BFH: Avalprovisionen als Schuldzinsen

Leitsatz

  1. Schuldzinsen gemäß § 4 Abs. 4a Satz 1 EStG sind nach Maßgabe eines ertragsteuerrechtlich weiten Begriffsverständnisses alle Leistungen, die ein Schuldner für die Überlassung (Nutzung) von Kapital an den Gläubiger zu erbringen hat, und darüber hinaus alle Aufwendungen zur Erlangung oder Sicherung eines Kredits, mithin Kosten, die bei wirtschaftlicher Betrachtung des Vorgangs als Vergütung für die Überlassung von Kapital angesehen werden können (in diesem Sinne bereits BFH-Urteil vom 12.02.2014 – IV R 22/10, BFHE 244, 560, BStBl II 2014 S. 621, Rz. 19).
  2. Provisionen und Gebühren für ein Aval (eine Bürgschaft) zählen jedenfalls dann zu den Schuldzinsen i. S. von § 4 Abs. 4a Satz 1 EStG, wenn hierdurch die Rückzahlung von Fremdkapital, das dem Schuldner zeitweise zur Nutzung überlassen wurde, gesichert wird.

Quelle: BFH, Urteil X R 15/21 vom 31.08.2022

BFH: Wahlrecht zwischen Sofort- und Zuflussbesteuerung auch bei Veräußerung von Wirtschaftsgütern gegen wiederkehrende Bezüge im Rahmen einer Betriebsaufgabe

Leitsatz

Ein Steuerpflichtiger, der im Rahmen einer Betriebsaufgabe betriebliche Wirtschaftsgüter gegen wiederkehrende Bezüge veräußert, kann – wie bei der Betriebsveräußerung gegen wiederkehrende Bezüge – zwischen der Sofortbesteuerung und der Zuflussbesteuerung des entsprechenden Gewinns wählen.

Quelle: BFH, Urteil X R 6/20 vom 29.06.2022

BFH: Trennungsunterhalt durch Naturalleistungen

Leitsatz

  1. Die auf einem entgeltlichen Rechtsverhältnis beruhende Überlassung einer Wohnung an den geschiedenen oder dauerhaft getrennt lebenden Ehegatten unterfällt nicht dem Anwendungsbereich des § 10 Abs. 1a Nr. 1 EStG.
  2. Dagegen handelt es sich bei einer unentgeltlichen Nutzungsüberlassung um Naturalunterhalt, der in sinngemäßer Anwendung von § 15 Abs. 2 BewG in Höhe der ortsüblichen Miete als Sonderausgaben gemäß § 10 Abs. 1a Nr. 1 EStG berücksichtigt werden kann (Anschluss an BFH-Urteil vom 12.04.2000 – XI R 127/96, BFHE 192, 75, BStBl II 2002 S. 130, unter II.1.).
  3. Die ortsübliche Miete ist auch dann anzusetzen, wenn die Parteien unterhaltsrechtlich einen betragsmäßig geringeren Wohnvorteil vereinbart haben.

Quelle: BFH, Urteil X R 33/20 vom 29.06.2022

Viele hybride Selbstständige profitieren von ihrer Festanstellung

Mehrheit der hybriden Selbstständigen kann gut für das Alter vorsorgen

Bei den meisten hybriden Selbstständigen (90 %) liegt der Arbeitsschwerpunkt auf einer abhängigen Tätigkeit – in nur gut jeder 10. hybriden Selbstständigkeit wird vorrangig die selbstständige Tätigkeit ausgeübt. „Bei der Mehrheit der hybriden Selbstständigen kann davon ausgegangen werden, dass sie für ihr Alter ausreichend vorsorgen können“, berichtet IfM-Wissenschaftler Dr. Olivier Butkowski.

