Zur Umsatzsteuerfreiheit von Schönheitsoperationen

Nach dem Urteil des V. Senats des Bundesfinanzhofes (BFH) vom 4. Dezember 2014 sind ästhetische Operationen („Schönheitsoperationen“) als umsatzsteuerfreie Heilbehandlungen anzusehen, wenn der Eingriff aufgrund einer Krankheit, Verletzung oder eines angeborenen körperlichen Mangels erforderlich ist. Darüber ist auf der Grundlage anonymisierter Patientenunterlagen zu entscheiden. Das Regelbeweismaß ist auf eine „größtmögliche Wahrscheinlichkeit“ zu verringern.

Konkret bedeutet dies: Eine Beweiserhebung über ästhetische Operationen als Heilbehandlung darf nicht davon abhängig gemacht werden, dass Name und Anschrift des behandelten Patienten genannt werden. Stattdessen ist auf der Grundlage der anonymisierten Patientenunterlagen ein Sachverständigengutachten über die mit der Operation verfolgte Zielsetzung einzuholen. Der BFH betont auch die den Steuerpflichtigen (Klinik oder Arzt) treffenden Mitwirkungspflichten. Dieser muss – auf anonymisierter Grundlage – detaillierte Angaben zu der mit dem jeweiligen Behandlungsfall verfolgten therapeutischen oder prophylaktischen Zielsetzung machen.

Im konkreten Streitfall hob der BFH das Urteil der Vorinstanz auf, das eine Beweiserhebung von einer Benennung der behandelten Patienten abhängig gemacht hatte. Die Sache wurde an das Finanzgericht zur erneuten Verhandlung zurückverwiesen.

Mit einem weiteren Urteil vom gleichen Tag hat der V. Senat ebenfalls zur Steuerfreiheit von Schönheitsoperationen entschieden (V R 33/12).

BFH, Pressemitteilung Nr. 13/15 vom 18.02.2015 zu den Urteilen V R 16/12 und V R 33/12 vom 04.12.2014

 

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 4.12.2014, V R 33/12

Steuerfreie Heilbehandlungsleistungen

Leitsätze

1. Ästhetische Operationen und ästhetische Behandlungen sind nur dann als Heilbehandlung steuerfrei, wenn sie dazu dienen, Personen zu behandeln oder zu heilen, bei denen aufgrund einer Krankheit, Verletzung oder eines angeborenen körperlichen Mangels ein Eingriff ästhetischer Natur erforderlich ist.

2. Zum Schutz des Vertrauensverhältnisses zwischen Arzt und Patient ist es bei Überprüfung der Umsatzsteuerfreiheit von Heilbehandlungsleistungen erforderlich, das für richterliche Überzeugungsbildung gebotene Regelbeweismaß auf eine „größtmögliche Wahrscheinlichkeit“ zu verringern.

