Anrechnung von Einkommensteuervorauszahlungen unter Ehegatten

Niedersächsisches Finanzgericht 5. Senat, Urteil vom 28.08.2014, 5 K 193/12

§ 218 AO, § 218 Abs 2 AO, § 36 Abs 4 AO, § 37 Abs 2 AO, § 44 Abs 1 AO

Tatbestand

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Die Beteiligten streiten über die Frage der Anrechnung von Einkommensteuervorauszahlungen unter Ehegatten.

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Der Kläger erzielte im Streitjahr als selbständiger Architekt ausschließlich Einkünfte aus selbständiger Arbeit, seine damalige Ehefrau war als Angestellte im städtischen Kindergarten tätig. Sie erzielte ausschließlich Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit.

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Der Beklagte (das Finanzamt – FA -) setzte gegen die Ehegatten Einkommensteuervorauszahlungen pro Quartal in Höhe von 565 € fest. Hinzu kam der Solidaritätszuschlag in Höhe von 15 € und die evangelische Kirchensteuer von 20 €, insgesamt also 600 € pro Quartal. Die Vorauszahlungen entrichtete der Kläger von seinem eigenen Konto bei der X-Bank. Die entsprechenden Überweisungen erfolgten am 10.03., 10.06., 10.09., 10.12.2008. Bei der Abgabe der Einkommensteuererklärung 2008 im Februar 2010 wurde die getrennte Veranlagung beantragt. Im März 2010 erging an die damalige Ehefrau des Klägers ein Einkommensteuerbescheid 2008 unter Anrechnung der Vorauszahlungen in Höhe von 1.130 EUR auf die Einkommensteuer, 30 EUR Solidaritätszuschlag und – da nur sie einer Konfession angehörte – der gesamten Kirchensteuer in Höhe von 80 EUR. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers wies das Finanzgericht mit Schreiben vom 08.04.2010 – noch vor Durchführung seiner Veranlagung – schriftlich darauf hin, dass der Kläger die Vorauszahlungen ausschließlich für eigene Rechnung aufgrund seiner selbständigen Tätigkeit geleistet habe. Wörtlich heißt es:

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Sehr geehrte Damen und Herren,

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im Auftrag meines Mandanten teile ich Ihnen mit, dass Herr … die Einkommensteuervorauszahlungen ausschließlich für eigene Rechnung aufgrund seiner selbständigen Tätigkeit geleistet hat bzw. künftig leisten wird.

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Mit freundlichen Grüßen

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Das Finanzamt bestätigte mit Schreiben vom 14.04.2010 den Eingang dieses Schreibens vom 08.04.2010, wies allerdings gleichzeitig darauf hin, dass es diese Erklärung des Klägers bei der noch ausstehenden Veranlagung nicht berücksichtigen werde.

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Im Einkommensteuerbescheid 2008 vom 15.04.2010 berücksichtigte das Finanzamt die vom Kläger geleisteten Vorauszahlungen auf Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag bei ihm nur zur Hälfte. Gegen den Einkommensteuerbescheid 2008 legte der Kläger am 16.04.2010 Einspruch ein, mit der Begründung, die geleisteten Einkommensteuervorauszahlungen seien in voller Höhe bei ihm zu berücksichtigen. Hilfsweise beantragte der Kläger die Erteilung eines Abrechnungsbescheides nach § 218 Abs. 2 AO. Ein derartiger Abrechnungsbescheid wurde am 06.08.2010 zur Post gegeben. Hiergegen legte der Kläger Einspruch ein. Zur Begründung führte er aus, dass eine Aufteilung des Erstattungsbetrages nach Köpfen nicht rechtmäßig sei, weil es anderweitige Anhaltspunkte zur Ermittlung der Willensrichtung gebe. So sei die getrennte Veranlagung für das Jahr 2008 beantragt worden und die mit Schreiben vom 08.04.2010 – also vor Erlass seines Steuerbescheides – erklärt worden, dass der Kläger die Vorauszahlungen ausschließlich auf eigene Rechnung geleistet habe. Somit sei der Wille bezüglich der Vorauszahlungen klar und deutlich dokumentiert.

