Rückforderung von an die Insolvenzmasse erstatteten Beträgen durch das Finanzamt

Im Streitfall hatte das Finanzamt Lohnsteuerbeträge im Wege der Lastschrift eingezogen. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens hatte der Insolvenzverwalter die Zahlungen jedoch angefochten, so dass das Finanzamt sie an die Insolvenzmasse erstattete. Nach erneuter Prüfung forderte das Finanzamt die Beträge nach den Vorschriften der Abgabenordnung mittels Rückforderungsbescheid vom Insolvenzverwalter zurück.

Das Finanzgericht Düsseldorf hat der dagegen gerichteten Klage stattgegeben und das Finanzamt auf den Zivilrechtsweg verwiesen. Da die Erstattung aufgrund einer (vermeintlichen) bürgerlich-rechtlichen Verpflichtung erfolgt sei, müsse auch die Rückforderung vor den Zivilgerichten verfolgt werden.

Das Finanzgericht Düsseldorf hat die Revision zum Bundesfinanzhof zugelassen.

 

Finanzgericht Düsseldorf, 12 K 3560/12 AO

Datum: 22.01.2013
Gericht: Finanzgericht Düsseldorf
Spruchkörper: 12. Senat
Entscheidungsart: Gerichtsbescheid
Aktenzeichen: 12 K 3560/12 AO
Tenor:

Der Rückforderungsbescheid vom 15.4.2011 wird aufgehoben.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Revision wird zugelassen

1Gründe :2I.

3Kläger ist der Insolvenzverwalter in dem Insolvenzverfahren der B GmbH (GmbH). Die von der GmbH für März 2009 und April 2009 angemeldeten Lohnsteuerbeträge hatte der Beklagte aufgrund einer erteilten Lastschrift zu den Fälligkeitsterminen eingezogen. Auf Antrag der GmbH vom 9.6.2009 wurde am 1.9.2009 das Insolvenzverfahren eröffnet. Der Kläger focht als Insolvenzverwalter die Lohnsteuerzahlungen an. Der Beklagte erstattete deswegen die vereinnahmten Beträge zur Insolvenzmasse. Nach erneuter Überprüfung des Sachverhaltes gelangte der Beklagte zu der Erkenntnis, dass die Voraussetzungen einer Insolvenzanfechtung nicht vorgelegen hätten und deswegen die Insolvenzmasse keinen Erstattungsanspruch gem. § 143 Abs. 1 Insolvenzordnung (InsO) gehabt habe. Mit auf § 37 Abs. 2 Abgabenordnung (AO) gestütztem Rückforderungsbescheid vom 15.4.2011 forderte er den Kläger zur Rückzahlung der an die Insolvenzmasse erstatteten Beträge auf. Nach erfolglosem Einspruchsverfahren (Einspruchsentscheidung vom 23.8.2012) trägt der Kläger zur Begründung seiner Klage unter anderem vor:

4Der Beklagte habe den Rückforderungsanspruch nicht durch Verwaltungsakt festsetzen dürfen, weil es sich nicht um einen öffentlich rechtlichen Anspruch handele. So wie der Insolvenzverwalter seinen Anspruch aus § 143 InsO auf Erstattung anfechtbarer Zahlungen vor den ordentlichen Gerichten verfolgen müsse, müsse der Beklagte die Rückgewähr des zur Erfüllung eines solchen Anspruches Geleisteten im Wege des Zivilrechts geltend machen. Für den Rechtsweg könne es keinen Unterschied machen, ob der Insolvenzverwalter seinen Anspruch aktiv verfolge oder ob er sich gegen die (unberechtigte) Rückforderung des Finanzamtes wehre.

5Der Kläger beantragt,

6den Rückforderungsbescheid vom 15. 4 2011 aufzuheben.

7Der Beklagte beantragt,

8die Klage abzuweisen.

