FG Niedersachsen: Keine „Schattenveranlagung“ durch das Betriebsstätten-Finanzamt bei Lohnsteuerfehlern

📅 Urteil vom 16.04.2025 – 9 K 155/22
📍 Revision zugelassen – BFH-Az. VI R 8/25
Quelle: Mitteilung vom 18.06.2025


⚖ Hintergrund: Wer haftet bei fehlerhaft einbehaltener Lohnsteuer?

Im Mittelpunkt des Urteils steht die Frage, ob das Betriebsstätten-Finanzamt verpflichtet ist, bei fehlerhafter Lohnsteuerabführung eine sogenannte Schattenveranlagung durchzuführen – also fiktiv zu ermitteln, wie hoch die tatsächliche Einkommensteuer des betroffenen Arbeitnehmers gewesen wäre, um die Arbeitgeberhaftung zu begrenzen.

Das Finanzgericht Niedersachsen (FG) hat dies klar verneint – mit wichtigen Folgen für Arbeitgeber, insbesondere bei beschränkt steuerpflichtigen Arbeitnehmern.


🧾 Der Streitfall im Überblick

  • Eine GmbH hatte für zwei in den Niederlanden lebende Arbeitnehmer (Ehepaar) Lohnsteuer nach Klasse I einbehalten – statt korrekt nach Klasse VI, da es sich um mehrere Beschäftigungen handelte.
  • Nach einer Lohnsteuerprüfung erließ das Betriebsstätten-Finanzamt einen Haftungsbescheid für den Zeitraum 2016–2019.
  • Die GmbH argumentierte: Die tatsächliche Einkommensteuerschuld der Arbeitnehmer sei niedriger als die zu Unrecht einbehaltene Lohnsteuer – und legte Einkommensteuerbescheide bzw. Berechnungen aus den Niederlanden vor.
  • Für Jahre ohne Einkommensteuerbescheide verlangte sie eine „Schattenveranlagung“ durch das Finanzamt – also eine hypothetische Ermittlung der Einkommensteuer zum Zweck der Haftungsbegrenzung.

📌 Die Entscheidung des FG Niedersachsen

Das Gericht stellt klar:

Das Betriebsstätten-Finanzamt ist nicht verpflichtet, eine „Schattenveranlagung“ vorzunehmen, wenn eine Einkommensteuerveranlagung mangels Festsetzungsverjährung nicht mehr möglich ist oder keine amtlichen Steuerbescheide vorliegen.

Zentrale Begründung:

  • Die Haftung des Arbeitgebers richtet sich nach § 42d EStG ausschließlich auf die Lohnsteuer, nicht auf die tatsächliche Einkommensteuerschuld.
  • Es besteht eine klare Trennung zwischen dem Lohnsteuerabzugsverfahren (§ 38–42d EStG) und dem Veranlagungsverfahren (§ 46 EStG).
  • Eine hypothetische Prüfung der tatsächlichen Steuerschuld durch das Betriebsstätten-Finanzamt würde eine systemwidrige Vermischung der Zuständigkeiten bedeuten.
  • Der Gesetzgeber hat bewusst festgelegt, dass der Haftungsumfang sich an der Jahreslohnsteuer orientiert – selbst wenn diese im Nachhinein höher als die tatsächliche Steuerschuld ausfällt.

💡 Was bedeutet das für Arbeitgeber?

➕ Klare, aber strenge Regelung:

  • Wer Lohnsteuer falsch berechnet oder einbehält, haftet im Zweifel vollumfänglich auf die zu Unrecht abgeführten Beträge – auch wenn der Arbeitnehmer tatsächlich weniger Einkommensteuer geschuldet hätte.
  • Eine Korrektur durch Vorlage von ausländischen Steuerbescheiden oder Schätzungen genügt nicht, sofern kein rechtskräftiger Einkommensteuerbescheid in Deutschland existiert.
  • Das Finanzamt ist nicht verpflichtet, „fiktiv“ nachzuveranlagen.

👥 Praxisrelevanz insbesondere bei:

  • Grenzgängern und beschränkt Steuerpflichtigen
  • Mehrfachbeschäftigungen mit fehlerhafter Steuerklassenwahl
  • Lohnsteuer-Außenprüfungen mit Rückwirkungscharakter
  • Fehlender Veranlagung wegen Verjährung oder unterlassener Erklärung

✅ Unsere Empfehlung

  1. Lohnsteuerpflichten bei beschränkt Steuerpflichtigen besonders prüfen
    → z. B. korrekte Steuerklasse, Abzugsbeträge, Meldepflichten
  2. Haftungsrisiko durch Dokumentation und Korrektur minimieren
    → frühzeitig auf Fehler reagieren, Fristen beachten
  3. Keine Entlastung durch spätere Einkommensteuerberechnungen erwarten
    → Vermeidung von Nachforderungen durch korrekten Erstabzug
  4. Bei unklarer Rechtslage frühzeitig Einspruch und Beratung einholen

📞 Beratung gewünscht?

Wir unterstützen Sie bei:

  • Prüfung Ihrer Lohnsteuerverpflichtungen für ausländische Mitarbeiter
  • Haftungsvermeidung bei Steuerabzug
  • Kommunikation mit dem Betriebsstätten-Finanzamt
  • Einspruchs- und Klageverfahren

Hinweis: Die dargestellten Informationen ersetzen keine individuelle Beratung. Für eine rechtsverbindliche Einschätzung Ihres Falls sprechen Sie uns bitte direkt an.