FG Münster, Urteil vom 13.11.2025 – 12 K 1853/23 E
Das Finanzgericht Münster hat mit Urteil vom 13. November 2025 (Az. 12 K 1853/23 E) entschieden, dass Abgeltungszahlungen für nicht genommenen Urlaub mehrerer Jahre, die anlässlich der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses gezahlt werden, außerordentliche Einkünfte im Sinne von § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG darstellen. Die Zahlungen sind damit nach Maßgabe des § 34 Abs. 1 EStG tarifbegünstigt zu besteuern.
Die Entscheidung ist für die Praxis von erheblicher Bedeutung, da Urlaubsabgeltungen bislang häufig nicht in den Anwendungsbereich der sogenannten Fünftelregelung einbezogen wurden.
Sachverhalt
Die Klägerin erhielt aufgrund der Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses im Jahr 2020 – nach Abschluss eines Vergleichs vor dem Landesarbeitsgericht – mehrere Zahlungen von ihrem Arbeitgeber:
- eine Abfindung für den Verlust des Arbeitsplatzes sowie
- eine Abgeltungszahlung für offenen Erholungsurlaub aus den Jahren 2018, 2019 und 2020.
Für beide Zahlungen beantragte die Klägerin im Streitjahr 2020 die begünstigte Besteuerung nach § 34 Abs. 1 EStG.
Das Finanzamt erkannte die Tarifermäßigung jedoch nur für die Abfindung an. Die Urlaubsabgeltung behandelte es als laufenden Arbeitslohn ohne Tarifermäßigung. Zur Begründung führte es aus, es liege weder eine Entschädigung im Sinne von § 34 Abs. 2 Nr. 2 EStG i. V. m. § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG noch eine Vergütung für eine mehrjährige Tätigkeit nach § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG vor. Der Urlaubsanspruch sei jeweils in den einzelnen Vorjahren entstanden und lediglich im Streitjahr ausgezahlt worden.
Entscheidung des FG Münster
Der 12. Senat des Finanzgerichts Münster gab der Klage vollumfänglich statt.
Nach Auffassung des Gerichts stellt die Abgeltungszahlung für den Urlaubsanspruch eine Vergütung für eine mehrjährige Tätigkeit im Sinne von § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG dar. Maßgeblich sei eine wirtschaftliche Betrachtungsweise.
Urlaubsabgeltung als Vergütung für mehrjährige Tätigkeit
Das Gericht stellte klar, dass der Umstand, dass sich die Zahlung rechnerisch aus einzelnen Urlaubsansprüchen mehrerer Jahre zusammensetzt, der Annahme einer mehrjährigen Tätigkeit nicht entgegensteht. Entscheidend sei vielmehr:
- Der Urlaubsanspruch sei untrennbar mit dem bestehenden Arbeitsverhältnis verbunden.
- Die Abgeltung erfolge anlässlich der Beendigung des Arbeitsverhältnisses.
- Wirtschaftlich betrachtet stelle die Urlaubsabgeltung ein (zusätzliches) Entgelt für die über mehrere Jahre erbrachte Arbeitsleistung dar.
Dies zeige sich auch daran, dass die Abgeltung auf Basis des durchschnittlichen Arbeitsentgelts berechnet werde. Die Zahlung gleiche damit einer zusammengeballten Vergütung für die in mehreren Jahren geleistete Arbeit.
Zusammenballung im Streitjahr
Ein weiteres wesentliches Kriterium für die Anwendung des § 34 EStG – die Zusammenballung der Einkünfte – sah das FG ebenfalls als erfüllt an. Die Urlaubsabgeltung floss der Klägerin vollständig im Streitjahr 2020 zu und führte damit zu einer außergewöhnlichen Progressionsbelastung.
Unerheblich sei zudem, dass die Klägerin im abgegoltenen Zeitraum teilweise von der Arbeit freigestellt gewesen sei und die Tätigkeit faktisch nicht ausgeübt habe. Maßgeblich sei nicht die tatsächliche Arbeitsleistung im Abgeltungszeitraum, sondern der Zusammenhang mit der mehrjährigen Tätigkeit im Rahmen des Arbeitsverhältnisses.
Revision zugelassen
Der 12. Senat hat wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtsfrage die Revision zum Bundesfinanzhof zugelassen. Eine höchstrichterliche Klärung bleibt daher abzuwarten.
Praxishinweis
Das Urteil ist für Arbeitnehmer und Berater äußerst praxisrelevant:
- Urlaubsabgeltungen für mehrere Jahre können – bei Zusammenballung – der Tarifermäßigung nach § 34 EStG unterliegen.
- Dies gilt insbesondere bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses im Zusammenhang mit Abfindungszahlungen.
- Entsprechende Sachverhalte sollten im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung sorgfältig geprüft und ggf. offen gehalten werden.
Bis zu einer Entscheidung des BFH bestehen gute Argumente, Urlaubsabgeltungen bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses als außerordentliche Einkünfte geltend zu machen.
Quelle: Finanzgericht Münster, Urteil vom 13.11.2025 – 12 K 1853/23 E, Newsletter Dezember 2025