Änderungsbefugnis nach § 174 Abs. 4 Abgabenordnung

Eine Änderung nach § 174 Abs. 4 AO ist auch zulässig, wenn das FA – abweichend von der im Gesetz angelegten Reihenfolge – zuerst den auf § 174 Abs. 4 AO gestützten Steuerbescheid erlässt oder ändert und erst dann die Aufhebung oder Änderung zugunsten des Steuerpflichtigen durchführt, auf der die Änderung nach § 174 Abs. 4 AO beruht. Dies setzt voraus, dass die Aufhebung oder Änderung zugunsten des Steuerpflichtigen vor Erlass der Einspruchsentscheidung über den Einspruch gegen den nach § 174 Abs. 4 AO geänderten Steuerbescheid erfolgt ist. Das entschied der 13. Senat des Finanzgerichts mit Urteil vom 9. Februar 2018 (Az. 13 K 89/17). Der Bundesfinanzhof hat die Revision zugelassen (Az. VI R 20/19).

Die Klägerin hatte im Jahr 2007 landwirtschaftlich genutzte Grundstücke veräußert, die zuletzt verpachtet waren. Das beklagte Finanzamt (FA) unterwarf die Veräußerung im Einkommensteuerbescheid 2007 in vollem Umfang der sog. Bodengewinnbesteuerung, weil die Grundstücke bis zur Veräußerung zu einem landwirtschaftlichen Betriebsvermögen der Klägerin gehört hätten. Nachdem das Finanzgericht in einem Aussetzungsverfahren entschieden hatte, dass der Veräußerungsgewinn je zur Hälfte im Jahr 2007 und im Jahr 2008 zu versteuern sei, änderte das FA die Einkommensteuer 2007 mit Bescheid vom 17. September 2014 zu Gunsten und die Einkommensteuer 2008 mit Bescheid vom 15. September 2014 zu Lasten der Klägerin ab, indem es den Veräußerungsgewinn in den beiden Veranlagungszeiträumen je zur Hälfte erfasste. Die gegen die Änderungsbescheide erhobenen Einsprüche blieben ohne Erfolg (Einspruchsentscheidungen vom 18. November 2016 für 2007 und vom 13. Dezember 2016 für 2008). Mit den hiergegen erhobenen Klagen wendet sich die Klägerin weiterhin gegen die Besteuerung des Veräußerungsgewinns. Das Klageverfahren betreffend Einkommensteuer 2007 wurde unter dem Az. 13 K 3773/16 geführt und mit Urteil des Senats vom 9. Februar 2018 entschieden (vgl.Newsletter 2/2019 ). Mit ihrer Klage gegen den nach § 174 Abs. 4 der Abgabenordnung (AO) geänderten Einkommensteuerbescheid 2008 bestritt die Klägerin eine Änderungsbefugnis des FA und berief sich auf Festsetzungsverjährung. In der Sache machte sie wie für das Jahr 2007 geltend, die Bodengewinnbesteuerung hätte wegen einer früheren Betriebsaufgabe nicht durchgeführt werden dürfen.

Dem folgte das Finanzgericht nicht. Die ursprüngliche Einkommensteuerfestsetzung 2008 hätte zwar mit Ablauf des Jahres 2013 grundsätzlich nicht mehr geändert werden dürfen. Die Einkommensteuerklärung 2008 sei im November 2009 eingereicht worden und die regelmäßige Festsetzungsfrist daher zum Jahresende 2013 abgelaufen (§§ 169 Abs. 2 Nr. 2, 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO). Das FA sei aber nach § 174 Abs. 4 Satz 1 AO zur Änderung der Einkommensteuer 2008 befugt gewesen: Ist aufgrund irriger Beurteilung eines bestimmten Sachverhalts ein Steuerbescheid ergangen, der aufgrund eines Rechtsbehelfs oder sonst auf Antrag des Steuerpflichtigen zu seinen Gunsten aufgehoben oder geändert wird (hier der Einkommensteuerbescheid 2007), so können aus dem Sachverhalt nachträglich durch Erlass oder Änderung eines Steuerbescheides die richtigen steuerlichen Folgerungen gezogen werden. Für den Erlass eines rechtmäßigen Änderungsbescheids nach § 174 Abs. 4 AO reiche es aus, dass die Voraussetzungen für die Änderung – insbesondere die Änderung des Steuerbescheids zugunsten des Steuerpflichtigen – bis zur Entscheidung über den Einspruch gegen den auf § 174 Abs. 4 AO gestützten Änderungsbescheid vorliegen. Das sei hier der Fall.

