📅 26. März 2025
📄 BFH, Urteil I R 5/24 (früher: I R 99/15)
🔗 Quelle: Bundesfinanzhof
Worum geht es?
Mit Urteil vom 26.03.2025 hat der Bundesfinanzhof (BFH) entschieden, dass die rückwirkende Anwendung der Entstrickungsregelungen des Jahressteuergesetzes 2010 auf Wirtschaftsjahre vor dem 01.01.2006 nicht gegen das verfassungsrechtliche Vertrauensschutzgebot verstößt – jedenfalls dann nicht, wenn es um die Überführung eines Wirtschaftsguts in eine ausländische Betriebsstätte geht, deren Einkünfte aufgrund eines Doppelbesteuerungsabkommens (DBA) in Deutschland freigestellt sind.
Hintergrund: Was ist Entstrickung?
Als Entstrickung bezeichnet man die steuerliche Reaktion auf die Verlagerung von Wirtschaftsgütern aus dem inländischen in den ausländischen Besteuerungsbereich. Nach deutschem Steuerrecht wird dabei eine Entnahme fingiert (§ 4 Abs. 1 Sätze 3 und 4 EStG), wodurch stille Reserven sofort aufgedeckt und versteuert werden müssen – auch wenn es zu keinem tatsächlichen Verkauf gekommen ist.
Der Streitfall im Überblick
Ein Wirtschaftsgut, das zuvor einer inländischen Betriebsstätte zugeordnet war, wurde in eine ausländische Betriebsstätte eines Unternehmens überführt. Die Finanzverwaltung behandelte dies als steuerpflichtige Entstrickung, obwohl das betreffende Wirtschaftsjahr vor dem 1. Januar 2006 endete – also vor dem Inkrafttreten der entsprechenden gesetzlichen Neuregelung im Jahressteuergesetz 2010.
Die Kläger wandten sich gegen diese rückwirkende Anwendung des Gesetzes und beriefen sich auf verfassungsrechtlichen Vertrauensschutz.
Die Entscheidung des BFH
Der BFH bestätigte jedoch die Auffassung der Finanzverwaltung:
Die durch das JStG 2010 eingeführte echte Rückwirkung verstößt nicht gegen das verfassungsrechtliche Vertrauensschutzgebot, wenn eine Überführung in eine ausländische Betriebsstätte mit Freistellung der Einkünfte vorliegt.
Zusätzlich stellte der BFH klar:
- Die Verwaltungspraxis der sog. Merkpostenlösung – also der Versteuerung stiller Reserven über 10 Jahre – verstößt nicht gegen EU-Recht, insbesondere nicht gegen die Niederlassungsfreiheit (unter Verweis auf das EuGH-Urteil Verder LabTec vom 21.05.2015, C-657/13).
Was bedeutet das für Unternehmen?
Die Entscheidung des BFH schafft mehr Rechtssicherheit – aber auch klare Anforderungen:
✅ Verlagerung von Wirtschaftsgütern ins Ausland bleibt ein steuerlich relevanter Vorgang, selbst wenn der Gewinn im Ausland später nicht besteuert wird (Freistellung nach DBA).
✅ Unternehmen können nicht auf Bestandsschutz bei rückwirkend geänderten steuerlichen Bewertungsregeln hoffen, wenn sie in den Anwendungsbereich der Norm fallen.
✅ Die Merkpostenregelung bleibt unionsrechtlich zulässig.
🔎 Praxis-Tipp für grenzüberschreitend tätige Unternehmen
- Vor der Verlagerung von Wirtschaftsgütern ins Ausland sollte stets eine steuerliche Prüfung erfolgen.
- Prüfen Sie frühzeitig die Auswirkungen einer möglichen Entstrickungsbesteuerung.
- Dokumentieren Sie alle Verlagerungsvorgänge und Buchwerte sorgfältig.
- Ziehen Sie bei Umstrukturierungen ins Ausland einen international steuerlich erfahrenen Berater hinzu.