Reform der Pflegeversicherung: mehr Leistungen für stationäre und ambulante Pflege

Ab dem zweiten Kind sollen Eltern künftig weniger für die Pflegeversicherung zahlen als heute. Die Leistungen in der Pflege sollen dynamisiert und die Pflegekosten in den Heimen gebremst werden. Das sind Inhalte eines Gesetzentwurfs zur Reform der Pflegeversicherung, den das Bundeskabinett heute beschlossen hat.

Die Bundesregierung reagiert damit auf die stark steigenden Kosten sowohl in der stationären als auch der ambulanten Pflege. Zudem hat das Bundesverfassungsgericht den Gesetzgeber beauftragt, bis Mitte des Jahres Eltern mit mehreren Kindern bei der Bemessung der Beiträge im Vergleich zu Kinderlosen deutlicher zu bevorzugen als heute. Und außerdem muss die soziale Pflegeversicherung finanziell stabilisiert werden.

Die gesetzliche Pflegeversicherung wird daher in zwei Schritten reformiert: Zum 1. Juli 2023 soll die Finanzgrundlage stabilisiert werden. Das ermöglicht dringende Leistungsverbesserungen bereits zum Januar 2024. Und in einem zweiten Schritt werden sämtliche Leistungsbeträge zum 1. Januar 2025 nochmals spürbar angehoben.

Die Pflegebedürftigen haben unsere volle Solidarität verdient. Da die Kosten von guter Pflege ständig steigen, darf die Solidargemeinschaft nicht wegschauen und diese höheren Kosten den zu Pflegenden und ihren Angehörigen überlassen. Sowohl in den Heimen, aber ganz besonders auch bei der Pflege zu Hause müssen wir die Leistungen verbessern. Gleichzeitig gilt es, die Finanzierung der gesetzlichen Pflegeversicherung zu stabilisieren. In einer menschlichen Gesellschaft muss uns die Pflege Hochbetagter mehr wert sein. Dass immer mehr Menschen nach einem arbeitsreichen Leben in die Sozialhilfe abrutschen, werden wir nicht akzeptieren.

Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach

Der Entwurf sieht im Einzelnen folgende Regelungen vor:

Pflege zu Hause stärken, Leistungen verbessern, finanzielle Belastungen begrenzen

  • Um die häusliche Pflege zu stärken, wird das Pflegegeld zum 1. Januar 2024 um 5 % erhöht.
  • Aus diesem Grund werden auch die ambulanten Sachleistungsbeträge zum 1. Januar 2024 um 5 % angehoben.
  • Das Pflegeunterstützungsgeld kann von Angehörigen künftig pro Kalenderjahr für bis zu zehn Arbeitstage je pflegebedürftiger Person in Anspruch genommen werden und ist nicht mehr beschränkt auf einmalig insgesamt zehn Arbeitstage je pflegebedürftiger Person.
  • Die Verbesserungen treten zum 1. Januar 2024 in Kraft.
  • Zum 1. Januar 2024 werden die Zuschläge (nach § 43c SGB XI), die die Pflegekasse an die Pflegebedürftigen in vollstationären Pflegeeinrichtungen zahlt, erhöht. Die Sätze werden von 5 % auf 15 % bei 0 – 12 Monaten Verweildauer, von 25 % auf 30 % bei 13 – 24 Monaten, von 45 % auf50 % bei 25 – 36 Monaten und von 70 % auf 75 % bei mehr als 36 Monaten angehoben.
  • Zum 1. Januar 2025 und zum 1. Januar 2028 werden die Geld- und Sachleistungen regelhaft in Anlehnung an die Preisentwicklung automatisch dynamisiert. Für die langfristige Leistungsdynamisierung wird die Bundesregierung noch in dieser Legislaturperiode Vorschläge erarbeiten.
  • Die komplex und intransparent gewordenen Regelungen zum Verfahren zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit in § 18 SGB XI werden neu strukturiert und systematisiert, sodass verfahrens- und leistungsrechtliche Inhalte in voneinander getrennten Vorschriften übersichtlicher und adressatengerechter aufbereitet sind.

Bessere Arbeitsbedingungen für beruflich Pflegende

  • In der stationären Pflege wird die Umsetzung des Personalbemessungsverfahrens durch die Vorgabe weiterer Ausbaustufen beschleunigt. Dabei ist die Situation auf dem Arbeits- und Ausbildungsmarkt zu berücksichtigen.
  • Um das Potential der Digitalisierung zur Verbesserung und Stärkung der pflegerischen Versorgung zu nutzen und die Umsetzung in die Praxis zu unterstützen, wird ein Kompetenzzentrum Digitalisierung und Pflege eingerichtet.
  • Das Förderprogramm für digitale und technische Anschaffungen in Pflegeeinrichtungen mit einem Volumen von insgesamt etwa 300 Mio. Euro wird um weitere Fördertatbestände ausgeweitet und bis zum Ende des Jahrzehnts verlängert.

