Kalte Progression: Hohe Inflation erfordert Korrektur des Einkommensteuertarifs

Für die rund 2,3 Millionen Einzelunternehmen und 450.000 Personengesellschaften in Deutschland ist die Einkommensteuer die relevante Unternehmensteuer. Sie schultern circa 30 Prozent des gesamten Aufkommens an der Einkommensteuer von geschätzten 236 Milliarden Euro in diesem Jahr. Der Einkommensteuertarif ist progressiv ausgestaltet: Der durchschnittliche Steuersatz steigt mit zunehmendem Einkommen beziehungsweise Gewinn.

Im Jahresdurchschnitt 2022 erwartet die Europäische Zentralbank (EZB) eine Inflationsrate von gut 7 Prozent, für 2023 geht sie von 3,6 Prozent aus. Wird der Einkommensteuertarif nicht an solch bedeutende Änderungen der Kaufkraft angepasst, kommt es zur sogenannten kalten Progression: Steigt das Einkommen, steigt auch der Steuersatz (Progression). Steigt das Einkommen allein in Höhe der Inflation, bliebe zwar die Kaufkraft dieselbe, aber der Steuersatz und die Steuerbelastung steigen dennoch. Ändert der Gesetzgeber nicht den Steuertarif entsprechend, erhöht sich die Steuerbelastung auch für die Unternehmen, obwohl keine Steuererhöhungen beschlossen wurden.

Schwieriges wirtschaftliches Umfeld

Selbst bei zurückhaltender Schätzung kommt es 2022 aufgrund der kalten Progression zu staatlichen Mehreinnahmen in Höhe von gut 10 Milliarden Euro. Der Ukraine-Krieg und die Corona-Pandemie haben den Druck für die deutsche Wirtschaft immens erhöht.

Viele Betriebe geraten in ein Dilemma: Einerseits steigen die Einkaufs- beziehungsweise Produktionskosten durch höhere Preise für Vorprodukte und Energie. Andererseits verfügen viele Unternehmen nicht über die Wettbewerbsstellung, gestiegene Herstellungskosten an ihre Kunden vollständig weiterzugeben. Sie bleiben also auf einem Großteil der gestiegenen Kosten sitzen und müssen – wegen des höheren Steuertarifs – auch noch eine höhere Steuerlast schultern.

In vielen Fällen sind betriebliche Anpassungen und eine deutliche Drosselung der eigenen Produktion die letzte Option. Aktuelle DIHK-Umfragen zeigen, dass infolgedessen Investitionen vertagt oder gar ganz ad acta gelegt werden. Es ist deshalb von großer Bedeutung, dass der Staat zeitnah seine Zusatzeinnahmen aus der kalten Progression durch eine Anpassung des Einkommensteuertarifs an die Steuerpflichtigen zurückgibt.

Ausgleich durch bürokratiearme Dezemberlösung

Für Arbeitnehmer wird die Einkommensteuer in Form der Lohnsteuer durch den Arbeitgeber erhoben und an das Finanzamt abgeführt. Jede Änderung des Einkommensteuertarifs wirkt sich damit auch auf den Lohnsteuerabzug aus. Rückwirkende Tarifänderungen sorgen in der Lohn- und Gehaltsbuchhaltung der Arbeitgeber jedoch für erheblichen zeitlichen und finanziellen Aufwand: Sie unterliegen einer Korrekturpflicht und müssen daher Neuberechnungen durchführen und Neubescheinigungen ausstellen. Hier mussten die Unternehmen in den zurückliegenden Monaten bereits einiges an (Bürokratie-)Kosten schultern, zum Beispiel bei der Auszahlung der Energiepreispauschalen an Arbeitnehmer. Ein Weg wäre, die wegen der hohen Inflation erforderlichen Anpassungen im Einkommensteuertarif noch im Herbst zu beschließen und schon im Dezember wirksam werden zu lassen.

Eine solche „Dezember-Lösung“, bei der die Effekte der kalten Progression aus dem laufenden Jahr gebündelt korrigiert würden, hätte gleich mehrere Vorteile: Für viele Beschäftigte bliebe bei der Dezember-Abrechnung spürbar mehr Netto vom Brutto. Und für die Unternehmen wäre der Aufwand deutlich niedriger als bei einer rückwirkenden Änderung der Lohnsteuerabrechnungen für das gesamte Jahr 2022. Ab Januar 2023 würde der angepasste Tarif gelten. Im Idealfall würde erst gar keine kalte Progression im Jahr 2023 entstehen.

Quelle: DIHK, Mitteilung vom 11.08.2022