BVerfG: Bundesfinanzhof begründet Entscheidungserheblichkeit nicht ausreichend
Mit Beschluss vom 21. Oktober 2025 (2 BvL 21/14), veröffentlicht am 12. November 2025, hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) eine Richtervorlage des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Verfassungsmäßigkeit des sogenannten Treaty Override in § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 EStG als unzulässig verworfen.
Der BFH wollte klären lassen, ob die Vorschrift – die unter bestimmten Voraussetzungen die Anwendung eines Doppelbesteuerungsabkommens (DBA) ausschließt – gegen Grundrechte und das Gebot der Völkerrechtsfreundlichkeit verstößt. Das BVerfG kam jedoch zu dem Ergebnis: Die Vorlage genügt den Begründungsanforderungen nicht.
Worum ging es?
Die Vorlage betraf insbesondere:
- § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 EStG
→ regelt den Ausschluss eines DBA, wenn ausländische Einkünfte nur deshalb steuerfrei bleiben, weil im anderen Staat keine unbeschränkte Steuerpflicht besteht. - § 50d Abs. 9 Satz 3 EStG
→ definiert das Verhältnis zu anderen Regelungen, die ebenfalls den Anwendungsvorrang von DBAs einschränken, und enthält eine rückwirkende Anwendungsbestimmung (Neufassung 2013).
Der BFH bezweifelte sowohl die Vereinbarkeit mit der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes als auch die Zulässigkeit der Rückwirkung.
Hintergrund des Ausgangsverfahrens
Der Kläger war Pilot einer irischen Fluggesellschaft, lebte jedoch in Deutschland (2007–2010).
Zunächst einbehaltene irische Lohnsteuer wurde ihm vollständig erstattet.
Das deutsche Finanzamt besteuerte die Einkünfte vollständig – gestützt auf § 50d Abs. 9 EStG.
Der BFH sah europäische und verfassungsrechtliche Fragen berührt und legte dem BVerfG den Streitfall vor.
Warum wurde die Vorlage als unzulässig verworfen?
Das BVerfG stellte klar:
Die Richtervorlage scheitert an unzureichender Darlegung der Entscheidungserheblichkeit.
1. Unvollständige Prüfung des DBA Deutschland–Irland (1962)
Der BFH erläuterte nicht vollständig,
- unter welchen Voraussetzungen das DBA die Einkünfte tatsächlich freistellt,
- ob diese Voraussetzungen im konkreten Fall erfüllt waren.
Damit fehlte eine zwingende Grundlage dafür, dass § 50d Abs. 9 überhaupt angewendet werden musste.
2. Keine ausreichende Prüfung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 EStG
Das BVerfG kritisiert zwei wesentliche Lücken:
a) Keine Begründung des „nur deshalb“-Kriteriums
Der BFH legte nicht dar, ob die irische Nichtbesteuerung tatsächlich ausschließlich darauf beruhte,
dass der Pilot dort nicht unbeschränkt steuerpflichtig war.
b) Unklarheit über die irische Steuerpflicht insgesamt
Der BFH übernahm die Feststellung des Finanzgerichts, die Einkünfte seien in Irland „insgesamt nicht steuerpflichtig“, ohne diese Rechtslage überzeugend zu begründen.
Das BVerfG bemängelte:
- Es seien keine verwertbaren Feststellungen zur irischen Rechtslage vorhanden.
- Das Finanzgericht habe lediglich „kursorisch“ ausgeführt, Irland verzichte auf die Besteuerung.
- Dies reiche nicht aus, um § 50d Abs. 9 tragfähig anzuwenden oder dessen Verfassungsmäßigkeit entscheidenserheblich zu machen.
Konsequenz: Keine inhaltliche Aussage zum Treaty Override
Das Bundesverfassungsgericht hat nicht darüber entschieden,
ob § 50d Abs. 9 EStG verfassungskonform oder verfassungswidrig ist.
Grund:
👉 Der BFH konnte nicht nachvollziehbar darlegen, dass der Ausgangsfall überhaupt vom streitigen Treaty Override abhängt.
Damit bleibt die viel diskutierte Frage zur Verfassungsmäßigkeit von Treaty Overrides weiterhin ungeklärt.
Praktische Bedeutung für Steuerpflichtige und Berater
- Der Beschluss enthält keine materiell-rechtliche Klärung zum Treaty Override.
- § 50d Abs. 9 EStG bleibt unverändert anwendbar.
- In internationalen Fällen mit möglicher Doppelbesteuerung oder DBA-Freistellungen bleibt eine saubere Prüfung der ausländischen Steuerpflicht essenziell.
- Bei Auslandseinkünften sollten Feststellungen zum ausländischen Steuerrecht sorgfältig dokumentiert werden – ein Punkt, der im Ausgangsfall fehlte.
Fazit
Das BVerfG weist den BFH zurück – nicht wegen des Inhalts der Norm, sondern aufgrund formeller Defizite der Vorlage.
Für die Praxis bedeutet dies:
- Treaty Overrides bleiben zunächst bestehen.
- Die Diskussion über die verfassungsrechtliche Zulässigkeit dieser Regelungen bleibt offen.
- Eine erneute verfassungsgerichtliche Überprüfung ist möglich – aber nur bei präziser Darlegung der Entscheidungserheblichkeit.
Quelle: Bundesverfassungsgericht, Pressemitteilung vom 12.11.2025 zum Beschluss 2 BvL 21/14