Die nachträgliche Berücksichtigung von Nachlassverbindlichkeiten ist ein komplexes und entscheidendes Thema im Erbschaftsteuerrecht. Die aktuelle Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 26.07.2023 (Az. II R 5/21) verdeutlicht die Bedeutung des Vorläufigkeitsvermerks und die damit verbundenen Fristen. Dieser Blogbeitrag fasst die wichtigsten Punkte dieser Entscheidung und deren praktische Auswirkungen zusammen.
Ablaufhemmung und Vorläufigkeitsvermerk – Die Grundlagen
Im Erbschaftsteuerrecht wird der Steuerbescheid oft vorläufig erlassen, wenn noch Unsicherheiten über den Nachlass oder über zu berücksichtigende Verbindlichkeiten bestehen. Diese Vorläufigkeit hemmt die Festsetzungsfrist nach § 171 Abs. 8 der Abgabenordnung (AO). Die Festsetzungsfrist beginnt erst dann zu laufen, wenn die Ungewissheit beseitigt ist und die Finanzbehörde über alle relevanten Tatsachen informiert wurde. Dies gibt den Erben die Möglichkeit, die notwendigen Informationen zu sammeln und eine korrekte Steuererklärung abzugeben.
Die Entscheidung des Bundesfinanzhofs vom 26.07.2023
In dem Urteil vom 26.07.2023 hat der Bundesfinanzhof klargestellt, dass die Ablaufhemmung der Festsetzungsfrist auch dann endet, wenn der Vorläufigkeitsvermerk vom Finanzamt aufgehoben wird – und zwar unabhängig davon, ob das Finanzamt bereits Kenntnis von allen relevanten Tatsachen hat. Sobald der Vorläufigkeitsvermerk aufgehoben ist, wird die Erbschaftsteuerfestsetzung endgültig, und nachträgliche Änderungen in Bezug auf bereits entstandene Nachlassverbindlichkeiten sind nicht mehr möglich.
Der Streitfall im Detail
Im konkreten Fall ging es um eine Klägerin, deren Vater einen Pflichtteilsergänzungsanspruch geltend gemacht hatte. Aufgrund der unklaren Höhe dieses Anspruchs wurde der Erbschaftsteuerbescheid zunächst vorläufig erlassen. Nachdem das Finanzamt im Jahr 2014 Informationen zu Änderungen des Anspruchs angefragt hatte und keine Antwort erhielt, erklärte es den Bescheid für endgültig.
Ein Jahr später, im Jahr 2015, informierte die Klägerin das Finanzamt über das Ende eines Rechtsstreits in Liechtenstein und beantragte eine Korrektur des Steuerbescheids, um die dem Vater zugesprochenen Beträge und Prozesskosten als Nachlassverbindlichkeiten zu berücksichtigen. Das Finanzamt lehnte den Änderungsantrag jedoch ab, da die Festsetzungsfrist bereits abgelaufen war.
Das Finanzgericht stellte daraufhin fest, dass das Finanzamt nicht verpflichtet war, die Steuerfestsetzung zu ändern, da die Frist zum Zeitpunkt des Änderungsantrags bereits abgelaufen war. Es entschied jedoch, dass Prozesszinsen und Gerichtskosten als rückwirkendes Ereignis behandelt werden könnten. Das Finanzamt ging in Revision, da es diese Verpflichtung zur Zahlung der Kosten nicht als rückwirkendes Ereignis ansah.
Warum können nachträgliche Verbindlichkeiten nicht mehr berücksichtigt werden?
Mit seiner Entscheidung hat der BFH klargestellt, dass die Aufhebung des Vorläufigkeitsvermerks die Frist für eine nachträgliche Berücksichtigung von Verbindlichkeiten beendet. Folglich führt die Festsetzung der Steuer nun endgültig dazu, dass keine Änderungen mehr möglich sind – selbst wenn die Finanzbehörde erst nach der Aufhebung des Vorläufigkeitsvermerks Kenntnis von den Verbindlichkeiten erlangt.
Ein wichtiger Punkt hierbei ist, dass der Zeitpunkt der Entstehung der Verbindlichkeiten entscheidend ist. Nachlassverbindlichkeiten, die bereits vor der Aufhebung des Vorläufigkeitsvermerks entstanden, aber erst danach konkretisiert werden, können nicht zu einer Änderung der Steuerfestsetzung nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO führen.
Auswirkungen in der Praxis
Für die Praxis bedeutet dies, dass Erben und ihre Berater äußerst sorgfältig und zügig handeln müssen, wenn es um die Mitteilung von Nachlassverbindlichkeiten geht. Die Aufhebung des Vorläufigkeitsvermerks durch das Finanzamt markiert den Zeitpunkt, ab dem die Steuerfestsetzung endgültig wird und nachträgliche Änderungen ausgeschlossen sind.
Wichtige Leitsätze aus dem Urteil:
- Die Ablaufhemmung des § 171 Abs. 8 AO endet, wenn der Vorläufigkeitsvermerk vom Finanzamt aufgehoben wird. Auf den Wegfall der Ungewissheit oder die Kenntnis des Finanzamts von den Tatsachen, aufgrund derer die Steuerfestsetzung vorläufig war, kommt es dabei nicht mehr an.
- Nachlassverbindlichkeiten, die vor der Aufhebung des Vorläufigkeitsvermerks entstanden sind, aber erst danach beziffert und konkretisiert werden, führen nicht zu einer Änderung der Steuerfestsetzung. Dies gilt selbst dann, wenn das Finanzamt erst nach der Aufhebung des Vorläufigkeitsvermerks von diesen Verbindlichkeiten erfährt.
Fazit: Was sollten Erben beachten?
- Sorgfältige Dokumentation: Erfassen und dokumentieren Sie alle potenziellen Nachlassverbindlichkeiten möglichst frühzeitig.
- Schnelle Reaktion: Reichen Sie relevante Informationen zügig beim Finanzamt ein, insbesondere wenn ein Vorläufigkeitsvermerk vorliegt.
- Aufhebung des Vorläufigkeitsvermerks: Achten Sie darauf, wenn das Finanzamt den Vorläufigkeitsvermerk aufheben will. Dies ist der Zeitpunkt, ab dem die Steuerfestsetzung endgültig wird und keine nachträglichen Änderungen mehr möglich sind.
Die Entscheidung des BFH verdeutlicht, dass die nachträgliche Berücksichtigung von Nachlassverbindlichkeiten klare Grenzen hat und ein Versäumnis erhebliche steuerliche Auswirkungen haben kann. Daher sollten Erben die Fristen und Anforderungen genau kennen und im Zweifelsfall rechtzeitig einen Steuerberater hinzuziehen.