Steuervergünstigungen nach § 35a des Einkommensteuergesetzes

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Steuervergünstigungen nach § 35a des Einkommensteuergesetzes

Es besteht kein Anspruch auf Auszahlung der Steuervergünstigungen für Handwerkerleistungen oder haushaltsnahe Dienstleistungen, wenn bereits ohne solche Aufwendungen keine Einkommensteuer festzusetzen ist.

Niedersächsisches Finanzgericht 3. Senat, Urteil vom 24.01.2012, 3 K 267/11

§ 35a Abs 1 EStG, § 35a Abs 2 EStG

Tatbestand

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Streitig ist, ob für Handwerkerleistungen im Sinne des § 35a des Einkommensteuergesetzes (EStG), bei denen sich eine steuerliche Auswirkung nicht ergibt, eine negative Einkommensteuer festzusetzen und an die Kläger auszuzahlen ist.

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Der Kläger ist Rentner und bezieht eine Altersrente. Die Klägerin ist Hausfrau und erzielte im Streitjahr keine eigenen Einkünfte. Die Einkünfte der Kläger führten nach Abzug der Sonderausgaben und der Anwendung des Splittingtarifs zu keiner festzusetzenden Einkommensteuer (Bescheid vom 20. August 2009).

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Die Kläger hatten zusammen mit ihrer Einkommensteuererklärungen 2007 und 2008 auch die Berücksichtigung von Handwerkerleistungen gemäß § 35a EStG in Höhe von 3.017 € (2007) und von 2.341 € (2008) beantragt. Das FA hat in den Einkommensteuerbescheiden 2007 und 2008 darauf hingewiesen, dass die Handwerkerleistungen nicht berücksichtigt worden seien, weil sie sich steuerlich nicht ausgewirkt hätten (vgl. Erläuterungen zum Bescheid). Mit zwei gesonderten Einspruchsentscheidungen vom 29. Juni 2011, die den Klägern in einem Briefumschlag übersandt worden sind, verwarf das FA die Einsprüche als unbegründet.

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Die Kläger betrachteten – nach eigenen Angaben – die zugegangenen Einspruchsbescheide als nur einen Einspruchsbescheid und ein Doppel des gleichen Einspruchsbescheides. Ein Exemplar dieser Einspruchsbescheide – nämlich für das Streitjahr 2008 – gaben Sie an ihre früheren Prozessbevollmächtigten weiter und beauftragten diesen mit der Klageerhebung.

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Der frühere Prozessbevollmächtigte der Kläger erhob am 28. Juli 2011 per Telefax Klage gegen den Einkommensteuerbescheid 2008 in Gestalt des Einspruchsbescheides für 2008.

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Zugleich übersandte der frühere Prozessbevollmächtigte der Kläger eine Durchschrift seiner Klageschrift an die Kläger. Diese schrieben ihrem Prozessbevollmächtigten unter dem 29. Juli 2011, dass offenbar ein Irrtum vorliegen müsse, da nach ihren Unterlagen sich der Einspruchsbescheid – nämlich das bei ihnen verbliebene vermeintliche Doppel der Einspruchsentscheidung – auf das Streitjahr 2007 und nicht auf das Jahr 2008 beziehe. Man stehe deshalb nach Urlaubsrückkehr ab dem 9. August 2011 wieder für Rückfragen zu Verfügung.

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Die Kläger beantragen, die Klageverfahren auf das Streitjahr 2007 zu erstrecken und ihnen insoweit Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

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Die Kläger sind der Ansicht, die Verweigerung eines entsprechenden Steuerguthabens verstoße gegen Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG), da ihnen verglichen mit einer „Familie Mustermann“ mit höheren Einkünften im Ergebnis der steuerliche Vorteil verwehrt werde. Die vom Gesetzgeber beabsichtigte Verhinderung der Schwarzarbeit, die Konjunkturbelebung und der Nutzen von Energiesparmaßnahmen werde auch durch die von ihnen beauftragten Handwerkerleistungen bewirkt. Dann dürfe man sie von den steuerlichen Vorteilen nicht ausschließen. Die Regelung des § 35a EStG benachteilige viele Millionen Steuerpflichtige – möglicherweise bis zu 30 Millionen – mit geringem Einkommen. Diese Benachteiligung wiederhole sich jährlich. Der Bundesfinanzhof habe selbst angedeutet, dass höchstens in einem Veranlagungszeitraum eine ausnahmsweise gerechtfertigte gleichheitswidrige Wirkung entstehen dürfe (Rn. 24 (2. b aa) der Gründe a.E.) des BFH-Urteils vom 29. Januar 2009 VI R 44/08, BStBl II 2009, 411). Bei Geringverdienerhaushalten könnten ebenfalls jährlich wiederkehrend solche Aufwendungen entstehen und damit fortgesetzt gleichheitswidrige Wirkungen erzeugt werden.