Stabilisierung der Finanzen

Zur Absicherung bestehender Leistungsansprüche der sozialen Pflegeversicherung und der im Rahmen dieser Reform vorgesehenen Leistungsanpassungen wird der allgemeine Beitragssatz zum 1. Juli 2023 moderat um 0,35 Prozentpunkte angehoben. Diese Maßnahme ist mit Mehreinnahmen in Höhe von rund 6,6 Mrd. Euro/Jahr verbunden. Die Bundesregierung soll ermächtigt werden, den Beitragssatz künftig durch Rechtsverordnung festzusetzen, sofern auf kurzfristigen Finanzierungsbedarf reagiert werden muss.

Umsetzung des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 7. April 2022

Ebenfalls zum 1. Juli 2023 wird der Beitragssatz zur Umsetzung des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 7. April 2022 nach der Kinderzahl differenziert. Eltern zahlen dann generell 0,6 Beitragssatzpunkte weniger als Kinderlose. Bei kinderlosen Mitgliedern gilt ein Beitragssatz in Höhe von 4 %. Bei Mitgliedern mit einem Kind gilt demgegenüber nur ein Beitragssatz von 3,4 %. Ab zwei Kindern wird der Beitrag während der Erziehungsphase bis zum 25. Lebensjahr um 0,25 Beitragssatzpunkte je Kind bis zum fünften Kind weiter abgesenkt. Nach der jeweiligen Erziehungsphase entfällt der Abschlag wieder. Nach der Zeit, in der der wirtschaftliche Aufwand der Kindererziehung typischerweise anfällt, ist eine weitere Differenzierung zwischen Mitgliedern mit unterschiedlicher Kinderzahl nicht mehr vorgesehen. Bei Mitgliedern mit mehreren Kindern gilt nach der Erziehungszeit daher wieder der reguläre Beitragssatz in Höhe von 3,4 %.

Die künftig geltenden Beitragssätze finden Sie auf der Homepage des Bundesministeriums für Gesundheit.

Die genannten Abschläge gelten, solange alle jeweils zu berücksichtigenden Kinder unter 25 Jahre alt sind. In der Kindererziehungsphase werden Eltern mit mehreren Kindern daher spürbar entlastet.

Der Arbeitgeberanteil beträgt immer 1,7 %.

Quelle: Bundesministerium für Gesundheit, Pressemitteilung vom 05.04.2023

Inflation im Kern hoch – Angebotskräfte jetzt stärken

Die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute haben ihre Prognose für den Anstieg der Wirtschaftsleistung im laufenden Jahr auf 0,3 Prozent angehoben. Im Herbst hatten sie noch mit einem Rückgang um 0,4 Prozent gerechnet. „Der konjunkturelle Rückschlag im Winterhalbjahr 2022/2023 dürfte glimpflicher ausgefallen sein als im Herbst befürchtet. Maßgeblich ist ein geringerer Kaufkraftentzug infolge deutlich rückläufiger Energiepreise“, sagt ifo-Konjunkturchef Timo Wollmershäuser zur Begründung. Dennoch wird die Inflationsrate nur langsam zurückgehen von 6,9 Prozent im vergangenen Jahr auf 6,0 Prozent in diesem Jahr.

Staatliche Entlastungsmaßnahmen und absehbar hohe Lohnsteigerungen stärken die Binnennachfrage und halten den heimischen Preisauftrieb hoch. Erst im kommenden Jahr lässt auch von dieser Seite der Inflationsdruck nach, und die Inflationsrate bildet sich spürbar auf 2,4 Prozent zurück. Das Bruttoinlandsprodukt dürfte dann mit plus 1,5 Prozent wieder kräftiger zulegen.

Gute Nachrichten gibt es für den Arbeitsmarkt: Die Zahl der Erwerbstätigen dürfte weiter zunehmen, von 45,6 Millionen im Jahr 2022 auf 45,9 Millionen im Jahr 2023 und 46,0 Millionen im Jahr 2024. Die Zahl der Arbeitslosen steigt in diesem Jahr vorübergehend von 2,42 auf 2,48 Millionen, da die ukrainischen Flüchtlinge nicht sofort auf dem Arbeitsmarkt Fuß fassen. Im kommenden Jahr dürfte die Arbeitslosigkeit dann allerdings wieder sinken auf dann 2,41 Millionen Personen.

