Abgabenordnung: Vernichtung von Originalunterlagen durch die Behörde kann zu ihrem Nachteil gewertet werden

Kann nicht mehr festgestellt werden, ob eine Unterschrift unter einer Zahlungsanweisung tatsächlich vom Kindergeldberechtigten stammt, weil die Familienkasse die Originalunterlagen nach Einscannen zwecks Erstellung einer elektronischen Kindergeldakte vernichtet hat, kann sie sich nicht mehr auf das Dokument berufen. Dies hat der 14. Senat des Finanzgerichts Münster in einem für Zwecke der Gewährung von Prozesskostenhilfe ergangenen Beschluss vom 24. November 2015 (Az. 14 K 1542/15 AO) entschieden.

Die Familienkasse überwies das für die beiden Kinder der Antragstellerin festgesetzte Kindergeld zunächst auf ein von ihr angegebenes Konto. Im Jahr 2010 ging ein unterschriebenes Formular „Veränderungsanzeige“ bei der Familienkasse ein, das Namen, Anschrift und Kindergeldnummer der Antragstellerin sowie die Eintragung enthält, dass das Kindergeld nunmehr auf ein anderes Konto überwiesen werden soll, dessen Inhaber die Mutter der Antragstellerin und der Vater der Kinder waren. Die Familienkasse überwies das Kindergeld fortan auf das angegebene Konto.

Nachdem die Familienkasse festgestellt hatte, dass die Voraussetzungen für die Gewährung von Kindergeld nicht mehr vorlagen, hob sie im Jahr 2015 die Festsetzung ab März 2010 auf und forderte die Antragstellerin zur Rückzahlung auf. Diese wandte gegen den Rückforderungsbescheid ein, dass ihre Unterschrift auf der Veränderungsanzeige gefälscht sei und sie sich zum Zeitpunkt der Abgabe dieses Dokuments gar nicht in Deutschland aufgehalten habe. Im Rahmen des Klageverfahrens, für das die Antragstellerin Prozesskostenhilfe beantragte, teilte die Familienkasse dem Gericht mit, dass die Kindergeldakte nicht mehr im Original vorgelegt werden könne, weil diese nach dem Einscannen vernichtet worden sei und nur noch elektronisch geführt werde.

Der Senat gab dem Antrag auf Prozesskostenhilfe in vollem Umfang statt. Nach der gebotenen summarischen Prüfung müsse die Antragstellerin das zu viel gezahlte Kindergeld nicht erstatten, weil sie nicht als Leistungsempfängerin anzusehen sei. Aller Voraussicht nach werde die Familienkasse den ihr obliegenden Beweis dafür, dass die Veränderungsanzeige tatsächlich von der Antragstellerin stammt, nicht erbringen können. Selbst wenn ein Sachverständigengutachten ergebe, dass die Unterschrift von der Antragstellerin stamme, sei dennoch nicht auszuschließen, dass die Unterschrift im Wege einer Fotokopie oder einer technischen Manipulation auf das Dokument gelangt sei. Hinzu komme, dass eine Finanzbehörde ihre Ansprüche gerade nicht mehr auf entscheidungserhebliche Originalunterlagen stützen dürfe, die sie selbst während des laufenden Verfahrens vernichtet hat.

Quelle: FG Münster, Mitteilung vom 15.01.2016 zum Beschluss 14 K 1542/15 vom 24.11.2015