Sowohl die Anzahl der hybriden Selbstständigen als auch ihr Anteil an allen Erwerbstätigen ist seit der Jahrtausendwende deutlich gestiegen: Waren in 2001 noch rund 2,46 Millionen Personen in dieser Erwerbsform tätig, gab es in 2016 bereits 3,39 Millionen hybride Selbstständige. Damit überstieg ihre Anzahl in diesem Jahr erstmals die Zahl der ausschließlich selbstständig Tätigen und hat damit eine deutlich höhere Bedeutung für den Arbeitsmarkt und die sozialen Sicherungssysteme als bisher angenommen. Gefördert durch das Forschungsnetzwerk Alterssicherung untersuchten Dr. Olivier Butkowski und Dr. Rosemarie Kay die Bedeutung der hybriden Selbstständigkeit sowie die Altersvorsorgefähigkeit mit Hilfe der Daten des Taxpayer-Panels. Dabei zeigte sich, dass im untersuchten Zeitraum 2001 bis 2016 gut jeder zweite hybride Selbstständige einen Bruttolohn zwischen 30.001 und 60.000 Euro erzielte und zusätzlich noch über Gewinneinkünfte verfügte.

„Bei rund 26 % der hybriden Selbstständigen sprechen wir von einer mittleren Altersvorsorgefähigkeit. Sie sind zwar über ihre sozialversicherungspflichtige Beschäftigung rentenversichert. Gleichwohl wäre auf Grund dessen eine auskömmliche Absicherung im Alter eher nicht möglich“, erläutert Olivier Butkowski. Knapp jeder Dritte von ihnen habe aber zusätzlich dazu Gewinneinkünfte von mindestens 5.410 Euro, sodass diese hybriden Selbstständigen gleichfalls für ihr Alter vorsorgen können.

Eine zu geringe Altersvorsorgefähigkeit sieht er nur bei 18 % der hybriden Selbstständigen gegeben – beispielsweise, weil für sie nur Minimalbeiträge aus einer geringfügigen abhängigen Beschäftigung in die gesetzliche Rentenversicherung einbezahlt werden. „Sofern überhaupt Einnahmen aus der selbstständigen Tätigkeit zufließen, werden diese üblicherweise nicht für eine zusätzliche Altersvorsorge eingesetzt werden können. Gleichwohl ist nicht auszuschließen, dass auch hier weitere Einkünfte wie beispielsweise aus Vermietung und Verpachtung zur Altersabsicherung beitragen“, resümiert der IfM-Wissenschaftler.

Quelle: IfM Bonn, Pressemitteilung vom 08.12.2022

BMWK setzt neue Anreize für Sanierungen – Bonus für serielles Sanieren wird eingeführt

Die energetische Sanierung von Gebäuden und die Nutzung erneuerbarer Energien zur Wärmeerzeugung sind zentrale Schritte, um in die Energiekosten der Verbraucherinnen und Verbraucher zu senken und gleichzeitig unsere Klimaschutzziele zu erreichen. Die Bundesförderung für effiziente Gebäude (BEG) soll möglichst viele Menschen dabei unterstützen, diese Schritte zu ergreifen. Daher hat die Bundesregierung die bereits angekündigte zweite Reformstufe der BEG beschlossen, um so den im Sommer eingeschlagenen Weg weiter fortzusetzen.

Der Zugang zur BEG wird weiter erleichtert, Förderboni erhöhen die Anreize für Sanierungen und die Fördereffizienz des Programms wird erneut gesteigert, um möglichst viele Antragstellerinnen und Antragssteller unterstützen zu können.

Die Änderungen an den BEG-Förderrichtlinien werden noch 2022 im Bundesanzeiger veröffentlicht und treten zum 1. Januar 2023 in Kraft. Alle drei Teilprogramme der BEG (Wohngebäude, Nichtwohngebäude und Einzelmaßnahmen) sind von den Änderungen betroffen.

Die Änderungen im Einzelnen

Mit den Änderungen werden Boni gezielt neu eingeführt oder ausgeweitet, um die Sanierungsförderung weiter anzureizen. So wird ein Bonus für serielles Sanieren in Höhe von 15 Prozentpunkten eingeführt. Die serielle Sanierung ist eine innovative Methode zur umfassenden energetischen Sanierung (Gebäudehülle & -technik). Gefördert wird die Verwendung vorgefertigter Fassaden- bzw. Dachelemente. So lassen sich der handwerkliche Aufwand vor Ort und die Kosten deutlich reduzieren.

Zudem wird der bereits im September eingeführte Bonus für die am wenigsten energieeffizienten Gebäude, der Worst Performing Buildings Bonus, von 5 auf 10 Prozentpunkte erhöht und neben den EH/EG 40- und EH/EG 55-Stufen auch auf Sanierungen auf einen EH/EG 70 EE-Standard ausgeweitet.