Der Staat wird sein Finanzierungsdefizit im laufenden Jahr nur leicht auf 2,2 Prozent in Relation zum nominalen Bruttoinlandsprodukt verringern, weil die Finanzpolitik zunächst expansiv ausgerichtet bleibt. Erst im kommenden Jahr wird der Kurs deutlicher gestrafft und das Defizit auf 0,9 Prozent sinken. Ein Großteil der Terms-of-Trade-Verluste aus dem Vorjahr, die den gesamtwirtschaftlichen Kaufkraftverlust durch die kräftig verteuerten Energieimporte messen, wird bis Ende 2024 wieder aufgeholt. In der Folge steigt der Leistungsbilanzsaldo wieder auf 6,0 Prozent der Wirtschaftsleistung, nachdem er im vergangenen Jahr vorübergehend auf 3,8 Prozent gesunken war.

Quelle: ifo Institut, Pressemitteilung vom 05.04.2023

Bei der „Nutzung zu eigenen Wohnzwecken“ i. S. d. § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 EStG ist zwischen einkommensteuerlich zu berücksichtigenden Kindern und dritten, ggf. auch unterhaltsberechtigten Personen, zu differenzieren

Der 14. Senat des Finanzgerichts Düsseldorf hatte sich mit der Frage zu beschäftigen, wann eine Nutzung zu eigenen Wohnzwecken im Rahmen eines privaten Veräußerungsgeschäfts vorliegt, die zur Steuerfreiheit führen kann.

Die Kläger (verheiratete Eheleute) erwarben im Jahr 2009 eine Eigentumswohnung, die sie unentgeltlich an die Mutter der Klägerin überließen. Nach deren Tod im Jahr 2016 verkauften die Kläger die Wohnung. Unterhaltsleistungen an die Mutter der Klägerin nach § 33a EStG machten sie bis einschließlich 2016 nicht geltend.

Das beklagte Finanzamt berücksichtigte in seiner Steuerveranlagung einen Gewinn aus privaten Veräußerungsgeschäften nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG aufgrund des Verkaufs der Wohnung. Es war der Ansicht, dass die Überlassung an die Mutter der Klägerin anders als eine Überlassung an unterhaltsberechtigte Kinder keine Nutzung zu eigenen Wohnzwecken nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 EStG darstelle. Der Verkauf sei daher steuerpflichtig.

Dagegen trugen die Kläger u. a. vor, eine Differenzierung zwischen unterhaltsberechtigten Kindern und anderen zivilrechtlich unterhaltsberechtigten Personen sei widersprüchlich. Zudem habe der Gesetzgeber in § 4 EigZulG auch die Überlassung an Angehörige im Sinne des § 15 AO als unschädlich angesehen. Schließlich seien die zahlreichen Besuche der Klägerin bei ihrer Mutter als Nutzung des Objekts zu eigenen Wohnzwecken anzusehen.

Der 14. Senat ging in seinem Urteil vom 02.03.2023 nicht von einer Nutzung zu eigenen Wohnzwecken aus. Die Kläger hätten die Wohnung nicht selbst genutzt, wobei bloße Aufenthalte zu Besuchszwecken nicht ausreichten. Die Nutzung durch die Mutter könne den Klägern nicht zugerechnet werden. Dies komme nur bei einer Überlassung an unterhaltsberechtigte Kinder (§ 32 EStG) in Betracht. Diese Differenzierung sei dadurch gerechtfertigt, dass bei Kindern typisierend eine Unterhaltspflicht und das Entstehen von Aufwendungen für die Eltern anzunehmen sei. Dagegen sei bei anderen unterhaltsberechtigten Angehörigen eine Einzelfallprüfung erforderlich. Dieser nicht unerhebliche Ermittlungsaufwand solle vermieden werden, zumal die Voraussetzungen des § 33a EStG für die Mutter nicht vorlägen.

§ 4 EigZulG führe aufgrund der unterschiedlichen Zweckrichtung zu keinem anderen Ergebnis. Denn während das EigZulG den Erwerb von Wohnungseigentum fördern solle, diene § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 EStG dazu, die Besteuerung eines Veräußerungsgewinns bei Aufgabe eines Wohnsitzes und eine damit einhergehende Behinderung der beruflichen Mobilität zu vermeiden.

Die Entscheidung, zu der der Senat die Revision zugelassen hat, war zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses noch nicht rechtskräftig.