Tatbestand

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I. Die Klägerin, Revisionsklägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), eine GbR, führte im Streitjahr 2003 ihrem Gesellschaftsvertrag entsprechend kosmetische Eingriffe und Operationen durch. Im Anschluss an eine Außenprüfung ging der Beklagte, Revisionsbeklagte und Revisionskläger (das Finanzamt –FA–) davon aus, dass die Klägerin mit ihren ästhetisch-plastischen Operationen Leistungen erbracht habe, die nicht medizinisch indiziert gewesen seien, so dass von steuerpflichtigen Umsätzen mit Recht auf Vorsteuerabzug auszugehen sei. Gegen den Umsatzsteuerbescheid vom 31. Oktober 2005 legte die Klägerin Einspruch ein, der nur insoweit Erfolg hatte, als weitere Vorsteuerbeträge berücksichtigt wurden.
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Der hiergegen eingelegten Klage gab das Finanzgericht (FG) teilweise statt. Das FG ging auf der Grundlage eines gerichtlich bestellten Sachverständigen davon aus, dass von den insgesamt 129 Behandlungsfällen 45 ästhetisch indiziert veranlasst gewesen seien, im Übrigen aber physisch-medizinische oder psycho-medizinische Indikationen gegeben seien.
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Hiergegen wenden sich Klägerin und FA mit ihren Revisionen.
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Die Klägerin macht geltend, dass die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH), die bei der Auslegung des nationalen Rechts die Bestimmungen der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) und die hierzu ergangene Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) berücksichtigt habe, die bei der Auslegung zu beachtende Wortlautgrenze überschreite und damit zu einer unzulässigen unmittelbaren Anwendung der Richtlinie zu Lasten der Unternehmer führe. Durch die Rechtsprechung komme es zu einem strukturellen Vollzugsdefizit. Die Abrechnung steuerfreier und steuerpflichtiger Leistungen nach einer einheitlichen Gebührenordnung verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz. Zu berücksichtigen sei auch die Gesundheitsdefinition der Weltgesundheitsorganisation. Nach Maßgabe des nationalen Rechts seien ihre Leistungen in vollem Umfang steuerfrei. Das FG habe ihren Beweisanträgen nachkommen müssen.
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Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das Urteil des FG aufzuheben, soweit es der Klage nicht stattgegeben hat und unter Aufhebung des Umsatzsteuerbescheids vom 31. Oktober 2005 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 1. März 2007 die Umsatzsteuer auf 0 EUR festzusetzen und die Revision des FA zurückzuweisen.

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Die Klägerin begehrt zudem die Einleitung eines Vorabentscheidungsersuchens, mit dem sinngemäß geklärt werden soll,
ob nach der unionsrechtlichen Rechtslage dem behandelnden Arzt die Entscheidung über das Vorliegen einer medizinischen, insbesondere psychologischen Indikation jedenfalls in der Bundesrepublik Deutschland zukommt, in der der Arzt mit Approbation die uneingeschränkte Diagnosekompetenz erhält und die Hinzuziehung eines Konsiliararztes in sein Ermessen gestellt ist und
ob die Gewährung der Befreiung im Nachhinein von der Steuerverwaltung in Frage gestellt werden kann, wenn der Arzt seiner berufsrechtlich vorgeschriebenen Dokumentationspflicht entsprochen hat und die Diagnose einer medizinischen Indikation festgehalten worden ist.
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Das FA beantragt sinngemäß,

das Urteil des FG aufzuheben, die Umsatzsteuer 2003 in Höhe von 87.545,32 EUR festzusetzen und die Revision der Klägerin zurückzuweisen.

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Nach der BFH-Rechtsprechung habe der behandelnde Arzt festzustellen, ob bei chirurgisch-plastischen Operationen eine hinreichende medizinische Indikation vorliege. Dies unterliege der vollen finanzgerichtlichen Überprüfung. Im Streitfall führe die Beurteilung des behandelnden Arztes, wie er sie in seinen Honorarvereinbarungen dokumentiert habe, zur Steuerpflicht der Leistungen. Aus den Honorarvereinbarungen ergebe sich, dass Arzt und Patient kosmetische Operationen vereinbart hätten. Die Honorare seien abweichend von den in § 5 der Gebührenordnung für Ärzte vorgesehenen Sätzen pauschal festgelegt worden, es fehlten Spezifikationen, die auf eine Erstattung durch private oder gesetzliche Krankenkassen hinwiesen. Die Operationen seien daher nicht Mittel für eine Behandlung, sondern Selbstzweck gewesen. Auf die Beurteilung durch einen Gutachter komme es somit nicht an. Zudem habe es für den Gutachter an ausreichenden Tatsachengrundlagen gefehlt. Der Gutachter habe die Patienten nicht selbst untersucht und keine hierauf beruhende eigene Befunderhebung vorgenommen. Die medizinische Indikation sei nur dann nachträglich feststellbar, wenn einem später bestellten Gutachter eine umfassende Dokumentation vorliege. Fehle diese, müsse er eine eigene körperliche Untersuchung vornehmen. Der Gutachter müsse auch den Patienten befragen, um feststellen zu können, ob dieser von einer medizinischen Indikation ausgegangen sei. Im Streitfall habe der Gutachter nach Maßgabe anonymisierter Unterlagen, meist ohne Bild und ohne Rücksprache mit dem jeweiligen Patienten entschieden. In den Patientenblättern wie auch im gerichtlichen Gutachten hätten Angaben zur Anamnese und Diagnose der angeführten psychischen Erkrankung ebenso gefehlt wie Angaben zu den Gründen, aus denen eine Operation die notwendige Therapie gewesen sein soll. Zudem habe das FG den Anspruch auf rechtliches Gehör und die Sachaufklärungspflicht verletzt.

