Kindergeld: Nachweisanforderungen bei mehraktiger Ausbildung

Niedersächsisches Finanzgericht 3. Senat, Gerichtsbescheid vom 04.04.2018, 3 K 152/17, ECLI:DE:FGNI:2018:0530.3K152.17.00

§ 32 Abs 4 S 1 Nr 2 EStG, § 63 EStG

TATBESTAND

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Streitig ist, ob der Sohn der Klägerin mit dem Beginn eines Lehrgangs als „Geprüfter Technischer Betriebswirt“ noch seine Erstausbildung anstrebt und welche Nachweise dazu erforderlich sind.
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Der Sohn der Klägerin beendete im Jahr 2009 seine Schulausbildung. Nach eigenen Angaben strebt er seitdem als Berufsziel den Abschluss als „Geprüfter Technischer Betriebswirt“ an. Er absolvierte zunächst in den Jahren 2009 bis 2012 eine Ausbildung als Industriemechaniker und schloss unmittelbar seine Meisterausbildung mit dem Abschluss „Geprüfter Industriemeister – Fachrichtung Metall“, die er Juni 2015 beendete, an. Der Sohn informierte sich im Anschluss an die Meisterausbildung bei dem Bildungsträger zu der Aufstiegsfortbildung „Geprüfter Technischer Betriebswirt“. Ein entsprechender Lehrgang, der im Übrigen die vorgenannte abgeschlossene Ausbildung voraussetzte, wurde aber unmittelbar anschließend nicht angeboten. An der nächsten erreichbaren Informationsveranstaltung am 18. Januar 2016 nahm der Sohn teil und meldete sich bereits am nächsten Tag an. Der Lehrgang begann im April 2016.
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Die Klägerin beantragte u.a. Kindergeld für diesen Lehrgang ab April 2016. Die Familienkasse lehnte dies ab, da der Sohn seine Erstausbildung bereits im Jahr 2012 abgeschlossen und auch nicht in einem engen und zeitlichen Zusammenhang weiterverfolgt habe. Dagegen richtet sich nach erfolglosem Einspruch die Klage. Im Laufe des Klageverfahrens änderte die Familienkasse seine Rechtsansicht in Bezug auf die vorgenannte Meisterausbildung des Sohnes und stellte die Klägerin insoweit klaglos. Das Klageverfahren für den abgetrennten Zeitraum ist in der Hauptsache erledigt.
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Die Klägerin verfolgt ihr Begehren für den Lehrgang „Geprüfter Technischer Betriebswirt“ des Sohnes für den Zeitraum ab April 2016 bis Mai 2017 weiter.
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Sie behauptet, der weitere Lehrgang ihres Sohnes sei stets Teil seines einheitlichen Ausbildungszieles gewesen. Deshalb habe er sich stets nach den nächstmöglichen Lehrgängen erkundigt und seine Ausbildung konsequent und zielstrebig fortgesetzt. Der streitgegenständliche Lehrgang sei der nächste erreichbare Lehrgang gewesen, da derartige berufsbegleitende Lehrgänge nicht ständig angeboten würden. Dies habe weder sie noch ihr Sohn zu vertreten. Daher dürfe ihr deswegen das Kindergeld nicht verwehrt werden.
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Soweit sich die Familienkasse zur Verneinung des Anspruchs auf eine vermeintlich abzugebende Absichtserklärung berufe, ergebe sich diese allenfalls aus einer norminterpretierenden Verwaltungsanweisung (Dienstanweisung zum Kindergeld nach dem Einkommensteuergesetz (DA-KG 2017)), die für die Gerichte nicht bindend sei.
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Die Klägerin beantragt,
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die Beklagte zu verpflichten, ihr Kindergeld in gesetzlicher Höhe für ihren Sohn C. für den Zeitraum von April 2016 bis Mai 2017 zu gewähren.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte ist der Ansicht, die Klägerin bzw. ihr Sohn hätten nicht rechtzeitig in geeigneter Weise kundgetan, dass der Sohn sein angestrebtes Berufsziel jeweils im Sommer 2012 bzw. Sommer 2015 noch nicht erreicht hatte. Dazu seien nach der BFH-Rechtsprechung objektive Beweisanzeichen erforderlich (Urteil vom 3. Juli 2014 III R 52/13, BFHE 246, 427, BStBl II 2015, 152) und die Ausbildung müsse in einem engen zeitlichen Zusammenhang fortgesetzt werden (Urteil vom 15. April 2015 V R 27/14, BFHE 249, 500, BStBl II 2016, 163).
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Nach Auffassung der Verwaltung müsse, wenn eine Erstausbildung nicht innerhalb eines Monats seit dem vorangegangenen berufsqualifizierenden Abschluss fortgesetzt werden könne, binnen eines Monats / im Folgemonat gegenüber der Familienkasse zwingend eine Absichtserklärung zur Fortsetzung der Ausbildung abgegeben werden. In Ergänzung der Regelungen zum Abschluss einer Erstausbildung in A 20.2.4 Abs. 2 DA-KG 2017 sei wie bei dem Nachweis von anstehenden Bewerbungen von Studierwilligen (A 17.1 Abs. 1 Satz 10 DA-KG 2017) eine schriftliche Erklärung des Kindes zur Glaubhaftmachung der fortdauernden Ausbildungsabsicht (entsprechend V 6.1 Abs. 1 Satz 8 DA-KG 2017) Anspruchsvoraussetzung. Diese müsse bei mehraktigen Ausbildungen nach dem Erreichen eines ansonsten bereits (objektiv) berufsqualifizierenden Abschlusses bis zum Ende des Folgemonats nach einem Abschluss bei der Familienkasse vorliegen. Diese Absichtserklärung hätte der Sohn der Klägerin deshalb bis Ende Juli 2015 schriftlich vorlegen müssen. Tatsächlich existiere jedoch keine solche Absichtserklärung des Sohnes. Die Klage könne allein deshalb keinen Erfolg haben, auch wenn ein enger zeitlicher und sachlicher Zusammenhang in Bezug auf die weitere Ausbildung bestanden habe.