Quelle: FG Düsseldorf, Mitteilung vom 05.04.2023 zum Urteil 14 K 1525/19 E,F vom 02.03.2023 (nrkr)

Startups: Durchbruch für attraktivere Mitarbeiterbeteiligung

  • Regierung will bestehende Regelungen deutlich nachbessern
  • Berg: „Deutsche Startups endlich auf Augenhöhe im internationalen Wettbewerb“

Der jetzt bekannt gewordene Gesetzentwurf zum Zukunftsfinanzierungsgesetz sieht deutliche Verbesserungen für die Mitarbeiterkapitalbeteiligung in Startups vor. Dazu erklärt Bitkom-Präsident Achim Berg:

„Die Bundesregierung hat sich die Kritik der Startups an den bisherigen Regelungen zur Mitarbeiterkapitalbeteiligung zu Herzen genommen. Die nun angekündigten Veränderungen sind eine wirklich gute Nachricht für unsere Startup-Szene und den Tech-Standort Deutschland. Mit einer finanziell attraktiveren Beteiligung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern können sich deutsche Startups endlich auf Augenhöhe im internationalen Wettbewerb um die besten Fachleute bewegen. Entscheidend ist nun, dass nicht noch mehr Zeit verloren wird und die Regierungsfraktionen die Gesetzesänderung rasch auf den Weg bringen. Dann können schon bald sehr viel mehr Startup-Beschäftigte vom wirtschaftlichen Erfolg der Unternehmen profitieren.

Statt nach bisher zwölf Jahren müssen unveräußerte Anteile künftig erst nach 20 Jahren versteuert werden – und vor allem entfällt die Besteuerung bei einem Arbeitgeberwechsel, zumindest wenn das Startup freiwillig die Haftung für die Sicherung des Steueranspruches übernimmt. Damit wird die sog. Dry-Income-Problematik deutlich entschärft, das heißt, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Steuern auf die übertragenen Anteile abführen müssen, selbst wenn sie diese selbst noch gar nicht veräußert haben – oder das überhaupt konnten.

Zu begrüßen ist zudem, dass die bereits bei der Übertragung der Anteile fällige Lohnsteuer in mehr Unternehmen gestundet werden kann, wovon gleichermaßen stark wachsende und international expandierende Startups sowie forschungsintensive Gründungen, die mehr Zeit benötigen, profitieren. War dies bislang nur in Unternehmen mit bis zu 250 Beschäftigten und 50 Millionen Euro Jahresumsatz möglich, so wird die Grenze auf 500 Beschäftigte und 100 Millionen Euro verdoppelt. Zudem können Unternehmen bis zu 20 Jahre nach der Gründung davon profitieren, nicht wie bislang nur zwölf Jahre. Darüber hinaus greift eine Übergangsfrist von sieben Jahren, wenn ein Startup die neuen Schwellen überschreitet. So werden deutsche Startups auf ihrem Weg zu europäischen Champions weiter unterstützt.

Auch an weiteren Stellen will die Koalition die Mitarbeiterkapitalbeteiligung attraktiver machen, etwa indem bei der Mitarbeiterkapitalbeteiligung künftig ein pauschaler Steuersatz von 25 Prozent gelten soll und der Steuerfreibetrag von 1.440 auf 5.000 Euro angehoben wird. Andere Länder sind hier allerdings noch deutlich ambitionierter, in Spanien wurde der Freibetrag jüngst auf 50.000 Euro festgelegt.“

Quelle: Bitkom, Pressemitteilung vom 04.04.2023

Sturz mit Inlineskates bei einem Firmenlauf: Arbeitnehmerin ist nicht unfallversichert

Der 3. Senat des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg hat entschieden, dass eine Arbeitnehmerin nicht als Beschäftigte unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung steht, wenn sie bei einem sog. Firmenlauf stürzt und sich dabei verletzt.

Die damals 45 Jahre alte Klägerin nahm im Mai 2019 als Inlineskaterin gemeinsam mit anderen Mitarbeitenden ihres Unternehmens am Berliner Firmenlauf im Tiergarten teil. Bei dem Firmenlauf handelte es sich um eine von einem Berliner Sportverein organisierte Veranstaltung, die sportlich interessierten Beschäftigten zahlreicher Unternehmen und Organisationen, aber auch Freizeitteams und Nachbarschaftsteams offenstand. Nach dem sportlichen Teil erfolgte eine Siegerehrung, im Anschluss bestand Gelegenheit, sich gemeinsam auf einer „Run-Party“ zu vergnügen. Die Klägerin kam nach dem Start auf der Skaterstrecke auf nassem Untergrund ins Rutschen, stürzte und brach sich das rechte Handgelenk. Die Unfallkasse lehnte es ab, diesen Vorfall als Arbeitsunfall anzuerkennen und für den entstandenen Schaden aufzukommen. Es habe sich nicht um eine Betriebsveranstaltung gehandelt. Die hiergegen gerichtete Klage der Inlineskaterin vor dem Sozialgericht Berlin blieb ohne Erfolg.