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Überdies seien Art. 6 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG betroffen, weil die Familie des Klägers insoweit von staatlicher Förderung ausgeschlossen werde und sie ihr Eigentum nicht in gleicher Weise mit finanzieller Unterstützung des Staates erhalten und sanieren könnten.

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Die Kläger beantragen sinngemäß,

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den Einkommensteuerbescheid 2007 vom 25. September 2008 in Gestalt des Einspruchsbescheides vom 29. Juni 2011 dahingehend zu ändern, dass eine an die Kläger auszuzahlende negative Einkommensteuer in Höhe von 600 € (20% von 3.017 € max. aber 600 €) festgesetzt wird und

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den Einkommensteuerbescheid 2008 vom 20. August 2009 in Gestalt des Einspruchsbescheides vom 29. Juni 2011 dahingehend zu ändern, dass eine an die Kläger auszuzahlende negative Einkommensteuer in Höhe von 469 € (20% von 2.341 €) festgesetzt wird.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Das FA hält daran fest, dass weder nach der Gesetzeslage noch nach der Rechtsprechung des BFH die Festsetzung einer solchen negativen Einkommensteuer in Betracht komme.

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Die Kläger machten erstmals mit Schreiben vom 12. Januar 2012 geltend, dass sich die Klage auch auf das Streitjahr 2007 beziehen solle und beantragten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Klagefrist.

 

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist hinsichtlich des Streitjahres 2007 unzulässig und im Übrigen unbegründet.

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1. Die Klage zur Einkommensteuer 2007 ist unzulässig, da weder ihr früherer Prozessbevollmächtigter noch die Kläger selbst fristgerecht gemäß § 47 der Finanzgerichtsordnung (FGO) innerhalb eines Monats nach der Bekanntgabe des Einspruchsbescheides zur Einkommensteuer 2007 Klage erhoben haben. Der Einspruchsbescheid 2007 datiert vom 29. Juni 2011 und gilt nach § 122 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) am dritten Tage nach der Aufgabe zu Post als bekannt gegeben. Der Einspruchsbescheid zur Einkommensteuer gilt danach zunächst am 2. Juli 2011 als bekanntgegeben. Da es sich bei diesem Datum um einen Samstag handelte, erfolgte die Bekanntgabe am nächsten Werktag (4. Juli 2011). Die Klagefrist begann am 5. Juli 2011 und endete am 4. August 2011. Bis zum Ablauf dieser Klagefrist ist für das Streitjahr 2007 keine Klage erhoben worden.

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Den Klägern ist auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 56 FGO zu gewähren, da sie jedenfalls nicht innerhalb von zwei Wochen nach dem Wegfall des Hindernisses einen Wiedereinsetzungsantrag gestellt und die versäumte Rechtshandlung (Klageerhebung) nachgeholt haben. Ihnen ist nach eigenen Angaben bereits am 29. Juli 2011 und damit noch innerhalb der laufenden Klagefrist (s.o.) aufgefallen, dass nach ihren Unterlagen (auch) Klage wegen der Einkommensteuer 2007 zu erheben sein würde, da ihnen bei ihren Unterlagen der Einspruchsbescheid für das Streitjahr 2007 vorlag. Sie haben dies sogar ihrem damaligen Prozessbevollmächtigten schriftlich mitgeteilt. Bis zum Eingang ihres Wiedereinsetzungsantrages vom 12. Januar 2012, der am 16. Januar 2012 bei Gericht einging, sind jedenfalls mehr als die gesetzlich zulässigen zwei Wochen (§ 56 Abs. 2 Satz 1 FGO) seit Wegfall des Hindernisses vergangen. Unter diesen Umständen kann es dahinstehen, ob die Kläger im Übrigen ohne Verschulden gehindert waren, fristgerecht Klage zu erheben.

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2. Der Einkommensteuerbescheid 2008 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO)), da die Festsetzung einer negativen Einkommensteuer gesetzlich nicht vorgesehen ist und insoweit auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen.

