BFH klärt Verhältnis zwischen § 47 Abs. 2 FGO und § 52d FGO: Wiedereinsetzung trotz Klageeinreichung in Papierform möglich

Mit Urteil vom 17. September 2025 (Az. X R 11/24 und X R 12/24) hat der Bundesfinanzhof eine praxisrelevante Frage zur Klageerhebung bei den Finanzgerichten geklärt – insbesondere zum Verhältnis der bisherigen Möglichkeit der Klageeinreichung beim Finanzamt (§ 47 Abs. 2 FGO) und der Pflicht zur elektronischen Übermittlung nach § 52d FGO.

Das Urteil stellt klar:
➡️ Auch Steuerberater können bei Klageeinreichung in Papierform Wiedereinsetzung erhalten, wenn die Rechtslage unklar war.


1. Hintergrund: Elektronische Klagepflicht und frühere Abgabemöglichkeit

Seit Einführung des § 52d FGO gilt grundsätzlich:

  • Schriftsätze sind elektronisch einzureichen,
  • insbesondere durch Steuerberater als professionelle Verfahrensbeteiligte.

Gleichzeitig existierte weiterhin § 47 Abs. 2 FGO, der die Klageerhebung durch Abgabe in Papierform beim zuständigen Finanzamt ermöglichte.

Die Frage, ob § 52d FGO die alte Möglichkeit des § 47 Abs. 2 FGO überschreibt, verdrängt oder suspendiert, war bislang nicht höchstrichterlich geklärt – ein echtes Praxisproblem.


2. Der Fall: Klage in Papierform beim Finanzamt – Frist versäumt?

Ein Steuerberater reichte nach Inkrafttreten des § 52d FGO seine Klage:

  • in Papierform,
  • beim Finanzamt ein, das den angefochtenen Bescheid erlassen hatte.

Das Finanzgericht verwarf die Klage als unzulässig, da nicht elektronisch eingereicht. Der Steuerberater beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 56 FGO) – mit Erfolg.


3. BFH: Rechtsirrtum war unverschuldet – Wiedereinsetzung muss gewährt werden

Der BFH entschied:

🔎 Zentrale Aussage:

Selbst wenn § 47 Abs. 2 FGO durch § 52d Satz 2 FGO suspendiert wäre (was der BFH ausdrücklich offenlässt), befand sich der Steuerberater bis zur Veröffentlichung erster gegenteiliger Entscheidungen in einem unverschuldeten Rechtsirrtum.

Denn:

  • Die Rechtslage war unklar,
  • es gab keine höchstrichterliche Rechtsprechung,
  • die Finanzgerichte hatten hierzu noch nicht entschieden,
  • und der Gesetzeswortlaut ließ Raum für unterschiedliche Auslegungen.

➡️ Konsequenz:

Wiedereinsetzung ist zu gewähren, solange die weitere Voraussetzungen des § 56 FGO erfüllt sind.


4. Wichtige Klarstellung: Rechtsirrtümer von Steuerberatern nicht automatisch schuldhaft

Der BFH betont:

  • Auch bei einem fachkundigen Prozessbevollmächtigten kann ein Irrtum über Verfahrensrecht entschuldbar sein.
  • Entscheidend ist, ob die Rechtsfrage im Zeitpunkt der Handlung eindeutig geklärt war.

Damit zeigt der BFH Verständnis für die komplexe Übergangsphase zwischen Papier- und elektronischem Rechtsverkehr.


5. Praktische Bedeutung für Steuerberater und Unternehmen

✔ Schutz in Übergangsphase

Wer Klagen während einer unklaren Rechtslage beim Finanzamt in Papierform eingereicht hat, kann sich auf diese Rechtsprechung berufen.

✔ Wiedereinsetzung möglich, wenn:

  • Rechtslage unklar war,
  • kein Hinweis auf Unzulässigkeit bestand,
  • und die Klage ansonsten fristgerecht eingegangen wäre.

✔ Elektronische Klagepflicht bleibt bestehen!

Das Urteil ist kein Freibrief. Grundsätzlich gilt weiterhin:

➡️ Klagen müssen elektronisch beim Finanzgericht eingereicht werden.


6. Fazit

Der BFH führt den Grundsatz der fairen Verfahrensgestaltung fort:
Steuerberater dürfen nicht dafür bestraft werden, dass sie in einer Phase unklarer Rechtslage das frühere Klageverfahren weiter genutzt haben.

Das Urteil schafft wichtige Rechtssicherheit – gerade für Altfälle im Übergang zum rein elektronischen Rechtsverkehr.