Wesentlicher steuerlicher Vorteil entfällt, wenn der Gesellschafter durch die Übertragung wirtschaftlich nichts hinzugewinnt
Mit Urteil vom 29. Oktober 2025 (Az. 9 K 1180/22 Kap) hat das Finanzgericht Münster eine wichtige Entscheidung zur Bewertung verdeckter Gewinnausschüttungen (vGA) bei der Übertragung eigener Anteile einer GmbH auf den (faktischen) Alleingesellschafter getroffen.
Das Ergebnis:
👉 Dem Grunde nach liegt eine verdeckte Gewinnausschüttung vor – ihr Wert beträgt jedoch 0 Euro.
Die Revision wurde zugelassen; der BFH wird sich daher aller Voraussicht nach erneut mit dieser Frage befassen.
1. Sachverhalt: GmbH überträgt zuvor erworbene Anteile an einen Gesellschafter
Die Klägerin war eine GmbH, an der der Gesellschafter-Geschäftsführer C mit einem Drittel beteiligt war. Zuvor hatte die GmbH:
- die Anteile der beiden Mitgesellschafter erworben
- und diese als eigene Anteile gehalten.
Im Jahr 2016 übertrug die GmbH die eigenen Anteile an C, sodass dieser wirtschaftlich zum faktischen Alleingesellschafter wurde.
Das Finanzamt sah darin eine verdeckte Gewinnausschüttung in Höhe des Substanzwerts der Gesellschaft und setzte Kapitalertragsteuer fest.
2. Das Urteil: vGA ja – aber Wert 0 Euro
Das FG Münster bestätigte zunächst:
✔ Eine verdeckte Gewinnausschüttung liegt vor
C erhält ein veräußerbares Wirtschaftsgut, und die Übertragung basiert auf dem Gesellschaftsverhältnis.
✘ Aber: Der Vorteil ist mit 0 Euro zu bewerten
Denn C hatte durch die Anteilsübertragung keinen zusätzlichen wirtschaftlichen Nutzen.
Der Senat betont, dass die Bewertung nach der individuellen Leistungsfähigkeit zu erfolgen hat. Ein objektiv werthaltiges Wirtschaftsgut kann für den konkreten Empfänger wertlos sein – und genau das sei hier der Fall:
- C war faktisch bereits vor der Übertragung Alleingesellschafter.
- Seine rechtliche und wirtschaftliche Stellung hat sich durch die Übertragung nicht verändert.
- Daher entsteht kein messbarer Vermögenszuwachs.
3. Bezug zu jüngerer BFH-Rechtsprechung
Die Entscheidung lehnt sich ausdrücklich an die neuere BFH-Einschätzung aus dem Beschluss vom 13.05.2025 (VIII B 33/24) an:
Der BFH hatte dort angedeutet, dass beim faktischen Alleingesellschafter ein Erwerb eigener Anteile nicht zwingend einen substantiellen Vorteil bedeuten muss.
Dies stellt eine Abkehr von früheren Entscheidungen dar, in denen der BFH regelmäßig den gemeinen Wert der übertragenen Anteile als zugewandten Vorteil angesetzt hatte.
4. Steuerpolitische Einordnung und praktische Konsequenzen
4.1 Bedeutung für die Bewertung von vGA
Das Urteil macht klar:
- Die objektive Werthaltigkeit eines Wirtschaftsguts ist nicht allein entscheidend.
- Es kommt auf die tatsächlich erzielbare wirtschaftliche Nutzung beim konkreten Gesellschafter an.
Dies kann zu einer differenzierteren Betrachtung bei anderen Fallkonstellationen führen, z. B.:
- Einziehung eigener Anteile
- Anteilsübertragungen innerhalb von Familienunternehmen
- Übertragungen im Rahmen von Sanierungen
- Upstream-/Side-Stream-Vorteilszuwendungen
4.2 Für die Bewertung durch das Finanzamt bedeutet das:
- keine schematische Anwendung von gemeinem Wert/Substanzwert
- stärkere Berücksichtigung der tatsächlichen Vermögenslage
- Risiko der Überbesteuerung wird reduziert
4.3 Für die Beratungspraxis wichtig
Bei Übertragungen eigener Anteile sollten künftig unbedingt dokumentiert werden:
- wirtschaftliche Stellung des Gesellschafters vor/nach der Übertragung
- fehlender Mehrwert durch die Transaktion
- mögliche steuerliche Motive und Gegenleistungen
- Aufgaben und Befugnisse als faktischer Alleingesellschafter
5. Ausblick: Entscheidung des BFH steht bevor
Da die Revision zugelassen wurde, wird der BFH (Az. wird noch vergeben) voraussichtlich Leitlinien zur Bewertung der vGA bei Übertragung eigener Anteile entwickeln.
Eine Bestätigung der Münsteraner Sichtweise könnte erhebliche Auswirkungen haben – insbesondere hinsichtlich:
- Kapitalertragsteuerpflicht
- Bewertung von Vorteilen im Gesellschaftsverhältnis
- Gestaltungsmöglichkeiten bei Anteilsübertragungen
Fazit
Das FG Münster setzt ein deutliches Signal:
👉 Die bloße Übertragung eigener Anteile an einen faktischen Alleingesellschafter führt zwar zu einer vGA – ist aber wirtschaftlich wertlos und daher mit 0 Euro anzusetzen.
Für Unternehmen und Steuerberater bedeutet dies mehr Rechtssicherheit in Fällen, in denen durch die Anteilsübertragung keine reale Vermögensmehrung entsteht.
Quelle: Finanzgericht Münster, Urteil vom 29.10.2025 – 9 K 1180/22 Kap, Mitteilung vom 17.11.2025