Das FA sei bei Erlass des geänderten Einkommensteuerbescheids für 2007 zwar zutreffend davon ausgegangen, dass der streitbefangene Veräußerungsgewinn der Bodenbesteuerung unterliege. Das FA habe aber anfänglich nicht berücksichtigt, dass der Veräußerungsgewinn den Veranlagungszeiträumen 2007 und 2008 jeweils hälftig zuzuordnen sei. Das FA habe den Sachverhalt insoweit i. S. d. § 174 Abs. 4 Satz 1 AO „irrig“ beurteilt. Der Umstand, dass das FA in der Folge bei Erlass der Einkommensteueränderungsbescheide für 2007 vom 17. September 2014 und für 2008 vom 15. September 2014 abweichend von der im Gesetz angelegten Reihenfolge den Änderungsbescheid für 2008 schon vor der Änderung des Bescheids für 2007 erlassen habe, sei unschädlich. Denn für die Rechtmäßigkeit des aufgrund § 174 Abs. 4 AO geänderten Einkommensteuerbescheids 2008 reiche es aus, dass zum Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung über den Einkommensteuerbescheid 2008 am 13. Dezember 2016 die Änderung des angefochtenen Einkommensteuerbescheids 2007 erfolgt gewesen sei. Es sei also insoweit zulässig, zuerst den zweiten Bescheid zu ändern oder zu erlassen, und erst dann den ersten Bescheid aufgrund des Rechtsbehelfs oder Antrags des Steuerpflichtigen aufzuheben oder zu ändern, vorausgesetzt, dass diese Aufhebung oder Änderung des ersten Bescheids – wie im Streitfall – vor Erlass der Einspruchsentscheidung über den Einspruch gegen den zweiten Bescheid erfolgte.

Der reguläre Ablauf der Festsetzungsfrist mit Ablauf des Jahres 2013 habe der Änderung des Einkommensteuerbescheids 2008 nicht entgegengestanden. Denn nach § 174 Abs. 4 Satz 3 AO ist der Ablauf der Festsetzungsfrist unbeachtlich, wenn die steuerlichen Folgen innerhalb eines Jahres nach Aufhebung oder Änderung des fehlerhaften Steuerbescheids gezogen werden. Entsprechendes müsse gelten, wenn – wie im Streitfall – die steuerlichen Folgerungen sogar schon zwei Tage vor der Änderung des fehlerhaften Steuerbescheids gezogen würden.

Eine Durchbrechung der Festsetzungsfrist sei im Streitfall auch nicht etwa dadurch ausgeschlossen, dass zu dem Zeitpunkt, zu dem der später im Einspruchsverfahren geänderte Einkommensteuerbescheid für 2007 erging, die Festsetzungsfrist für die Steuerfestsetzung für 2008, bei der der Sachverhalt richtigerweise hätte berücksichtigt werden müssen, bereits abgelaufen war (§ 174 Abs. 4 Satz 4 AO) Denn der im Anschluss an die Außenprüfung geänderte Einkommensteuerbescheid für 2007, bei dem der Veräußerungsgewinn zu Unrecht in vollem Umfang angesetzt worden war, wurde am 11.Dezember 2013 erlassen und zu diesem Zeitpunkt war die Festsetzungsfrist für den Einkommensteuerbescheid für 2008 noch nicht abgelaufen. Die Behörde durfte daher die zutreffende Entscheidung später noch so durchsetzen, wie es ihr bei Erlass des angefochtenen Bescheids für 2007 möglich gewesen wäre, hätte sie die richtige Entscheidung bereits in diesem Zeitpunkt getroffen.

Quelle: FG Baden-Württemberg, Mitteilung vom 12.08.2019 zum Urteil 13 K 89/17 vom 09.02.2018 (nrkr – BFH-Az.: VI R 20/19)