Verletzung der Sachaufklärungspflicht durch Übergehen eines ordnungsgemäß gestellten Beweisantrags – BFH-Beschluss vom 09. August 2023, X B 121/22

Im Urteil vom 09. August 2023, X B 121/22, hat der Bundesfinanzhof (BFH) entschieden, dass das Finanzgericht (FG) die ihm nach § 76 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) obliegende Sachaufklärungspflicht verletzt hat, indem es dem Antrag der Klägerin auf Vernehmung ihres damaligen Buchhalters (B) nicht nachgekommen ist.

Die Klägerin hatte in den Streitjahren 2005 bis 2010 Dienstleistungen für die Durchführung von großen Familienfesten erbracht. Sie hatte mit ihren Auftraggebern schriftliche Verträge geschlossen, in denen ein Gesamtbetrag für die Leistungen der Klägerin ausgewiesen war. Die Leistungen der Klägerin wurden in der Regel am Tag der Veranstaltung vom jeweiligen Auftraggeber in bar bezahlt. Den Geldempfang quittierte die Klägerin auf den Vertragsurkunden. In ihrer Gewinnermittlung erfasste sie jedoch nicht diese Beträge, sondern geringere Einnahmen, die sich aus von ihr erstellten Rechnungen ergaben, die sie ihren Auftraggebern jedoch nicht zugeleitet hatte.

Im Anschluss an eine Steuerfahndungsprüfung änderte das FA die für die Streitjahre ergangenen Bescheide über die gesonderte Feststellung des Gewinns aus Gewerbebetrieb, den Gewerbesteuermessbetrag und die gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes. Als Einnahmen setzte es die von der Klägerin quittierten beziehungsweise die sich aus Zeugenvernehmungen ergebenden Beträge an, ferner schätzte es zusätzliche Betriebsausgaben im Umfang von 10 % der angesetzten Mehreinnahmen. Dies führte zu erheblichen Gewinnerhöhungen.

Die Klägerin rügte im Klageverfahren, bei den an Fotografen, Musiker und andere Dienstleister gezahlten Beträgen handele es sich um durchlaufende Posten, die in ihrer Gewinnermittlung weder als Einnahmen noch als Ausgaben zu erfassen seien. Hilfsweise seien für die an diese Dienstleister gezahlten Beträge in erheblichem Umfang weitere Betriebsausgaben zu berücksichtigen.

In der mündlichen Verhandlung beantragte die Klägerin, ihren damaligen Buchhalter B als Zeugen zu vernehmen. Das FG lehnte den Antrag mit der Begründung ab, die Frage, wie dieser die Zahlungsvorgänge buchhalterisch erfasst habe, sei für die Entscheidung unerheblich. Maßgeblich sei nicht die buchhalterische Erfassung der Einnahmen und Ausgaben, sondern deren tatsächliche Höhe. Hierfür habe die Klägerin jedoch keinen Beweis durch Vernehmung des B angeboten.

Der BFH hat die Entscheidung des FG aufgehoben. Er hat entschieden, dass der Antrag der Klägerin auf Vernehmung des B ordnungsgemäß gestellt war und das FG diesen Antrag nicht unberücksichtigt lassen durfte.

Die Klägerin hatte den Antrag ausdrücklich auf die im vorangegangenen Beweisbeschluss in Bezug auf E vorgesehenen Beweisthemen gestellt. In diesem Beweisbeschluss waren als Beweisthema unter anderem „die Aufwendungen, die der Klägerin im Zusammenhang mit ihrem Gewerbebetrieb … dem Grunde und der Höhe nach entstanden sind“ genannt. Damit war jedenfalls die tatsächliche Höhe der Betriebsausgaben ausdrücklich Gegenstand des in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrags der Klägerin auf Vernehmung des B.

Das FG hat die Ablehnung des Beweisantrags in erster Linie damit begründet, die Klägerin habe keinen Beweis für die tatsächliche Höhe der Einnahmen und Ausgaben angetreten. Dies ist jedoch nicht nachvollziehbar, da der Beweisantrag ausdrücklich die im vorangegangenen Beweisbeschluss in Bezug auf E vorgesehenen Beweisthemen einschloss.

Die zusätzliche Begründung des FG, es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass B zur Höhe der Betriebsausgaben Angaben werde machen können, ist eine unzulässige verbotene Beweiswürdigung. Im Übrigen hat das FG weder begründet noch ist sonst ersichtlich, weshalb nach seiner Auffassung zwar E Angaben zu den Betriebsausgaben hätte machen können, nicht aber B.

Der BFH hat daher das angefochtene Urteil aufgehoben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen.