Neuauslegung des Anlagenbegriffs im Stromsteuerrecht: Funktionsbezogene Betrachtung vor Standortbezug

Das Finanzgericht Düsseldorf hat mit einem richtungsweisenden Urteil vom 21. Februar 2024 (Az. 4 K 1324/22 VSt) neue Maßstäbe im Stromsteuerrecht gesetzt. Diese Entscheidung klärt eine bedeutende Frage hinsichtlich der Definition von „Anlage“ im Kontext der Stromsteuerbefreiung, insbesondere bei der Betrachtung von räumlich voneinander entfernten Erzeugungseinheiten.

Hintergrund des Falles

Die Klägerin, eine Betreiberin mehrerer Biogasanlagen, wandte sich gegen die vom Hauptzollamt festgesetzten Stromsteuern für die Jahre 2018 und 2019. Sie argumentierte, dass die von ihr erzeugte und selbst verbrauchte Strommenge steuerfrei sein sollte, da diese in Anlagen mit einer Nennleistung von weniger als zwei Megawatt produziert wurde. Der Streitpunkt lag in der Interpretation, ob mehrere kleine Anlagen, die technisch selbstständig, aber funktional verbunden sind, als eine einzelne Anlage angesehen werden können.

Kernpunkte des Urteils

Funktionsbezogener Anlagenbegriff

Das Gericht stellte fest, dass im Stromsteuerrecht nicht isoliert auf den physischen Standort oder die einzelnen technischen Einheiten abzustellen ist, sondern auf den gesamten Funktionszusammenhang der Stromerzeugungseinheiten. Dies bedeutet, dass mehrere kleinere, räumlich getrennte Anlagen, die zusammenarbeiten oder zusammenhängen, als eine einzige Anlage betrachtet werden können.

Steuerbefreiung gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 1 StromStG

Für das zweite Kalenderjahr 2019 bestätigte das Gericht, dass die Stromerzeugungseinheiten der Klägerin zusammen eine elektrische Nennleistung von weniger als zwei Megawatt aufwiesen und somit unter die Steuerbefreiungsvorschriften fallen. Dies unterstreicht die Bedeutung einer gesamtheitlichen Betrachtung der Anlagenleistung, insbesondere wenn diese funktional als eine Einheit agieren.

Implikationen für das Stromsteuerrecht

Diese Entscheidung hat weitreichende Implikationen für das Stromsteuerrecht und könnte für viele Unternehmen, die ähnlich strukturierte Anlagen betreiben, von Bedeutung sein:

  • Vereinfachung der Steuerbefreiung: Unternehmen mit mehreren kleinen Produktionsstätten, die funktional verbunden sind, könnten einfacher eine Steuerbefreiung erreichen, wenn diese kollektiv die Nennleistungskriterien erfüllen.
  • Planungssicherheit: Die klare Richtung des Gerichts zur funktionsbezogenen Betrachtung gibt Unternehmen eine solidere Grundlage für die Planung und Strukturierung ihrer Energieerzeugungsanlagen.
  • Anreiz für dezentrale Energieprojekte: Diese Auslegung könnte insbesondere für dezentrale Energieprojekte, wie verbundene Photovoltaik- oder Windkraftanlagen, einen Anreiz bieten, da sie potentiell unter gemeinsame Befreiungsvorschriften fallen könnten.

Fazit

Das Urteil des Finanzgerichts Düsseldorf markiert einen signifikanten Wandel in der Anwendung des Stromsteuerrechts und stellt eine Anpassung an die modernen Gegebenheiten der Energieerzeugung dar. Es bietet eine klare Grundlage für die steuerliche Bewertung von Anlagen, die zwar räumlich getrennt, jedoch funktional verbunden sind. Dies könnte besonders in Zeiten zunehmender dezentraler Energieerzeugungsprojekte eine wichtige Rolle spielen.

Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig, da eine Revision beim Bundesfinanzhof anhängig ist. Dennoch bietet sie eine wichtige Orientierung für ähnliche Fälle und die zukünftige Planung von Energieprojekten.