UNDESFINANZHOF Beschluss vom 19.3.2013, VIII B 199/11
Wiedereinsetzung – Unverschuldete Unkenntnis des auf dem Umschlag vermerkten Zustelldatums
Gründe
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Die Beschwerde ist begründet. Das Finanzgericht (FG) hat die Klage zu Unrecht wegen Versäumung der Klagefrist als unzulässig abgewiesen. Entgegen der Auffassung des FG war dem Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) Wiedereinsetzung in die Klagefrist zu gewähren. Der darin liegende Verfahrensmangel (Verstoß gegen § 56 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung –FGO–) führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 116 Abs. 6 FGO).
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1. Weist das FG die Klage zu Unrecht durch Prozessurteil als unzulässig ab, anstatt zur Sache zu entscheiden, liegt nach der Rechtsprechung ein Verfahrensmangel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) vor. Das gilt insbesondere, wenn das Gericht deshalb nicht zur Sache entscheidet, weil es zu Unrecht davon ausgeht, dass die Klagefrist versäumt ist (vgl. nur Senatsbeschluss vom 26. Mai 2010 VIII B 228/09, BFH/NV 2010, 2080, m.w.N.). Als Verfahrensmangel kann deshalb auch die fehlerhafte Ablehnung einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Klagefrist gerügt werden (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 115 Rz 78 a.E.). Über das Vorliegen eines ordnungsgemäß geltend gemachten Verfahrensmangels entscheidet der Bundesfinanzhof (BFH) –auch im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde– grundsätzlich ohne sachliche Einschränkungen in der Sache selbst (vgl. Lange in Hübschmann/ Hepp/Spitaler, § 115 FGO Rz 228; Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 94).
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2. Der Senat muss nicht entscheiden, ob die Vorentscheidung schon deshalb verfahrensfehlerhaft ergangen ist, weil die Klagefrist im Zeitpunkt der Klageerhebung noch nicht abgelaufen war, denn jedenfalls war dem Kläger die nachgesuchte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Klagefrist zu gewähren.
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a) Das FG hat ein die Wiedereinsetzung ausschließendes Verschulden des Klägers angenommen. Er hätte dem zugestellten Umschlag entnehmen müssen, dass die Einspruchsentscheidung förmlich zugestellt worden war. Er sei deshalb vorwerfbar zu Unrecht von einer Bekanntgabe durch die Post ausgegangen.
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b) Das FG hat dabei nicht berücksichtigt, dass die mangelnde Kenntnis von dem auf dem Umschlag handschriftlich eingetragenen Datum der Zustellung (vgl. § 180 Satz 3 der Zivilprozessordnung) selbst dann unverschuldet sein kann, wenn das zuzustellende Schriftstück den Stempelaufdruck „Zugestellt durch Postzustellungsurkunde“ enthält (vgl. BFH-Urteil vom 20. November 2008 III R 66/07, BFHE 223, 317, BStBl II 2009, 185). Der beschließende Senat lässt offen, ob er dieser Rechtsprechung uneingeschränkt folgen kann. Sie muss indes jedenfalls dann gelten, wenn auf dem zuzustellenden Schriftstück ein Hinweis auf die förmliche Zustellung –wie im Streitfall– fehlt und es sich um eine Naturalpartei handelt, die nicht erkannt hat, dass eine förmliche Zustellung vorliegt. Danach ist dem Kläger nicht vorzuwerfen, dass er den Umschlag nicht gesondert zur Kenntnis genommen und deshalb verkannt hat, dass es sich bei der Übersendung um eine förmliche Zustellung handelte. Auf die Frage, ob der Kläger mit einer förmlichen Zustellung durch Einwurf in den Briefkasten überhaupt rechnen musste oder ob er sich ohne Verschulden auf die während seiner, vor langer Zeit als Postzusteller erworbenen, Rechtskenntnisse verlassen durfte, nach denen eine solche Ersatzzustellung noch nicht zulässig war, kommt es nicht an.
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c) Nach allem durfte der Kläger bei der Berechnung der Klagefrist ohne Verschulden von dem Datum des Bescheids ausgehen und eine übliche Bekanntgabe per Post zugrunde legen. Danach hat er die Klagefrist ohne eigenes Verschulden versäumt, weshalb ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren war, denn auch die weiteren Voraussetzungen für die Wiedereinsetzung liegen vor.
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