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Das Finanzamt hat den Einspruch mit Bescheid vom 03.07.2012 als unbegründet zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass im Zeitpunkt der Zahlungen im Jahr 2008 für das Finanzamt nicht ersichtlich gewesen sei, dass es sich hier nicht mehr um eine bestehende und intakte Ehe gehandelt habe. Die Vorauszahlungen seien zu den jeweiligen Terminen ohne weiteren Hinweis oder ein gesondertes Anschreiben beim Finanzamt eingegangen. Dass die Ehe nicht mehr intakt sei, habe das Finanzamt erst im Jahr 2011 erfahren. Folge sei, dass beide Ehegatten erstattungsberechtigt seien.

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Hiergegen richtet sich die Klage. Zur Begründung bringt der Kläger vor, dass die Zahlungen im Jahr 2008 – unstreitig – unter seinem Namen von seinem Konto damit aus seinem Vermögen erfolgt seien. Bereits hierin liege eine Tilgungsbestimmung, deren eindeutige Aufklärung durch das Finanzamt sich geradezu aufgedrängt habe. Im Übrigen habe der Kläger dem Finanzamt vor Durchführung der Veranlagung klarstellend schriftlich mitgeteilt, dass er nur seine eigene Steuerschuld tilge. Soweit das Finanzamt im Einspruchsbescheid auf ein BFH-Urteil vom 30.09.2008 – VII R 18/08, BStBl 2009, 38 verweise, gehe dieser Hinweis fehl, denn in diesem Verfahren sei es gerade um zusammenveranlagte Ehegatten gegangen, bei denen davon ausgegangen werden konnte, dass durch die Vorauszahlungen die gemeinsame Steuerschuld beider Ehegatten bewirkt werden sollte. Im Streitfall handele es sich jedoch um eine von vorne herein beantragte getrennte Veranlagung. Dabei sei im Übrigen völlig unbeachtlich, ob eine „Ehe“ vorgelegen habe oder nicht, da die getrennte Veranlagung deshalb gewählt worden sei, weil sie zum günstigsten Ergebnis geführt habe. Werde – wie hier – eine eindeutige Tilgungsbestimmung getroffen, so sei dieser ab Zugang dieser Willenserklärung zu beachten. Diese Tilgungsbestimmung habe der Kläger auch – einseitig ohne Einwilligung der geschiedenen Ehefrau – treffen können denn der Kläger habe die streitigen Vorauszahlungen allein und ausschließlich aus seinem eigenen Vermögen erbracht und den Verwendungszweck auch vor Durchführung der Veranlagung kundgetan. Eine Rechtsgrundlage für das Erfordernis einer Zustimmung der Ehefrau sei nicht ersichtlich.

