Leitsatz
Auch wenn nach unionsrechtlichen Vorgaben in Verbindung mit dem sog. Freizügigkeitsabkommen der Europäischen Union und der Schweiz bei einem im Jahr 2011 erfolgten Wegzug in die Schweiz die im Wegzugszeitpunkt entstehende nationale Steuer auf den Vermögenszuwachs (Wegzugsteuer) dauerhaft und zinslos zu stunden ist (Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union Wächtler vom 26.02.2019 – C-581/17, EU:C:2019:138, Internationales Steuerrecht 2019, 260), hindert dies die Festsetzung der Steuer nicht.
Quelle: BFH, Urteil I R 35/20 vom 06.09.2023
Hintergrund
Das Freizügigkeitsabkommen zwischen der Europäischen Union und der Schweiz (FZA) gewährleistet die Freizügigkeit der Arbeitnehmer und Selbständigen zwischen den beiden Vertragsstaaten. Dazu gehört auch das Recht, sich in dem anderen Vertragsstaat niederzulassen und dort eine wirtschaftliche Tätigkeit auszuüben.
In Deutschland ist die Wegzugsbesteuerung von natürlichen Personen geregelt in den §§ 6 bis 9 Außensteuergesetz (AStG). Nach diesen Vorschriften sind bestimmte Vermögenswerte, die ein unbeschränkt Steuerpflichtiger im Zeitpunkt seines Wegzugs aus Deutschland innehat, mit dem an diesem Tag bestehenden Wert zu versteuern.
Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hat mit Urteil vom 26. Februar 2019 entschieden, dass die Wegzugsbesteuerung von natürlichen Personen, die in die Schweiz umziehen, mit dem Freizügigkeitsabkommen vereinbar ist. Allerdings muss die Steuer in diesem Fall dauerhaft und zinslos gestundet werden.
Entscheidung
Der BFH hat mit dem Urteil vom 6. September 2023 entschieden, dass die Festsetzung der Wegzugssteuer auch dann zulässig ist, wenn sie nach dem EuGH-Urteil Wächtler dauerhaft und zinslos gestundet werden muss.
Der BFH hat ausgeführt, dass die Festsetzung der Wegzugssteuer eine eigenständige Maßnahme ist, die von der Stundungspflicht unabhängig ist. Die Festsetzung der Steuer dient der Feststellung des Steueranspruchs und der Schaffung einer Grundlage für die spätere Erhebung der Steuer. Die Stundungspflicht betrifft hingegen die tatsächliche Erhebung der Steuer.
Der BFH hat auch darauf hingewiesen, dass die Stundungspflicht nicht in nationales Recht umgesetzt worden ist. Dies bedeutet, dass die Finanzverwaltung nach wie vor die Möglichkeit hat, die Wegzugssteuer festzusetzen.
Auswirkungen
Die Entscheidung des BFH hat weitreichende Auswirkungen für die Wegzugsbesteuerung von natürlichen Personen, die in die Schweiz umziehen. Sie stellt klar, dass die Finanzverwaltung auch nach dem EuGH-Urteil Wächtler die Wegzugssteuer festsetzen kann. Die Stundungspflicht gilt hingegen nur für die spätere Erhebung der Steuer.
Die Entscheidung des BFH ist auch für andere Fälle relevant, in denen eine Steuer zunächst festgesetzt, aber später gestundet wird.