolgt ist, ändert daran nichts. Denn das Gericht ist nach Art. 20 Absatz 3 des Grundgesetzes (GG) an „Gesetz und Recht“ gebunden, nicht aber an die gesetzes- und rechtswidrige Rechtsprechung des II. Senats des Bundesfinanzhofs, die in dem Auslegungsergebnis eines „fiktiven einheitlichen Erwerbsgegenstands“ gipfelt. Das Gericht vertritt die Auffassung, dass die Rechtsprechung des II. Senats des Bundesfinanzhofs gegen das Grunderwerbsteuergesetz, gegen die Einheit der Steuerrechtsordnung, gegen das verfassungsrechtliche Gleichbehandlungsgebot, gegen das Verfahrensgrundrecht des Bürgers auf seinen gesetzlichen Richter und gegen europäisches Gemeinschaftsrecht verstößt (dazu näher die Urteile des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 20.3.2013 7 K 223/10, 7 K 224/10 sowie vom 20.3.2010 7 K 28/10, 7 K 29/10, mit weiteren Nachweisen, juris; vgl. auch Rutemöller, DStZ 2015, S. 778 ff., Klein, DB 2014, S. 208 ff.).
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Zwar wurden die genannten Urteile des Niedersächsischen Finanzgerichts durch den II. Senat des Bundesfinanzhofs mit seinen Urteilen vom 4.12.2014 (II R 22/13) und vom 1.10.2014 (II R 32/13) aufgehoben. Überzeugend und richtig waren die höchstrichterlichen Urteile jedoch nicht. So führt der II. Senat des Bundesfinanzhofs in seiner Entscheidung vom 4.12.2014 (II R 22/13) aus, dass eine „Divergenz zu der Rechtsprechung des V. Senats des BFH, der für Zwecke der Umsatzsteuer unter bestimmten Voraussetzungen ebenfalls von einer einheitlichen Leistung ausgeht und die Umsatzsteuer durch die grunderwerbsteuerliche Beurteilung des Leistungsgegenstandes nicht betroffen sieht (vgl. BFH-Urteile vom 24. Januar 2008 V R 42/05, BFHE 221, 316, BStBl II 2008, 697; vom 19. März 2009 V R 50/07, BFHE 225, 224, BStBl II 2010, 78)“ angeblich nicht bestehe (mit Hinweis auf BFH-Urteil in BFHE 230, 154, BStBl II 2013, 86, Rz 14). Diese Aussage des II. Senats des Bundesfinanzhofs ist falsch. Denn die umsatzsteuerrechtliche Rechtsprechung des V. und XI. BFH-Senats weicht erkennbar von der Rechtsprechung des für Grunderwerbsteuer zuständigen II. Senats des Bundesfinanzhofs ab. Während nach Auffassung des II. BFH-Senats eine Einheit zwischen dem Grundstückskauf- und Bauerrichtungsvertrag auch angenommen werden kann, wenn – wie hier – auf der Veräußererseite mehrere Personen auftreten, kann ein einheitliches Vertragswerk nach Auffassung des V. sowie des XI. Senats nur vorliegen, wenn Personenidentität zwischen dem Veräußerer und dem Bauunternehmer besteht (so BFH vom 30.1.2008 V B 120/07, juris, mit weiteren Nachweisen, vom 12.2.2009 XI B 76/08, juris). Die zwei vom II. Senat des Bundesfinanzhofs herangezogenen Urteile des V. Senats des Bundesfinanzhofs zum Beweis der angeblichen Nicht-Divergenz sind Ausnahmeentscheidungen; hier hatte der V. Senat des Bundesfinanzhofs ausnahmsweise keine Umsatzsteuer auf Baukosten anfallen lassen, weil auf der Veräußererseite nicht mehrere – wie hier -, sondern nur ein Veräußerer bzw. eine Organschaft handelte.
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Die divergierende BFH-Rechtsprechung führt dazu, dass in sehr vielen Fällen die nachfolgenden Baukosten beim Erwerb eines (noch) unbebauten Grundstücks sowohl mit Umsatzsteuer (zu Recht) und mit Grunderwerbsteuer (zu Unrecht) belastet werden. Nach alledem folgt das Gericht der höchstrichterlichen Rechtsprechung des V. und XI. BFH-Senats, nicht der höchstrichterlichen Rechtsprechung des II. BFH-Senats, die die Grunderwerbs-Besteuerung einer Fiktion („fiktiver einheitlicher Leistungsgegenstand“) zulässt und die die dazu divergierende höchstrichterliche Rechtsprechung der ebenfalls mit der hier einschlägigen Rechtsfrage (im Rahmen der Beurteilung von Umsätzen, „die unter das Grunderwerbsteuergesetz fallen“ – vgl. § 4 Nr. 9a des Umsatzsteuergesetzes) befassten Umsatzsteuersenate (V. und XI. BFH-Senat) unzutreffend darstellt.