örtliche Zuständigkeit in Angelegenheiten des Familienleistungsausgleichs

Niedersächsisches Finanzgericht 14. Senat, Beschluss vom 23.03.2015, 14 K 93/14

§ 38 Abs 2a FGO, § 17a Abs 2 GVG

Gründe

I.

1
Der Kläger, eine Körperschaft des öffentlichen Rechts mit Sitz in A, begehrt die Auszahlung von Kindergeld für den am 16. April 1977 geborenen X im Wege der Abzweigung.

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Mit Bescheid vom 4. Juli 2013 lehnte die Beklagte (die Familienkasse) das Kindergeld für X ab, weil weder dessen kindergeldberechtigter Vater, Y, noch der Kläger die zur Feststellung des Kindergeldanspruchs erforderlichen Unterlagen eingereicht hatten. Der Einspruch des Klägers wurde als unbegründet zurückwiesen, da er die Behinderung von X und damit dessen Berücksichtigung nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) nicht nachgewiesen habe.

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Hiergegen richtet sich die beim Niedersächsischen Finanzgericht erhobene Klage.

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Mit Schreiben vom 27. August 2014 äußerte die Familienkasse im Hinblick auf § 38 Abs. 2a Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) Zweifel an der örtlichen Zuständigkeit des angerufenen Gerichts. Der Kläger hat sich zu der Problematik einschließlich der beabsichtigten Verweisung an das Finanzgericht Münster nicht geäußert.

II.

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Das Niedersächsische Finanzgericht ist örtlich nicht zuständig.

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1. Nach § 38 Abs. 2a Satz 1 FGO ist für ab 1. Mai 2013 anhängige Verfahren in Angelegenheiten des Familienleistungsausgleichs nach Maßgabe der §§ 62 bis 78 EStG das Finanzgericht zuständig, in dessen Bezirk der Kläger seinen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Hat der Kläger im Inland keinen Wohnsitz und keinen gewöhnlichen Aufenthalt, ist das Finanzgericht zuständig, in dessen Bezirk die Behörde, gegen welche die Klage gerichtet ist, ihren Sitz hat (§ 38 Abs. 2a Satz 2 FGO).

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a) Mit dieser zeitlich befristeten Sonderregelung hat der Gesetzgeber auf die Neuorganisation der Familienkassen der Bundesagentur für Arbeit reagiert, bei der die Zahl der örtlichen Familienkassen drastisch reduziert wurde, da es ohne diese Änderung zu Ungleichgewichten in Kindergeldsachen gekommen wäre (vgl. Brandis in Tipke/Kruse, § 38 FGO Rz. 4).

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b) Vor dem Hintergrund, dass die Änderung der örtlichen Zuständigkeit der Bürgerfreundlichkeit dienen sollte (vgl. BT-Drucks 17/12535, S. 4; BT-Drucks 17/13034, S. 7), sieht es der beschließende Senat als sachgerecht an, die örtliche Zuständigkeit in dem vom Gesetzgeber nicht bedachten Fall, dass die Auszahlung des Kindergeldes nicht von dem Kindergeldberechtigten, sondern nach § 67 Satz 2, § 74 Abs. 1 Satz 4 EStG von der unterhaltsgewährenden Stelle begehrt wird, unter sinngemäßer Anwendung des § 38 Abs. 2a Satz 1 FGO und nicht nach § 38 Abs. 2a Satz 2 FGO zu bestimmen.

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Nach Sinn und Zweck der Regelung tritt deshalb für den Fall, dass es sich bei dem Kläger nicht um eine natürliche Person, sondern –wie vorliegend– um eine juristische Person handelt, an Stelle des Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts der Sitz i.S. des § 11 der Abgabenordnung. Denn diese Regelung entspricht in ihrer Funktion der Wohnsitzregelung bei natürlichen Personen (Gersch in Klein, AO, 12. Aufl., § 11 Rz. 1).

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Es ist auch ansonsten kein Grund ersichtlich, warum es in dem Fall, dass eine juristische Person auf Kindergeld klagt, weiter bei dem in § 38 Abs. 1 FGO verankerten Behördenprinzip bleiben sollte. Durch die Sonderregelung in § 38 Abs. 2a FGO sollte auch dem Umstand entgegengewirkt werden, dass sich durch die Neuorganisation der Familienkassen andernfalls für die Kläger in Kindergeldsachen häufig deutlich längere Anfahrtswege ergeben hätten, obwohl gerade bei dem Kindergeld als im Steuerrecht verankerter Sozialleistung ein bürgernaher Rechtsschutz geboten ist (vgl. von Beckerath in Beermann/Gosch, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, § 38 FGO Rz. 16). Hiervon kann auch eine im berechtigten Interesse auf Auszahlung des Kindergeldes klagende Körperschaft betroffen sein.

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Bei dem Behördenprinzip sollte es nach der Rückausnahme in § 38 Abs. 2a Satz 2 FGO erkennbar nur in „Auslandsfällen“ verbleiben, da in diesen Fällen ein bürgernaher Rechtsschutz von vornherein nicht möglich ist.

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2. Der Kläger hat seinen Sitz in A, so dass für das vorliegende Klageverfahren das Finanzgericht Münster zuständig ist. Der Rechtsstreit war deshalb nach Anhörung der Beteiligten an dieses zu verweisen (§ 70 Satz 1 FGO i.V.m. § 17a Abs. 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes).