Verfassungsrechtliche Zweifel an der Höhe der Säumniszuschläge im Billigkeitsverfahren und im Verfahren bei Anmeldung zur Insolvenztabelle

Mögliche verfassungsrechtliche Zweifel an der Höhe der Säumniszuschläge können nicht im Billigkeitsverfahren auf vollständigen Erlass der kraft Gesetzes entstehenden Säumniszuschläge berücksichtigt werden.

  1. Die gegen die Höhe der Zinsen gem. § 238 AO erhobenen verfassungsrechtlichen Zweifel lassen sich nicht auf Säumniszuschläge übertragen.
  2. Den vorwiegend als Druckmittel konzipierten Säumniszuschlägen lässt sich ein fester typisierter Zinssatz nicht verlässlich entnehmen.

In beiden Verfahren klagte ein Insolvenzverwalter, in der Sache 2 K 192/18 begehrte er den vollständigen Erlass der Säumniszuschläge, nachdem das Finanzamt auf seinen Antrag unter Hinweis auf die ständige Rechtsprechung des BFH die Hälfte der vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens verwirkten Säumniszuschläge erlassen hatte. Zunächst hatte er sich darauf gestützt, Säumniszuschläge seien in voller Höhe Druckmittel und müssten aus diesem Grunde vollständig erlassen werden. Im Verlaufe des Klageverfahrens berief er sich dann auf mögliche verfassungsrechtliche Zweifel an der Höhe der Säumniszuschläge, soweit sie Gegenleistung für das Hinausschieben der Fälligkeit seien.

Die Klage hatte keinen Erfolg. Das Gericht ist damit nicht dem Weg des FG München gefolgt, das unter Hinweis auf die Kommentierung von Heuermann (in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 240 AO Rz. 13) angenommen hatte, dass ein vollständiger Erlass der Säumniszuschläge „nahe liege“, weil die Anwendung von § 240 AO dann schwerwiegenden verfassungsrechtlichen Zweifeln unterliege, wenn die Säumniszuschläge wegen Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit zum Teil zu erlassen seien und der verbleibende Zweck der Höhe nach mit einer Verzinsung vergleichbar sei (Beschluss vom. 13.8.2018, 14 V 736/18, EFG 2018, 487). Nach Auffassung des FG Hamburg können demgegenüber etwaige verfassungsrechtliche Zweifel an der Höhe des Zinssatzes gem. § 238 Abs. 1 AO nicht im Erlassverfahren zum Tragen kommen, weil mit einer Billigkeitsmaßnahme nicht die einem gesetzlichen Tatbestand innewohnenden Wertungen des Gesetzgebers korrigiert werden dürften.

In der Sache 2 K 11/18 hatte das Finanzamt ebenfalls die Hälfte der verwirkten Säumniszuschläge erlassen und den verbleibenden Rest neben weiteren Abgabenforderungen nach § 251 Abs. 3 AO festgestellt, nachdem der Insolvenzverwalter den Anspruch auf die restlichen Säumniszuschläge bestritten hatte. Eine Billigkeitsentscheidung über die noch offenen Säumniszuschläge wurde nicht getroffen. Im Streitverfahren ging es folglich allein um die Frage, ob die verwirkten Säumniszuschläge zu Recht festgestellt worden waren. Da diese unstreitig richtig berechnet waren, konnten gegen die kraft Gesetzes entstehenden Säumniszuschläge nur verfassungsrechtliche Einwände zum Erfolg führen.

Das Gericht hat auch diese Klage abgewiesen und verfassungsrechtliche Zweifel an der Höhe der Säumniszuschläge verneint. Die Verfassungsmäßigkeit des typisierenden AO-Zinssatzes von 6 % p. a. nach § 238 AO stehe angesichts einer anhaltenden Niedrigzinsphase seit geraumer Zeit auf dem Prüfstand (beim BVerfG anhängige Verfassungsbeschwerden für Zinszeiträume ab 2009 bzw. ab 2012 1 BvR 2237/14 und 1 BvR 2422/17). Eine Übertragung derartiger verfassungsrechtlicher Erwägungen auf Säumniszuschläge, die 12 % p. a. betragen, setze zunächst voraus, dass den Säumniszuschlägen ein definitiver und definierbarer Zinsanteil innewohne. Der Charakter der Säumniszuschläge sei umstritten, insbesondere ob sie in voller Höhe Druckmittel seien (Loose in Tipke/Kruse, AO-FGO, § 240 AO Rz. 4 ff.), oder ob sie neben dem Druckmittelcharakter auch eine Gegenleistung für das Hinausschieben der Zahlung fälliger Steuerschulden und die Abgeltung von Verwaltungsaufwand darstellten (so die ständige Rechtsprechung, z. B. BFH-Urteil vom 16. November 2004, VII R 8/04, BFH/NV 2005, 495 m. w. N.). Das FG Hamburg ist dieser Auffassung zwar gefolgt und hat einen Zinsanteil an den Säumniszuschlägen bejaht, im Ergebnis hatte die Klage aber keinen Erfolg, weil es nicht davon überzeugt war, dass die Höhe der Säumniszuschläge verfassungswidrig ist. Ein genauer prozentualer Zinssatz, der verfassungsrechtlich verprobt werden könne, lasse sich angesichts des besonderen Charakters der Säumniszuschläge nicht ausmachen, so sei auch unklar, ob neben einem Zinsanteil ein bestimmter bezifferbarer Anteil für Verwaltungsaufwand anzusetzen sei. Die Säumniszuschläge verstießen auch nicht insgesamt mit einem Zinssatz von 12 % p. a. gegen das Übermaßverbot.

Die beiden Fälle zeigen, dass zwischen dem Billigkeitsverfahren und dem Festsetzungs-/Feststellungsverfahren unterschieden werden muss. In Insolvenzfällen wird die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners ab einem bestimmten Zeitpunkt regelmäßig zu bejahen sein und werden die Säumniszuschläge zur Hälfte erlassen. Der vollständige Erlass muss dann im Wege einer Verpflichtungsklage verfolgt werden. Da die Säumniszuschläge kraft Gesetzes entstehen, bedarf für die Geltendmachung anderer Einwendungen als Billigkeitsgründe des Erlasses eines Feststellungsbescheides nach § 251 Abs. 3 AO oder außerhalb des Insolvenzverfahrens eines Abrechnungsbescheides (§ 218 Abs. 2 AO).

Quelle: FG Hamburg, Mitteilung zu den Urteilen 2 K 192/18 vom 30.07.2020 (rkr) und 2 K 11/18 vom 01.10.2020 (nrkr – BFH-Az.: VII R 55/20)