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Besteuerung der Abfindung für den Verzicht auf einen künftigen Pflichtteilsanspruch

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 16.5.2013, II R 21/11

Besteuerung der Abfindung für den Verzicht auf einen künftigen Pflichtteilsanspruch

Leitsätze

Die Abfindung, die ein künftiger gesetzlicher Erbe an einen anderen Erben für den Verzicht auf einen künftigen Pflichtteilsanspruch zahlt, ist eine freigebige Zuwendung des künftigen gesetzlichen Erben an den anderen und kann nicht als fiktive freigebige Zuwendung des künftigen Erblassers an diesen besteuert werden.

Tatbestand

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I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) verzichtete durch den notariell beurkundeten Erbschaftsvertrag vom 14. Februar 2006 gegenüber seinen drei Brüdern für den Fall, dass er durch letztwillige Verfügung von der Erbfolge seiner Mutter (M) ausgeschlossen sein sollte, auf die Geltendmachung seines Pflichtteilsanspruchs einschließlich etwaiger Pflichtteilsergänzungsansprüche gegen eine von den Brüdern zu zahlende Abfindung von je 150.000 EUR. Die Vertragsparteien waren sich darüber einig, dass der Vertrag auch dann Bestand haben soll und die gezahlten Abfindungen nicht zurückzugewähren sind, wenn der Kläger nach dem Tod der M nicht Erbe wird und keinen Pflichtteilsanspruch erwirbt.
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Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt –FA–) war im Hinblick auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 25. Januar 2001 II R 22/98 (BFHE 194, 440, BStBl II 2001, 456) der Ansicht, die Zahlung der Abfindungen an den Kläger sei als Schenkung der M an diesen zu besteuern, und setzte dementsprechend gegen den Kläger Schenkungsteuer fest. Der Einspruch blieb erfolglos.
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Das Finanzgericht (FG) hob durch das in Entscheidungen der Finanzgerichte 2011, 1267 veröffentlichte Urteil den Schenkungsteuerbescheid und die Einspruchsentscheidung mit der Begründung auf, die von den Brüdern an den Kläger gezahlten Abfindungen könnten nicht als Schenkung der M an den Kläger besteuert werden.
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Mit der Revision vertritt das FA die Auffassung, es habe die Abfindungszahlungen zu Recht als Schenkung der M an den Kläger besteuert. Der Kläger sei zwar nicht aus dem Vermögen der M bereichert worden, es liege aber ein fiktiver Erwerb des Klägers von M vor. Es gehe nämlich um eine wertmäßige Teilhabe des Klägers am Vermögen der M. Beim Eintritt des Erbfalls seien demgemäß die Abfindungszahlungen gemäß § 10 Abs. 5 Nr. 3 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) als Kosten zur Erlangung des Erwerbs der Brüder des Klägers als Erben abzuziehen.
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Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Der Kläger beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

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II. Die Revision ist unbegründet und war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung –FGO–). Das FG hat zu Recht angenommen, dass die Abfindungszahlungen der Brüder an den Kläger nicht als Schenkung der M an diesen besteuert werden können.
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1. Gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG gilt als Schenkung unter Lebenden jede freigebige Zuwendung unter Lebenden, soweit der Bedachte durch sie auf Kosten des Zuwendenden bereichert wird.
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a) Eine freigebige Zuwendung setzt in objektiver Hinsicht voraus, dass die Leistung zu einer Bereicherung des Bedachten auf Kosten des Zuwendenden führt und die Zuwendung (objektiv) unentgeltlich ist (BFH-Urteile vom 23. November 2011 II R 33/10, BFHE 237, 179, BStBl II 2012, 473, Rz 20, und vom 30. Januar 2013 II R 6/12, BFH/NV 2013, 846, Rz 11), und in subjektiver Hinsicht den Willen des Zuwendenden zur Freigebigkeit (BFH-Urteile vom 15. Dezember 2010 II R 41/08, BFHE 232, 210, BStBl II 2011, 363, Rz 9, und in BFH/NV 2013, 846, Rz 11).
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b) Schließen künftige gesetzliche Erben einen Vertrag gemäß § 311b Abs. 5 des Bürgerlichen Gesetzbuchs –BGB– (früher § 312 Abs. 2 BGB), wonach der eine auf seine künftigen Pflichtteils(ergänzungs)ansprüche gegen Zahlung eines Geldbetrages verzichtet, stellt die Zahlung eine freigebige Zuwendung des Zahlenden i.S. des § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG dar. Die Steuerklasse richtet sich indes nicht nach dem Verhältnis des Zuwendungsempfängers (Verzichtenden) zum Zahlenden, sondern zum künftigen Erblasser (BFH-Urteil in BFHE 194, 440, BStBl II 2001, 456; insoweit a.A. Hartmann, Umsatzsteuer- und Verkehr-steuer-Recht 2001, 255, 258 f.).
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Da die Abfindung in einem solchen Fall aus dem Vermögen des künftigen gesetzlichen Erben geleistet wird, liegt eine freigebige Zuwendung von diesem an den Empfänger der Abfindung vor. Es ist nicht möglich, stattdessen eine fiktive freigebige Zuwendung des künftigen Erblassers an den Empfänger der Abfindungszahlung zu besteuern. Für die Beurteilung dieser Abfindungsleistung als freigebige Zuwendung des künftigen Erblassers, die auch dazu führen würde, dass dieser gemäß § 20 Abs. 1 Satz 1 ErbStG neben dem Zuwendungsempfänger Schuldner der Schenkungsteuer ist, gibt es keine gesetzliche Grundlage. Wie der BFH bereits im Urteil in BFHE 194, 440, BStBl II 2001, 456 ausgeführt hat, ist der Sondertatbestand des § 7 Abs. 1 Nr. 5 ErbStG nicht anwendbar, wenn ein künftiger gesetzlicher Erbe gegenüber einem anderen gegen Zahlung eines Geldbetrages auf seine künftigen Pflichtteils(ergänzungs)ansprüche verzichtet. § 3 Abs. 2 Nr. 4 ErbStG ist ebenfalls nicht einschlägig. Die Vorschrift betrifft lediglich bestimmte Abfindungen nach Eintritt des Erbfalls.
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Dass ein künftiger gesetzlicher Erbe die Abfindung, die er an einen anderen für den Verzicht auf einen künftigen Pflichtteils(ergänzungs)anpruch zahlt, beim Eintritt des Erbfalls gemäß § 10 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Abs. 5 Nr. 3 Satz 1 ErbStG als Nachlassverbindlichkeit vom Erwerb abziehen kann (BFH-Urteil in BFHE 194, 440, BStBl II 2001, 456, unter II.2.d), beruht darauf, dass die Abfindung aus seinem Vermögen geleistet wur-de, und lässt nicht den Schluss zu, dass sie als fiktive freigebige Zuwendung des Erblassers an deren Empfänger zu besteuern ist.
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2. Das FA hat demnach zu Unrecht die Abfindungszahlungen der Brüder als Schenkung der M an den Kläger besteuert. Die von den Brüdern gezahlten Abfindungen stellen vielmehr drei getrennt zu besteuernde freigebige Zuwendungen der Brüder an den Kläger dar. Wie diese Besteuerung im Einzelnen zu erfolgen hat, kann im Streitfall auf sich beruhen.

