Laufende Zahlungen eines Elternteil auf rückständige Unterhaltsansprüche des Kindes sind nicht als Unterhaltsrente im Sinne des § 64 Abs. 3 Satz 2 EStG anzusetzen.

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Bestimmung des Kindergeldberechtigten

Laufende Zahlungen eines Elternteil auf rückständige Unterhaltsansprüche des Kindes sind nicht als Unterhaltsrente im Sinne des § 64 Abs. 3 Satz 2 EStG anzusetzen.

Revision eingelegt – BFH-Az.: III R 57/13

Niedersächsisches Finanzgericht 3. Senat, Urteil vom 26.09.2013, 3 K 158/13

§ 1612 Abs 1 S 1 BGB, § 1612 Abs 3 S 1 BGB, § 64 Abs 3 S 2 EStG

Tatbestand

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Streitig ist noch, ob der Klägerin Kindergeld für den Zeitraum von August bis November 2012 zusteht.

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Die Tochter der Klägerin (A) bemühte sich nach dem Erreichen der Fachhochschulreife im Sommer 2012 weiter um einen Ausbildungsplatz. Sie bezog zum August 2012 eine eigene Wohnung und erhielt laufend Leistungen nach dem SGB II ohne Anrechnung des Kindergeldes. Die Tochter gab insoweit an, dass der Landkreis X, dort das Jobcenter X, ihr das „Kindergeld vorgestreckt“ habe. Der Landkreis X machte mit Schreiben vom 28. August 2012 Erstattungsansprüche nach § 102 ff. SGB X geltend.

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Die Familienkasse lehnte den Antrag auf Kindergeld zunächst mangels nachgewiesener Bewerbungsbemühungen ab. Im Einspruchsverfahren erfuhr die Familienkasse, dass die Tochter der Klägerin mit anwaltlicher Hilfe aus einer Urkunde über die Verpflichtung zum Unterhalt vom November 1999 und einer Urkunde zur Abänderung eines Unterhaltstitels vom Mai 2002 gegen ihren Vater Ansprüche auf rückständigen Unterhalt für die Zeit bis zu ihrer Volljährigkeit in Höhe von rund 16.000 € zzgl. Anwaltskosten etc. geltend gemacht hatte. Der Vater hatte daraufhin zur Vermeidung der Abnahme einer eidesstattlichen Versicherung – im Streitzeitraum – ab August 2012 monatliche Zahlungen in Höhe von 200 € an die Tochter erbracht. Die Familienkasse vertrat daraufhin die Rechtsansicht, diese Zahlungen seien als Unterhaltsrente im Sinne des § 64 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) anzusehen. Da die Klägerin ihrerseits keine Unterhaltsrente an die Tochter zahle, sei sie nicht kindergeldberechtigt. Dagegen richtet sich die Klage.

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Die Klägerin ist der Ansicht, Zahlungen auf rückständigen Unterhalt seien nicht als Unterhaltsrente zu berücksichtigen. Sodann stehe ihr gemäß § 64 Abs. 3 Satz 3 EStG das Kindergeld zu, da sie von den Berechtigten dazu bestimmt worden sei, das Kindergeld zu erhalten.

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Die Klägerin beantragt,

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den Bescheid über die Ablehnung des Kindergeldes für die Tochter A ab August 2012 vom 31. Oktober 2012 in Gestalt des Einspruchsbescheides vom 26. März 2013 dahingehend zu ändern, dass die Beklagte verpflichtet wird, für A für den Zeitraum von August 2012 bis April 2013 Kindergeld in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen

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und hält daran fest, dass als Barunterhalt jede laufende und regelmäßige Zahlung zu verstehen sei, wenn es sich wiederkehrend um in etwa in gleichen zeitlichen Abständen geleistete Geldbeträge handele. Im Streitfall seien vom Vater unstreitig, wenn auch nachträglich, laufend Unterhaltszahlungen erbracht worden. Die Klägerin habe selbst keinen Barunterhalt geleistet. Dies schließe die Klägerin gemäß § 64 Abs. 3 EStG als Kindergeldberechtigte aus, auch wenn im Übrigen – ebenfalls unstreitig – für die Tochter ein Kindergeldanspruch für den Zeitraum von August bis November 2012 bestehe. Auch der BFH stelle lediglich auf laufende Zahlungen ab und halte es für unerheblich, für welchen Zeitraum Unterhalt gezahlt werde.

 

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist hinsichtlich des Kindergeldes für den Zeitraum von August 2012 bis November 2012 begründet und im Übrigen unbegründet.

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1. Kindergeld für August 2012 bis November 2012:

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Die Klägerin hat gemäß § 64 Abs. 3 Satz 3 EStG für den vorgenannten Zeitraum Anspruch auf Kindergeld für A, da keiner der Eltern die Tochter in ihren Haushalt aufgenommen hatte, keiner der Eltern dem Kind eine Unterhaltsrente zahlte und die Eltern die Klägerin zur Kindergeldberechtigten bestimmt hatten.