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Nach § 35a Abs. 2 Satz 2 EStG im Veranlagungszeitraum 2008 geltenden Fassung ermäßigt sich die tarifliche Einkommensteuer, vermindert um die sonstigen Steuerermäßigungen, für die Inanspruchnahme von Handwerkerleistungen für Renovierungs-, Erhaltungs- und Modernisierungsmaßnahmen – unter weiteren Voraussetzungen – auf Antrag um 20 %, höchstens 600 €, der Aufwendungen des Steuerpflichtigen. Kommt keine oder nur eine teilweise Steuerermäßigung in Betracht, weil die tarifliche Einkommensteuer, vermindert um die sonstigen Steuerermäßigungen, bereits Null beträgt oder unter dem nach Maßgabe des § 35a EStG im Einzelfall berechneten Steuerermäßigungsbetrag liegt, so sieht die Vorschrift keine Leistung in Höhe der „verlorenen“ Steuerermäßigung vor (BFH-Urteil vom 29. Januar 2009, aaO; ebenso vorgehend FG Köln, Urteil vom 14. August 2008 10 K 4217/07, EFG 2009, 36; zustimmend Schneider, BFH/PR 2009, 211, Bergkemper, FR 2009, 825).

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Der Ausschluss solcher Rechtsfolgen entspricht gefestigten Grundsätzen des Einkommensteuerrechts. Denn sowohl die Festsetzung einer negativen Einkommensteuer als auch die hierdurch im wirtschaftlichen Ergebnis bewirkte unmittelbare Gewährung von (Sozial-) Leistungen sind dem Einkommensteuergesetz fremd. Solche Leistungen wollte der Gesetzgeber auch nicht durch die Einführung des § 35a EStG durch das „Zweite Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“, das auf den Beschlussempfehlungen des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit (9. Ausschuss) des Bundestages vom 13. November 2002 in der Bundestags-Drucksache 15/77 beruhte, schaffen. Vielmehr sollte die Förderung ausschließlich durch einen Abzug von der bestehenden Steuerschuld erfolgen. Dies ergibt sich aus der Begründung des Ausschusses für seine Beschlussempfehlung (BT-Drs. aaO., S. 5):

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„Der private Haushalt erhält bei Aufwendungen für hauswirtschaftliche Beschäftigungsverhältnisse und für die Inanspruchnahme hauswirtschaftlicher Dienstleistungen einen Abzug von der Steuerschuld. Diese Steuerermäßigung wirkt sich regelmäßig erst im Rahmen der Veranlagung zur Einkommensteuer aus, jedoch auch bereits bei der Festsetzung von Einkommensteuer-Vorauszahlungen. Damit sich die Steuerermäßigung bei Arbeitnehmern nicht erst im Rahmen der Veranlagung zur Einkommensteuer auswirkt, sondern bereits im Lohnsteuerabzugsverfahren, wird § 39a Abs. 1 Nr. 5 Buchstabe c entsprechend ergänzt, so dass die Steuerermäßigung dabei in einen Freibetrag umgerechnet und vom Finanzamt auf der Lohnsteuerkarte als vom Arbeitslohn abzuziehender Freibetrag eingetragen werden kann.“

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Diese Intention des Gesetzgebers hat entsprechend Niederschlag im Wortlaut des Gesetzes gefunden, da nach § 35a Abs. 1 Satz 1 EStG sich beim Vorliegen der tatbestandsmäßigen Voraussetzungen lediglich die tarifliche Einkommensteuer entsprechend ermäßigt. Der Gesetzgeber wollte im Rahmen seiner Gestaltungsfreiheit insoweit – anders als bei einer auszuzahlenden Sozialleistung – auch nur eine allenfalls geringfügige steuerliche Auswirkung zulassen (BT-Drs. aaO., S. 9 unter h):

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„Pro 100 000 Erwerbstätige, die Mini-Jobs mit einem durchschnittlichen Entgelt von 400 Euro monatlich anmelden, entstehen der Sozialversicherung Beitragsmehreinnahmen von rund 50 Mio. Euro jährlich. Diesen Mehreinnahmen stehen allenfalls geringfügige Mindereinnahmen bei der Lohn- und Einkommensteuer gegenüber. Dabei ist zu berücksichtigen, dass in der Vergangenheit für viele derartiger Beschäftigungen keine Steuern entrichtet wurden, da die Tätigkeiten in der Illegalität ausgeübt wurden.“

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Diese Begründung lässt sich entsprechend auf die haushaltsnahen Dienstleistungen übertragen. Gerade wenn, wie die Kläger geltend machen, insgesamt 30 Millionen Steuerpflichtige betroffen sein würden, besteht jedenfalls kein verfassungsrechtlicher Anspruch auf Auszahlung einer entsprechenden Subvention, weil hier die von den Klägern angesprochenen Steuerpflichtigen durch die bereits mit Null festgesetzte Einkommensteuer gar keine steuerlichen Lasten zu tragen haben und damit im Einkommensteuerrecht gar nicht weiter entlastet werden können. Steuerliche Nachteile entstehen diesem Personenkreis gerade nicht, so dass aus verfassungsrechtlicher Sicht keine Ansprüche entstehen (können).

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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.