Zum Erstattungsanspruch einer für die Ausführung des AsylblG zuständigen unteren Aufnahmebehörde gegen die Familienkasse

Subsidiär Schutzberechtigte erfüllen nicht die persönlichen Voraussetzungen des Vorläufigen Europäischen Abkommens über Soziale Sicherheit unter Ausschluss der Systeme für den Fall des Alters, der Invalidität und zugunsten der Hinterbliebenen vom 11. Dezember 1953 (VEA).

Sachverhalt:

Die Klägerin machte einen Erstattungsanspruch gemäß § 74 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes in Verbindung mit § 104 des Zehnten Sozialgesetzbuches gegenüber der beklagten Familienkasse für die von ihr gegenüber einer Kindsmutter erbrachten Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylblG) geltend und beantragte in deren berechtigtem Interesse die rückwirkende Festsetzung von Kindergeld für deren zwei Kinder. Die Kindsmutter, eine eritreische Staatsangehörige ohne Kontakt zum Kindsvater in Eritrea, war im Oktober 2015 nach Deutschland eingereist und hatte am 2. November 2015 einen Asylantrag gestellt. Ihr wurde mit Bescheid vom 12. Dezember 2016 ein subsidiärer Schutzstatus und ab Dezember 2016 für die beiden Kinder Kindergeld gewährt. Der Kindergeldanspruch galt von Dezember 2016 bis März 2017 aufgrund des Erstattungsanspruchs der Klägerin (für Dezember 2016) und eines Jobcenters (ab Januar 2017) als erfüllt.

Für die Monate April bis November 2016 lehnte hingegen die beklagte Familienkasse die Festsetzung von Kindergeld ab. Die Kindsmutter sei nicht als Flüchtling bzw. Asylberechtigte anerkannt worden. Gegen diesen Ablehnungsbescheid erhob die Klägerin nach erfolglosem Einspruchsverfahren Klage. Der Erstattungsanspruch bestehe ab dem Zeitpunkt, in dem die Kindesmutter seit sechs Monaten in Deutschland lebe. Dass nach Ablauf der Sechsmonatsfrist für die Dauer des Asylverfahrens bis zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft bzw. des subsidiären Schutzes ein Anspruch bestehe, ergebe sich aus Art. 2 VEA. Das VEA sei rückwirkend auch auf Zeiträume anwendbar, die vor dem Zeitpunkt der unanfechtbaren Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft bzw. des subsidiären Schutzes, aber nach Ablauf der Sechsmonatsfrist lägen. Die Kindsmutter habe sich im Streitzeitraum schon länger als sechs Monate im Inland aufgehalten und nach Ablauf der Sechsmonatsfrist bestehe für die Dauer des Asylverfahrens bis zur Zuerkennung des subsidiären Schutzes ein Kindergeldanspruch. Ein Flüchtling mit subsidiärem Schutzstatus sei anerkannten Asylberechtigten und Flüchtlingen nach der Genfer Flüchtlingskommission gleichzustellen. Die Kindsmutter wurde zum Verfahren beigeladen.

Aus den Gründen:

Das Finanzgericht entschied, dass die Klägerin als möglicherweise erstattungsberechtigte Sozialleistungsträgerin antrags- und klagebefugt und ihre auf Erstattung gerichtete allgemeine Leistungsklage zulässig, jedoch unbegründet sei.

Kein Kindergeldanspruch nach dem VEA für die Zeit vor Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus

Die Kindsmutter erfülle als subsidiär Schutzberechtigte die persönlichen Voraussetzungen für einen Kindergeldanspruch nicht. Subsidiär Schutzberechtigten würden nicht dieselben Rechte wie Flüchtlingen zugebilligt. Eine über den Wortlaut hinausreichende richtlinienkonforme Auslegung des VEA komme nicht in Betracht. Danach tragen zwar die Mitgliedstaaten „dafür Sorge, dass Personen, denen internationaler Schutz zuerkannt worden ist, in dem Mitgliedstaat, der diesen Schutz gewährt hat, die notwendige Sozialhilfe wie Staatsangehörige dieses Mitgliedstaats erhalten“. Das Kindergeld gehöre jedoch nicht zu den Sozialhilfeleistungen. Es hänge nicht von der Bedürftigkeit des Kindergeldberechtigten ab. Es bezwecke die steuerliche Freistellung des Existenzminimums der Kinder. Auch nach innerstaatlichem Ausländerrecht seien subsidiär Schutzberechtigte den Flüchtlingen im Sinne des Genfer Abkommens nicht gleichgestellt.

Keine Bindungswirkung norminterpretierender Verwaltungsanweisungen

Ein Anspruch auf Kindergeld könne auch nicht aus A 4.4 Abs. 1 der Dienstanweisung des Bundeszentralamts für Steuern zum Kindergeld nach dem Einkommensteuergesetz (Stand: 2019) hergeleitet werden. Insoweit handele es sich um eine norminterpretierende Verwaltungsanweisung ohne Bindungswirkung im gerichtlichen Verfahren.

Kein Erstattungsanspruch bei Fehlen eines vorrangigen Anspruchs der Kindsmutter auf Kindergeld

Es bestünden auch keine Erstattungsansprüche der Klägerin gegen die beklagte Familienkasse. Erstattungspflichtig sei der Leistungsträger, gegen den der Berechtigte vorrangig einen Anspruch habe. Erstattungsberechtigt sei der nachrangig Verpflichtete, sofern er geleistet habe und soweit er bei rechtzeitiger Erfüllung der Leistung durch den anderen Leistungsträger selbst nicht zur Leistung verpflichtet gewesen wäre. Einen gegenüber den Leistungen nach dem AsylblG vorrangigen Anspruch der Kindsmutter auf Kindergeld gebe es nicht und infolgedessen keinen Erstattungsanspruch der Klägerin gegen die Familienkasse.

Quelle: FG Baden-Württemberg, Mitteilung vom 06.05.2020 zum Urteil 3 K 1614/17 vom 16.01.2020 (nrkr – BFH-Az.: III R 19/20)