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Entgegen der Ansicht der Beklagten sind die laufenden Zahlungen des Kindesvaters in Höhe von 200 € monatlich nicht als Unterhaltsrente im Sinne des § 64 Abs. 3 Satz 2 EStG anzusetzen.

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Unter dem in § 64 Abs. 3 EStG verwendeten Begriff der Unterhaltsrente fallen nach ständiger Rechtsprechung auch des BFH Unterhaltsleistungen im Sinne des § 1612 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) (vgl. BFH-Urteil vom 16. Dezember 2003 VIII R 67/00, BFH/NV 2004, 934 m.w.N.). Dazu bestimmt das BGB:

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„§ 1612 BGB  Art der Unterhaltsgewährung

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(1) 1Der Unterhalt ist durch Entrichtung einer Geldrente zu gewähren. 2Der Verpflichtete kann verlangen, dass ihm die Gewährung des Unterhalts in anderer Art gestattet wird, wenn besondere Gründe es rechtfertigen.

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 (2) 1Haben Eltern einem unverheirateten Kind Unterhalt zu gewähren, können sie bestimmen, in welcher Art und für welche Zeit im Voraus der Unterhalt gewährt werden soll, sofern auf die Belange des Kindes die gebotene Rücksicht genommen wird. 2Ist das Kind minderjährig, kann ein Elternteil, dem die Sorge für die Person des Kindes nicht zusteht, eine Bestimmung nur für die Zeit treffen, in der das Kind in seinen Haushalt aufgenommen ist.

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 (3) 1Eine Geldrente ist monatlich im Voraus zu zahlen. 2Der Verpflichtete schuldet den vollen Monatsbetrag auch dann, wenn der Berechtigte im Laufe des Monats stirbt.“

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Danach handelt es sich gemäß § 1612 Abs. 1 Satz 1 mit Abs. 3 Satz 1 BGB bei Unterhalt um eine monatlich im Voraus zu zahlende – also laufende – Geldrente, die sich dem Grunde und der Höhe nach der Unterhaltsverpflichtung der Eltern einerseits und der Unterhaltsbedürftigkeit der Tochter andererseits richtet.

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Bei der Regelung des § 64 Abs. 3 EStG geht es um die Bestimmung des (richtigen) Kindergeldberechtigten. Die Norm dient allein der Zuweisung des Kindergeldes an einen Elternteil. Dazu soll die Verknüpfung zwischen der festzulegenden Kindergeldberechtigung einerseits und der Unterhaltsrente andererseits nach der Vorstellung des Gesetzgebers (vgl. BT-Drs 13/1558, S. 165 zu § 3 Abs. 3 BKGG n.F., der § 64 Abs. 3 EStG entspricht) im § 64 Abs. 3 EStG sicherstellen, dass derjenige das Kindergeld erhält, der durch den (laufenden) Kindesunterhalt am meisten belastet ist. Der Gesetzgeber stellt in einem gestuften System – soweit dies hier streiterheblich ist – auf die Höhe der der gezahlten Unterhaltsrente oder in der Diktion des BFH auf die Höhe des „laufenden Barunterhalt“ (vgl. BFH-Urteil vom 16. Dezember 2003 VIII R 67/00, BFH/NV 2004, 934; BFH-Beschlüsse vom 28. Oktober 2004 VIII B 253/04, BFH/NV 2005, 346 und vom 28. Oktober 2005 III B 107/05, BFH/NV 2006, 549 unter II. 2. a aa) der Gründe m.w.N.) ab. Als laufender Barunterhalt wird insoweit der Teil einer laufenden Unterhaltszahlung, der quasi aus der Weiterleitung des Kindergeldes besteht, nicht einbezogen, da der Zahlende insoweit nicht belastet ist (BFH, Urteil vom 2. 6. 2005 III R 66/04, BStBl II 2006, 184). Es kommt darauf an, wer durch die Unterhaltsrente (laufend) finanziell höher belastet ist. Eine nachträglich erbrachte Unterhaltsleistung wirkt sich auf die Bestimmung des Unterhaltsberechtigten gemäß § 64 Abs. 3 Satz 2 EStG nicht aus, da die Regelung des § 64 Abs. 3 Satz 1 EStG ausschließlich auf den „laufenden Barunterhalt“ abstellt (BFH-Beschluss vom 28. Oktober 2005, aaO., unter II. 2. a aa) der Gründe).

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Im Streitfall haben die Eltern beide – unstreitig – tatsächlich keinen laufenden Barunterhalt an die Tochter im Sinne des § 1612 BGB gezahlt, ohne dass es durch die Änderung der Vorschrift im Jahre 2000 noch darauf ankäme, ob sie dazu verpflichtet gewesen wären. Es hat aber auch kein Beteiligter geltend gemacht, dass die Tochter noch Ansprüche auf laufenden Unterhalt gegen ihre Eltern gehabt habe. Die Zahlungen hatten ihren Rechtsgrund allein in der Verpflichtung des Vaters zur Nachzahlung des Unterhalts für frühere Jahre (rückständiger Unterhalt). Dies hat die Klägerin im Einzelnen nachgewiesen. Diese Verbindlichkeit belastete den Vater bereits laufend in der Vergangenheit in den Monaten, in denen er diese Leistungen bereits zu erbringen gehabt hätte. Im Sinne der BFH war er durch diese Zahlungen zwar wirtschaftlich im Streitzeitraum belastet; diese Belastung rührte aber gerade nicht von einer Verpflichtung zur Zahlung eines „laufenden Barunterhalts“ her. Dies wäre aber Voraussetzung für die Berücksichtigung solcher Zahlungen bei der Bestimmung der Kindergeldberechtigung für den Streitzeitraum.

