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Streitig ist, ob Aufwendungen für die operative Behandlung einer Liposuktion als außergewöhnliche Belastungen absetzbar sind, ohne dass ein vorheriges amtsärztliches Attest vorlag. |
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Die Klägerin war als … nichtselbständig tätig, ihr Ehemann arbeitete bei einer …. Mit der Einkommensteuererklärung 2007, die am 31. März 2008 beim beklagten Finanzamt einging, machte die Klägerin Aufwendungen in Höhe von insgesamt 12.228 EUR als außergewöhnliche Belastungen geltend (ESt-Akten Bl. 6 und 21), wovon der größte Betrag von 11.520 EUR auf die Vorauszahlung von Operations- und sonstigen Kosten an eine Firma X GmbH im Therapiezentrum A, sowie Arztrechnungen des dort tätigen Dr. Y entfielen. Ausweislich des Kontoauszugs wurde die Zahlung am 16.11.2007 im Voraus geleistet. Auf dessen Inhalt wird Bezug genommen. Daneben waren Beträge von 2 x 30,34 EUR für Rezeptgebühren vom 12.12. und 28.12.2007, Rezeptgebühren Krankengymnastik vom 14.8.2007 von 18,64 EUR, eine Kompressionsstrumpfhose vom 14.12.2007 mit 10 EUR, ein amtsärztliches Zeugnis vom 18.12.2007 mit 71,30 EUR enthalten. Beigefügt war eine nachgereichte Anlage, in der zusätzlich Fahrtkosten zum Therapiezentrum mit 337,20 EUR und ein Schnuppertag medizinische Leistung gemäß Anlage mit 99 EUR ergänzt worden waren, so dass die gesamten außergewöhnlichen Belastungen insgesamt 12.228 EUR betrugen. Die Operation vom 27.11.2007 erfolgte zunächst an den Beinen außen, außerdem waren Aufwendungen für den Aufenthalt im Therapiezentrum vom 26.11.2007 bis 2.12.2007 mit einem Rechnungsbetrag von 1.129,08 EUR enthalten. In der Folgezeit erfolgten weitere Operationen am 15.1.2008, bei denen die Beine innen operiert wurden, hierzu erfolgte ein Aufenthalt vom 14.1.2008 bis 20.1.2008, die Rechnung über die Schnuppertage über 99 EUR datierte vom 13.6.2007 für den Aufenthalt vom 11.6. bis 13.6.2007. Die Operation der Arme erfolgte am 7.4.2008. |
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Beigefügt war ein privatärztliches Attest der Gemeinschaftspraxis Dr. B, C und D vom 26.7.2007, bei dem dargestellt wurde, dass im Sommer 2006 ein Lipödem diagnostiziert worden war, zwischenzeitlich eine Gewichtsreduktion um 15 Kilo erreicht worden und die Patientin mit flachgestrickten Kompressionsstrümpfen versorgt worden sei, diese betreibe mehrmals in der Woche Aquajogging. Bei der klinischen Untersuchung finde sich das deutliche Lipödem nicht nur an den Beinen, sondern diese begännen nun auch an den Oberarmen. Als Empfehlung wurde eine Fortführung der bisherigen entstauenden Maßnahmen vorgeschlagen, eventuell Liposuktion. |
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Die Klägerin beantragte bei ihrer Krankenkasse, der Z in E, die Kostenübernahme für eine Liposuktion. Durch Bescheid vom 8. November 2007 lehnte die Z dies ab. Zur Begründung führte sie aus, laut Aussage des medizinischen Dienstes der Krankenkasse handele es sich bei der beantragten Liposuktion um eine unkonventionelle Behandlungsmethode. Diese sei so lange von der vertraglichen Kassenleistung ausgeschlossen, bis der gemeinsame Bundesausschuss eine entsprechende Empfehlung abgegeben habe. Eine solche Empfehlung liege über diese Methode bisher nicht vor. Es stünden aus schulmedizinischer Sicht Behandlungsmöglichkeiten, nämlich die konservative Behandlung mittels komplexer physikalischer Entstauungstherapie (manuelle Lymphdrainage, Kompression, Krankengymnastik) zur Verfügung. Eine Kostenübernahme könne deshalb nicht erteilt werden. Der Widerspruch wurde durch Widerspruchsentscheidung vom 27.3.2008 zurückgewiesen. Die darauf eingelegte Klage vor dem Sozialgericht blieb erfolglos. |
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Die Klägerin legte Atteste des behandelnden Arztes bei der X GmbH vor und zwar von Herrn Dr. Y. Dieser vertrat im Attest vom 24.4.2008 sowie den übermittelten Untersuchungsberichten (Befundberichten) vom 26.1.2008, auf die verwiesen wird, die Auffassung, dass die Operation aus medizinischer Sicht notwendig gewesen sei, da die Patientin sonst eine lebenslange manuelle Lymphdrainage und Kompression gebraucht hätte. Ziel der Operation auf lange Sicht sei, dass die Patientin keine manuellen Lymphdrainagen und Kompression mehr benötige und schmerz- sowie beschwerdefrei sei. |