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 Der Kläger beantragt,

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unter Änderung des Abrechnungsbescheides vom 06.08.2010 und des dazu ergangenen Einspruchsbescheids vom 03.07.2012 festzustellen, dass auf die Einkommensteuerschuld 2008 Einkommensteuervorauszahlungen in Höhe von 2.260 € anzurechnen sind.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Der Kläger verkenne, dass seine Tilgungsbestimmung vom 08.04.2010 nicht maßgeblich sei. Bei Erlass des Vorauszahlungsbescheides vom 14.01.2008 sei das Finanzamt davon ausgegangen, dass die Einkommensteuer-Vorauszahlung 2008 nach dem Splittingverfahren (§ 26 b EStG) zu bestimmen sei. Weder im Zeitpunkt der Festsetzung der Vorauszahlungen 2008 noch bei Zahlung der Vorauszahlungen seien dem Finanzamt Anhaltspunkte oder Absichtserklärungen bekannt gewesen, nach denen das Finanzamt an einer intakten Ehe hätte zweifeln müssen. Erstmals mit Abgabe der Einkommensteuererklärung
– 2009 – also für das Folgejahr – am 23.03.2011 habe der Kläger dem Finanzamt mitgeteilt, dass die Eheleute seit dem 19.12.2009 getrennt lebten. Im Jahr 2008 habe danach zweifelsfrei eine Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft bestanden. Es spiele keine Rolle, dass die Beträge ausschließlich vom Konto des Klägers abgebucht worden seien und dass die festgesetzten Vorauszahlungen unter Umständen ausschließlich auf den Einkünften des Klägers aus selbständiger Tätigkeit beruhten. Hinsichtlich der Tilgungsabsicht sei es unerheblich, welcher der Ehegatten in seiner Person Tatbestände verwirklicht habe, die zum Entstehen der die Eheleute als Gesamtschuldner treffenden Steuerschuld geführt hätten. Vor Durchführung der getrennten Jahresveranlagung 2008 habe zwar die Willenserklärung des Klägers, nicht aber die Willenserklärung der inzwischen von ihm geschiedenen Ehefrau vorgelegen. Die Ehegattengemeinschaft sei im Jahr 2009 auseinandergebrochen. Demgemäß hätte das Finanzamt abweichend von der gemeinsamen Tilgung der Einkommensteuervorauszahlung 2008 eine Anrechnung ausschließlich zugunsten des Klägers dann vornehmen können, wenn auch die Einwilligung der geschiedenen Ehefrau zu diesem Vorgehen vorgelegen hätte. Eine entsprechende Willenserklärung der geschiedenen Ehefrau sei dem Finanzamt jedoch nicht vorgelegt worden, so dass die Anrechnung nur je zur Hälfte hätte erfolgen können. Die ausschließlich vom Kläger abgegebene abweichende Tilgungsbestimmung ausschließlich zu seinen Gunsten reiche nicht aus.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist unbegründet.

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Der angefochtene Abrechnungsbescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

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Über Streitigkeiten wie Verwirklichung der Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis betreffen, entscheidet die Finanzbehörde nach § 218 Abs. 2 Satz 1 AO durch Verwaltungsakt. Das gilt auch dann, wenn die Streitigkeit einen Erstattungsanspruch gemäß § 37 Abs. 2 AO betrifft, § 218 Abs. 2 Satz 2 AO.

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Im Streitfall hat das beklagte Finanzamt zutreffend festgestellt, dass die aufgrund des Vorauszahlungsbescheides geleisteten Vorauszahlungen im Jahr 2008 nur zur Hälfte auf die Einkommensteuerschuld des Klägers anzurechnen sind (§ 36 Abs. 2 Nr. 1 EStG) und nur in diesem Umfang in die Ermittlung des ihm zustehenden Erstattungsanspruches gemäß § 36 Abs. 4 Satz 2 EStG einfließen.

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Erstattungsberechtigt ist nach § 37 Abs. 2 AO derjenige, auf dessen Rechnung die Zahlung bewirkt worden ist. Es kommt daher für die Erstattungsberechtigung nicht darauf an, von wem oder mit wessen Mitteln gezahlt worden ist, sondern nur darauf, wessen Steuerschuld nach dem Willen des Zahlenden, wie er im Zeitpunkt der Zahlung dem Finanzamt gegenüber erkennbar hervorgetreten ist, getilgt werden sollte (ständige Rechtsprechung des BFH, vgl. z. B. BFH – Urteil vom 25. 07.1989 – VII R 118/87 BStBl II 1990, 41; BFH-Urteil vom 04.04.1995 – VII R 82/94, BStBl II 1995, 492; BFH-Urteil vom 23.08 2001 – VII R 94/99, BStBl II 2002, 330; BFH-Urteil vom 30.03.2010 – VII R 17/09, BFH/NV 2010,1412).