Der 3. Senat des Landessozialgerichts hat die Entscheidung des Sozialgerichts Berlin nunmehr bestätigt. Der Unfall habe sich nicht bei einer Aktivität ereignet, die mit der Beschäftigung in einem engen rechtlichen Zusammenhang stehe.

Zum einen liege kein Betriebssport vor, der eine gewisse Regelmäßigkeit und das Ziel gesundheitlichen Ausgleichs voraussetze. Der Firmenlauf finde nur einmal jährlich statt und habe, auch wenn es sich um keinen Hochleistungssport handele, den Charakter eines Wettstreits. Es würden die Zeiten gemessen und Sieger in allen Kategorien gekürt. Der Umstand, dass einige Beschäftigte vorher gelegentlich gemeinsam trainiert und sich diese Gruppe unter einem einheitlichen Teamnamen zum Firmenlauf angemeldet habe, führe zu keiner anderen Beurteilung. Vielmehr habe es sich bei dieser Gruppe um einen privaten Kreis von Beschäftigten des Unternehmens gehandelt, die die Leidenschaft für das sportliche Hobby des Inlineskatens teile.

Zum anderen habe es sich bei dem Firmenlauf auch nicht um eine betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung gehandelt. Der Firmenlauf habe als Großveranstaltung mit anschließender Party vielen anderen Unternehmen und Einzelbewerbern offen gestanden und eher den Charakter eines Volksfestes gehabt. Außerdem habe nur ein ganz geringer, sportlich interessierter Teil der Mitarbeitenden des Unternehmens der Klägerin an dem Firmenlauf teilgenommen. Ein spezielles Programm für den großen Teil der nichtlaufenden Beschäftigten habe es nicht gegeben. Der Firmenlauf sei daher nicht geeignet gewesen, den betrieblichen Zusammenhalt zu fördern. Der Umstand, dass im Betrieb für die Teilnahme am Firmenlauf geworben worden sei und der Arbeitgeber die Startgebühr übernommen und Lauf-Shirts mit dem Firmenlogo zur Verfügung gestellt habe, führe zu keiner abweichenden Bewertung.

Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Die unterlegene Inlineskaterin kann bei dem Bundessozialgericht die Zulassung der Revision beantragen.

Quelle: LSG Berlin-Brandenburg, Pressemitteilung vom 03.04.203 zum Urteil L 3 U 66/21 vom 21.03.2023 (nrkr)

Hartz IV jetzt Bürgergeld: Berliner Jobcenter muss volle Mietkosten anerkennen – Vergleich mit Sozialmieten erforderlich

Der 32. Senat des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg hat entschieden, dass bei der Beurteilung der Frage, in welcher Höhe Mietkosten von den Jobcentern zu übernehmen sind, ein Vergleich mit den Mieten für Sozialwohnungen zu erfolgen hat. Mietpreise, die für nach dem Recht des sozialen Wohnungsbaus geförderte Wohnungen gezahlt werden, könnten nicht als unangemessen angesehen werden.

Damit hat es der gegen das zuständige Berliner Jobcenter gerichteten Klage einer Empfängerin von Grundsicherungsleistungen („Hartz IV“, jetzt Bürgergeld) insoweit stattgegeben. Es ging um Zeiträume in den Jahren 2015/2016. Die allein lebende Frau verlangte die Übernahme der vollen Kosten für Miete und Heizung in Höhe von damals rund 640 Euro für ihre 90 m2 große Dreizimmerwohnung. Die Suche nach einer günstigeren Wohnung im angespannten Berliner Wohnungsmarkt sei aussichtslos gewesen. Das Jobcenter hatte insgesamt nur rund 480 Euro für angemessenen gehalten. Dabei bezog es sich auf die Ausführungsvorschriften der zuständigen Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales, die die Grenze der Angemessenheit aus den durchschnittlichen Mietkosten ableitet, wie sie der Mietspiegel für Berlin für einfache Wohnlagen ausweist.

