Mit Urteil vom 23. März 2023 (Az. 1 K 2478/21 E) hat der 1. Senat des Finanzgerichts Münster entschieden, dass Vermögenübertragungen nach Auflösung US-amerikanischer Trusts Kapitaleinkünfte darstellen, aber nur solche Wertsteigerungen erfasst werden dürfen, die nach der Verkündung des Jahressteuergesetzes 2010 am 8. Dezember 2010 entstanden sind.
Die Klägerin, die aus den USA stammt, lebt mit ihrem Ehemann, dem Kläger, seit vielen Jahren in Deutschland. Im Jahr 1984 begründeten ihr Vater und ihr Großvater als sog. grantors Trusts, in die sie Vermögenswerte – insbesondere Wertpapiere – einbrachten. Nach den Gründungsurkunden hatten die Gründer keine Zugriffsmöglichkeiten mehr auf das Vermögen und die Trusts waren unwiderruflich (sog. irrevocable trusts). Die Laufzeit beider Trusts war bis zum Tod des Vaters begrenzt. Während dieser Zeit wurde das Vermögen von sog. trustees verwaltet und dem Vater standen die laufenden Erträge zu. Nach dessen Tod sollte das Vermögen der Trusts gleichmäßig zwischen der Klägerin und ihren Geschwistern (sog. beneficiaries) aufgeteilt werden. Hierzu kam es im Streitjahr 2016.
Das Finanzamt behandelte die Vermögenszuflüsse aus beiden Trusts abzüglich des von den Gründern eingebrachten Anfangsvermögens als Einkünfte aus Kapitalvermögen nach § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG. Hiergegen wandten die Kläger ein, dass bereits der Tatbestand dieser Vorschrift nicht erfüllt sei, weil die Trusts nicht mit inländischen Körperschaften und die Vermögensverteilung nach Auflösung nicht mit Gewinnausschüttungen vergleichbar seien. Darüber hinaus liege eine unzulässige Doppelbesteuerung mit Erbschaft- bzw. Schenkungsteuer vor. Schließlich stelle die Einbeziehung ausländischer Gebilde durch das Jahressteuergesetz 2010 in Bezug auf vor dessen Verkündung eingetretene Wertsteigerungen eine verfassungsrechtlich unzulässige Rückwirkung dar.
Der 1. Senat des Finanzgerichts Münster hat der Klage teilweise stattgegeben. Den gesetzlichen Tatbestand des § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG hat er zunächst als erfüllt angesehen. Wegen der Ausgestaltung der beiden Trusts als „irrevocable trusts“ hat er einen Typenvergleich zu inländischen Körperschaften bejaht, da weder die Gründer noch die Begünstigten während der Laufzeit Zugriff auf das Trust-Vermögen hatten. Die von der Klägerin erhaltenen Bezüge seien zwar nicht mit Gewinnausschüttungen vergleichbar, jedoch mit der Verteilung des Liquidationsendvermögens nach Auflösung einer Körperschaft. Vor diesem Hintergrund sei es nicht schädlich, dass die Begünstigten auf die Höhe und den Zeitpunkt der Vermögenszuflüsse keinen Einfluss nehmen konnten.
Eine unzulässige Doppelbesteuerung hat der Senat nicht angenommen. Die gesetzlichen Tatbestände des § 7 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG und des § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG schlössen sich nicht gegenseitig aus. Dies sei auch von der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs anerkannt. Tatsächlich liege auch im Streitfall keine Übermaßbesteuerung vor, da das für Erbschaft- und Schenkungsteuer zuständige Finanzamt die Vermögenszuflüsse aus dem Trust des Vaters freigestellt und bei dem Trust des Großvaters einen hohen persönlichen Freibetrag von 400.000 Euro berücksichtigt habe.
Allerdings nahm der Senat – ebenso wie die Kläger – eine verfassungsrechtlich unzulässige Rückwirkung in Bezug auf solche Wertsteigerungen an, die bis zum 8. Dezember 2010 entstanden waren. An diesem Tag wurde das Jahressteuergesetz 2010 verkündet, mit dem mit inländischen Körperschaften vergleichbare ausländische Gebilde erstmals in den Tatbestand einbezogen worden waren. Bis dahin erfasste das Gesetz nur Bezüge von inländischen Körperschaften. Der Senat übertrug die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, das in der Verlängerung der Spekulationsfrist für private Grundstücke in § 23 EStG und in der Absenkung der Wesentlichkeitsgrenze in § 17 EStG eine unzulässige unechte Rückwirkung gesehen hatte, auf den Streitfall. Dabei ging er davon aus, dass der Klägerin bereits eine hinreichend verfestigte Vermögensposition zugestanden habe. Dem stehe nicht entgegen, dass sie zivilrechtlich noch nicht Inhaberin eines Gesellschaftsanteils gewesen sei, da das Gesetz sie wirtschaftlich wie eine Gesellschafterin behandelt habe. Die Rückwirkung sei auch nicht gerechtfertigt. Hierfür reiche insbesondere die Schließung von Besteuerunglücken nicht aus.
Von einer Vorlage an das Bundesverfassungsgericht sah der Senat ab und nahm stattdessen eine verfassungskonforme Auslegung dahingehend vor, dass lediglich die ab dem 8. Dezember 2010 zu verzeichnenden Wertsteigerungen als Kapitalerträge erfasst wurden. Dies führte im Ergebnis zu einer in etwa hälftigen Klagestattgabe.
Obwohl der Senat die Revision zugelassen hat, ist das Urteil rechtskräftig geworden.
Quelle: FG Münster, Mitteilung vom 15.06.2023 zum Urteil 1 K 2478/21 E vom 23.03.2023 (rkr)