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Diese Rechtsgrundsätze gelten auch für den Fall, dass mehrere Personen die überzahlte Steuer als Gesamtschuldner gemäß § 44 Abs. 1 AO schuldeten. Nach dem Regelungsinhalt des Vorauszahlungsbescheides wurden die Vorauszahlungen vom Kläger und seiner früheren Ehefrau als Gesamtschuldner geschuldet. Lässt sich aus den dem Finanzamt bei Zahlung erkennbaren Umständen nicht entnehmen, wessen Steuerschuld der zahlende Gesamtschuldner begleichen wollte, so wird angenommen, dass er nur seine eigene Steuerschuld tilgen wollte (vgl. z. B. BFH-Urteil vom 22.03.2011 – VII R 42/10, BStBl II 2011, 607). Anders ist es jedoch wenn ein Ehegatte auf die Gesamtschuld gezahlt hat. Liegen keine gegenteilige Anhaltspunkte oder anders lautende Absichtserklärungen vor, kann das Finanzamt als Zahlungsempfänger, solange die Ehe besteht und die Eheleute nicht dauernd getrennt leben, aufgrund der zwischen ihnen bestehende Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft davon ausgehen, dass derjenige Ehegatte, der auf die gemeinsame Steuerschuld mit seiner Zahlung auch die Steuerschuld des anderen mit ihm veranlagten Ehegatten begleichen will (vgl. z. B. BFH-Urteil vom 30.09.2008 – VII R 18/08, BStBl II 2009,38). Ob die Eheleute sich später trennen oder einer der Ehegatten nachträglich die getrennte Veranlagung beantragt, ist für die Beurteilung unerheblich (Niedersächsisches FG, Urteil vom 12.02.2014 – 4 K 261/13, EFG 2014, 883). Entscheidend ist nur, wie sich die Umstände dem Finanzamt im Zeitpunkt der Vorauszahlungen darstellen.

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Ausgehend davon hat der Kläger die seinem Konto belasteten Vorauszahlungen aus dem Jahr 2008 nicht nur auf seine eigene, sondern zugleich auch auf Rechnung seiner früheren Ehefrau entrichtet. Daraus, dass der Kläger die Vorauszahlungen von seinem Konto bei der X-Bank geleistet hat und die festgesetzten Vorauszahlungen ausschließlich auf den Einkünften des Klägers aus selbständiger Tätigkeit beruhten, lässt sich keine Tilgungsbestimmung ersehen. Denn es ist hinsichtlich der Tilgungsabsicht unerheblich, welcher der Ehegatten in seiner Person Tatbestände verwirklicht hat, die zum Entstehen der die Eheleute als Gesamtschuldner treffenden Steuerschuld geführt haben (BFH-Urteil vom 22.03.2011 – VII R 42/10, BStBl II 2011, 607; BFH-Urteil vom 15.11.2005 – VII R 16/05, BStBl II 2006, 453). Die nachträglich dem Finanzamt gegenüber vorgelegte „Tilgungsbestimmung“ mit Schreiben 08.04.2010 führt zu keinem anderen Ergebnis. Hierbei handelt es sich nur um eine Willenserklärung des Klägers, nicht aber um eine Willenserklärung der zu diesem Zeitpunkt bereits vom Kläger geschiedenen Ehefrau. Dieser gegenüber war jedoch bereits im März 2010 und damit vor Abgabe der Tilgungsbestimmung seitens des Klägers die Festsetzung der Einkommensteuer 2008 unter Anrechnung der Hälfte der Einkommensteuervorauszahlungen erfolgt, so dass eine Änderung des entsprechenden Bescheides zu ihren Lasten bei fehlender Zustimmung nur unter den einschränkenden Voraussetzungen der §§ 172 ff. AO möglich gewesen wäre.

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Eine derartige Erklärung, wie sie der Kläger mit Schreiben vom 08.04.2010 abgegeben hat, führt nicht (nachträglich) zu einer abweichenden Tilgungsbestimmung ausschließlich zu seinen Gunsten. Entscheidend ist vielmehr der Zeitpunkt der Zahlung – also hier das Jahr 2008. In diesem Zeitraum lagen dem Finanzamt keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Kläger mit der Zahlung von seinem Konto eine Tilgungsbestimmung ausschließlich zu seinen Gunsten treffen wollte. Die vom Kläger geleisteten Zahlungen wurden damit für Rechnung beider Gesamtschuldner entrichtet und waren deshalb nach Köpfen zwischen den inzwischen geschiedenen Eheleuten aufzuteilen.

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Im Ergebnis war die Klage abzuweisen.

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

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Der Senat hat die Revision gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen. Die Frage, ob nach Zahlung, aber vor Durchführung der Veranlagung noch eine Tilgungsbestimmung getroffen werden kann, hat grundsätzliche Bedeutung.