Am 4. August 2025 haben die obersten Finanzbehörden der Länder per Allgemeinverfügung zahlreiche noch offene Einsprüche und Änderungsanträge zum Solidaritätszuschlag erledigt. Betroffen sind ausschließlich Veranlagungszeiträume vor 2020 – und nur dort, wo als Begründung die angebliche Verfassungswidrigkeit des Solidaritätszuschlaggesetzes 1995 (SolZG 1995) geltend gemacht wurde. Solche anhängigen und zulässigen Rechtsbehelfe werden pauschal zurückgewiesen. Grundlage sind u. a. § 367 Abs. 2b AO und § 172 Abs. 3 AO sowie einschlägige Entscheidungen von BVerfG und BFH.
Kurzfassung für die Praxis
- Was ist passiert? Die obersten Finanzbehörden der Länder haben per Allgemeinverfügung angeordnet, dass alle am 4. August 2025 anhängigen und zulässigen Einsprüche gegen den Solidaritätszuschlag (SolZ) für Veranlagungszeiträume vor 2020 zurückgewiesen werden – soweit die Verfassungswidrigkeit des Solidaritätszuschlaggesetzes 1995 geltend gemacht wird.
- Gleiches gilt für zulässige Änderungsanträge außerhalb eines Einspruchs-/Klageverfahrens, die am 4.8.2025 anhängig waren und die Verfassungsmäßigkeit bestreiten.
- Konsequenz: Ein individueller Abhilfebescheid ist nicht zu erwarten; Rechtsmittel sind zentral über die Klage gegen die Allgemeinverfügung zu führen.
Rechtlicher Hintergrund (Auszug)
Die Allgemeinverfügung stützt sich u. a. auf:
- § 367 Abs. 2b AO (Zurückweisung gleichgelagerter Einsprüche durch Allgemeinverfügung) und § 172 Abs. 3 AO (Ablehnung von Änderungsanträgen),
- Beschlüsse des BVerfG vom 10.06.2013 (2 BvR 1942/11; 2 BvR 2121/11) sowie vom 07.06.2023 (2 BvL 6/14),
- Urteile des BFH vom 14.11.2018 (II R 64/15, BStBl II 2019, 289) und vom 20.02.2024 (IX R 27/23 [II R 27/15], BStBl II 2024, 444).
Wen betrifft das?
- Steuerpflichtige mit Einsprüchen/Anträgen zum Solidaritätszuschlag für Zeiträume vor 2020,
- deren Begründung (allein oder überwiegend) die Verfassungswidrigkeit des Solidaritätszuschlaggesetzes 1995 ist,
- und deren Verfahren am 04.08.2025 beim Finanzamt anhängig und zulässig waren.
Was sollten Sie jetzt tun?
- Bescheide prüfen: Betrifft Ihr Einspruch/Antrag ausschließlich die Verfassungsmäßigkeit, ist mit Zurückweisung per Allgemeinverfügung zu rechnen.
- Weitere Streitpunkte sichern: Enthält Ihr Rechtsbehelf zusätzliche Sach- oder Rechtsfragen (z. B. Bemessungsgrundlage, Festsetzungshöhe), sollten diese gesondert weiterverfolgt werden.
- Fristen im Blick behalten: Gegen die Allgemeinverfügung ist nur Klage möglich (Einspruch ausgeschlossen). Die Klagefrist beträgt 1 Jahr ab dem Tag nach der BStBl-Veröffentlichung.
- Formalia beachten: Die Klage ist beim örtlich zuständigen Finanzgericht gegen das zuständige Finanzamt zu erheben. Elektronische Einreichung nach § 52a, § 52d FGO möglich.
Rechtsbehelfsbelehrung (auszugsweise, verständlich erläutert)
- Rechtsmittel: Klage (kein Einspruch).
- Frist: 1 Jahr ab dem Tag nach der BStBl-Veröffentlichung der Allgemeinverfügung.
- Zuständigkeit: Finanzgericht des Bezirks, in dem das erlassende Finanzamt sitzt.
- Inhalt der Klage: Angaben zu Kläger, Beklagtem (Finanzamt), Klagebegehren, angegriffenem Verwaltungsakt und Allgemeinverfügung; möglichst bestimmter Antrag, Sachverhaltsdarstellung und Beweismittel.
- Beizufügen: Abschrift des angefochtenen Verwaltungsakts und der Allgemeinverfügung (bei elektronischer Klage: Upload).
- Tipp: Reichen Sie die Klageschrift zweifach ein, sofern nicht elektronisch.
Unsere Einschätzung
- Die Finanzverwaltung bündelt gleichgelagerte Verfahren zum SolZ vor 2020 und verweist auf die bestehende höchstrichterliche Rechtsprechung.
- Für Mandate mit rein verfassungsrechtlicher Argumentation zum SolZ 1995 ist die Erfolgsaussicht begrenzt.
- Einzelfallchancen können bestehen, wenn weitere – nicht verfassungsrechtliche – Punkte im Raum stehen (z. B. Rechen-/Abgrenzungsfragen, Grundlagenbescheide, Vorläufigkeitsvermerke).