Der 32. Senat des Landessozialgerichts hält dieses Vorgehen für unzulässig. Die so berücksichtigten Wohnungen erfassten nur den durchschnittlichen Fall der Angemessenheit, nicht aber deren „obere Grenze“. Zwar könnten Empfänger von Leistungen der Jobcenter auf solche Wohnungen verwiesen werden, die lediglich einfache Bedürfnisse für eine sichere Unterkunft befriedigen. Wohnungen zum noch als angemessen angesehenen Mietpreis müssten jedoch auch tatsächlich für Leistungsberechtigte zur Verfügung stehen. Dies sei nicht der Fall und ergebe sich auch aus einer statistischen Auswertung des Wohnraumbedarfsberichts der Senatsverwaltung aus dem Jahr 2019. Demnach habe es in Berlin 76.000 Haushalte (darunter 33.000 Einpersonenhaushalte) gegeben, die Leistungen der Grundsicherung bezogen hätten, deren Mietkosten jedoch über den von den Jobcentern herangezogenen Grenzwerten gelegen hätten. Zugleich weise der genannte Bericht eine massive Angebotslücke von 345.000 Wohnungen allein im Bereich der Wohnungen für Einpersonenhaushalte aus.

In einer solchen Situation könne das Gericht keinen Grenzwert bestimmen. Im vorliegenden Fall lasse sich bei einem Vergleich mit den Mieten für Sozialwohnungen, die gerade für Grundsicherungsempfänger als angemessener Wohnraum bereitgestellt werden sollen, feststellen, dass die Wohnung der Frau noch angemessen gewesen sei. Die nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 30. Januar 2019, Az. B 14 AS 24/18 R) ggf. als Höchstgrenze heranzuziehenden Werte (110 Prozent der Tabelle nach § 12 Wohngeldgesetz) seien für Berliner Verhältnisse ungeeignet, weil danach selbst viele Sozialwohnungen als unangemessen teuer angesehen werden müssten.

Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Das Landessozialgericht hat die Revision zum Bundessozialgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.

Die schriftliche Urteilsbegründung liegt noch nicht vor.

Die hier maßgebliche Rechtsvorschrift ist § 22 Abs. 1 Satz 1 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) und lautet: „Bedarfe für Unterkunft und Heizung werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind.“

Quelle: LSG Berlin-Brandenburg, Pressemitteilung vom 04.04.2023 zum Urteil L 32 AS 1888/17 vom 30.03.2023 (nrkr)

Unzulässige Fremdenbeherbergung durch Untervermietung über Internetportal

Eine kurzfrequentierte Untervermietung von Wohnraum über ein Internetportal kann trotz Vorgabe einer Mindestnutzungsdauer eine genehmigungspflichtige Fremdenbeherbergung darstellen.

Das Amtsgericht Frankfurt am Main hat entscheiden, dass eine kurzfrequentierte Untervermietung von Wohnraum über ein Internetportal trotz Vorgabe einer Mindestnutzungsdauer eine genehmigungspflichtige Fremdenbeherbergung darstellen kann (Urteil vom 27.01.2023, Az. 940 OWi 862 Js 45753/22).

Nach den Feststellungen des Gerichts mietete der Betroffene zum Zwecke der Weitervermietung eine baurechtlich als Wohnraum genehmigte Dreizimmerwohnung in Frankfurt am Main an. Zwischen April 2019 und August 2020 vermietete der Betroffene, der die Wohnung auf einem Internetportal samt Ausstattung für einen Mindestaufenthalt von 30 Tagen anbot, diese bei zwölf Gelegenheiten an Dritte. Die jeweilige Mietzeit betrug zwischen wenigen Tagen und vier Monaten. Über eine baurechtliche Genehmigung zur Fremdenbeherbergung verfügte der Betroffene nicht.

Das Amtsgericht Frankfurt am Main verurteilte den Betroffenen wegen vorsätzlicher Änderung der Nutzung einer Wohnung ohne Genehmigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Nutzung von Wohnraum zur Fremdenbeherbergung zu einer Geldbuße von 44.000 Euro. Für die Frage der Abgrenzung einer zulässigen Wohnvermietung von einer genehmigungspflichtigen Fremdenbeherbergung komme es nach Auffassung des Gerichts darauf an, ob das konkrete Nutzungskonzept auf die Verlegung des Lebensmittelpunktes durch den Mieter ausgelegt sei. Dagegen spreche im konkreten Fall bereits die Bewerbung auf einem Internetportal, das (jedenfalls auch) der Vermittlung von Wohnraum zu Urlaubszwecken dient, die ausschließliche Überlassung mit vollständiger Einrichtung, die hohe Wechselfrequenz der Mieter und deren vergleichsweise kurze Nutzungsdauer, die in der Hälfte der Fälle schon die vom Betroffenen selbst festgelegte Mindestdauer nicht erreicht hatte.

Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig.

