Aktuell spannend für viele Unternehmer: Gleich fünf Revisionsverfahren zum sogenannten Reemtsma-Anspruch sind beim Bundesfinanzhof (BFH) anhängig. Der Ausgang dieser Verfahren könnte die Rechte von Leistungsempfängern gegenüber dem Fiskus deutlich stärken – und die restriktive Sichtweise des Bundesfinanzministeriums ins Wanken bringen.
Was ist der Reemtsma-Anspruch?
Der Reemtsma-Anspruch geht auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) aus 2007 zurück. Danach kann ein Leistungsempfänger die zu Unrecht gezahlte Umsatzsteuer direkt vom Finanzamt zurückfordern, wenn eine Rückforderung beim Leistenden unmöglich oder unzumutbar ist – etwa bei Insolvenz oder Verjährung.
Nach deutschem Steuerrecht handelt es sich dabei um einen Billigkeitsanspruch (§§ 163, 227 AO), nicht ausdrücklich geregelt im Umsatzsteuergesetz.
Voraussetzungen für den Anspruch:
- Der Leistungsempfänger hat Umsatzsteuer rechtsgrundlos gezahlt (z.B. unrichtige Steuerangabe oder falscher Steuersatz).
- Die zivilrechtliche Rückabwicklung gegenüber dem Leistenden ist unmöglich oder übermäßig erschwert.
Normalerweise ist der zivilrechtliche Weg vorrangig: Erst wenn dieser scheitert, kommt der Reemtsma-Anspruch ins Spiel.
Streitpunkt: Verjährung und Insolvenzen
Bisher vertrat das Bundesfinanzministerium (BMF) die Ansicht, dass bei Verjährung des Rückforderungsanspruchs ein Direktanspruch ausgeschlossen sei. Doch nach neuerer EuGH-Rechtsprechung ist das Gegenteil der Fall:
Gerade die Verjährung begründet den Reemtsma-Anspruch.
Ebenso darf der Reemtsma-Anspruch nicht daran scheitern, dass der Leistende insolvent ist oder liquidiert wurde.
Die anhängigen Verfahren im Überblick
1. FG Münster: Einrede der Verjährung
Das FG Münster entschied, dass auch bei Verjährung der Rechnungsberichtigung ein Direktanspruch zulässig ist (Az. XI R XX/24).
→ Erwartung: Der BFH wird diese unionsrechtskonforme Sicht bestätigen.
2. „H-GmbH“-Fall: Insolvenz des Leistenden
Hier geht es um die Frage, ob der Reemtsma-Anspruch ausgeschlossen sein kann, wenn das Finanzamt die Umsatzsteuer bereits an die Insolvenzmasse zurückgezahlt hat.
→ Fraglich: Bleibt der Fiskus dann noch „bereichert“?
3. FG Baden-Württemberg: Schutz vor Überkompensation
Das Gericht bejahte einen Direktanspruch trotz Insolvenz und betonte, dass die Verhinderung einer eventuellen Überkompensation nicht Aufgabe der Finanzgerichtsbarkeit sei.
4. Niedersächsisches FG: Verjährung zugunsten des Empfängers
Auch das Niedersächsische FG sprach dem Leistungsempfänger einen Direktanspruch zu, obwohl der zivilrechtliche Anspruch gegen den Leistenden verjährt war.
5. BFH-Verfahren zum V. Senat: Anforderungen an Rechnung und Leistung
Hier wird geklärt, ob der Reemtsma-Anspruch von einer ordnungsgemäßen Rechnung oder der tatsächlichen Leistungserbringung abhängt.
Bedeutung für die Praxis
Was Sie als Berater wissen sollten:
- Schnelles Handeln bei Feststellung von Fehlern in Eingangsrechnungen ist essenziell.
- Dokumentation der erfolglosen Rückforderungsversuche gegenüber dem Leistenden ist wichtig.
- Einspruch einlegen und Verfahren offen halten, wenn das Finanzamt einen Direktanspruch ablehnt.
- Vorsorge treffen: Eingangsrechnungen frühzeitig prüfen und Verjährungsfristen im Blick behalten.
Insolvenz, Liquidation oder Verjährung beim Leistenden sind klassische Situationen, in denen ein Reemtsma-Anspruch geprüft werden sollte.