BFH: Fehlende Ausweisung von Stornobuchungen begründet formellen Buchführungsmangel

Schätzungsbefugnis des Finanzamts – und klare Anforderungen an die Wahl der Schätzungsmethode

Mit zwei Urteilen vom 29. Juli 2025 (X R 23/21 und X R 24/21) hat der Bundesfinanzhof (BFH) grundlegende Aussagen zur Ordnungsmäßigkeit der Kassenführung, zur Schätzungsbefugnis der Finanzverwaltung und zur Auswahl geeigneter Schätzungsmethoden getroffen. Die Entscheidungen sind von erheblicher Bedeutung für alle bargeldintensiven Betriebe sowie für Betriebsprüfer und Berater.


1. Buchführungsmangel: Fehlende Stornonachweise führen zur Schätzung

Der BFH stellt klar:

👉 Wenn ein Kassensystem Stornierungen zulässt, diese aber nicht in Tagesabschlüssen oder Z-Bons ausgewiesen werden, liegt ein formeller Buchführungsmangel vor.

Wesentliche Punkte:

  • Es kommt nicht darauf an, ob die Stornierungen tatsächlich missbräuchlich verwendet wurden.
  • Allein die fehlende Dokumentation reicht aus, um die Ordnungsmäßigkeit der Kassenführung zu verneinen.
  • Damit entsteht eine Schätzungsbefugnis des Finanzamts nach § 162 AO.

Das Urteil bestätigt die strengen Anforderungen an elektronische Kassensysteme – insbesondere an vollständige, unveränderbare und transparente Aufzeichnungen.


2. Schätzungsmethoden: Finanzamt und Gericht haben Wahl – aber nicht grenzenlos

Grundsätzlich haben Finanzamt und Finanzgericht bei der Schätzung großen Spielraum. Allerdings:

👉 Die Wahl der Methode ist an die Grundsätze pflichtgemäßen Ermessens (§ 5 AO) gebunden.

Das bedeutet:

  • Es muss die genaueste geeignete Methode gewählt werden.
  • Ungenaue Schätzmethoden sind nachrangig, wenn genauere zur Verfügung stehen.
  • Der innere Betriebsvergleich (Vergleich mit eigenen Zahlen und Zeiträumen) ist in der Regel dem äußeren Betriebsvergleich (Vergleich mit Branchendaten anderer Betriebe) überlegen.

Damit stärkt der BFH die Bedeutung betriebsinterner Daten – und schwächt die oftmals sehr pauschalen äußeren Betriebsvergleiche.


3. Begründungspflicht: Schätzung muss nachvollziehbar sein

Der BFH betont mit Nachdruck:

👉 Finanzamt und Finanzgericht müssen ihre Schätzung detailliert und nachvollziehbar begründen.

Ist dies nicht der Fall, führt dies zu:

  • einem sachlich-rechtlichen Mangel,
  • der vom Revisionsgericht auch ohne Rüge beanstandet werden kann.

Damit mahnt der BFH eine sorgfältige Darlegungspflicht an – Schätzungen dürfen nicht schematisch oder pauschal vorgenommen werden.


4. Praxisfolgen für Unternehmer und Berater

Die Urteile haben erhebliche Relevanz für die tägliche Beratungspraxis, insbesondere in bargeldintensiven Branchen wie Gastronomie, Einzelhandel, Friseurhandwerk, Bäckereien und Taxiunternehmen.

Was Unternehmen jetzt beachten sollten:

  • Kassensysteme müssen jede Stornierung dokumentieren.
  • Stornos müssen sichtbar ausgewiesen werden (Z-Bon, Tagesabschluss, DSFinV-K).
  • Kassendaten müssen vollständig, manipulationssicher und exportierbar sein.
  • Fehlende Stornodokumentation führt automatisch zum formellen Mangel.
  • Bei Schätzungen sollten Unternehmen auf inneren Betriebsvergleich dringen.

Was Berater beachten müssen:

  • Prüfung der Kassenführung im Rahmen von Jahresabschluss und Beratung.
  • Hinweis auf erhöhte Anforderungen durch TSE und KassenSichV.
  • Unterstützung bei der Dokumentation und Verfahrensdokumentation.
  • Im Streitfall: Einfordern einer nachvollziehbaren Schätzungsbegründung.

5. Bedeutung für Betriebsprüfungen

Das Urteil stärkt die Finanzverwaltung bei formellen Fehlern – aber begrenzt sie beim Schätzverfahren:

  • Schätzungsbefugnis wird leicht ausgelöst,
  • Schätzungsumfang wird klar begrenzt durch Genauigkeitsanforderungen.

Damit ist der Beschluss als Mahnung an beide Seiten zu verstehen:
Kassenführung muss ordnungsgemäß sein, aber Schätzungen müssen sich auf die beste verfügbare Methode stützen.


Fazit

Die BFH-Urteile vom 29.07.2025 schaffen wichtige Klarheit:

  • Fehlende Stornonachweise → formeller Mangel → Schätzung.
  • Schätzungsmethoden → innerer Betriebsvergleich meist vorzugswürdig.
  • Schätzungsergebnisse → müssen nachvollziehbar und plausibel begründet werden.

Für Unternehmen bedeutet dies erhöhte Anforderungen an Kassenführung und Dokumentation.
Für die Finanzverwaltung bedeutet es eine strengere Kontrolle der eigenen Schätzungspraxis.


Quelle: BFH-Urteile X R 23/21 und X R 24/21, Presseinformation vom 29.07.2025