Eine weitere Änderung betrifft die Neubauförderung: Diese wird als nun viertes Teilprogramm der BEG aus den bisherigen Richtlinien ausgegliedert und ab März 2023 in einer eigenen Richtlinie unter dem Titel „Klimafreundlicher Neubau“ unter Federführung des Bundesministeriums für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen (BMWSB) geregelt. Bis zu diesem Zeitpunkt gelten die bestehenden Regelungen unter der BEG fort. So wird ein nahtloser Übergang der Neubauförderung gewährleistet.

Weiterhin werden mit der Reform technische Anpassungen mit dem Ziel vorgenommen, besonders hochwertige Heizungsanlagen zu fördern. Durch die Änderungen werden beispielsweise nur noch effizientere Wärmepumpen und Biomasseheizungen mit besonders geringem Feinstaubausstoß gefördert.

Übergeordnetes Ziel der Reform bleibt, bis 2045 Klimaneutralität im Gebäudebestand zu erreichen. Neben dem Ordnungsrecht ist die Bundesförderung für effiziente Gebäude (BEG) hier ein zentrales politisches Instrument, das mit einem Budget von 13 Milliarden Euro für 2023 entsprechende Anreize im Markt setzt.

Quelle: BMWK, Pressemitteilung vom 09.12.2022

Nachteilige Auswirkung des MoPeG auf Unternehmensnachfolge bei Einzelkanzlei

Das MoPeG eröffnet einer Sozietät aus zwei Freiberuflern den Weg in die Personenhandelsgesellschaft. Damit stehen ihr alle Optionen zur Umwandlung offen. Freiberufler, die in einer Einzelkanzlei organisiert sind, können die Möglichkeiten der Umwandlung hingegen nicht nutzen. Das erschwert die Nachfolgeplanung. DStV-Präsident Lüth hat Nachbesserung gefordert.

Das Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (MoPeG) wird 2024 in Kraft treten. Auch für den Berufsstand der steuer- und wirtschaftsprüfenden Berufe ergeben sich Neuerungen. Jedoch führt die Reform zu einer massiven Ungleichbehandlung zwischen einer Sozietät aus mehreren Freiberuflern und solchen Berufsträgern, die in Einzelkanzleien organisiert sind. Der Deutscher Steuerberaterverband e.V. (DStV) hat daher in einem Schreiben an Dr. Marco Buschmann, Bundesminister der Justiz angeregt, diesen Missstand zu beheben.

Ungleiche Möglichkeiten der Unternehmensnachfolge durch das MoPeG

Das MoPeG eröffnet einer Sozietät aus zwei Freiberuflern den Weg in die Personenhandelsgesellschaft, z. B. in eine GmbH & Co. KG. Damit stehen ihr auch alle Optionen zur Umwandlung offen. Dies wirkt sich positiv auf die Unternehmensnachfolgeplanung aus.

Freiberufler, die in einer Einzelkanzlei organisiert sind, können die Möglichkeiten der Umwandlung hingegen nicht nutzen. Will ein Steuerberater, der in Einzelkanzlei tätig ist, etwa eine Berufskollegin aufnehmen, so kann er nur eine GbR, Partnergesellschaft, GmbH oder AG gründen und dann per Einzelübertragung alle Mandatsverhältnisse und alle Verträge (Miete, Leasing etc.) auf diese neu gegründete Gesellschaft übertragen. Das funktioniert aber nur – und das ist der entscheidende Nachteil – wenn alle Vertragspartner zustimmen! Das heißt, es entsteht enormer bürokratischer Zusatzaufwand.

Notwendige Anpassung des Umwandlungsgesetzes

Der DStV hat daher angeregt, § 152 UmwG anzupassen und ihn auch für natürliche Personen zu öffnen, deren Eintragung in das Handelsregister nicht in Betracht kommt. So könnte die drohende Ungleichbehandlung abgewendet werden.

Quelle: DStV, Mitteilung vom 08.12.2022

EU-Kommission präsentiert Vorschlag zu E-Invoicing

Die EU-Kommission trägt dem digitalen Wandel Rechnung und stellt ihren Vorschlag zur Modernisierung des Mehrwertsteuersystems vor. Insbesondere will sie einheitliche digitale Meldepflichten für grenzüberschreitende Rechnungen.

Digitale Meldepflichten

Mit dem Vorschlag für gemeinsame digitale Meldepflichten will die EU-Kommission digitale Meldungen in Realtime auf der Grundlage elektronischer Rechnungstellung herbeiführen. Dadurch sollen eine verstärkte Bekämpfung des Mehrwertsteuerbetrugs, insbesondere des sog. Karussellbetrugs, sowie Entlastungen für Unternehmen bei den Befolgungskosten sowie bei den Finanzbehörden sichergestellt werden.

Der Vorschlag soll einerseits gewährleisten, dass die bestehenden und geplanten E-Invoicing-Systeme in den Mitgliedstaaten weiter genutzt werden können. Zugleich sollen die nationalen E-Invoicing-Systeme, insbesondere bei Mitgliedstaaten wie Deutschland, die noch kein E-Invoicing-System in Betrieb haben, die europäischen Vorgaben bereits in der Planungsphase berücksichtigen. Da der Vorschlag keine Clearance-Funktionen umfasst, werden Mitgliedstaaten, die ein untrennbares E-Invoicing/E-Clearance-System nutzen, entsprechende Anpassungen vornehmen müssen.

Schließlich sollen die Mitgliedstaaten die Wahl haben, ob sie die Meldepflichten auf grenzüberschreitende Rechnungen beschränken oder auch die nationalen Rechnungen an die europäischen digitalen Meldepflichten anpassen.

Der Vorschlag der EU-Kommission gilt allgemeinhin als ein Anzeichen dafür, dass sich Deutschland bei der Wahl seines E-Invoicing-Systems, an dem sich in Planung befindlichen sog. Y-Modell Frankreichs orientieren könnte.

Einzelheiten zum E-Invoicing

  • Als Real-Time schlägt die EU-Kommission einen Zeitraum von maximal zwei Tagen zwischen Rechnungsausstellung und elektronischer Übermittlung an die Finanzbehörde vor.
  • Gleichzeitig werden mit Einführung des E-Invoicing keine Sammelrechnungen, etwa am Monatsende, mehr möglich sein.
  • Die meldepflichtigen Daten können entweder vom Steuerpflichtigen selbst oder von einem Dritten übermittelt werden.
  • Zusätzlich zu den bisher in Art. 226 der Mehrwertsteuersystemrichtlinie benötigten Rechnungsdaten werden künftig die Kennung der Bankverbindung auf der die Zahlungsgutschrift erfolgt, die vereinbarten Zahlungsziele und im Falle der Rechnungsänderung die Kennung der ursprünglichen Rechnung erforderlich.
  • Die zusammenfassenden Meldungen (ZM) werden mit Einführung des E-Invoicing nicht mehr verlangt.
  • Als Format der Datenübermittlung gilt die Europäische Norm EN 16931. Die Mitgliedstaaten können ein anderes Format vorsehen, solange sie auch die Verwendung der europäischen Norm zulassen und Interoperabilität mit der europäischen Norm gewährleistet ist.

Neue Mehrwertsteuervorschriften für Plattformen zur Personenbeförderung und Beherbergung

Plattformbetreiber der Branchen Beherbergung und Personentransport sollen künftig für die Erhebung und die Übermittlung von Mehrwertsteuer ihrer Anbieter an die Finanzbehörden verantwortlich sein (fiktiver Lieferer). Damit sollen insbesondere faire Wettbewerbsbedingungen der Markteilnehmer hergestellt werden.

Einmalige mehrwertsteuerliche Registrierung von Unternehmen

Im Wege der Weiterentwicklung des OSS (einzigen Anlaufstelle) sollen Unternehmen künftig über ein Online-Portal nur noch eine einzige Mehrwertsteuerregistrierung in der Europäischen Union für B2C-Verkäufe durchführen müssen.

