Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung

Die Rückforderung geleisteter Unterkunftskosten aufgrund einer Vereinbarung mit dem Vermieter, wonach ein geringerer Mietzins überwiesen und im Gegenzug hausmeisterähnliche Dienste verrichtet werden, setzt grob fahrlässiges Verhalten des Begünstigten voraus.

Der Sachverhalt

Die während des streitigen Zeitraums April bis Juli 2013 im Landkreis Gießen wohnende Klägerin bezog vom Beklagten aufgrund ihrer geringen Erwerbsminderungsrente ergänzende Grundsicherungsleistungen. Der Beklagte berücksichtigte dabei Kosten der Unterkunft (KdU) auf Grundlage einer Gesamtmiete in Höhe von 440 Euro. Im März 2015 teilte die Klägerin dem Beklagten mit, seit 2011 bestehe eine Vereinbarung mit ihrem Vermieter, wonach sie monatlich 150 Euro weniger an Miete überweise und im Gegenzug hausmeisterähnliche Tätigkeiten verrichte. Mit den Bescheiden vom 25.11.2015 und 22.08.2016 forderte der Beklagte 328,65 Euro KdU zurück und stellte fest, es bestehe kein schutzwürdiges Vertrauen seitens der Klägerin. Sie sei ihrer Mitteilungspflicht trotz des Hinweises im Bewilligungsbescheid vom 21.08.2013 nicht nachgekommen und habe das Bestehen der zusätzlichen Mietvereinbarung nicht mitgeteilt. Der Betrag von 150 Euro für hausmeisterähnliche Tätigkeiten sei von der Gesamtmiete abzuziehen. Der Erstattungsanspruch belaufe sich auf 328,65 Euro.

Die Entscheidung

Die hiergegen gerichtete Klage hatte Erfolg. Das Gericht vertrat den Standpunkt, dass sich der Beklagte bei seiner Entscheidung nicht auf § 45 SGB X stützen könne. Hiernach darf, soweit ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), rechtswidrig ist, dieser, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur noch unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden (§ 45 Abs. 1 SGB X). Die von dem Beklagten am 21.08.2013 verfügte Leistungsbewilligung sei zu diesem Zeitpunkt für die Zeit ab 01.04.2013 jedoch nicht von Anfang an rechtswidrig gewesen. Nach § 35 SGB XII werden Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind. „Tatsächliche Aufwendungen“ für eine Wohnung – so das Gericht – lägen allerdings nicht nur dann vor, wenn der Hilfebedürftige die Miete bereits gezahlt habe und deren Erstattung verlange. Vielmehr reiche es aus, dass der Hilfebedürftige im jeweiligen Leistungszeitraum einer wirksamen Mietzinsforderung ausgesetzt sei. Ausgangspunkt für die Frage, ob eine wirksame Mietzinsverpflichtung des Hilfebedürftigen vorliege, sei in erster Linie der Mietvertrag, in dem der geschuldete Mietzins vertraglich vereinbart sei.

Dies könne im Ergebnis aber offenbleiben. Denn der Beklagte sei nicht berechtigt gewesen, die Leistungsbewilligung mit Wirkung ab dem 01.04.2015 und somit für die Vergangenheit zurückzunehmen. Nach § 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen wieder rückgängig machen kann (§ 45 Abs. 2 Satz 2 SGB X). Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte allerdings nicht berufen, soweit er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder in Folge grober Fahrlässigkeit nicht kannte (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X). Dieser Fall erlaubt die Rücknahme des Verwaltungsakts mit Wirkung für die Vergangenheit (§ 45 Abs. 4 Satz 1 SGB X).

Der Klägerin könne nicht vorgeworfen werden, dass sie zumindest in grober Fahrlässigkeit die Rechtswidrigkeit der Leistungsbewilligung vom 21.08.2013 nicht erkannt habe.

Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat (§ 45 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 2. Halbsatz SGB X).

Diese Voraussetzungen seien nicht erfüllt, weil die Klägerin davon habe ausgehen können, dass sie auch nach der Vereinbarung mit dem Vermieter noch Anspruch auf Leistungen für Kosten der Unterkunft auf der Grundlage des Mietzinses von 440 Euro haben konnte. Der Bewilligungsbescheid vom 21.08.2013 habe unterschiedliche Leistungshöhen zu verzeichnen gehabt. Der Klägerin sei nicht ohne weiteres möglich gewesen zu erkennen, in welchem Umfang ihr Leistungen für Kosten der Unterkunft anteilig für den geschuldeten Mietzins überhaupt zugestanden hatten. Des Weiteren sei die Klägerin in hohem Maße mit der Pflege ihrer Mutter ausgelastet gewesen. Daher habe sie nicht gleichzeitig in vollem Umfang nachprüfen können, ob aus der Hausmeistertätigkeit auch eine entsprechende Mitteilungspflicht an den Beklagten resultiere.

Daraus folge, dass die Klägerin dem Beklagten die überzahlten Leistungen gem. § 50 Abs. 1 SGB X nicht zu erstatten habe.

Das Urteil ist rechtskräftig.

Quelle: SG Gießen, Pressemitteilung vom 12.03.2019 zum Urteil S 18 SO 130/16 vom 15.01.2019 (rkr)