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE

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Die Klage ist begründet.
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Die Familienkasse hat die Kindergeldgewährung für den Streitzeitraum (April 2016 bis Mai 2017) zu Unrecht versagt und die Klägerin damit in ihren Rechten verletzt, denn der Sohn der Klägerin hatte (bei seiner mehraktigen Ausbildung) sein Ausbildungsziel „Geprüfter Technischer Betriebswirt“ zuvor noch nicht erreicht.
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1. Der Sohn der Klägerin absolviert eine mehraktige Ausbildung, hat damit seine erstmalige Berufsausbildung noch nicht abgeschlossen und deshalb hat die Klägerin Anspruch auf Kindergeld.
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Gemäß §§ 62 Abs. 1, 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a des Einkommensteuergesetzes (EStG) besteht Anspruch auf Kindergeld u.a. für Kinder, die das 18., aber noch nicht das 25. Lebensjahr vollendet haben und für einen Beruf ausgebildet werden. Nach Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung wird ein Kind in den Fällen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG nur berücksichtigt, wenn es keiner Erwerbstätigkeit nachgeht (§ 32 Abs. 4 Satz 2 EStG). Diese gesetzliche Regelung greift nach der Rechtsprechung des BFH aber nicht, wenn das Kind das Ausbildungsziel seiner Erstausbildung bei einer mehraktigen Ausbildung noch nicht erreicht hat.
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Für die Frage, ob bereits der erste (objektiv) berufsqualifizierende Abschluss in einem öffentlich-rechtlich geordneten Ausbildungsgang zum Verbrauch der Erstausbildung führt oder ob bei einer mehraktigen Ausbildung auch ein nachfolgender Abschluss in einem öffentlich-rechtlich geordneten Ausbildungsgang Teil der Erstausbildung sein kann, ist nach ständiger Rechtsprechung des BFH darauf abzustellen, ob sich der erste Abschluss als integrativer Bestandteil eines einheitlichen Ausbildungsgangs darstellt (BFH, Urteile vom 03.07.2014 III R 52/13, BFHE 246, 427, BStBl. II 2015, 152, Rn. 25; vom 16.06.2015 XI R 1/14, BFH/NV 2015, 1378, Rn. 26; vom 03.09.2015 VI R 9/15, BFHE 251, 10, BStBl. II 2016, 166 Rn. 16). Insoweit kommt es vor allem darauf an, ob die Ausbildungsabschnitte in einem engen sachlichen Zusammenhang (z.B. dieselbe Berufssparte, derselbe fachliche Bereich) zueinander stehen und in engem zeitlichen Zusammenhang durchgeführt werden. Hierfür ist auch erforderlich, dass aufgrund objektiver Beweisanzeichen erkennbar wird, dass das Kind die für sein angestrebtes Berufsziel erforderliche Ausbildung nicht bereits mit dem ersten erlangten Abschluss beendet hat (BFH, Urteil vom 03.07.2014 III R 52/13, BFHE 246, 427, BStBl. II 2015, 152, Rn. 30). Beginnt das Kind eine weitere Ausbildung erst nach einer zwischenzeitlichen Berufstätigkeit, die nicht der zeitlichen Überbrückung dient, weil es mit der weiterführenden Ausbildung früher hätte beginnen können, fehlt es an dem notwendigen engen Zusammenhang. Wird somit eine Berufstätigkeit zwischen den einzelnen Ausbildungsabschnitten aufgenommen, die nicht nur der zeitlichen Überbrückung bis zum Beginn der nächsten Ausbildung dient, können die einzelnen Ausbildungsabschnitte regelmäßig nicht mehr integrative Teile einer einheitlichen Ausbildung sein (BFH, Urteil vom 04.02.2016 III R 14/15, BFHE 253, 145, BStBl. II 2016, 615, Rn. 15; in diesem Sinne auch Niedersächsisches Finanzgericht, Urteil vom 17.10.2017 13 K 76/17, juris; vgl. auch Finanzgericht des Saarlandes, Urteil vom 15.02.2017 2 K 1290/16, Rn. 28 f., juris, Revision anhängig unter V R 13/17; ebenso FG Münster, Urteil vom 17. Januar 2018 3 K 2555/17 Kg, juris).
