Erste höchstrichterliche Entscheidung zum EU-Energiekrisenbeitrag stärkt Rechtsposition der Unternehmen
Mit Beschluss vom 27. Oktober 2025 (II B 5/25, AdV) hat der Bundesfinanzhof (BFH) die Aufhebung der Vollziehung eines angefochtenen EU-Energiekrisenbeitrags angeordnet. Grund: Es bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Beitrags – insbesondere im Hinblick auf eine mögliche Verletzung des Unionsrechts.
Damit setzt der BFH erstmals ein deutliches Signal in Richtung Finanzverwaltung und Gesetzgeber, dass die Einführung und Erhebung des EU-Energiekrisenbeitrags rechtlich keineswegs gesichert ist.
1. Was ist der EU-Energiekrisenbeitrag? – Hintergrund
Der EU-Energiekrisenbeitrag (auch „Solidaritätsbeitrag“ oder „Übergewinnbeitrag“ genannt) basiert auf:
- EU-Verordnung 2022/1854,
- national umgesetzt durch entsprechende Vorschriften des Energiekrisenbeitragsgesetzes (EnKG) oder der jeweiligen Übergangsregelungen.
Er betrifft vor allem:
- Unternehmen der Öl-, Gas-, Kohle- und Raffineriebranche,
- Energieproduzenten mit außergewöhnlich hohen Gewinnen,
- Konzerne mit signifikanten Gewinnzuwächsen im Krisenzeitraum.
Viele Unternehmen haben gegen die Steuerfestsetzungen Einspruch eingelegt – teils mit Verweis auf:
- fehlende Gesetzgebungskompetenz,
- mangelnde Bestimmtheit,
- Verstoß gegen EU-Recht und Grundfreiheiten,
- Doppelbesteuerungsrisiken,
- Gleichheitsverstöße.
Der BFH sieht nun erstmals hinreichende Erfolgsaussichten, um Vollstreckungsmaßnahmen auszusetzen.
2. BFH: Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit
Der BFH stellt fest:
👉 Es bestehen ernstliche Zweifel, dass der EU-Energiekrisenbeitrag mit Unionsrecht vereinbar ist.
Dies genügt, um eine Aufhebung der Vollziehung (AdV) zu gewähren.
Ob es sich um:
- Kompetenzfragen,
- eine unzureichende Rechtsgrundlage,
- eine fehlende Harmonisierung,
- oder materielle Verstöße gegen Grundfreiheiten
handelt, lässt der BFH im Beschluss offen – er betont jedoch, dass die Zweifel schwer genug wiegen, um die Steuer vorerst nicht vollziehen zu lassen.
3. Bedeutung für betroffene Unternehmen
Der Beschluss kommt einer Trendwende gleich:
3.1 AdV-Anträge haben ab sofort deutlich höhere Erfolgsaussichten
Unternehmen, die gegen Festsetzungen des EU-Energiekrisenbeitrags Einspruch eingelegt haben, sollten nun ausdrücklich AdV beantragen bzw. laufende Verfahren neu begründen.
3.2 Liquiditätsschutz
Die Aufhebung der Vollziehung bedeutet:
- keine sofortigen Zahlungen,
- keine Vollstreckungen,
- keine Liquiditätsbelastung während eines möglichen Hauptsacheverfahrens.
Für viele Energieunternehmen geht es dabei um sehr hohe Beträge – teilweise dreistellige Millionenvolumen.
3.3 Signalwirkung für die Hauptsache
Der BFH sendet ein deutliches Signal:
👉 Die Erfolgsaussichten in möglichen Hauptsacheverfahren (Klageverfahren) sind nicht unerheblich.
4. Mögliche unionsrechtliche Problemfelder
Typische Streitpunkte, die in der Literatur und Praxis diskutiert werden und die der BFH nun offenbar ernsthaft prüft:
- Vereinbarkeit mit EU-Grundfreiheiten (Kapitalverkehr, Niederlassung)
- mögliche Übermaßbesteuerung
- Verletzung des Diskriminierungsverbots
- fehlende Rechtsgrundlage für EU-Krisenabgaben
- unzureichende Abstimmung zwischen EU-Verordnung und nationalem Recht
- Fragen der Kompetenzverteilung zwischen EU und Mitgliedstaaten
- mögliche Verstöße gegen Art. 107 AEUV (staatliche Beihilfen)
Es bleibt abzuwarten, welche Punkte der BFH im Hauptsacheverfahren bewerten wird.
5. Handlungsempfehlungen
Unternehmen, die betroffen sind, sollten jetzt aktiv handeln:
- Einsprüche unbedingt aufrechterhalten
- AdV-Anträge aktualisieren oder neu stellen
- Risikobewertungen in der Bilanzierung prüfen
- Rückstellungen ggf. anpassen
- Dokumentation und Argumentation zur möglichen Unionsrechtswidrigkeit ausbauen
- Rechtsbehelfe gruppenweit koordinieren (insb. internationale Energieunternehmen)
Fazit
Der BFH-Beschluss II B 5/25 ist ein wichtiges Signal an die Praxis:
Es bestehen echte unionsrechtliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des EU-Energiekrisenbeitrags.
Betroffene Unternehmen erhalten damit eine realistische Chance, sich gegen Zahlungsverpflichtungen zu wehren und Liquidität zu sichern.
Das Hauptsacheverfahren bleibt abzuwarten – aber die Richtung ist klar:
Die Rechtmäßigkeit des Energiekrisenbeitrags steht erstmals ernsthaft auf dem Prüfstand.
Quelle: BFH, Beschluss vom 27.10.2025 – II B 5/25 (AdV)