Entscheidungsgründe

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II. A. Die Revision der Klägerin ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung –FGO–). Das FG hat in Übereinstimmung mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung entschieden, dass Maßnahmen der plastischen Chirurgie nur dann als Heilbehandlung steuerfrei sind, wenn sie therapeutischen Zwecken dienen. Dies hat das FG verfahrensfehlerfrei verneint.
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1. Nach § 4 Nr. 14 des Umsatzsteuergesetzes (UStG), der nach dem Senatsurteil vom 18. August 2011 V R 27/10 (BFHE 235, 58, BFH/NV 2011, 2214, unter II.2.c) auch auf Heilbehandlungsleistungen der Klägerin anzuwenden ist, waren steuerfrei „die Umsätze aus der Tätigkeit als Arzt … oder aus einer ähnlichen heilberuflichen Tätigkeit im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes [EStG]“.
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a) Diese Vorschrift ist nach ständiger BFH-Rechtsprechung entsprechend Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 77/388/EWG auszulegen. Daher setzt die Steuerfreiheit voraus, dass der Unternehmer eine Heilbehandlung im Bereich der Humanmedizin durch ärztliche oder arztähnliche Leistungen erbringt und die dafür erforderliche Qualifikation besitzt (vgl. z.B. BFH-Urteil in BFHE 235, 58, BFH/NV 2011, 2214, unter II.1.a). Da die Begriffe der „Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin“ i.S. von Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 77/388/EWG und der „ärztlichen Heilbehandlung“ i.S. von Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG gleichbedeutend sind (EuGH-Urteil vom 21. März 2013 C-91/12, PFC Clinic, Umsatzsteuer-Rundschau –UR– 2013, 335, Rz 24), ist bei der Auslegung des nationalen Rechts die zu diesen beiden Bestimmungen ergangene Rechtsprechung des EuGH zu berücksichtigen. Da es aufgrund der Neuregelungen durch die Richtlinie des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem 2006/112/EG (MwStSystRL) zu keinen inhaltlichen Änderungen gekommen ist, gilt dies auch für die zu Art. 132 Abs. 1 Buchst. b und c der MwStSystRL ergangene Rechtsprechung (EuGH-Urteil vom 10. Juni 2010 C-86/09, Future Health Technologies Ltd., UR 2010, 540, Rz 27).
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Der Senat hält trotz der Einwendungen der Klägerin an seiner bisherigen Rechtsprechung zur richtlinienkonformen Auslegung von § 4 Nr. 14 UStG fest. Diese überschreitet trotz der Verweisung auf § 18 EStG nicht die bei der Auslegung zu beachtende Wortlautgrenze. Zudem spricht das Erfordernis der Rechtssicherheit (vgl. z.B. hierzu allgemein BFH-Urteil vom 12. Oktober 1995 I R 47/95, BFH/NV 1996, 503, unter II.2.) für ein Festhalten an der bisherigen Rechtsprechung, zumal es sich bei § 4 Nr. 14 UStG in der im Streitjahr geltenden Fassung um ausgelaufenes Recht handelt, wobei die Verweisung auf § 18 EStG bereits durch Art. 5 Nr. 4 Buchst. c Doppelbuchst. aa und Art. 25 Abs. 1 StÄndG 2003 vom 15. Dezember 2003 (BGBl I 2003, 2645) mit Wirkung zum 20. Dezember 2003 entfiel und das im Übrigen aufgrund der Neuregelung durch das Jahressteuergesetz 2009 nur auf bis zum 31. Dezember 2008 ausgeführte Umsätze anzuwenden ist (vgl. zum Inkrafttreten der Neuregelung in § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG Art. 7 Nr. 4 Buchst. b des Gesetzes vom 19. Dezember 2008, BGBl I 2008, 2794).