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a) Im Streitfall stehen – unstreitig – die Ausbildungsabschnitte in der Berufsausbildung des Sohnes der Klägerin in einem engen sachlichen Zusammenhang (z.B. dieselbe Berufssparte, derselbe fachliche Bereich) zueinander. Der Ausbildung zum Industriemechaniker (Geselle) schloss sich unmittelbar seine Meisterausbildung in derselben Berufssparte mit dem Abschluss „Geprüfter Industriemeister – Fachrichtung Metall“ an. Die Weiterbildung „Geprüfter Technischer Betriebswirt“ baut darauf auf und ergänzt die Ausbildung neben technischen Aspekten um kaufmännische und Managementelemente. Zu den Zulassungsvoraussetzungen gehören u.a. eine mit Erfolg abgelegte Prüfung zum Industriemeister.
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b) Der Sohn der Klägerin hat seine Berufsausbildung auch in engem zeitlichen Zusammenhang durchgeführt. Er hat nämlich – ebenfalls unstreitig – die zeitlich nächste Möglichkeit zum Beginn dieser weiteren (berufsbegleitenden) Qualifizierung ergriffen und den Lehrgang im April 2016 begonnen. Einen entsprechenden Lehrgang gab es dort zuvor nicht.
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c) Es ist im Streitfall auch durch objektive Beweisanzeichen erkennbar geworden, dass der Sohn der Klägerin die für sein angestrebtes Berufsziel erforderliche Ausbildung nicht bereits mit den Abschlüssen als Industriemechaniker und Industriemeister beendet hatte. Der Sohn hat sich nämlich, wie der Bildungsträger unstreitig bestätigt hat, sich unmittelbar im Zusammenhang mit dem Abschluss als Industriemeister im Sommer 2015 umfassend über die später begonnene Aufstiegsfortbildung informiert und damit sein Interesse dokumentiert. Die sofortige Bewerbung nach der später angebotenen Informationsveranstaltung bei diesem Bildungsträger spiegelt dies ebenfalls wieder. Der Senat hat deshalb keinen Zweifel, dass der Sohn der Klägerin sein geplantes Berufsziel erst mit dem Abschluss des aktuell absolvierten Lehrgangs erreichen wird.
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2. Entgegen der Rechtsansicht der Familienkasse bestand (und besteht zurzeit) keine gesetzliche Verpflichtung des Sohnes der Klägerin bereits im Juni/Juli 2015 – also unmittelbar nach dem Abschluss als Industriemeister – gegenüber der Familienkasse eine anspruchsbegründende Absichtserklärung, seine Berufsausbildung noch fortsetzen zu wollen, abzugeben. Es ist vielmehr für den Anspruch auf Kindergeld ausreichend, dass die wesentlichen Sachverhaltsumstände – wie hier – spätestens im Entscheidungszeitpunkt vollständig und glaubhaft dargelegt sind (ebenso FG Düsseldorf, Urteil vom 11. Januar 2018 9 K 994/17 Kg, juris, Revision anhängig unter III R 8/18).
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Dabei kann dahinstehen, ob die DA-KG 2017 tatsächlich wie von der Familienkasse dahingehend verstanden werden kann, dass eine solche Absichtserklärung für einen Kindergeldanspruch konstitutiv sein soll. In der speziellen Verwaltungsanweisung zu mehraktigen Berufsausbildungen unter A 20.2.4 DA-KG 2017 unter Bezugnahme auf die dazu ergangene BFH-Rechtsprechung findet sich eine solche Einschränkung jedenfalls ausdrücklich nicht. Vor allem aber fehlt es an einer gesetzlichen Regelung, auf die sich die Familienkasse insoweit berufen könnte. Die Regelungen zum Kindergeld enthalten – auch nach dem Bekanntwerden der BFH-Rechtsprechung zur mehraktigen erstmaligen Berufsausbildung – keine Regelung, die im Sinne einer Ausschlussfrist die Kindergeldberechtigten bzw. deren Kinder verpflichtet, ihr Berufsziel zu einem bestimmten Zeitpunkt verbindlich festlegen und gegenüber der Familienkasse dokumentieren zu müssen. Ohne eine solche gesetzliche Regelung, die den Kindergeldanspruch einschränken würde, steht die Verwaltungsauffassung dem Anspruch auf Kindergeld nicht entgegen.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
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4. Die Revision wird gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zugelassen, da eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs zur Fortbildung des Rechts angesichts der zu diesem Themenbereich bereits anhängigen Revisionsverfahren (u.a. III R 8/18) erforderlich ist.