9Zur Begründung trägt er unter anderem vor:

10Die Rückforderung sei zu Recht auf § 37 Abs. 2 AO gestützt worden. Es seien (Lohn-) Steuern ohne rechtlichen Grund zurück gezahlt worden, denn eine Verpflichtung aus § 143 Abs. 1 InsO habe nie bestanden.

11II.

12Die Klage ist begründet. Der angefochtene Rückforderungsbescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (vgl. § 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung -FGO- ).

13Die Voraussetzungen für einen Erstattungsanspruch von § 37 Abs. 2 AO sind nicht erfüllt.

14Ist eine Steuer, eine Steuervergütung, ein Haftungsbetrag oder eine steuerliche Nebenleistung ohne rechtlichen Grund gezahlt oder zurückgezahlt worden, besteht gegenüber dem Leistungsempfänger gem. § 37 Abs. 2 AO ein Erstattungsanspruch. Gleiches gilt, wenn der rechtliche Grund für die Zahlung oder Rückzahlung später wegfällt, § 37 Abs. 2 Satz 2 AO.

15Erstattung im Sinne von § 37 AO bedeutet die Rückzahlung von ohne rechtlichen Grund zur Erfüllung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis gezahlter/zurückgezahlter Geldbeträge durch den Leistungsempfänger an denjenigen, auf dessen Rechnung die Leistung bewirkt worden war (Drüen in Tipke/Kruse, Abgabenordnung Finanzgerichtsordnung Kommentar, § 37 AO Rz. 15; Boeker in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung Finanzgerichtsordnung § 37 AO, Rz. 22). Der Erstattungsanspruch bezweckt den Ausgleich ungerechtfertigter Vermögensverschiebungen, die mit dem materiellen Steuerrecht nicht übereinstimmen (Drüen in Tipke/Kruse, § 37 AO Rz. 16). Voraussetzung für das Entstehen eines Erstattungsanspruches ist die vorherige Erfüllung eines Zahlungs – oder Rückzahlungsanspruches aus dem Steuerschuldverhältnis ohne rechtlichen Grund oder nach späterem Wegfall des rechtlichen Grunds. (Drüen in Tipke/Kruse, § 37 AO Rz. 16).

16Ein Erstattungsanspruch nach § 37 Abs. 2 AO entsteht nicht schon allein deshalb, weil eine Vermögensverschiebung zwischen einem Finanzamt und einer Privatperson erfolgt ist und dafür ein rechtlicher Grund nicht bestanden hat oder später fortgefallen ist. Die Vorschrift dient nicht dazu, Erstattungsansprüche ungeachtet des konkreten Lebenssachverhaltes in das öffentliche Recht zu transformieren (Krumm, Zeitschrift für Wirtschaftsrecht – ZIP – 2012, 959). § 37 Abs. 2 AO ist vielmehr eine für das Steuerrecht spezialgesetzliche Konkretisierung des allgemeinen öffentlich rechtlichen Erstattungsanspruches und setzt demgemäß voraus, dass es sich um die Korrektur einer Vermögensverschiebung handelt, die gerade aufgrund der öffentlich rechtlichen Beziehung zwischen Steuerpflichtigem und Finanzbehörde erfolgt ist (Krumm, ZIP 2012, 959). Dementsprechend ist die Behörde berechtigt, die Zahlung an einen nicht Empfangsberechtigten, die zur Begleichung einer steuerlichen Verbindlichkeit geleistet wurde, nach § 37 Abs. 2 AO zurückzufordern, weil sie zur Erfüllung eines vermeintlichen Anspruches aus dem Steuerschuldverhältnisses geleistet wurde (Boeker in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung Finanzgerichtsordnung Kommentar § 37 AO, Rz. 20 und 24). Der Erstattungsanspruch ist deswegen dem öffentlichen Recht zuzuordnen Boeker in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung Finanzgerichtsordnung Kommentar § 37 AO, Rz. 20 und 24). Die Erstattung von Vermögensverschiebungen außerhalb des Steuerrechtsverhältnisses kann hingegen nicht unter Hinweis auf § 37 Abs. 2 AO verlangt werden, sondern ist im ordentlichen Rechtsweg zu verfolgen und nach § 812 BGB zu korrigieren (Schmieszek in Beermann Gosch, Steuerliches Verfahrensrecht, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, Nebengesetze § 37 AO, Rz. 41.1 und 62; Boeker in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung Finanzgerichtsordnung Kommentar § 37 AO, Rz. 20 und 24).