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b) Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin dienen danach der Diagnose, Behandlung und, soweit möglich, der Heilung von Krankheiten oder Gesundheitsstörungen. Sie müssen einen therapeutischen Zweck haben. Hierzu gehören auch Leistungen zum Zweck der Vorbeugung und zum Schutz einschließlich der Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der menschlichen Gesundheit. „Ärztliche Leistungen“, „Maßnahmen“ oder „medizinische Eingriffe“ zu anderen Zwecken sind keine Heilbehandlungen (vgl. z.B. BFH-Urteil in BFHE 235, 58, BFH/NV 2011, 2214, unter II.1.b).
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c) Für den Bereich der sog. Schönheitsoperationen hat der EuGH seine Rechtsprechung dahingehend präzisiert, dass „ästhetische Operationen und ästhetische Behandlungen … unter den Begriff ‚ärztliche Heilbehandlungen‘ oder ‚Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin‘ [fallen] …, wenn diese Leistungen dazu dienen, Krankheiten oder Gesundheitsstörungen zu diagnostizieren, zu behandeln oder zu heilen oder die Gesundheit zu schützen, aufrechtzuerhalten oder wiederherzustellen“ (EuGH-Urteil PFC Clinic in UR 2013, 335, Leitsatz erster Gedankenstrich). Die Leistungen müssen „dazu dienen, Personen zu behandeln oder zu heilen, bei denen aufgrund einer Krankheit, Verletzung oder eines angeborenen körperlichen Mangels ein Eingriff ästhetischer Natur erforderlich ist“ (EuGH-Urteil PFC Clinic in UR 2013, 335, Rz 29). Dabei können die gesundheitlichen Probleme, die zu einer steuerfreien Heilbehandlung führen, auch „psychologischer Art“ sein (EuGH-Urteil PFC Clinic in UR 2013, 335, Rz 33). Erfolgt „der Eingriff jedoch zu rein kosmetischen Zwecken“, reicht dies nicht aus (EuGH-Urteil PFC Clinic in UR 2013, 335, Rz 29). Im Übrigen ist die „rein subjektive Vorstellung, die die Person, die sich einem ästhetischen Eingriff unterzieht, von diesem Eingriff hat, … als solche für die Beurteilung, ob der Eingriff einem therapeutischen Zweck dient, nicht maßgeblich“ (EuGH-Urteil PFC Clinic in UR 2013, 335, Leitsatz zweiter Gedankenstrich). Von Bedeutung ist demgegenüber, dass die Leistungen, „von einer Person erbracht werden, die zur Ausübung eines Heilberufs zugelassen ist, oder dass der Zweck des Eingriffs von einer solchen Person bestimmt wird“ (EuGH-Urteil PFC Clinic in UR 2013, 335, Leitsatz dritter Gedankenstrich). Denn die Beurteilung medizinischer Fragen „muss … auf medizinischen Feststellungen beruhen, die von dem entsprechenden Fachpersonal getroffen worden sind“ (EuGH-Urteil PFC Clinic in UR 2013, 335, Rz 35).
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Nichts anderes ergibt sich aus der bisherigen Rechtsprechung des erkennenden Senats, nach der als Heilbehandlung nur die Tätigkeiten steuerfrei sind, die zum Zweck der Vorbeugung, der Diagnose, der Behandlung und, soweit möglich, der Heilung von Krankheiten oder Gesundheitsstörungen für bestimmte Patienten ausgeführt werden, so dass eine ärztliche Leistung, die in einem Zusammenhang erbracht wird, der die Feststellung zulässt, dass ihr Hauptziel nicht der Schutz der Gesundheit ist, nicht steuerfrei ist und es daher für die Umsatzsteuerfreiheit von Schönheitsoperationen nicht ausreicht, dass die Operationen nur von einem Arzt ausgeführt werden können, sondern es vielmehr erforderlich ist, dass auch derartige Operationen dem Schutz der menschlichen Gesundheit dienen, womit es nicht zu vereinbaren ist, Leistungen der Schönheitschirurgen ohne Rücksicht auf ihre medizinische Indikation als steuerfrei zu behandeln (vgl. zuletzt BFH-Urteil vom 7. Oktober 2010 V R 17/09, BFH/NV 2011, 865, unter II.3.b).
