Kernthese: Ob eine Einkunftsquelle als Steuerstundungsmodell im Sinne des § 15b Abs. 1, 2 EStG gilt, muss immer anlegerbezogen und durch eine wertende Gesamtbetrachtung aller Umstände des Einzelfalls geprüft werden. Das Label der Gestaltung ist dabei weniger wichtig als die tatsächlichen Motive und die operative Substanz.
1. Hintergrund: Was sind „Goldfinger“-Gestaltungen?
„Goldfinger“-Modelle sind komplexe Strukturen (oft über ausländische Personengesellschaften mit Einnahmen-Überschuss-Rechnung), deren primäres Ziel die kurzfristige Erzeugung hoher negativer Einkünfte ist.
Diese Verluste sollen im Inland mit anderen Einkünften verrechnet werden, während der spätere wirtschaftliche Gewinn häufig durch spezielle Konstruktionen (z. B. Auslandssachverhalt) steuerfrei bleibt, aber den Steuersatz über den Progressionsvorbehalt anhebt.
Das Risiko: Greift die Vorschrift des § 15b EStG (Steuerstundungsmodell), werden diese Verluste gesperrt und sind nur mit künftigen Gewinnen aus derselben Quelle verrechenbar. Die gewünschte Steuerwirkung entfällt komplett.
2. Der rechtliche Rahmen: § 15b EStG
Ein Steuerstundungsmodell liegt vor, wenn der Erwerb oder die Beteiligung nach einem Gesamtkonzept auf die Erzielung von Steuervorteilen (insbesondere Verluste) ausgerichtet ist.
Typische Indizien für ein Steuerstundungsmodell sind:
- Der Vertrieb fokussiert auf den Steuereffekt statt auf die Wirtschaftlichkeit.
- Es liegt ein vorgefertigtes, standardisiertes Konzept vor, oft mit kurzer Haltedauer.
- Das Timing um den Jahreswechsel dient als Ertragsmotor.
- Prognoserechnungen, in denen der Steuervorteil die Rendite trägt.
3. Die BFH-Perspektive: Vorrang des Einzelfalls
Das Finanzgericht (FG) hat in einem aktuellen Fall zur gewerblichen Goldhandels-Gestaltung die Annahme eines Steuerstundungsmodells abgelehnt und die Klage des Steuerpflichtigen bejaht.
Kernaussagen des FG:
- Anlegerbezogene Prüfung: Entscheidend ist, ob das Steuersparen das prägende Ziel für die konkrete Mandantin/den Gesellschafter war.
- Gesamtwürdigung: Nur wenn die steuerliche Stundung das überwiegende Motiv im Gesamtkonzept ist, greift § 15b EStG.
- Entlastende Indizien: Selbst Indizien wie negatives Einkommen oder Jahreswechsel-Timing sprechen nicht zwingend für ein Steuerstundungsmodell, wenn operative Substanz, echtes Marktrisiko und eine individuelle Ausgestaltung vorliegen.
Ergebnis: Das Gericht erkannte die wirtschaftlichen Motive und die operative Substanz an. Die Verluste konnten steuerlich geltend gemacht werden.
4. Praxisfolgen & Checkliste zur Verteidigung
Unternehmer und Investoren in komplexen Modellen müssen beweisen, dass die wirtschaftliche Zielsetzung dominant ist.
Verteidigungsansätze:
- Wirtschaftliche Dokumentation: Halten Sie die wirtschaftlichen Motive (Handelsstrategie, Margenmodelle) nachweisbar fest. Verträge müssen individuell und ökonomisch begründet sein.
- Substanz und Risiko: Dokumentieren Sie die echte operative Tätigkeit (Handel, Logistik) sowie die tatsächliche Risikotragung und den Entscheidungsprozess (z. B. Investmentkomitees).
- Vorsicht bei Vertrieb: Werbematerialien dürfen den Steuervorteil nicht primär herausstellen. Das Ertragsmodell muss wirtschaftlich belastbar sein.
- Transparenz: Die Einhaltung von Meldepflichten wie AIA (automatischer Informationsaustausch) sowie eine ordnungsgemäße Erklärung mindern Straf- und Zinsrisiken.
Checkliste: Die wichtigsten Resilienzfaktoren
- Geschäftskonzept: Plausible Marktlogik, Preissetzung, Rentabilitätsprognose (ohne Steuer als Haupttreiber).