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Die Rechtsansicht der Beklagten, aus dem BFH-Beschluss im Umkehrschluss folgern zu wollen, dass Zahlungen auf rückständigen Unterhalt zwar nicht im (zurückliegenden) Monat des Rechtsgrundes für die Zahlung aber im Monat der tatsächlichen Zahlung zu berücksichtigen seien, findet weder in der zitierten Entscheidung noch in der gesetzlichen Regelung eine Stütze.

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Es widerspräche auch dem Wortlaut und Sinne und Zweck des § 64 EStG, wenn man jedwede laufende Zahlung eines Elternteils erfassen wollte. Das Gesetz erfasst nämlich nur eine „Unterhaltsrente“ und hat damit eindeutig eine Beschränkung auf den Rechtsgrund der (laufenden) Zahlung in den Wortlaut der Regelung aufgenommen.

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Ein erweiterndes Verständnis der Norm wäre geeignet, zu widersprüchlichen Ergebnissen zu führen: Die Unterhaltsverpflichtung des Vaters, auf der die Zahlungen beruhen, betreffen Zeiträume, in denen die Tochter in den Haushalt der Mutter aufgenommen war. Für diese Zeiträume konnte der Vater kein Kindergeld beanspruchen. Wollte man – wie die Beklagte – nunmehr Zahlungen auf rückständigen Unterhalt im Rahmen des § 64 Abs. 3 EStG berücksichtigen, würde der vormals widerrechtlich keinen Unterhalt leistende Elternteil dadurch begünstigt, dass ihm seine späteren Zahlungen eine Kindergeldberechtigung vermitteln würden.

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Die laufenden Zahlungen des Vaters auf den rückständigen Unterhalt zur Vermeidung der Zwangsvollstreckung sind danach nicht auf den Streitzeitraum zu beziehen. Danach leisteten beide Elternteile für den Zeitraum August bis November 2012 keine Unterhaltsrenten, so dass ihre untereinander einvernehmlich vorgenommene Berechtigtenbestimmung zugunsten der Klägerin durchgreift.

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Letztlich ist im Streitfall die aufgeworfene Rechtsfrage – wirtschaftlich betrachtet – letztlich eher theoretischer Natur. In den Fällen, dass beide Eltern keinen Unterhalt zahlen oder zahlen können und ein Sozialleistungsträger für die Eltern einspringen muss, wird die Familienkasse auf Antrag stets eine Abzweigung gemäß § 74 Abs. 1 EStG zu beachten haben. Die Bestimmung des Kindergeldberechtigten nach § 64 Abs. 3 Satz 2 und 3 EStG hat dann zwar gleichwohl zu erfolgen, diese Entscheidung kann letztlich wirtschaftlich überlagert werden durch eine Anordnung der Familienkasse, das Kindergeld an das Kind oder eine andere Person, die das Kind unterhält, auszuzahlen (vgl. Blümich-Treiber, EStG, § 64 Rz. 54). Im Streitfall hat die Tochter bereits angegeben, vom Landkreis X Sozialleistungen ohne Anrechnung von Kindergeld erhalten zu haben. Der Landkreis X hat auch bereits die Erstattung eine festzusetzen Kindergeldes an sich beantragt. Danach wird die Klägerin voraussichtlich trotz ihres Teilerfolges kein Kindergeld ausgezahlt bekommen.

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2. Kindergeld für Dezember 2012 bis April 2013:

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Für den übrigen Zeitraum besteht kein Anspruch auf Kindergeld. Die Tochter nahm – nach einer erstmals abgeschlossenen Ausbildung als Assistentin für Wirtschaftsinformatik im Jahre 2010 – zum 15. November 2012 eine Beschäftigung mit 30 Stunden regelmäßiger wöchentlicher Arbeitszeit auf. Dies schließt nach der ab dem Jahre 2012 geltenden Fassung des § 32 Abs. 4 Sätze 2 und 3 EStG den Anspruch auf Kindergeld aus.

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3. Die Revision wird gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zugelassen, da eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs wegen der als Unterhaltsrente zu berücksichtigenden Zahlungen von Elternteilen zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist. Das Finanzgericht Münster hat im Urteil vom 23. März 2007 (4 K 1807/05 Kg, EFG 2007, 372) auch rückständigen Unterhalt als Unterhaltsrente im Sinne des § 64 Abs. 3 Satz 3 EStG angesehen, während das FG Hamburg im Urteil vom 16. Februar 2001 (I 289/99, juris) – wie der erkennende Senat – entschieden hat, dass die Zahlung rückständigen Unterhalts nicht bei der Bestimmung des Kindergeldberechtigten einzubeziehen ist.