Quelle: AG Frankfurt, Pressemitteilung vom 04.04.2023 zum Urteil 940 OWi 862 Js 45753/22 vom 27.01.2023 (nrkr)

Freiwillige Beitragszahlungen an wegen Lockdown geschlossenes Fitnessstudio als umsatzsteuerpflichtiges Entgelt

Die freiwillige Fortzahlung von Beiträgen, die von Mitgliedern im Rahmen eines Dauerschuldverhältnisses an ein Fitnessstudio erbracht werden, welches vorübergehend pandemiebedingt schließen muss und auf die Erbringung von Ersatzleistungen verwiesen ist, steht in einem umsatzsteuerlich relevanten Zusammenhang mit den im Rahmen des Dauerschuldverhältnisses erbrachten Leistungen.

Mit Urteil vom 16. November 2022 (Az. 4 K 41/22) entschied der 4. Senat des Schleswig-Holsteinischen Finanzgerichts über die Umsatzbesteuerung von Beiträgen an ein (geschlossenes) Fitnessstudio. Die Klägerin betrieb ein Unternehmen in Gestalt eines Fitnessstudios. Sie berechnete die Umsatzsteuer gem. § 20 Umsatzsteuergesetz nach vereinnahmten Entgelten („Ist-Versteuerung“). Ausweislich einiger aktenkundiger „Mitgliedsvereinbarungen“ schloss die Klägerin mit ihren Kunden Verträge über befristete Mitgliedschaften (12 oder 24 Monate) ab, die von beiden Teilen mit einer Frist von drei Monaten zum Ende der jeweils vereinbarten Laufzeit kündbar waren. Gemäß der Landesverordnung über Maßnahmen zur Bekämpfung der Ausbreitung des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 in Schleswig-Holstein musste die Klägerin ihr Fitnessstudio vom 17. März bis zum 17. Mai schließen. Sie machte verschiedene Ankündigungen im Internet und vor Ort und bot den Kunden beispielsweise Gratismonate, eine Telefonhotline oder Trainingspläne für zu Hause an. Die Beteiligten stritten darüber, ob die während der Schließzeit (rechtsgrundlos) weiter gezahlten Beiträge als steuerfreie Spende oder als umsatzsteuerpflichtiges Entgelt zu behandeln seien.

Der 4. Senat entschied, dass es sich um ein Entgelt handele. Denn die Fortzahlung der Beiträge stehe in einem unmittelbaren Zusammenhang mit den im Rahmen des Dauerschuldverhältnisses erbrachten Leistungen. Dazu gehörten die im Schließzeitraum erbrachten Ersatzleistungen und darüber hinaus – unter dem Aspekt sog. Zusatzzahlungen (zum Beispiel Trinkgelder) – auch die Leistungen, die vor der Schließung erbracht wurden.

Das Revisionsverfahren ist beim Bundesfinanzhof unter dem Aktenzeichen XI R 36/22 anhängig.

Quelle: Schleswig-Holsteinisches Finanzgericht, Newsletter I/2023

Keine Durchschnittssatzbesteuerung bei bloßer Qualitätsveränderung und Weiterveräußerung eines zugekauften Produkts – „Veredelung“ von Reitpferden

Der Erwerb, die weitere Ausbildung / Verpflegung und der sich anschließende Verkauf von Reitpferden („Veredelung von Reitpferden“), welche ein Steuerpflichtiger vornimmt, der die Voraussetzungen von § 24 Umsatzsteuergesetz erfüllt, unterliegen nicht der Durchschnittsbesteuerung.

Mit Urteil vom 16. November 2022 (Az. 4 K 20/21) entschied der 4. Senat des Schleswig-Holsteinischen Finanzgerichts über die Anwendung von § 24 Umsatzsteuergesetz bei der Veredelung von Reitpferden. Der Kläger betrieb eine Pferdezucht und einen Pferdehandel und erzielte damit Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft und aus Gewerbebetrieb. Im Rahmen einer Betriebsprüfung wurde festgestellt, dass der Kläger dabei mehrfach junge Reitpferde (ca. 5-7 Jahre alt, jeweils Wallache) erwarb, versorgte und weiter ausbildete. Er verkaufte sie dann mit zum Teil erheblichem Gewinn weiter. Der Kläger ordnete die Veräußerungen den Einkünften im Sinne des § 24 Umsatzsteuergesetz zu; insoweit war unstreitig, dass für die Tiere eine ausreichende eigene Futtergrundlage vorhanden bzw. die Vieheinheitengrenze des § 51 Bewertungsgesetz nicht überschritten war. Die Betriebsprüferin unterwarf die Umsätze der Regelbesteuerung.

