Ein wegen der Überlänge des gerichtlichen Verfahrens gesetzlich vermuteter immaterieller Nachteil wird nicht allein dadurch widerlegt, dass sich der Kläger während des gerichtlichen Verfahrens einen tatsächlichen Vorteil rechtswidrig verschafft hat, dessen Legalisierung er im gerichtlichen Verfahren zu erreichen sucht. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden.
Auf die Revision des Klägers hat das Bundesverwaltungsgericht das Urteil des Oberverwaltungsgerichts aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung zurückverwiesen. Der der angefochtenen Entscheidung zu entnehmende Satz, die gesetzliche Vermutung eines immateriellen Nachteils infolge eines überlangen Gerichtsverfahrens sei allein durch das rechtswidrige Vorgehen des Klägers widerlegt, ist mit dem Gesetz (§ 198 Abs. 2 Satz 1 GVG) nicht vereinbar. Die Widerlegung der Vermutung erfordert immer eine Gesamtbewertung aller in Rede stehenden Umstände, die aus der Überlänge des Verfahrens folgen. Zu prüfen ist, ob die damit verbundenen nachteiligen immateriellen Wirkungen im Einzelfall erheblich vermindert bzw. weggefallen sind oder ob sie durch Vorteile, die durch die Verzögerung des Verfahrens erlangt werden, kompensiert werden. Dies ließ sich auf der Grundlage der vom Oberverwaltungsgericht festgestellten Tatsachen nicht bejahen. Der Kläger hat im gerichtlichen Ausgangsverfahren in zulässiger Weise erstrebt, ein bauliches Vorhaben auf seinem Grundstück zu legalisieren. Weil das Oberverwaltungsgericht zu den übrigen Voraussetzungen des Entschädigungsanspruchs keine Feststellungen getroffen hat, war die Sache an dieses zurückzuverweisen.
Quelle: BVerwG, Pressemitteilung vom 08.06.2020 zum Urteil 5 C 3.19 D vom 05.06.2020