- Vertragswerk: Keine Standard-Baukästen, sondern individuelle Vereinbarungen.
- Risikomanagement: Dokumentation der Risikotragung (Preis- und Währungsrisiken).
- Rechtsgutachten: Bei Borderline-Fällen kann ein steuerliches Kurz-Memo oder die Beantragung einer verbindlichen Auskunft ratsam sein.
Fazit
Der BFH stärkt die Rechte der Steuerpflichtigen, indem er eine unkritische und automatische Anwendung des § 15b EStG ablehnt. Wer belegen kann, dass die operative Substanz und die echte Marktteilnahme das dominierende Motiv waren, kann den Verlustabzug auch bei komplexen Auslandsgestaltungen sichern.
✅ Wo gilt § 15b EStG weiterhin
- § 15b Abs. 1 EStG verbietet den sofortigen oder querverrechnenden Ausgleich von Verlusten aus einer Einkunftsquelle, wenn diese Einkunftsquelle ein „Steuerstundungsmodell im Sinne von § 15b Abs. 2 EStG“ darstellt — Verluste dürfen nur mit künftigen positiven Einkünften derselben Quelle verrechnet werden.
- Es gibt nach wie vor Rechtsprechung, die solche Modelle als steuerlich zulässig (oder zumindest nicht per se verboten) behandelt — aber nur unter sehr strengen Voraussetzungen.
- Die Vorschrift wurde nicht abgeschafft oder grundlegend geändert — sie ist weiter anwendbar.
⚠️ Warum die klassische Verlust-Gestaltung kaum noch wie früher funktioniert
- Der Gesetzgeber hat mit § 15b EStG (erstmals eingeführt 2005) genau das Verrechnungskonzept für sogenannte „Steuerstundungsmodelle“ eingeschränkt: Verluste dürfen nicht mehr beliebig mit anderen Einkünften verrechnet werden.
- Die Finanzverwaltung legt in Anwendungsschreiben nahe, dass Anlaufverluste von Existenzgründern nicht unter § 15b fallen.
- Die Rechtsprechung (z. B. Bundesfinanzhof) betont, dass nicht jedes Konzept mit Verlustzuweisungen automatisch als Steuerstundungsmodell gilt — zentral ist eine modellhafte Gestaltung, also ein Konzept mit vorrangig steuerlichem Ziel.
- Damit ist die Gefahr groß, dass – wenn Sie heute ein Konzept mit Verlustzuweisung planen – das Finanzamt bzw. Gericht sehr genau prüft, ob es sich tatsächlich um ein legitimes Geschäftsmodell handelt oder um eine Gestaltung mit vorrangigem Steuerziel. In letzterem Fall greift § 15b.
🔍 Kann man also noch „gestalten“ — und wenn ja wie?
Ja — aber nur mit höherer Planungssicherheit, höherer Dokumentationslast und realistischem Geschäftsmodell. Entscheidend sind dabei:
- Es darf nicht vorrangig um Steuerersparnis durch Verluste gehen, sondern um eine echte wirtschaftliche Aktivität mit Gewinnerzielungsabsicht.
- Das Konzept muss nicht ausschließlich auf Verlustzuweisung ausgelegt sein — das allein reicht nicht zur Annahme eines Steuerstundungsmodells.
- Die Verluste-Verrechnung ist nur noch mit Gewinnen aus derselben Einkunftsquelle möglich — also horizontale/vertikale Verrechnung mit anderen Einkunftsarten ist ausgeschlossen.
- In vielen Fällen lohnt sich eine verbindliche Auskunft oder ein Gutachten zur Bewertung, ob ein vorgedachtes Modell unter § 15b fällt oder nicht.
🧮 Fazit
- Ein Modell mit primär steuerlichem Verlustziel ist heute hoch riskant – das Finanzamt könnte § 15b anwenden und damit die Verlustverrechnung stark einschränken.
- Wenn Sie ein Konzept mit echtem Geschäftszweck, ausreichender Substanz, realistischem Gewinn-/Verlustprofil, und nicht primär auf Steuerersparnis planen, ist Gestaltung möglich — aber mit klaren Bedingungen.
- Man kann nicht mehr einfach „Verluste generieren und sofort mit allem verrechnen“ – dies ist durch Gesetz und Rechtsprechung deutlich erschwert worden.