FG Baden-Württemberg, Urteil 14 K 1423/21 vom 06.12.2023
(nicht rechtskräftig – BFH-Az.: V R 31/24)
Das FG Baden-Württemberg stärkt den sog. Reemtsma-Direktanspruch:
Ist der leistende Unternehmer insolvent, kann der Leistungsempfänger die zu Unrecht gezahlte Umsatzsteuer direkt vom Finanzamt erstattet bekommen – sofort und in voller Höhe, ohne zuvor den langwierigen Insolvenzweg abwarten zu müssen.
Worum ging es?
Eine Schweizer Kapitalgesellschaft:
- erhielt Dienstleistungen eines deutschen Unternehmens
- erteilte Gutschriften mit deutschem USt-Ausweis, obwohl der Leistungsort Schweiz war
- zahlte die Rechnungen inkl. USt → Leistungsempfängerin machte Vorsteuer geltend
- der Leistungserbringer führte diese USt ans Finanzamt ab
Problem:
Der USt-Ausweis war unrichtig, daher kein Vorsteuerabzug (§ 15 UStG).
Später Insolvenz des Leistenden → Rückforderung über Insolvenz aussichtslos.
Die Klägerin beantragte Billigkeitsmaßnahme nach § 163 AO – mit Erfolg!
Kernaussagen des Gerichts
✅ Neutralität der Mehrwertsteuer muss gewahrt bleiben
Unternehmer dürfen nicht endgültig mit nicht geschuldeter Umsatzsteuer belastet sein.
✅ Direktanspruch gegen das Finanzamt bei Insolvenz
→ ohne vorherige Anmeldung zur Insolvenztabelle
→ ohne langwieriges Zuwarten auf eine mögliche Massequote
✅ Effektivitätsgebot des EU-Rechts (EuGH „Reemtsma“, C-35/05) wird gewahrt
→ Staat darf keinen Liquiditätsvorteil aus Insolvenzen ziehen
✅ Keine Doppelerstattung
→ Anspruch des Leistenden gegen Finanzamt entsteht nur, wenn er zuvor an den Leistungsempfänger zurückzahlen kann – was in der Insolvenz gerade nicht möglich ist
Praxisrelevanz: Wann greift der Reemtsma-Direktanspruch?
| Voraussetzung | Erläuterung |
|---|---|
| Zu Unrecht ausgewiesene USt | § 14c UStG / falscher Leistungsort |
| Leistungsempfänger hat USt bezahlt | wirtschaftliche Belastung |
| Leistungserbringer insolvent oder zahlungsunfähig | Erstattung über Insolvenz unmöglich oder übermäßig erschwert |
| Finanzamt hat USt bereits vereinnahmt | Neutralitätsprinzip verletzt |
➡ Anspruch über Billigkeit (§ 163 AO) – Ermessensreduktion auf Null
Beispiele aus der Praxis
| Fall | Ergebnis |
|---|---|
| Reverse-Charge-Fall falsch abgerechnet → USt ausgewiesen → Leistender insolvent | Direktanspruch denkbar ✅ |
| Bauleistung im Inland falsch qualifiziert | je nach Belastungslage ✅ |
| Rechnung bereits berichtigungsfähig und Leistender noch zahlungsfähig | kein Direktanspruch ❌ |
Fazit
📌 Vorsteuer bleibt vorsteuerneutral – auch bei Fehlern
📌 Insolvenz des Leistenden darf nicht zu endgültiger Steuerbelastung führen
📌 Direktanspruch ist oft schneller und wirtschaftlich sinnvoller als der Insolvenzweg
Prüfempfehlung für Berater:
Bei jeder Rechnungsberichtigung in Insolvenzfällen → Sofort Reemtsma-Check!
Nicht rechtskräftig
Revision beim BFH anhängig: V R 31/24
Quelle
Finanzgericht Baden-Württemberg, Newsletter 1/2025