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2. Die nach der EuGH-Rechtsprechung erforderliche Feststellung, welche Zwecke mit ärztlichen Leistungen verfolgt werden, ist in vielen Fällen, bei denen sich die Zielsetzung bereits aus der Leistung selbst ergibt, unproblematisch. Anders ist es im Bereich ästhetisch-chirurgischer Maßnahmen, die sowohl Heilbehandlungszwecken als auch bloßen kosmetischen Zwecken dienen können. Im Bereich ästhetisch-chirurgischer Maßnahmen kommt es daher auf eine Einzelprüfung an. Diese ist unter größtmöglicher Wahrung des zwischen Arzt und Patient bestehenden und auch durch § 84 Abs. 1 FGO i.V.m. § 102 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. c der Abgabenordnung geschützten Vertrauensverhältnisses vorzunehmen. Daher ist die gemäß § 76 Abs. 1 Satz 1 und 2 FGO von Amts wegen erforderliche Sachverhaltsaufklärung auf der Grundlage anonymisierter Patientenunterlagen durchzuführen. Der Schutz des Vertrauensverhältnisses erfordert zudem, das für die richterliche Überzeugungsbildung erforderliche, aber auch ausreichende Beweismaß gegenüber dem Regelbeweismaß zu reduzieren. Das Beweismaß kann sich dabei auf eine „größtmögliche Wahrscheinlichkeit“ verringern (vgl. BFH-Urteile vom 23. März 2011 X R 44/09, BFHE 233, 297, BStBl II 2011, 884, und vom 4. Dezember 2014 V R 16/12).
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3. Diesen Anforderungen entspricht das Urteil des FG, das sowohl mit den materiell-rechtlichen Anforderungen des § 4 Nr. 14 UStG übereinstimmt, als auch mit der Beweiserhebung durch Sachverständigengutachten den vorstehenden Grundsätzen zur Beweiserhebung Rechnung getragen hat.
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4. Die weiteren Einwendungen der Klägerin hiergegen greifen nicht durch.
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a) Durch die vom EuGH verlangte Prüfung der Zielsetzung der jeweiligen ärztlichen Maßnahme kommt es nicht zu einem strukturellen Vollzugsdefizit. Es ist jeder Steuerfreiheit immanent, dass ihre Voraussetzungen finanzgerichtlich überprüfbar sein müssen. Der erkennende Senat trägt den Schwierigkeiten bei der nachträglichen Überprüfung des Heilbehandlungscharakters zudem dadurch Rechnung, dass das erforderliche Beweismaß auf eine „größtmögliche Wahrscheinlichkeit“ zu verringern ist (s. oben II.A.2.).
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b) Auf die Überlegungen der Klägerin zur Abrechnung nach Gebührenordnungen, die nicht nach der Umsatzsteuerfreiheit oder Umsatzsteuerpflicht der abgerechneten Leistungen differenzieren, kommt es nicht an. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) sind Preisvereinbarungen grundsätzlich als sog. Bruttopreisvereinbarungen einschließlich ggf. entstehender Umsatzsteuer anzusehen (vgl. z.B. BGH-Urteil vom 28. Februar 2002 I ZR 318/99, Neue Juristische Wochenschrift 2002, 2312). Trägt eine Gebührenordnung des nationalen Rechts den Unterschieden, die sich aus Steuerfreiheit oder Steuerpflicht ergeben, nicht Rechnung, kann dies die Auslegung des unionsrechtlich harmonisierten Steuerrechts hinsichtlich der Frage, ob eine Steuerbefreiung anzuwenden ist, gleichwohl nicht beeinflussen.