Der 4. Senat folgte der Prüferin. Obwohl der Kläger die Voraussetzungen des § 24 Umsatzsteuergesetz grundsätzlich erfüllte, fielen die Umsätze nicht unter die Regelungen zur Durchschnittsatzbesteuerung. Denn bei richtlinienkonformer Auslegung sei für die Anwendung erforderlich, dass die gelieferten Gegenstände von dem land- und forstwirtschaftlichen Betrieb selbst „erzeugt“ worden seien bzw. durch eine Verarbeitung der „im Wesentlichen aus seiner landwirtschaftlichen Produktion stammenden Erzeugnisse“ entstanden seien. Umsätze mit zugekauften Produkten seien von § 24 Umsatzsteuergesetz nicht erfasst. Die hier streitige Veredelung von Reitpferden stelle insoweit keine „Erzeugung“ eines (anderen) landwirtschaftlichen Produkts, sondern lediglich eine Qualitätsveränderung und Weiterveräußerung eines zugekauften Produkts dar.

Die vom 4. Senat zugelassene Revision ist eingelegt worden, das Aktenzeichen des Bundesfinanzhofs lautet XI R 37/22.

Quelle: FG Schleswig-Holstein, Mitteilung vom 03.04.2023 zum Urteil 4 K 20/21 vom 16.11.2022 (nrkr – BFH-Az.: XI R 37/22)

Verteilung von Einnahmen aus einer Nutzungsüberlassung nur bei Bestimmbarkeit des Vorauszahlungszeitraumes

Für die Verteilung von Einnahmen aus einer Nutzungsüberlassung gemäß § 11 Abs. 1 Satz 3 EStG fehlt es an einem bestimmbaren Zeitraum, wenn die ordentliche Kündigung des Überlassungsvertrags für 30 Jahre ausgeschlossen ist und weitere Anhaltspunkte für eine Befristung oder ein auflösendes Ereignis nicht vorliegen.

Mit Urteil vom 9. November 2022 (Az. 2 K 217/21) hat der 2. Senat des Schleswig-Holsteinischen Finanzgerichts entschieden, dass Entgelte für die Überlassung von landwirtschaftlichen Flächen zur Nutzung für naturschutzrechtliche Ausgleichsmaßnahmen und zur Generierung von Ökopunkten auch dann im Jahr des Zuflusses zu versteuern sind, wenn in dem auf unbestimmte Zeit geschlossenen Überlassungsvertrag die Möglichkeit der ordentlichen Kündigung für den Zeitraum von 30 Jahren ausgeschlossen ist. Der Ausschluss der ordentlichen Kündigungsmöglichkeit ist mit einer Befristung eines Vertrages oder mit einem unter einer auflösenden Bedingung stehenden Vertrag – so die Fallgestaltung im BFH-Urteil vom 6. Juni 2019 VI R 34/17, BStBl II 2021 S. 5 – nicht zu vergleichen. Anders als bei der Befristung eines Vertrages oder bei einem unter einer auflösenden Bedingung stehenden Vertrag ist ein auf unbestimmte Zeit geschlossener Vertrag, auch wenn er die Möglichkeit der ordentlichen Kündigung für einen bestimmten Zeitraum ausschließt, gerade nicht endlich. Es bedarf noch eines aktiven Handelns der Vertragsparteien, um den Vertrag zu beenden, wobei der tatsächliche Zeitpunkt der Vertragsauflösung im Belieben der Parteien steht.

Anhaltspunkte für eine Befristung oder ein auflösendes Ereignis müssen sich aus dem Vertrag selbst ergeben. Daher kommt auch die Anknüpfung an den Förderzeitraum von 20 Jahren nach dem EEG zur Bestimmung eines Vorauszahlungszeitraumes nicht in Betracht. Der 20-jährige Förderzeitraum ist zudem ein Kriterium, das unabhängig vom jeweiligen Vertrag für jeden Vertrag im Bereich der erneuerbaren Energien gelten würde. Eine Abgrenzung zwischen unbefristeten und befristeten Verträgen fände damit nicht mehr statt, da aufgrund des regelmäßigen Zeitraums von mehr als fünf Jahren immer eine Verteilung mindestens auf 20 Jahre möglich wäre. Damit wäre der Anwendungsbereich des § 11 Abs. 1 Satz 3 i. V. m. Abs. 2 Satz 3 Einkommensteuergesetz, bei dem es sich um eine Ausnahmeregelung zum allgemeinen Zuflussprinzip handelt, überdehnt.

Gegen das Urteil wurde Revision eingelegt, das Verfahren ist beim Bundesfinanzhof unter dem Aktenzeichen IX R 18/22 anhängig.

Quelle: FG Schleswig-Holstein, Mitteilung vom 03.04.2023 zum Urteil 2 K 217/21 vom 09.11.2022 (nrkr – BFH-Az.: IX R 18/22)

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