Quelle: DStV, Mitteilung vom 08.12.2022

Erleichterte Kug-Abschlussprüfungen – Weniger ist nicht immer mehr

Der Deutsche Bundestag hat kurz vor Jahresende eine Erleichterung bei der Abschlussprüfung des Kurzarbeitergelds (Kug) beschlossen. Nach einem neuen § 421c SGB III sollen Prüfungen für pandemiebedingte Kug-Anträge entfallen, wenn die Gesamtauszahlung 10.000 Euro je Arbeitsausfall nicht überschreitet. Der DStV begrüßt dies als Schritt in die richtige Richtung. Er hatte sich gemeinsam mit der BStBK allerdings für deutlich weitergehende Verfahrenserleichterungen stark gemacht.

So hatten Verband und Kammer in einer gemeinsamen Eingabe an den Bundestagsausschuss für Arbeit und Soziales im Rahmen der Beratungen für ein 8. SGB IV-Änderungsgesetz nicht nur gefordert, vor allem kleine und Kleinstunternehmen angesichts der geringen Lohnsummen und der geringeren Beträge des gewährten Kurzarbeitergelds generell von den Prüfungen auszunehmen. Sie mahnten auch die Einführung einer konkreten Bagatellgrenze für geringe Nachforderungen an. Nur so werde ein unverhältnismäßiger Arbeitsaufwand vermieden, der in den Kanzleien vor allem aufgrund von einzelnen Korrekturarbeiten selbst bei nur geringen Eurobeträgen entsteht. Zusätzliche Erleichterung ließe sich bei Korrekturen bis zu einer Summe von 1.000 Euro auch über eine Öffnung des Instruments des Summenbescheids nach § 28f SGB IV erreichen. Auch müsse gelten, das Kurzarbeitergeldsystem mit Blick auf mögliche künftige krisenbedingte Massenverfahren zielgerichtet zu digitalisieren und zu modernisieren. Der DStV wird sich weiter für entsprechende Erleichterungen einsetzen.

Weiterhin im Raum steht auch die Forderung nach einer gesetzlich geregelten Vertretungsbefugnis durch Steuerberater, die sich an den berechtigten Bedürfnissen der Mandanten orientieren muss. Mit Blick auf die massenweisen Kug-Anträge während der Pandemie sei es ein Anachronismus, Steuerberatern ein Tätigwerden im Widerspruchsverfahren zu versagen, obwohl die für das Kug maßgeblichen Lohn- und Gehaltsdaten allesamt in den Steuerkanzleien und nicht anderswo vorliegen. Der Gesetzgeber wird sich nach Ansicht des DStV diesen Argumenten auf Dauer nicht verschließen können.

Quelle: DStV, Mitteilung vom 08.12.2022

Berücksichtigung der Rentennähe bei der sozialen Auswahl

Bei einer betriebsbedingten Kündigung hat die Auswahl des zu kündigenden Arbeitnehmers anhand der in § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG bzw. § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO genannten Kriterien zu erfolgen. Bei der Gewichtung des Lebensalters kann hierbei zu Lasten des Arbeitnehmers berücksichtigt werden, dass er bereits eine (vorgezogene) Rente wegen Alters abschlagsfrei bezieht. Das Gleiche gilt, wenn der Arbeitnehmer rentennah ist, weil er eine solche abschlagsfreie Rente oder die Regelaltersrente spätestens innerhalb von zwei Jahren nach dem in Aussicht genommenen Ende des Arbeitsverhältnisses beziehen kann. Lediglich eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen darf insoweit nicht berücksichtigt werden.

Die 1957 geborene Klägerin war seit 1972 bei der Insolvenzschuldnerin beschäftigt. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens schloss der zum Insolvenzverwalter bestellte Beklagte mit dem Betriebsrat einen ersten Interessenausgleich mit Namensliste, der die Kündigung von 61 der 396 beschäftigten Arbeitnehmer vorsah. Als zu kündigende Arbeitnehmerin war die Klägerin in der Namensliste genannt. Mit Schreiben vom 27. März 2020 kündigte der beklagte Insolvenzverwalter das Arbeitsverhältnis zum 30. Juni 2020. Die Klägerin hält die Kündigung für unwirksam. Der beklagte Insolvenzverwalter ist der gegenteiligen Ansicht. Die Klägerin sei in ihrer Vergleichsgruppe – auch in Bezug auf den von ihr benannten, 1986 geborenen und seit 2012 beschäftigten Kollegen – sozial am wenigsten schutzwürdig. Sie habe als einzige die Möglichkeit, ab 1. Dezember 2020 und damit zeitnah im Anschluss an das beendete Arbeitsverhältnis eine Altersrente für besonders langjährig Beschäftigte (§§ 38, 236b SGB VI) zu beziehen. Aus diesem Grund falle sie hinter alle anderen vergleichbaren Arbeitnehmer zurück.