Pflichtteilsanspruch als Nachlassverbindlichkeit abziehbar?

Pflichtteilsanspruch als Nachlassverbindlichkeit abziehbar?

Kernaussage
Nach dem Gesetz bekommt den Pflichtteil ein Abkömmling des Erblassers, der durch Verfügung von Todes wegen von der Erbfolge ausgeschlossen ist. Das gleiche Recht steht auch den Eltern und dem Ehegatten des Erblassers zu. Ist der Pflichtteilsberechtigte der Alleinerbe des Verpflichteten, erlischt der Pflichtteilsanspruch zivilrechtlich. Erbschaftsteuerlich behält er hingegen sein Recht zur Geltendmachung des Pflichtteils.

Sachverhalt
Der im Jahre 2003 verstorbene Vater der Klägerin wurde von ihrer Mutter aufgrund eines so genannten Berliner Testaments allein beerbt. Erbschaftssteuer war für diesen Erwerb von Todes wegen nicht festzusetzen, weil die der Mutter zustehenden Freibeträge nicht überschritten waren. Die Klägerin ist Alleinerbin der später verstorbenen Mutter. Das Finanzamt setzte die Erbschaftsteuer gegen sie fest, ohne dabei den der Klägerin aufgrund der Enterbung durch den Vater zustehenden Pflichtteilsanspruch als Nachlassverbindlichkeit abzuziehen. Die Klägerin teilte dem Finanzamt daraufhin mit, den bisher noch nicht verjährten Pflichtteilsanspruch nunmehr geltend zu machen und bat um entsprechende Reduzierung des auf sie übergegangenen Nachlasses der Mutter. Das Finanzamt folgte dem nicht.

Entscheidung
Der BFH gab der Klägerin schließlich Recht. Zu den nach dem Erbschaftsteuergesetz abzugsfähigen Nachlassverbindlichkeiten gehören u. a. Verbindlichkeiten aus geltend gemachten Pflichtteilen. Damit übereinstimmend gilt ein Pflichtteilsanspruch erst dann als Erwerb von Todes wegen, wenn er geltend gemacht wird. Verstirbt der Pflichtteilsverpflichtete (hier die Mutter) vor erlöschen des Pflichtteilsanspruchs, so ist nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) sodann dessen Erbe verpflichtet. Wird der Anspruch dann geltend gemacht, wirkt dies erbschaftsteuerlich auf den ursprünglichen Nachlass (hier der Nachlass des Vaters) zurück. Dies gilt auch dann, wenn der ursprüngliche Verpflichtete nicht damit rechnen musste, den Pflichtteilsanspruch zu Lebzeiten erfüllen zu müssen. Zivilrechtlich kann die Erfüllung des Anspruchs dann nicht mehr verlangt werden, wenn eine Konfusion von Forderung und Schuld in einer Person entsteht (wie hier bei der Klägerin der Fall). Das Erbschaftsteuerrecht folgt hinsichtlich dieser Konfusion allerdings nicht der zivilrechtlichen Beurteilung. Vielmehr gelten die infolge des Erbfalls durch Vereinigung von Recht und Verbindlichkeit oder Recht und Belastung erloschenen Rechtsverhältnisse als nicht erloschen. Diese Fiktion umfasst auch das Recht des Pflichtteilsberechtigten, der der Alleinerbe des Pflichtteilsverpflichteten ist, die Geltendmachung des Pflichtteils fiktiv nachzuholen.

Konsequenz
Selbst wenn ein Steuerschuldner zugleich Pflichtteilsberechtigter und Pflichtteilsverpflichteter in einer Person sind, kann er vor Verjährung des Anspruchs diesen steuerrechtlich geltend machen und ihn als Nachlassverbindlichkeit abziehen.