17Der Beklagte hat den mit dem angefochtenen Bescheid geforderten Betrag nicht zuvor an den Kläger zur Erfüllung eines Anspruches aus dem Steuerschuldverhältnis zurückgezahlt. Die Erstattung erfolgte in Befolgung einer – vermeintlich oder tatsächlich – sich aus § 143 Abs. 1 InsO ergebenden, bürgerlich – rechtlichen Verpflichtung. Dies schließt die Rückforderung der solchermaßen erstatteten Beträge durch Verwaltungsakt aus (s.o). Der Beklagte ist verpflichtet, etwaige Ansprüche vor den Zivilgerichten durchzusetzen (s.o).

18Der Beklagte hat dem Kläger das Geld nicht zur Korrektur ungerechtfertigter Vermögensverschiebungen, die mit dem materiellen Steuerrecht nicht übereinstimmen, zurück gezahlt. Nach materiellem Steuerrecht war er nämlich berechtigt, das von C gezahlte Geld zu behalten. C hatte die vom Beklagten erstatteten Beträge aufgrund von Steuerfestsetzungen bezahlt. Der steuerrechtliche Grund für das Behaltendürfen dieser Zahlungen war weder im Zeitpunkt der Erstattung seitens des Beklagten noch ist er später entfallen, denn die diesen Zahlungen zugrunde liegenden Steuerbescheide sind nicht aufgehoben oder geändert worden (vgl. § 124 AO). Die Steuerbescheide sind insbesondere nicht wegen der seitens des Klägers erklärten Insolvenzanfechtung unwirksam, weil lediglich die gläubigerbenachteiligende Zahlung angefochten wird, wodurch die Bestandskraft der der Leistung zugrunde liegenden Verwaltungsakte nicht berührt wird (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofes – BFH- vom 5. September 2012, VII B 95/12, Bundessteuerblatt – BStBl – II 2012, 854; Krumm ZIP 2012, 959). Rechtsgrund der Zahlung war allein die Befolgung der sich aus § 143 Abs. 1 InsO ergebenden Verpflichtung. Hierbei handelt es sich nach der Rechtsprechung des VII. Senates des BFH, der der Senat folgt, um einen originär gesetzlichen, zivilrechtlichen Anspruch und nicht um einen Erstattungsanspruch aus dem Steuerschuldverhältnis im Sinne von § 37 Abs. 2 AO. Wegen der Begründung im Einzelnen wird auf die Ausführungen im BFH- Beschluss vom 5. September 2012 (VII B 95/12, BStBl II 2012, 854) Bezug genommen. Da mit der Zahlung an den Insolvenzverwalters kein Anspruch auf eine Steuererstattung, sondern eine zivilrechtliche Forderung beglichen wurde, kann das zum Ausgleich Geleistete vom Beklagten später nicht nach § 37 Abs. 2 AO zurückgefordert werden, weil es am Tatbestand einer vorhergehenden, durch § 37 Abs. 2 AO zu korrigierenden Vermögensverschiebung im Rahmen des Steuerschuldverhältnisses fehlt (Krumm, ZIP 2012, 959; ernstlich zweifelhaft, ob eine Rückforderung des Finanzamtes auf § 37 Abs. 2 AO gestützt werden kann: BFH- Beschluss vom 27. September 2012, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des BFH – BFH/NV 2012, 106).

19Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

20Die Revision war gem. § 115 Abs. 2 Nr. 1 zuzulassen.