Das Finanzgericht Münster hat in einem Urteil vom 14. Juni 2024 (Az. 4 K 2351/23) die Anforderungen an die Ermessensausübung bei der Festsetzung eines Verspätungszuschlags nach § 152 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) in der neuen Fassung (n. F.) präzisiert. Das Urteil betrifft insbesondere Fälle, in denen die verspätete Abgabe der Steuererklärung zu einer Steuererstattung führt.
Sachverhalt
Der Kläger hatte seine Einkommensteuererklärung für das Jahr 2020 verspätet, erst am 29. März 2023, abgegeben. Aufgrund der Anrechnung der bereits abgeführten Lohnsteuer resultierte eine Steuererstattung. Das Finanzamt setzte dennoch einen Verspätungszuschlag in Höhe von 175 Euro fest, da die Abgabefrist bereits am 31. August 2022 verstrichen war. Der Kläger legte Einspruch ein, der jedoch vom Finanzamt zurückgewiesen wurde. Das Finanzamt argumentierte, dass gemäß § 152 Abs. 1 AO die verspätete Abgabe und das Verschulden des Steuerpflichtigen entscheidend seien und andere Ermessenskriterien nicht berücksichtigt werden müssten.
Entscheidung des Finanzgerichts Münster
Der 4. Senat des Finanzgerichts Münster gab der Klage statt und hob den Bescheid über die Festsetzung des Verspätungszuschlags auf. Das Gericht stellte fest, dass das Finanzamt sein Ermessen nicht ordnungsgemäß ausgeübt habe.
Nach Auffassung des Gerichts ist bei der Ermessensausübung gemäß § 152 Abs. 1 AO nicht nur die verspätete Abgabe der Steuererklärung und das Verschulden des Steuerpflichtigen zu berücksichtigen, sondern auch die wirtschaftlichen Folgen der Verspätung. Insbesondere ist relevant, ob die verspätete Abgabe zu einer Nullfestsetzung, einer Nachzahlung oder einer Erstattung geführt hat. Da der Gesetzgeber in § 152 Abs. 3 AO eine gebundene Festsetzung eines Verspätungszuschlags in Fällen einer Nullfestsetzung oder einer Erstattung ausschließt, müssen diese Umstände auch bei der Ermessensausübung berücksichtigt werden.
Das Gericht betonte, dass ein Verspätungszuschlag in Fällen wie dem vorliegenden, wo eine Steuererstattung erfolgt und keine wesentliche Verzögerung des Veranlagungsverfahrens eintritt, nur bei erheblicher Fristüberschreitung oder schwerwiegendem Verschulden gerechtfertigt ist. Auch die wirtschaftlichen Folgen der Verspätung für den Steuerpflichtigen müssen in die Ermessensentscheidung einfließen, um den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren.
Bedeutung für die Praxis
Das Urteil des Finanzgerichts Münster verdeutlicht, dass Finanzämter bei der Festsetzung von Verspätungszuschlägen eine umfassende Ermessensprüfung vornehmen müssen. Es genügt nicht, allein auf die verspätete Abgabe und das Verschulden abzustellen. Vielmehr sind alle relevanten Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die wirtschaftlichen Folgen der Verspätung und der Ausgang des Veranlagungsverfahrens.
Steuerpflichtige, die aufgrund einer verspäteten Abgabe ihrer Steuererklärung einen Verspätungszuschlag erhalten haben, sollten prüfen, ob das Finanzamt bei der Festsetzung des Zuschlags alle relevanten Ermessenskriterien berücksichtigt hat. Ist dies nicht der Fall, kann ein Einspruch gegen den Bescheid Erfolg haben.
Das Finanzgericht Münster hat die Revision zum Bundesfinanzhof zugelassen, sodass in Zukunft mit einer weiteren Klärung der Rechtslage durch das höchste deutsche Finanzgericht zu rechnen ist.
Quelle: Finanzgericht Münster, Newsletter August 2024.