Umsatzsteuerliche Behandlung von Reiseleistungen – Berufungsrecht auf Art. 306 ff. MwStSystRL

BFH-Urteile vom 21. November 2013, V R 11/11, vom 20. März 2014, V R 25/11, und vom 13. Dezember 2017, XI R 4/16

I.

Mit Urteilen vom 21. November 2013, V R 11/11, BStBl II 2020 S. XXX, und vom 20. März 2014, V R 25/11, BStBl II 2020 S. XXX, hat der BFH entschieden, dass sich ein Unternehmer für Reiseleistungen, die er an einen anderen Unternehmer für dessen Unternehmen erbringt, entgegen § 25 Abs. 1 Satz 1 UStG unmittelbar auf die unionsrechtlichen Bestimmungen über die Sonderregelung für Reisebüros (Margenbesteuerung) in den Artikeln 306 ff. MwStSystRL berufen kann.

Außerdem hat der BFH mit seinem Urteil vom 13. Dezember 2017, XI R 4/16, BStBl II 2020 S. XXX, entschieden, dass sich ein inländischer Reiseveranstalter hinsichtlich der von ihm für sein Unternehmen bezogenen Reiseleistungen eines in einem anderen Mitgliedstaat der EU ansässigen Reiseunternehmers, für die er als Leistungsempfänger nach § 13b UStG die Steuer schuldet, unmittelbar auf Artikel 306 ff. MwStSystRL berufen kann, mit der Folge, dass er entgegen dem nationalen Recht keine Steuer für die erbrachten Leistungen schuldet, weil diese nach Artikel 307 MwStSystRL im Inland nicht steuerbar sind.

Durch Artikel 11 Nr. 9 Buchst. a sowie Artikel 39 Abs. 1 des Gesetzes zur weiteren steuerlichen Förderung der Elektromobilität und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften vom 12. Dezember 2019 (BGBl. I S. 2451) wurde § 25 Abs. 1 Satz 1 UStG geändert. Danach umfasst die Besteuerung von Reiseleistungen nach § 25 UStG seit Inkrafttreten zum 18. Dezember 2019 unter den weiteren Voraussetzungen dieser Regelung auch Reiseleistungen, die für das Unternehmen des Leistungsempfängers bestimmt sind.

II.

Unter Bezugnahme auf das Ergebnis der Erörterungen mit den obersten Finanzbehörden der Länder gilt hierzu Folgendes:

Für vor dem 18. Dezember 2019 an einen anderen Unternehmer für dessen Unternehmen erbrachte Reiseleistungen kann sich der leistende Unternehmer nach den nachstehenden Grundsätzen unmittelbar auf die Sonderregelung der Artikel 306 ff. MwStSystRL berufen. Außerdem kann sich ein Unternehmer für vor dem 18. Dezember 2019 im Inland für sein Unternehmen bezogene Reiseleistungen eines im übrigen Gemeinschaftsgebiet ansässigen Unternehmers ebenfalls nach den nachstehenden Grundsätzen unmittelbar auf die Artikel 306 ff. MwStSystRL berufen.

Der Unternehmer kann sich für jede einzelne von ihm erbrachte bzw. bezogene Reiseleistung auf den Vorrang der Artikel 306 ff. MwStSystRL berufen und somit transaktionsbezogen zwischen dem nationalen Recht und dem Unionsrecht wechseln (vgl. BFH-Urteil vom 13. Dezember 2017, XI R 4/16, a. a. O.). Dabei sind aber die übrigen Voraussetzungen für die Anwendung der Sonderregelung zu beachten, z. B. die Abgrenzung zwischen Reiseleistungen, Eigenleistungen und Vermittlungsleistungen. Für bezogene Reiseleistungen kann sich der Unternehmer nur dann auf die Art. 306 ff. MwStSystRL berufen, wenn auch der die Eingangsleistung erbringende Unternehmer die Voraussetzungen der Sonderregelung erfüllt. Die Rechtsfolgen der vom Unternehmer vorgenommenen unmittelbaren Berufung auf das Unionsrecht beschränken sich auf seine eigene Besteuerung. Sie wirken sich erst dann auf die Besteuerung des anderen Unternehmers aus, wenn dieser gleichfalls einen Anwendungsvorrang des Unionsrechts geltend machen kann. Der Unternehmer kann sich auf die Artikel 306 ff. MwStSystRL berufen, ohne zugleich einheitlich für jede einzelne von ihm erbrachte Reiseleistung jeweils die Marge gemäß Artikel 308 MwStSystRL ermitteln zu müssen. Vielmehr kann er die Marge für bestimmte Gruppen von Reiseleistungen nach § 25 Abs. 3 Satz 3 UStG in der bis 17. Dezember 2019 geltenden Fassung ermitteln. Hierbei können auch die Reiseleistungen berücksichtigt werden, für die sich der Unternehmer unmittelbar auf Artikel 306 ff. MwStSystRL berufen hat.

III.

Die Regelungen dieses Schreibens sind in allen offenen Fällen anzuwenden.

Dieses Schreiben wird im Bundessteuerblatt Teil I veröffentlicht.

Quelle: BMF, Schreiben (koordinierter Ländererlass) III C 2 – S-7419 / 19 / 10001 :001 vom 30.11.2020