Unentgeltlich heißt nicht umsatzsteuerfrei – EuGH-Urteil könnte kostenlose Rechtsdienstleistungen steuerpflichtig machen

Generalanwältin Kokott sieht in der gesetzlichen Kostenerstattung ein umsatzsteuerpflichtiges Entgelt – das betrifft auch deutsche Fälle


Hintergrund: Wenn der Mandant nichts zahlt, aber der Gegner schon

Im laufenden Verfahren C-744/23 vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) geht es um eine scheinbar einfache, aber rechtlich brisante Frage: Kann eine anwaltliche Leistung als „unentgeltlich“ gelten, wenn der Mandant nichts bezahlt – die unterliegende Gegenseite aber zur Zahlung eines Mindesthonorars verpflichtet ist?

Die Generalanwältin am EuGH, Prof. Dr. Juliane Kokott, sagt: Nein. In ihren Schlussanträgen vom 8. Mai 2025 stellt sie klar, dass in solchen Fällen eine umsatzsteuerpflichtige Leistung vorliegt – mit potenziell weitreichenden Folgen auch für die deutsche Beratungspraxis.


Der Kernpunkt: Entgeltlichkeit trotz fehlender Vergütung durch den eigenen Mandanten

Nach Artikel 2 Absatz 1 lit. c der Mehrwertsteuerrichtlinie (2006/112/EG) unterliegt eine Dienstleistung der Mehrwertsteuer, wenn sie „gegen Entgelt“ erbracht wird.

Nach Auffassung der Generalanwältin liegt auch dann ein Entgelt vor, wenn:

  • der Mandant selbst kein Honorar zahlt,
  • der Rechtsanwalt jedoch im Fall des Obsiegens einen gesetzlichen Anspruch auf Kostenerstattung gegen die unterliegende Partei hat.

Wichtig: Der Anspruch auf die Erstattung sei wirtschaftlich betrachtet eine Gegenleistung eines Dritten, was nach der Richtlinie genügt, um Umsatzsteuerpflicht auszulösen (Rn. 37, 49).


Praktische Auswirkungen – Was bedeutet das für Anwälte und Mandanten?

Sollte der EuGH den Schlussanträgen folgen, hätte dies folgende Konsequenzen:

  • Unentgeltliche Mandate mit Kostenerstattungsanspruch (z. B. Pro-Bono-Verfahren) könnten umsatzsteuerpflichtig werden,
  • Die Mehrwertsteuer wäre dann aus dem Kostenerstattungsbetrag gegenüber der unterliegenden Partei abzuführen – auch wenn sie ursprünglich nicht eingeplant war,
  • Rechtsanwälte müssten solche Fälle buchhalterisch erfassen und die Bemessungsgrundlage korrekt bestimmen – selbst bei unklarer Höhe zu Beginn.

Noch keine Entscheidung – aber klare Richtung

Noch hat der EuGH nicht entschieden. Allerdings folgt das Gericht in der Mehrzahl der Fälle den Schlussanträgen der Generalanwält*innen. Eine Entscheidung wird in den kommenden Monaten erwartet – möglicherweise noch im Herbst 2025.


Fazit

Das Verfahren ist ein wichtiger Weckruf für alle, die unentgeltliche Rechtsdienstleistungen mit Kostenerstattungsanspruch anbieten – etwa im Rahmen von Prozesskostenhilfe, im Sozialrecht oder bei Pro-Bono-Fällen.

📌 Praxistipp:
Rechtsanwälte und steuerlich beratende Berufe sollten ihre internen Prozesse zur Umsatzsteuererfassung bei Kostenerstattungsfällen überprüfen und sich auf eine mögliche Erweiterung der Steuerpflicht vorbereiten.


Quelle:
Bundesrechtsanwaltskammer, Nachrichten aus Brüssel – Ausgabe 10/2025