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Am 1.2.2008 stellte das Gesundheitsamt des F-Kreises folgende Bescheinigung für die Klägerin aus, die diese dem beklagten Finanzamt vorlegte: |
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„Die Liposuktion ist als Behandlungsmethode des vorliegenden Störungsbildes nicht anerkannt und kann aus diesem Grund aus medizinischer Sicht nicht als notwendig angesehen werden. Die psychische Beeinträchtigung kann durch den kosmetischen Eingriff reduziert werden.“ |
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Der Gebührenbescheid über ein amtsärztliches Zeugnis/Gutachten datiert vom 18.12.2007 (ESt-Akte Bl. 39). In dem Einkommensteuerbescheid 2007 vom 10.6.2008, auf den verwiesen wird, anerkannte das Finanzamt nur Aufwendungen von 80 EUR des Ehemannes der Klägerin als agB, errechnete eine zumutbare Belastung von 3.887 EUR und setzte die geltend gemachten Aufwendungen für die Liposuktion nicht an. Zur Begründung führte es im Steuerbescheid aus, dass die geltend gemachten agB für die Liposuktion steuerlich nicht anerkannt würden, weil eine medizinische Indikation nicht gegeben sei. Dagegen richtete sich der form- und fristgerecht eingelegte Einspruch, der erfolglos blieb. Das beklagte Finanzamt wies den Einspruch durch Einspruchsentscheidung vom 28. Januar 2009, auf die verwiesen wird, als unbegründet zurück, da keine vorherige amtsärztliche Begutachtung erfolgt sei, aus dem sich die Krankheit und die medizinische Notwendigkeit der den Aufwendungen zugrunde liegenden Behandlungen zweifelsfrei ergebe. Es wies insbesondere auf die Entscheidung des BFH zur Liposuktion vom 29.5.2007 III B 37/06, BFH/NV 2007, 1865 hin. |
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Hiergegen erhob die Klägerin form- und fristgerecht Klage, mit der sie ihr Begehren weiter verfolgte. Sie vertrat die Auffassung, die medizinische Indikation sei zweifelsfrei belegt und die durchgeführten Heilbehandlungsmaßnahmen seien medizinisch notwendig gewesen. Sie hätten nicht lediglich der optischen Korrektur der betroffenen Körperregion gedient, sondern seien erforderlich gewesen, damit die Patientin in Zukunft schmerz- und beschwerdefrei leben könne und insbesondere weitere Komplikationen des Lymphsystems vermieden werden könnten. Es sei zwar richtig, dass im Zeitpunkt des Veranlagungsverfahrens die entsprechenden Heilbehandlungsmaßnahmen noch nicht in den Behandlungskatalog aufgenommen worden seien, der für die Krankenkassen verbindlich festlege, welche Behandlungsmaßnahmen zu übernehmen sei. Derzeit lägen jedoch mehrere Verfahren bei Sozialgerichten vor, in denen Klagen gegenüber den beteiligten Krankenkassen erhoben worden seien auf Feststellung, dass diese verpflichtet seien, die entsprechenden Heilbehandlungsmaßnahmen, die auch Gegenstand des Verfahrens seien, zu übernehmen. |
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Diese Klagen blieben im Endergebnis erfolglos (Urteil des Bundessozialgerichts vom 16.12.2008 B 1 KR 11/08 R, Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 7.7.2011 L 8 KR 101/10, Sozialgericht Mainz, Urteil vom 23.4.2012, S 14 KR 143/11; jeweils Juris Datenbank). Die Urteile stützten sich darauf, dass zum einen die gesetzlichen Krankenkassen nicht verpflichtet seien, die neue Methode der Fettabsaugung zu bezahlen, weil der gemeinsame Bundesausschuss diese Methode nicht positiv empfohlen habe und keine Ausnahme vorliege, in der dies entbehrlich sei. Als nicht vom gemeinsamen Bundesausschuss empfohlene neue Methode sei die ambulante Fettabsaugung bei Lipödemen grundsätzlich kein Leistungsgegenstand der gesetzlichen Krankenversicherung. Ein Kostenerstattungsanspruch ergebe sich auch nicht über die Grundsätze des sog. Systemversagens, der vorliege, wenn die fehlende Anerkennung der neuen Methode auf einem Mangel des gesetzlichen Leistungssystems beruhe. Diese liege dann vor, wenn