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c) Der von der Klägerin angestrebten Vorlage an den EuGH bedarf es nicht. Aus dem EuGH-Urteil PFC Clinic in UR 2013, 335 folgt nur, dass es für die Steuerfreiheit von Bedeutung ist, dass die Leistungen „von einer Person erbracht werden, die zur Ausübung eines Heilberufs zugelassen ist, oder dass der Zweck des Eingriffs von einer solchen Person bestimmt wird“ (EuGH-Urteil PFC Clinic in UR 2013, 335, Leitsatz dritter Gedankenstrich). Hieraus folgt nicht, dass die Vorstellungen des behandelnden Arztes für das Besteuerungsverfahren bindend sind.
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d) Im Hinblick auf die eigenständige steuerrechtliche Begriffsbildung durch den EuGH kommt es auch nicht auf die Gesundheitsdefinitionen der Weltgesundheitsorganisation an.
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e) Auch die Verfahrensrüge der Klägerin greift nicht durch, da für das FG aufgrund der Beweiserhebung durch Sachverständigengutachten keine Notwendigkeit für eine weitere Beweiserhebung bestand. Für die Beauftragung eines weiteren Gutachters bestand keine Veranlassung. Ob die Leistungen dem allgemeinen Ziel der Gesundheitsvorsorge dienten, ist nach Maßgabe der EuGH-Rechtsprechung unerheblich. Ebenso kam es nicht auf die Anzahl der nicht operierten Personen an.
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B. Die Revision des FA ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO).
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1. Das FG hat in Übereinstimmung mit der finanzgerichtlichen Verpflichtung zur Sachverhaltsaufklärung (s. oben II.A.2.) Beweis durch Einholung eines Sachverständigengutachtens (§ 81 Abs. 1 FGO, § 82 FGO i.V.m. §§ 402 ff. der Zivilprozessordnung) erhoben.
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Entgegen der Auffassung des FA war das FG daher nicht verpflichtet, über die Steuerfreiheit der streitigen Leistungen nach Maßgabe von Honorarvereinbarungen, aus denen sich nach Ansicht des FA der fehlende Heilbehandlungscharakter ergeben soll, zu entscheiden. Ebenso kommt es unter Berücksichtigung des zu schützenden Vertrauensverhältnisses zwischen Arzt und Patient (s. oben II.A.2.) nicht in Betracht, für die Beweiserhebung durch Sachverständigengutachten eine eigene Untersuchung und Befunderhebung durch den Gutachter zu verlangen. Vielmehr konnte sich das FG mit einer Erstattung des Gutachtens auf der Grundlage anonymisierter Patientenunterlagen zufrieden gegeben.
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2. Es liegt auch kein Verfahrensfehler vor.
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a) Das FG hat nicht den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt. Entgegen der Auffassung des FA ergibt sich eine derartige Verletzung nicht daraus, dass das FG das FA nicht ausdrücklich auf das Vorliegen von Honorarvereinbarungen hingewiesen hat. Denn im Hinblick auf die Beweiserhebung durch den gerichtlich bestellten Sachverständigen kam es hierauf nicht an (s. oben II.A.1.).
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b) Aus diesem Grund ergibt sich auch keine Verletzung der „Sachaufklärungspflicht“ daraus, dass das FG entgegen § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO nicht das Gesamtergebnis des Verfahrens berücksichtigt habe, indem es Honorarvereinbarungen und Abrechnungen mit den Patienten unbeachtet gelassen habe.