Nach erneuten Verhandlungen mit dem Betriebsrat vereinbarte der beklagte Insolvenzverwalter mit diesem Ende Juni 2020 wegen der nunmehr beabsichtigten Betriebsstilllegung nach Ausproduktion zum 31. Mai 2021 einen zweiten Interessenausgleich mit Namensliste. Der beklagte Insolvenzverwalter kündigte der auf der Namensliste aufgeführten Klägerin vorsorglich erneut am 29. Juni 2020 zum 30. September 2020. Die Klägerin erhob auch gegen diese Kündigung Kündigungsschutzklage.

Das Arbeitsgericht hat beiden Kündigungsschutzanträgen stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die hiergegen gerichtete Berufung des beklagten Insolvenzverwalters zurückgewiesen.

Die Revision des beklagten Insolvenzverwalters hatte vor dem Sechsten Senat des Bundesarbeitsgerichts nur teilweise Erfolg. Der Senat befand die erste Kündigung vom 27. März 2020 wie die Vorinstanzen im Ergebnis für unwirksam. Allerdings durften die Betriebsparteien die Rentennähe der Klägerin bei der Sozialauswahl bezogen auf das Kriterium „Lebensalter“ berücksichtigen. Sinn und Zweck der sozialen Auswahl ist es, unter Berücksichtigung der im Gesetz genannten Auswahlkriterien gegenüber demjenigen Arbeitnehmer eine Kündigung zu erklären, der sozial am wenigsten schutzbedürftig ist. Das Auswahlkriterium „Lebensalter“ ist dabei ambivalent. Zwar nimmt die soziale Schutzbedürftigkeit zunächst mit steigendem Lebensalter zu, weil lebensältere Arbeitnehmer nach wie vor typischerweise schlechtere Vermittlungschancen auf dem Arbeitsmarkt haben. Sie fällt aber wieder ab, wenn der Arbeitnehmer entweder spätestens innerhalb von zwei Jahren nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses über ein Ersatzeinkommen in Form einer abschlags-freien Rente wegen Alters – mit Ausnahme der Altersrente für schwerbehinderte Menschen (§§ 37, 236a SGB VI) – verfügen kann oder über ein solches bereits verfügt, weil er eine abschlagsfreie Rente wegen Alters bezieht. Diese Umstände können der Arbeitgeber bzw. die Betriebsparteien bei dem Auswahlkriterium „Lebensalter“ zum Nachteil des Arbeitnehmers berücksichtigen. Insoweit billigen ihnen § 1 Abs. 3 KSchG, § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO einen Wertungsspielraum zu. Die streitbefangene Kündigung vom 27. März 2020 war im Ergebnis dennoch unwirksam, weil die Auswahl der Klägerin im vorliegenden Fall allein wegen ihrer Rentennähe unter Außerachtlassung der anderen Auswahlkriterien „Betriebszugehörigkeit“ und „Unterhaltspflichten“ erfolgte und deswegen grob fehlerhaft war. Im Hinblick auf die vorsorgliche Kündigung vom 29. Juni 2020 hatte die Revision des beklagten Insolvenzverwalters demgegenüber Erfolg. Diese Kündigung ist wirksam und hat das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Ablauf des 30. September 2020 aufgelöst.

Hinweis: Der Senat hat am heutigen Tag in einem teilweisen Parallelverfahren (Az. 6 AZR 32/22), das eine Kündigung aufgrund des zweiten Interessenausgleichs vom 29. Juni 2020 zum Gegenstand hatte, auf die Revision des beklagten Insolvenzverwalters die Urteile der Vorinstanzen in Bezug auf den Kündigungsschutzantrag ebenfalls aufgehoben bzw. abgeändert und diesen abgewiesen.

Quelle: BAG, Pressemitteilung vom 08.12.2022 zum Urteil 6 AZR 31/22 vom 08.12.2022

Ein modernes Mehrwertsteuersystem für die EU: Mehrwertsteuerbetrug durch Digitalisierung bekämpfen

Die Europäische Kommission hat eine Reihe von Maßnahmen vorgeschlagen, mit denen das Mehrwertsteuersystem der EU modernisiert werden soll. Das System soll für Unternehmen vereinfacht werden und widerstandsfähiger gegen Betrug sein. Das soll vor allem durch stärkere Digitalisierung, wie zum Beispiel durch elektronische Rechnungsstellung erreicht werden. Der EU sind im Jahr 2020 Mehrwertsteuereinnahmen in Höhe von 93 Milliarden Euro entgangen – ein Viertel davon sind konservativen Schätzungen zufolge auf Mehrwertsteuerbetrug innerhalb der EU zurückzuführen. Deutschland sind im Jahr 2020 Steuereinnahmen in Höhe von mehr als 11 Milliarden Euro entgangen. Es wurde zudem ein Vorschlag gemacht, um die Herausforderungen im Mehrwertsteuerbereich in der Plattformwirtschaft anzugehen.

Valdis Dombrovskis, Exekutiv-Vizepräsident für Wirtschaft, sagte: „Im Zuge der Anpassung an das digitale Zeitalter müssen wir auch unsere Mehrwertsteuervorschriften auf die neuen digitalen Gegebenheiten abstimmen, z. B. auf das rasche Wachstum des elektronischen Handels und der Plattformarbeit. Digitale Technologien wie die elektronische Rechnungsstellung sind ein wirksames Mittel, mit dem die Mehrwertsteuereinnahmen erhöht und gleichzeitig EU-Unternehmen – insbesondere kleine Unternehmen – beim Wachstum unterstützt werden können. Solche Technologien können zur Betrugsbekämpfung beitragen und so jedes Jahr den Verlust von vielen Milliarden Euro an Steuereinnahmen verhindern und den Druck auf die angespannten öffentlichen Finanzen verringern. Mit den heutigen Vorschlägen werden unsere Mehrwertsteuervorschriften vereinfacht und gestrafft sowie gerechtere Verhältnisse für Unternehmen geschaffen, und es wird der digitale Wandel in ganz Europa gefördert.“

Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni fügte hinzu: „Den EU-Mitgliedstaaten entgehen durch Mehrwertsteuerbetrug jedes Jahr Milliarden, während Unternehmen Schwierigkeiten haben, die veralteten Mehrwertsteuervorschriften einzuhalten. Mit den heutigen Vorschlägen wird eine neue Ära für das Mehrwertsteuersystem der EU eingeläutet. Dies kommt legal operierenden Unternehmen, insbesondere KMU, sowie den Mitgliedstaaten zu einem Zeitpunkt zugute, zu dem die öffentlichen Finanzen unter Druck stehen und der Finanzierungsbedarf für Investitionen und öffentliche Dienste immens ist. Dabei gleichen wir die Wettbewerbsbedingungen für herkömmliche Anbieter und digitale Plattformen in Bereichen, in denen sich die steuerliche Ungleichbehandlung am deutlichsten auswirkt, stärker an.“

Die Verluste aus der Mehrwertsteuerlücke wirken sich äußerst nachteilig auf die öffentlichen Finanzen insgesamt aus, und das zu einem Zeitpunkt, zu dem die Mitgliedstaaten ihre Haushalte anpassen, um die sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen der aktuellen Energiepreissteigerungen und des Angriffskriegs Russlands gegen die Ukraine zu bewältigen. Die Mehrwertsteuerregelungen in der EU können für Unternehmen außerdem noch immer mit einem großen Aufwand verbunden sein. Dies gilt insbesondere für KMU und andere Unternehmen, die grenzüberschreitend tätig sind oder in andere Länder expandieren wollen.

Mehrwertsteuerlücke in Deutschland

Die Mehrwertsteuerlücke in Deutschland lag 2020 bei über 11 Milliarden Euro, das ist ein Rückgang verglichen mit dem Vorjahr. Deutschland liegt damit unter dem EU-Meridian von 2020.

