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Zur Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer

Zur Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer

Kernaussage
Obsiegt der Kläger ausschließlich aufgrund der überlangen Verfahrensdauer, weil eine zu Gunsten des Klägers wirkende Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu einem Zeitpunkt, in dem das Verfahren bereits verzögert war, eingetreten ist, hat der Kläger keinen „Nachteil“ erlitten. Er kann dann keine Geldentschädigung beanspruchen.

Sachverhalt
Der Kläger gab in seiner Steuererklärung für das Jahr 2004 außergewöhnliche Belastungen in Form von Kosten für einen zivilgerichtlichen Rechtsstreit an. Das Finanzamt lehnte die Berücksichtigung der Kosten ab. Im Jahr 2005 erhob der Kläger Klage beim Finanzgericht (FG). Im Jahr 2010 wurde diese abgewiesen. Zur Begründung wurde die ständige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) angeführt, nach der bei Zivilprozesskosten eine Vermutung gegen die – bei außergewöhnlichen Belastungen erforderliche – Zwangsläufigkeit spreche. Nach Aufhebung des Urteils durch den BFH und Zurückverweisung an das FG, wurde die Klage im April 2011 erneut abgewiesen. Nach erneuter Beschwerde obsiegte der Kläger vor dem BFH im Februar 2012. Der Kläger erhob daraufhin Entschädigungsklage wegen überlanger Verfahrensdauer.

Entscheidung
Die Entschädigungsklage blieb erfolglos. Die überlange Verfahrensdauer hat dem Kläger gewichtige Vorteile verschafft. Die Vermutung, dass bei einer überlangen Verfahrensdauer ein Nachteil entstehe, ist widerlegt. Der Kläger hat den Rechtsstreit gerade deshalb gewonnen, weil er so lange gedauert hat. Die Rechtsprechungsänderung erging erst im Jahr 2011. Wäre das Verfahren in angemessener Zeit beendet worden, wäre die Klageabweisung – zu Ungunsten des Klägers – bei der Rechtsprechungsänderung bereits rechtskräftig gewesen. Der Nachteil der überlangen Verfahrensdauer ist damit ausnahmsweise durch die dem Kläger zu Gute kommende Rechtsprechungsänderung kompensiert. Zwar kann theoretisch nicht ausgeschlossen werden, dass der Kläger bei einer früheren Entscheidung des FG seinerseits die Rechtsprechungsänderung herbeigeführt hätte, dies stellt aber eine nicht belegbare Hypothese dar.

Konsequenz
Nach der Gesetzesänderung in § 33 Abs. 2 Satz 4 EStG sind Zivilprozesskosten ab dem Jahr 2013 grundsätzlich nicht mehr abziehbar. Für die Vorjahre kann sich jedoch bei erfolgter Geltendmachung der Zivilprozesskosten auf die Rechtsprechungsänderung berufen werden. Die Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer kommt hier nicht in Frage, da – auch wenn der erste Rechtszug schon fast 5 Jahre dauerte – erst dadurch der Kläger obsiegte.

Entschädigung bei überlanger Verfahrensdauer bei Finanzgericht

Entschädigung bei überlanger Verfahrensdauer bei Finanzgericht

Kernaussage
Der Bundesfinanzhof (BFH) hat einen groben Zeitrahmen für die Dauer eines Finanzgerichtsverfahrens festgesetzt. Im Falle der Nichteinhaltung sind Entschädigungsansprüche möglich. Hiervon ausgenommen sind Verfahren mit wesentlich abweichender Bearbeitungsintensität. Von einer angemessenen Verfahrensdauer wird ausgegangen, wenn das Gericht 2 Jahre nach der Klage mit Maßnahmen beginnt, die bei den anhängigen Gerichtsverfahren zu einer endgültigen Entscheidung führen.

Sachverhalt
Der im Inland ansässige und unbeschränkt steuerpflichtige Kläger bezog für seine 3 Kinder den vollen Kindergeldbetrag. Die Kinder lebten mit seiner Ehefrau im gemeinsamen Haus in Nordirland. Der ebenfalls unbeschränkt einkommensteuerpflichtigen Ehefrau wurde das deutsche Kindergeld infolge Ihres Umzuges nach Nordirland gestrichen. Hiergegen klagte der Ehemann. Sowohl er als auch seine Gattin seien unbeschränkt steuerpflichtig, würden im Inland zusammen veranlagt und erhielten keine anderen Gelder von irländischen Behörden. Nach 8 Jahren und 9 Monaten wurde über dieses Verfahren entschieden. Die Vermögensnachteile während dieser Zeit führten bei den Eheleuten zu finanziellen Einbußen und erheblichen Überziehungszinsen. Der Steuerpflichtiger erhob Entschädigungsklage wegen unangemessener Dauer des Gerichtsverfahrens.

Entscheidung
Der BFH hat dem Entschädigungsanspruch zugestimmt. Die Gerichte sollen innerhalb von 2 Jahren nach Eingang der Klage mit Maßnahmen, die zur Entscheidung bei den jeweiligen Verfahren führen, beginnen. Fortan dürfen keine nennenswerten Unterbrechungen seitens des Gerichts stattfinden, sofern die aktive Phase des gerichtlichen Handelns bereits begonnen hat. Im aktuellen Fall wurde die Verhandlung vielfach wegen eines erneuten Wechsels des zuständigen Berichterstatters unterbrochen. Eine Generalisierung der Gesamtverfahrensdauer ist indes nicht möglich. Finanzgerichtsverfahren unterscheiden sich dafür zu stark in ihrem Schwierigkeitsgrad und der verbundenen Bearbeitungsintensität.

Konsequenz
Abweichend von Sonderfällen können Steuerpflichtige von einer angemessenen Verfahrensdauer ausgehen, wenn die 2-Jahres-Frist zur Bearbeitung eingehalten wird. Voraussetzung für Entschädigungsklagen ist stets eine vorausgehende so genannte Verzögerungsrüge.