Verstößt spanische Steuer auf den Einzelhandelsverkauf von Mineralölen gegen Unionsrecht?

Nach Ansicht von Generalanwalt Wahl verstößt eine spanische Steuer auf den Einzelhandelsverkauf von Mineralölen gegen das Unionsrecht.

Der Generalanwalt spricht sich auch gegen eine zeitliche Beschränkung der Wirkungen des Urteils des Gerichtshofs aus.

In der Verbrauchsteuerrichtlinie werden Regeln für die Erhebung von Verbrauchsteuern in der Europäischen Union festgelegt, um zu verhindern, dass der Handelsverkehr durch zusätzliche indirekte Steuern übermäßig behindert wird. Diese Richtlinie gilt u. a. für Mineralöle wie Benzin, Diesel, Heizöl und Kerosin. Eine ihrer Bestimmungen räumt den Mitgliedstaaten jedoch das Recht ein, indirekte nicht harmonisierte Steuern auf Waren einzuführen oder beizubehalten, die bereits Verbrauchsteuervorschriften unterliegen. Diese Möglichkeit besteht unter zwei Voraussetzungen, nämlich dass die betreffende Steuer i) einer besonderen, nicht haushaltsbezogenen Zielsetzung dient und ii) die Besteuerungsgrundsätze der Verbrauchsteuern oder der Mehrwertsteuer in Bezug auf die Besteuerungsgrundlage sowie die Berechnung, die Steuerentstehung und die steuerliche Überwachung beachtet.

In der vorliegenden Rechtssache geht es darum, ob eine spanische Steuer (im Folgenden: IVMDH) mit dem Unionsrecht vereinbar ist, die auf den Verbrauch bestimmter Mineralöle (Benzin, Diesel, Heizöl und Kerosin) erhoben und damit auf den Endverbraucher abgewälzt wird. Nach den spanischen Rechtsvorschriften über die IVMDH sind die Einnahmen aus dieser Steuer für Ausgaben im Gesundheits- oder Umweltwesen zu verwenden. Insbesondere soll mit ihr sichergestellt werden, dass den Autonomen Gemeinschaften ausreichende Mittel zur Verfügung stehen, um die Gesundheitskosten bestreiten zu können, die sie im Rahmen der Übertragung von Zuständigkeiten im Gesundheitswesen von der nationalen auf die regionale Ebene übernommen haben. Die Einnahmen aus der IVMDH wurden u. a. für den Bau neuer Krankenhäuser verwendet.

Der Rechtssache liegt eine Klage der Transportes Jordi Besora, S.L. (im Folgenden: TJB) zugrunde, einem in der Autonomen Gemeinschaft Katalonien ansässigen Transportunternehmen. TJB erwirbt Treibstoff in großen Mengen für ihre Fahrzeuge. Zwischen 2005 und 2008 wurde IVMDH in Höhe von 45.632,38 Euro auf sie abgewälzt. Da die IVMDH nach Ansicht von TJB gegen die Verbrauchsteuerrichtlinie verstößt, hat das Unternehmen die Erstattung dieses Betrags beantragt. Das Tribunal Superior de Justicia de Cataluña (Spanien), das über die Berufung in dieser Rechtssache entscheidet, möchte wissen, ob die IVMDH mit der Verbrauchsteuerrichtlinie vereinbar ist.

In seinen Schlussanträgen vom 24.10.2013 vertritt Generalanwalt Wahl die Auffassung, dass die IVMDH gegen die Verbrauchsteuerrichtlinie verstößt. Er prüft die IVMDH anhand der oben genannten Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, damit eine Steuer wie die IVMDH mit der Verbrauchsteuerrichtlinie vereinbar ist.

Erstens erfüllt eine Steuer wie die IVMDH nach Ansicht des Generalanwalts nicht die Voraussetzung einer besonderen Zielsetzung, und zwar insbesondere deshalb nicht, weil mit ihr derselbe Zweck verfolgt wird wie mit der bereits harmonisierten Verbrauchsteuer auf Mineralöle, nämlich die Kosten (für Gesundheits- und Umweltschutz) zu verringern, die der Allgemeinheit durch den Verbrauch von Mineralöl entstehen. Wegen dieser Überschneidung kann nicht davon ausgegangen werden, dass die IVMDH die Voraussetzung erfüllt, wonach die betreffende Steuer einer besonderen Zielsetzung dienen muss. Andernfalls würden die Bemühungen zur Harmonisierung des Verbrauchsteuerrechts zunichtegemacht und eine zusätzliche Verbrauchsteuer geschaffen, die dem Kernanliegen der Verbrauchsteuerrichtlinie, die verbleibenden Schranken auf dem Binnenmarkt zu beseitigen, zuwiderliefe.

