Verbindung mehrerer durch ein firmeneigenes Schienennetz verbundener Werksgelände zu einer großräumigen Arbeitsstätte

Finanzgericht Düsseldorf, 11 K 2103/12 E

Datum:
21.10.2013
Gericht:
Finanzgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
11. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
11 K 2103/12 E
Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.

Die Revision wird zugelassen.

1E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:

2Die Klage ist unbegründet. Der angefochtene Einkommensteuerbescheid 2010 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung – FGO –).

3I. Das Finanzamt hat den geltend gemachten Verpflegungsmehraufwand des Klägers zu Recht nicht berücksichtigt.

41. Der Abzug von Verpflegungsmehraufwendungen bei nichtselbständiger Tätigkeit ist seit Inkrafttreten des Jahressteuergesetzes 1996 (JStG 1996) vom 11. Oktober 1995 (BGBl I 1995, 1250, BStBl I 1995, 438) nur noch nach Maßgabe der in § 9 Abs. 5 i.V.m. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 EStG getroffenen Bestimmungen möglich (BFH-Urteil vom 18.06.2009 VI R 61/06, BStBl. II 2010, 564).

5Nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 EStG wird ein erwerbsbedingter Mehraufwand an Verpflegung typisierend in Form gestaffelter Pauschbeträge und lediglich unter der Voraussetzung steuerlich berücksichtigt, dass der Arbeitnehmer sich aus beruflichen Gründen auf einer Auswärtstätigkeit befunden hat (BFH-Urteil vom 18.06.2009 VI R 61/06, BStBl. II 2010, 564 unter Hinweis auf seine geänderte Rechtsprechung u.a. im Urteil vom 11. Mai 2005 VI R 16/04, BFHE 209, 518, BStBl II 2005, 789, unter II. 2. a und b der Gründe). Danach ist eine Auswärtstätigkeit dadurch gekennzeichnet, dass der Arbeitnehmer entweder vorübergehend von seiner Wohnung und dem ortsgebundenen Mittelpunkt seiner dauerhaft angelegten beruflichen Tätigkeit (Tätigkeitsmittelpunkt) entfernt beruflich tätig wird (Satz 2 der genannten Vorschrift), oder dass der Arbeitnehmer typischerweise nur an ständig wechselnden Tätigkeitsstätten oder auf einem Fahrzeug eingesetzt wird und damit über einen dauerhaft angelegten ortsgebundenen Bezugspunkt seiner beruflichen Tätigkeit nicht verfügt (Satz 3 der genannten Vorschrift). Ist der Arbeitnehmer hingegen an seinem ortsgebundenen Tätigkeitsmittelpunkt (dem entspricht der Begriff der regelmäßigen Arbeitsstätte i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG, vgl. z.B. BFH-Urteil in BFHE 209, 518, BStBl II 2005, 789) tätig, liegt eine zum Ansatz der Verpflegungspauschalen berechtigende Auswärtstätigkeit –abgesehen von dem hier nicht einschlägigen Fall der doppelten Haushaltsführung– nicht vor (vgl. Fissenewert, Der Betrieb, Beilage Nr. 6/2006, 32 ff., 34, rechte Sp., m.w.N.).

6Der Gesetzgeber geht dabei in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise typisierend davon aus, dass ein etwa beruflich veranlasster Mehr-Aufwand für Verpflegung nicht anzuerkennen ist, solange sich der Arbeitnehmer am Betriebssitz oder an anderen ortsfesten betrieblichen Einrichtungen des Arbeitgebers aufhält (vgl. BFH-Urteil vom 18.06.2009 VI R 61/06, BFHE 226, 59, BStBl. II 2010, 564 unter Hinweis auf BFH in BFHE 209, 518, BStBl II 2005, 789). Dem liegt die Erwägung zugrunde, dass der Arbeitnehmer im Betriebsgebäude (bzw. auf dem Betriebsgelände) regelmäßig Einrichtungen vorfinden wird, an denen er sich vergleichsweise kostengünstig wird verpflegen können (vgl. hierzu Fissenewert, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2006, 252, Anm. zum BFH-Urteil vom 14. September 2005 VI R 22/04, BFH/NV 2006, 507).

7Unter dem Begriff des Tätigkeitsmittelpunkts i.S. des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Satz 2 EStG ist –ebenso wie unter dem Begriff der (regelmäßigen) Arbeitsstätte i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG– jede dauerhafte betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers zu verstehen, der der Arbeitnehmer zugeordnet ist und die er nachhaltig, fortdauernd und immer wieder aufsucht; dies ist regelmäßig der Betrieb des Arbeitgebers oder ein Zweigbetrieb (vgl. BFH-Urteil vom 18. Dezember 2008 VI R 39/07, BFHE 224, 111, BStBl II 2009, 475, m.w.N.;).

8Es entspricht auch ständiger Rechtsprechung des BFH, dass ein größeres, räumlich geschlossenes Gebiet als regelmäßige Arbeitsstätte i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG (und damit beim Verpflegungsmehraufwand als Tätigkeitsmittelpunkt i.S. des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Satz 2 EStG) in Betracht kommt, wenn es sich um ein zusammenhängendes Gelände des Arbeitgebers handelt, auf dem der Arbeitnehmer auf Dauer und mit einer gewissen Nachhaltigkeit tätig wird (vgl. BFH-Urteil vom 18.06.2009 VI R 61/06, BFHE 226, 59, BStBl. II 2010, 564 unter Hinweis auf BFH-Urteile vom 5. August 2004 VI R 40/03, BFHE 207, 225, BStBl II 2004, 1074; vom 10. April 2002 VI R 154/00, BFHE 198, 559, BStBl II 2002, 779). Unter diesen Voraussetzungen kann auch ein Werksgelände eine großräumige (regelmäßige) Arbeitsstätte bzw. einen Tätigkeitsmittelpunkt darstellen, ebenso auch ein Waldgebiet, wenn es sich um ein zusammenhängendes Gelände des Arbeitgebers handelt und sich dort eine ortsfeste Einrichtung vergleichbar einem Betriebssitz befindet (BFH-Urteil vom 17.06.2010, VI R 20/9, BFHE 230, 533, BStBl. II 2012, 32, ebenso auch Schmidt/Loschelder, 32. Auflage 2013, § 9 EStG, Rz 117, m.w.N.; BFH-Urteil in BFH/NV 2006, 507 – zu einem Schornsteinfeger-Kehrbezirk als einem nicht zusammenhängenden Gebiet).

92. Nach Maßgabe dieser Rechtsgrundsätze standen dem Kläger während seiner Schichteinsätze auf der Werksbahn keine Verpflegungspauschalen zu. Er bewegte sich in dieser Zeit ausschließlich auf dem großen und räumlich geschlossenen Gebiet seines Arbeitgebers in „A“-Stadt als regelmäßiger Arbeitsstätte im Sinne des § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 EStG. Damit liegt wegen der dort vorhandenen ortsfesten Einrichtungen zugleich in Bezug auf den Verpflegungsmehraufwand ein Tätigkeitsmittelpunkt im Sinne des § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 5 S. 2 EStG vor, was damit eine Tätigkeit auf einem Fahrzeug im Sinne des § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 5 S. 3 EStG, welche zur Anerkennung von Verpflegungsmehraufwand führen könnte, ausschließt. Das Werksgebiet erstreckt sich zwar über weite Teile des Stadtgebietes von „A“Stadt. Durch die schienentechnische Verbindung über die firmeneigene Werksbahn auf einem firmeneigenen Bahn-Netz sind die einzelnen unmittelbar aneinander grenzenden Werksteile jedoch zu einem einheitlichen großen räumlich geschlossenen Gebiet verbunden. Dieses Gebiet hat der Kläger während des Schichtbetriebes zu keinem Zeitpunkt verlassen müssen. Dass der Kläger mitunter beim Wechsel in die verschiedenen Werkteile öffentlichen Straßenraum über- bzw. unterqueren musste, ändert hieran nichts. Die durch den Schienenbetrieb technisch vorgegebene Fahrtroute über das firmeneigene Tunnel– und Brückensystem wurde hierdurch nicht beeinträchtigt/verändert, so dass nach wie vor von einem Aufenthalt des Klägers auf einem räumlich verbundenen Werksgelände auszugehen ist.

10Insofern unterscheidet sich der Streitfall von dem Fall eines LKW-Fahrers, welcher für den Arbeitgeber die gleichen Arbeiten ausführen würde wie der Kläger. Der LKW-Fahrer muss im Gegensatz zum Kläger öffentlichen Straßenraum zwangsläufig auch unmittelbar zur Fortbewegung nutzen. Damit ist er zugleich diesem der Allgemeinheit zur Verfügung stehenden Straßenraum mit all seinen verkehrsmäßigen Unwägbarkeiten wie zum Beispiel Umwegen, Einbahnregelungen, Straßensperrungen u. ä. ausgesetzt. Deshalb könnte in einem solchen Fall nicht mehr von einem einheitlichen, räumlich verbundenen Werksgelände gesprochen werden.

11Der Streitfall unterscheidet sich wegen der von vornherein festgelegten, nicht veränderbaren und damit vorhersehbaren Fahrtmöglichkeiten auch von dem Sachverhalt, welcher der BFH-Entscheidung vom 07.02.1997 VI R 61/96, BFHE 182, 562, BStBl. II 1997, 333 zu Grunde liegt (Hamburger Hafengebiet keine einheitliche großräumige Arbeitsstätte für einen dort tätigen Stauer).

12Er ist wegen der unmittelbaren Verbindung der einzelnen Werkteile durch das firmeneigene Schienen- und Transportsystem ebenfalls nicht mit dem Streitfall vergleichbar, welcher der BFH-Entscheidung vom 14.09.2005 VI R 22/04, BFH/NV 2006, 507 (Schornsteinfeger-Kaminkehrbezirke keine großräumige Arbeitsstätte) zugrundeliegt.

13Schließlich scheidet auch der Vergleich mit einem Zugführer der Deutschen Bahn AG aus, da sich dessen Einsatz auf das Gebiet eines ganzen Bundeslandes oder sogar auf mehrere Bundesländer beziehen kann.

14Gegen den Ansatz einer Pauschale für Verpflegungsmehraufwand spricht zudem, dass der Kläger nach seinen eigenen Bekundungen in der mündlichen Verhandlung aufgrund der Besonderheiten des firmeninternen Schienen- und Transportsystems gar nicht in der Lage war, sich durch das Aufsuchen einer Gaststätte/Imbissbude oder Ähnlichem zu verpflegen und damit einen Verpflegungsmehraufwand zu verursachen.

153. Der Umstand, dass der Kläger über das werkseigene Schienennetz auch eine Fremdfirma beliefern musste, ändert an dem vorerwähnten Ergebnis nichts. Diese Tätigkeit, bei der in unveränderter Form das firmeneigene Schienen- und Transportsystem genutzt wird, ist untrennbar mit der Fahrtätigkeit des Klägers auf der großräumigen Arbeitsstätte des Arbeitgebers im Sinne von § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 5 S. 2 EStG verbunden und teilt daher das rechtliche Schicksal in Bezug auf die Abziehbarkeit von Werbungskosten in Gestalt von Verpflegungsmehraufwand.

16Eine künstliche Aufspaltung in eine Tätigkeit auf einem Fahrzeug im Sinne von § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 5 S. 3 EStG für die Anlieferungsfahrten zu der Fremdfirma würde zudem ebenfalls nicht zum Ansatz eines Verpflegungspauschbetrages i.H.v. 6 Euro pro Tag führen. Der Kläger hat nicht substantiiert dargelegt und erst recht nicht nachgewiesen, dass er in Bezug auf die Einzelfahrten zu der Fremdfirma mindestens 8 Stunden von seiner Wohnung abwesend war (§ 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 5 S. 3 zweiter Halbsatz EStG).

17II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

18Die Revision wird zur Fortbildung des Rechts (Verbindung mehrerer Werksgelände in verschiedenen Stadtteilen durch ein firmeneigenes Schienennetz zu einer großräumigen Arbeitsstätte) nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zugelassen.