Die vorgeschlagenen zentralen Maßnahmen werden den Mitgliedstaaten dabei helfen, jährlich zusätzliche Mehrwertsteuereinnahmen in Höhe von bis zu 18 Milliarden Euro zu erzielen. Zudem werden sie Unternehmen helfen, zu wachsen.

Umstellung auf die digitale Meldung in Echtzeit

Mit dem neuen System wird die digitale Meldung in Echtzeit für Mehrwertsteuerzwecke auf der Grundlage der elektronischen Rechnungsstellung eingeführt. Dadurch erhalten die Mitgliedstaaten wertvolle Informationen, die für die bessere Bekämpfung von Mehrwertsteuerbetrug, insbesondere Karussellbetrug, notwendig sind. Die Umstellung auf die elektronische Rechnungsstellung wird zur Verringerung der jährlich durch Mehrwertsteuerbetrug bedingten Verluste um bis zu 11 Milliarden Euro beitragen und bewirken, dass die Verwaltungs- und Befolgungskosten für EU-Händler in den nächsten zehn Jahren um über 4,1 Milliarden Euro pro Jahr gesenkt werden. Durch die Umstellung wird auch für die Annäherung der bestehenden nationalen Systeme in der gesamten EU gesorgt. Zudem wird der Weg für die Mitgliedstaaten geebnet, die in den nächsten Jahren auf nationaler Ebene digitale Meldesysteme für den inländischen Handel einrichten möchten.

Mehrwertsteuervorschriften für Plattformen für Personenbeförderung und Kurzzeitvermietung von Unterkünften

Gemäß den neuen Vorschriften werden in diesen Bereichen tätige Plattformbetreiber künftig dafür zuständig sein, die Mehrwertsteuer zu erheben und an die Steuerbehörden abzuführen, wenn die Dienste-Anbieter dies nicht tun, beispielsweise, weil es sich bei ihnen um kleine Unternehmen oder einzelne Anbieter handelt. Dies wird zusammen mit weiteren Klarstellungen für einen in allen Mitgliedstaaten einheitlichen Ansatz sorgen und zur stärkeren Angleichung der Wettbewerbsbedingungen für Online-Dienste und herkömmliche Dienste in den Bereichen Kurzzeitvermietung von Unterkünften und Personenbeförderung beitragen. Damit einher gehen auch Erleichterungen für KMU. Diese müssten andernfalls die Mehrwertsteuervorschriften in allen Mitgliedstaaten, in denen sie tätig sind, kennen und einhalten.

Einführung einer einzigen EU-weiten Mehrwertsteuerregistrierung

Der Vorschlag vom 08.12.2022 stützt sich auf das bereits bestehende Modell der „einzigen Anlaufstelle für die Mehrwertsteuer“ für im Online-Verkauf tätige Unternehmen. Dank dem Vorschlag müssten sich Unternehmen mit Kundinnen und Kunden in anderen Mitgliedstaaten für die gesamte EU nur einmal für Mehrwertsteuerzwecke registrieren. Zudem könnten sie ihre Mehrwertsteuerpflichten über ein einziges Online-Portal in nur einer Sprache erfüllen. Schätzungen zufolge könnten Unternehmen, insbesondere KMU, dadurch in einem Zeitraum von zehn Jahren Registrierungs- und Verwaltungskosten in Höhe von etwa 8,7 Milliarden Euro einsparen. Zu den weiteren Maßnahmen zur Verbesserung der Mehrwertsteuererhebung gehört unter anderem die verpflichtende Nutzung der einzigen Anlaufstelle für die Einfuhr durch bestimmte Plattformen, die Verkäufe an Kundinnen und Kunden in der EU erleichtern.

Nächste Schritte

Bei dem Vorschlagspaket handelt es sich um Änderungen an den drei folgenden EU-Rechtsakten: Mehrwertsteuerrichtlinie (2006/112/EG, Durchführungsverordnung (EU) Nr. 282/2011 des Rates und Verordnung (EU) Nr. 904/2010 des Rates über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden.

Die Legislativvorschläge werden dem Rat zur Zustimmung und dem Europäischen Parlament und dem Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss zur Konsultation übermittelt.

Quelle: EU-Kommission, Pressemitteilung vom 08.12.2022

Steuern & Recht vom Steuerberater M. Schröder Berlin