Liegt eine solche Überschneidung nicht vor, können nach Auffassung des Generalanwalts die Ausgestaltung oder die Verwendung der Steuer Hinweise darauf liefern, ob eine besondere nicht haushaltsbezogene Zielsetzung besteht. Was die Ausgestaltung betrifft, liegt eine nicht haushaltsbezogene Zielsetzung erkennbar dann vor, wenn eine Steuer in einer Höhe festgesetzt wird, die von einem bestimmten Verhalten abhält oder dieses fördert. Hier liegen jedoch keine Informationen vor, denen sich entnehmen lässt, dass die Ausgestaltung der IVMDH tatsächlich speziell darauf abzielt, vom Mineralölverbrauch abzuhalten oder zur Verwendung anderer, weniger schädlicher Erzeugnisse anzuhalten. Was die Verwendung der Steuer anbelangt, müssen die Einnahmen konkreten Maßnahmen zugewiesen sein. Im vorliegenden Fall genügt die bloße Zuweisung von Einnahmen aus der IVMDH für allgemeine Gesundheits- und Umweltmaßnahmen nicht für den Nachweis, dass die Steuer einer nicht haushaltsbezogenen Zielsetzung dient. Tatsächlich wurde kein unmittelbarer Bezug zwischen den mit den IVMDH-Einnahmen finanzierten Maßnahmen und dem Ziel der Beseitigung bzw. Korrektur der mit dem Mineralölverbrauch verbundenen negativen Auswirkungen dargelegt.

Zweitens entspricht nach Ansicht des Generalanwalts die IVMDH in Bezug auf die Steuerentstehung strukturell nicht der Verbrauchsteuer oder der Mehrwertsteuer. Sie wird nämlich zu einem Zeitpunkt erhoben, der weder mit den Erfordernissen des Unionsrechts in Bezug auf die Entstehung der Verbrauchsteuer noch mit denen in Bezug auf die Entstehung der Mehrwertsteuer im Einklang steht. Anders als die Verbrauchsteuer, die entsteht, wenn die Waren dem letzten Steuerlager entnommen werden, und die Mehrwertsteuer, die auf jeder Produktions- und Vertriebsstufe erhoben wird, fällt die IVMDH an, wenn Mineralöle an den Verbraucher verkauft werden.

In der vorliegenden Rechtssache hat Spanien zudem beantragt, die zeitlichen Wirkungen des Urteils für den Fall zu beschränken, dass der Gerichtshof die IVMDH für mit dem Unionsrecht unvereinbar erklärt. In der Praxis würde dies bedeuten, dass das Urteil nur Wirkungen für die Zukunft hervorriefe und in der Vergangenheit erhobene Steuern unberührt ließe. Hierzu weist Generalanwalt Wahl darauf hin, dass der Gerichtshof derartigen Anträgen nur ganz ausnahmsweise stattgibt, wenn zwei Voraussetzungen erfüllt sind. Zum einen muss die Unvereinbarkeitsfeststellung eine Gefahr schwerwiegender wirtschaftlicher Auswirkungen nach sich ziehen. Zum anderen muss eine objektive, bedeutende Unsicherheit hinsichtlich der Auslegung und der Tragweite der betreffenden Unionsbestimmungen bestehen.

In diesem Zusammenhang lässt sich nach Auffassung des Generalanwalts angesichts der erheblichen Summen, um die es geht (13 Milliarden Euro nach Schätzung der spanischen Regierung), eine Gefahr schwerwiegender wirtschaftlicher Auswirkungen nicht ausschließen. Dies gilt insbesondere aufgrund der prekären Finanzlage, in der sich Spanien und seine Autonomen Gemeinschaften derzeit befinden. Außerdem könnte eine Unvereinbarkeitsfeststellung schwerwiegende Auswirkungen auf das System haben, das zur Finanzierung der Autonomen Gemeinschaften beiträgt, und zu Fehlleitungen und Engpässen in der regionalen Finanzausstattung der Gesundheitsversorgung führen. Doch besteht nach Ansicht des Generalanwalts keine bedeutende Unsicherheit hinsichtlich der Auslegung und der Tragweite der betreffenden Unionsbestimmungen. Insbesondere war zum Zeitpunkt der Einführung der IVMDH bereits eine Entscheidung des Gerichtshofs zur Unvereinbarkeit einer ähnlichen Steuer ergangen.

Schließlich weist der Generalanwalt darauf hin, dass es nicht kategorisch auszuschließen ist, dass der Gerichtshof eine Beschränkung der zeitlichen Wirkungen eines Urteils auch dann in Erwägung ziehen könnte, wenn die Voraussetzung der Unsicherheit hinsichtlich der Auslegung der betreffenden Unionsbestimmungen nicht erfüllt ist. Dies kommt in bestimmten ganz außergewöhnlichen Fällen in Betracht, in denen eine Rückwirkung besonders schwerwiegende finanzielle Konsequenzen hätte. Im vorliegenden Fall hat der Generalanwalt jedoch Bedenken, dieses Kriterium außer Acht zu lassen. Spanien scheint nämlich bewusst das Risiko eingegangen zu sein, die in Rede stehenden Vorschriften zu erlassen, so dass diese viele Jahre lang zum Nachteil der Endverbraucher und des Binnenmarkts angewandt worden sind.

Quelle: EuGH, Pressemitteilung vom 24.10.2013 zum Schlussantrag C-82/12 vom 24.10.2013