die fehlende Anerkennung einer neuen Behandlungsmethode darauf zurückzuführen sei, dass das Verfahren vor dem gemeinsamen Bundesausschuss trotz Erfüllung der für eine Überprüfung notwendigen formalen und inhaltlichen Voraussetzung nicht oder nicht rechtzeitig durchgeführt worden sei. Ein sonstiger Ausnahmefall liege nicht vor. Da die Leistung zudem in ambulanter Form in Anspruch genommen werden könne, scheide ein Anspruch auf die Liposuktion in Form einer Krankenhausbehandlung als Naturalleistung von vornherein aus. Versicherte hätten nur dann Anspruch auf vollstationäre Behandlung in einem zugelassenen Krankenhaus, wenn die Aufnahme nach Prüfung durch das Krankenhaus erforderlich sei, weil das Behandlungsziel nicht durch teilstationäre, vor- und nachstationäre oder ambulante Behandlung einschließlich häuslicher Krankenpflege erreicht werden könne. Die Krankenhausbehandlung müsse demnach allein aus medizinischen Gründen erforderlich sein. Daran fehle es. |
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Die Klägerin vertritt hingegen die Auffassung, dass die medizinische Notwendigkeit dieser Heilbehandlungsmethode im Ergebnis nicht mehr bestritten werden könne. Das Problem der Verfahren um die Liposuktion liege im wesentlichen darin, dass dieses von den Beteiligten, zum Teil auch von den beteiligten Ärzten, wie z.B. dem hier beteiligten Gesundheitsamt, oft mit einer rein kosmetischen Operation verwechselt werde. Dies sei im vorliegenden Fall jedoch nicht der Fall, vielmehr habe diese dazu gedient, die Beweglichkeit und Arbeitsfähigkeit der Patientin wieder herzustellen und ihr insbesondere Spätkomplikationen der Lymphgefäße zu ersparen. Ferner legte die Klägerin Leitlinien einer deutschen Gesellschaft für Phlebologie zugrunde, auf deren Inhalt Bezug genommen wird. Darin werden zur Lipödemreduktion sowohl physikalische Maßnahmen wie Bewegungstherapie, Kompressionstherapie, manuelle Lymphdrainage und intermittierende pneumatische Kompressionen genannt, andererseits auch die operative Therapie mittels Fettabsaugung. Vergleichsstudien zur konservativen und operativen Therapie seien nicht vorhanden. Ferner legte die Klägerin Unterlagen des ….. Landesamtes für Bezüge und Versorgung vor, das die Beihilfefähigkeit der Liposuktion in dem dort genannten Fall bejahte. |
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Im Erörterungstermin vom 16.6.2010, auf den verwiesen wird, schilderte die Klägerin ihre Beschwerden. Als Problem der Lymphdrainagen und Kompressionstherapie schilderte sie, dass man sowohl lebenslang Kompressionsstrümpfe tragen müsse als auch lebenslang Lymphdrainagen erhalten müsse. Die Erkrankung führte bei der Klägerin mit Ausnahme der Zeiten, die für die Operationen erforderlich waren, nicht zur Arbeitsunfähigkeit oder zu Fehlzeiten deshalb. Der Betrag von 11.520 EUR stellte den Betrag für sämtliche Operationen an Armen und Beinen dar und musste im Voraus bezahlt werden. |
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Zum Zeitpunkt des Erörterungstermins war die Klägerin nach ihren Angaben beschwerdefrei, brauchte keine Kompressionsstrümpfe und keine Lymphdrainage mehr. Die Beine und Arme seien auch nicht dicker geworden, sondern so geblieben wie sie nach der Operation gewesen seien. Da beim BFH Revisionsverfahren mit den Az.: VI R 17/09, VI R 18/09 und VI R 11/09 anhängig waren, wurde das Verfahren mit Zustimmung der Beteiligten durch Beschluss vom 23. Juni 2010 zum Ruhen gebracht. Nachdem die Revision VI R 17/09 durch Urteil vom 11.11.2010 zugunsten der dortigen Kläger entschieden worden war und der BFH auf die vorherige Einholung eines amtsärztlichen Attestes verzichtet hatte, wurde das Verfahren wieder aufgerufen. Die Entscheidung der Revision VI R 18/09 vom 11.11.2010 erging dementsprechend. Daraufhin erließ der Gesetzgeber schließlich im Jahressteuergesetz 2012 die neue Fassung der §§ 64, 84 der Einkommensteuerdurchführungsverordnung -EStDV- mit rückwirkender Geltung für alle noch offenen Verfahren. |
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Daraufhin vertraten die Bevollmächtigten die Auffassung, es liege eine unzulässige echte Rückwirkung vor. In der Folgezeit stritten die Beteiligten über diese Rechtsfrage. Im Hinblick auf diese wurde das zwischenzeitlich wieder neu aufgenommene Verfahren unter dem Az.: 10 K 542/12 durch Beschluss vom 16. Mai 2012 erneut zum Ruhen bis zur Entscheidung des BFH im Revisionsverfahren VI R 13/12 gebracht. Durch Urteil vom 19. April 2012 VI R 74/10 entschied der 6. Senat des BFH, dass die in § 84 Abs. 3 f EStDV in der Fassung des Steuervereinfachungsgesetzes 2011 angeordnete rückwirkende Geltung des § 64 EStDV in der Fassung des Steuervereinfachungsgesetzes 2011 unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht zu beanstanden sei. |
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Nachdem eine weitere Entscheidung ausstand, vertraten die Kläger die Auffassung, es bestünden Zweifel, ob § 64 der EStDV im vorliegenden Fall angewandt werden könne. Gemäß § 64 Abs. 1 Satz 2f EStDV – eine andere Vorschrift komme ja wohl nicht in Betracht – werde der Nachweis eines amtsärztlichen Gutachtens nur dann verlangt, wenn es sich um wissenschaftlich nicht anerkannte Behandlungsmethoden, wie z.B. Frisch- und Trockenzellenbehandlung, Sauerstofftherapie und Eigenbluttherapien handele. Im vorliegenden Fall stehe jedoch eine Liposuktion, d.h. ein operativer Eingriff im Streit. Aufgrund der bereits vorgelegten Leitlinien der deutschen Gesellschaft für Phlebologie ergebe sich, dass es keinen Zweifel geben könne, dass die Behandlung des Lipödems der Beine durch eine Liposuktion eine wissenschaftlich anerkannte Therapie sei. Hierfür werde die Einholung eines Sachverständigen-Gutachtens beantragt. Die Tatsache, dass die Krankenkassen die Operationen nicht zahlten, stehe in keinem Zusammenhang damit, dass es sich etwa um eine wissenschaftlich nicht anerkannte Behandlungsmethode handele, sondern liege schlichtweg darin, dass in diesen Behandlungskatalog nur auf Antrag Behandlungsmethoden aufgenommen worden seien. Die verschärften Nachweiserfordernisse des § 64 Abs. 1 2f EStDV seien im vorliegenden Fall nicht einschlägig. Das beklagte Finanzamt differenziere nicht zwischen wissenschaftlich nicht anerkannten Behandlungsmethoden einerseits oder Behandlungsmethoden, die noch nicht im Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen enthalten seien, andererseits. |
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1. den zuletzt ergangenen Einkommensteuerbescheid 2007 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 28. Januar 2009 dahingehend abzuändern, dass die Einkommensteuer unter Anerkennung der Krankheitskosten in Höhe von 12.000 EUR für die durchgeführten Liposuktionen niedriger festgesetzt wird, |
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2. die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären, |
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3. für den Fall des Unterliegens, die Revision zuzulassen. |
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Das beklagte Finanzamt beantragt, die Klage abzuweisen. |
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Zur Begründung bezieht es sich zum einen auf den Inhalt der Einspruchsentscheidung, hält die Neuregelung entsprechend der Rechtsprechung des BFH für verfassungsrechtlich zulässig und ist der Auffassung, dass es sich bei der Liposuktion um eine wissenschaftlich nicht anerkannte Behandlungsmethode handele, die nur durch ein vorheriges Attest eines Amtsarztes als medizinisch notwendig und zwangsläufig nachweisbar sei. Für diese Nachweiserfordernisse trage die Klägerin die Feststellungslast. |
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Bezüglich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Einkommensteuererklärungen nebst sämtlichen Anlagen, den ergangenen Einkommensteuerbescheid 2007, die Einspruchsbegründungen nebst sämtlichen Anlagen sowie die im Besteuerungs-, Einspruchs- und Klageverfahren gewechselten Schriftsätze nebst sämtlichen Anlagen Bezug genommen. |
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Die Beteiligten haben nach § 90 Abs. 2 FGO auf mündliche Verhandlung vor dem Senat verzichtet. |
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