Handlungsempfehlungen für Mandanten
- Lassen Sie Ihre Unterlagen prüfen. Wir klären, ob neben der Verfassungsfrage weitere Ansatzpunkte bestehen.
- Entscheiden Sie über Klage: Wir beurteilen mit Ihnen Nutzen, Kosten und Risiken einer Klage gegen die Allgemeinverfügung.
- Fristenmanagement: Wir übernehmen die Fristenkontrolle und die korrekte Einreichung beim Finanzgericht.
- Dokumente bereitstellen: Bescheid(e), Einspruch, Verwaltungsakte, Korrespondenz mit dem Finanzamt, ggf. bereits erteilte Vorläufigkeits- oder Ruhensverfügungen.
Quelle: Bundesministerium der Finanzen
Was regelt die Allgemeinverfügung genau?
- Geltungsbereich: Alle am 04.08.2025 noch anhängigen und zulässigen Einsprüche gegen die Festsetzung des Solidaritätszuschlags für Jahre vor 2020, soweit allein die Verfassungswidrigkeit des SolZG 1995 gerügt wird. Gleiches gilt für entsprechende Änderungsanträge außerhalb von Einspruchs- oder Klageverfahren.
- Rechtsmittel: Gegen die Allgemeinverfügung selbst ist nur Klage möglich (Einspruch ausgeschlossen). Die Klagefrist beträgt ein Jahr ab dem Tag nach der Veröffentlichung im Bundessteuerblatt.
- Formalien: Die Klage ist beim örtlich zuständigen Finanzgericht gegen das Finanzamt zu richten; Details zur elektronischen Einreichung ergeben sich aus § 52a FGO und § 52d FGO.
Rechtlicher Hintergrund in Kürze
- Das BMF verweist in der Allgemeinverfügung u. a. auf frühere BVerfG-Beschlüsse (2013; 2023) und BFH-Urteile (2018; 2024).
- Zusätzlich hat das BVerfG am 26.03.2025 eine Verfassungsbeschwerde gegen den Solidaritätszuschlag zurückgewiesen und die Vereinbarkeit des SolZG mit dem Grundgesetz bekräftigt (Az. 2 BvR 1505/20).
- Speziell für die Argumentation „Übermaßbesteuerung“ bei SolZ verweist die Verwaltung u. a. auf das BFH-Urteil vom 20.02.2024, IX R 27/23 (II R 27/15).
Wer ist betroffen – und wer nicht?
- Betroffen: Steuerpflichtige mit offenen Einsprüchen/Anträgen zum SolZ bis einschließlich 2019, die nur auf die (Un-)Verfassungsmäßigkeit des SolZG 1995 gestützt sind.
- Nicht automatisch betroffen:
- Fälle ab 2020 (hierzu trifft die Allgemeinverfügung keine Regelung).
- Einsprüche, in denen weitere, andere Gründe (z. B. Verfahrens- oder Sachfehler) geltend gemacht wurden – diese bleiben vom pauschalen Verwerfen unberührt und sind separat zu prüfen. (Folgt aus der Formulierung „soweit… geltend gemacht wird“.)
Was sollten Sie jetzt tun? (Praxisleitfaden)
- Posteingang prüfen: Geht Ihnen ein Sammel-/Allgemeinverfügungs-Hinweis oder eine Mitteilung des Finanzamts zu, ordnen Sie den Fall den betroffenen Jahren (bis 2019) zu.
- Einspruchsbegründung checken: Stand nur die Verfassungsmäßigkeit im Raum, ist der Einspruch mit Wirkung der Allgemeinverfügung erledigt. Enthielt er weitere Punkte, bestehen diese unabhängig fort – hier Nachfassen und gesonderte Bescheidung einfordern. (Ableitbar aus dem begrenzten Anwendungsbereich der Verfügung.)
- Klagefrist im Blick behalten: Wollen Sie die Allgemeinverfügung angreifen, beachten Sie die Jahresfrist ab BStBl-Veröffentlichung. Einspruch ist nicht zulässig.
- Mandantenkommunikation: Transparent erklären, dass die Finanzverwaltung nach höchstrichterlicher Linie agiert und altanhängige „Soli-Verfassungs“-Fälle abschließt. (BVerfG-Darstellung im BMF-Monatsbericht als Hintergrund nutzen.)
Häufige Fragen (FAQ)
Gilt das auch für Körperschaften?
Ja, soweit es um den festgesetzten Solidaritätszuschlag (als Ergänzungsabgabe zur KSt/ESt) vor 2020 geht und der Verfassungsangriff der einzige Streitpunkt ist.
Ich habe zusätzlich materielle Einwendungen erhoben – sind die auch weg?
Nein. Die Allgemeinverfügung wirkt nur insoweit, wie Verfassungsbedenken gegen das SolZG 1995 vorgebracht wurden. Andere Streitpunkte sind separat zu entscheiden.
Wo finde ich die Verfügung?
Die BMF-Fassung ist veröffentlicht; einige Länder (z. B. Sachsen) stellen identische Fassungen mit Länderzeichen (inkl. BW-Az. FM3-S 0338-1/43) bereit.