Der Bundesfinanzhof (BFH) hat in seinem Urteil vom 8. August 2024 (Az. III R 19/22) entschieden, dass die Rückwirkungsregelung des § 70 Abs. 1 Satz 2 Einkommensteuergesetz (EStG) für Kindergeldzahlungen weder gegen deutsches Verfassungsrecht noch gegen EU-Recht verstößt. Zudem hat der BFH die Anwendung dieser Regelung auch auf inländische Saisonarbeitnehmer unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) bestätigt.
Hintergrund: Rückwirkende Kindergeldauszahlung
Gemäß § 70 Abs. 1 Satz 2 EStG kann festgesetztes Kindergeld rückwirkend nur für die letzten sechs Monate vor dem Monat ausgezahlt werden, in dem der Antrag bei der Familienkasse eingegangen ist. Diese Regelung dient der Verwaltungsvereinfachung und der Vermeidung von Nachforderungen über längere Zeiträume.
Kernaussagen des BFH-Urteils
- Verfassungsmäßigkeit der Regelung:
Die Begrenzung der rückwirkenden Auszahlung auf sechs Monate ist laut BFH mit dem Grundgesetz vereinbar. Sie stellt keine unverhältnismäßige Einschränkung dar, da sie dem berechtigten Ziel der Verwaltungsvereinfachung und Rechtssicherheit dient. - Unionsrechtskonformität:
Auch das EU-Recht wird durch die Regelung nicht verletzt. Der EuGH hatte in seinem Urteil vom 29. September 2022 (C-3/21) festgestellt, dass ein im Ausland gestellter Antrag auf Familienleistungen nur dann auch für die inländische Familienkasse relevant ist, wenn der Antragsteller zum Zeitpunkt der Antragstellung bereits von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat. - Anwendung auf Saisonarbeitnehmer:
Für inländische Saisonarbeitnehmer gilt dieselbe Rechtslage. Ein Kindergeldantrag im Heimatland vor der Ausübung des Freizügigkeitsrechts ist für die deutsche Familienkasse nicht bindend. Erst nach Beginn der Erwerbstätigkeit im Inland entfaltet ein solcher Antrag Relevanz.
Praktische Konsequenzen
- Fristgerechte Antragstellung:
Eltern, die Anspruch auf Kindergeld haben, sollten sicherstellen, dass der Antrag zeitnah gestellt wird, um keine Ansprüche zu verlieren. Eine verspätete Antragstellung führt dazu, dass nur die letzten sechs Monate rückwirkend berücksichtigt werden können. - Nachweise bei grenzüberschreitenden Sachverhalten:
Bei in der EU beschäftigten Saisonarbeitnehmern oder grenzüberschreitenden Fällen ist entscheidend, dass die Freizügigkeit bereits vor oder zum Zeitpunkt des Kindergeldantrags ausgeübt wurde. Andernfalls entfällt die Anrechnung eines Antrags im Heimatland. - Rechtsklarheit für Familienkassen:
Die Entscheidung des BFH gibt den Familienkassen eine klare Grundlage, um bei verspäteten Anträgen und grenzüberschreitenden Sachverhalten rechtssicher zu entscheiden.
Fazit
Das Urteil bestätigt die Rechtmäßigkeit der sechsmonatigen Rückwirkungsfrist für Kindergeldanträge und stärkt die Rechtssicherheit sowohl für Antragsteller als auch für die Verwaltung. Insbesondere bei grenzüberschreitenden Sachverhalten sollten Antragsteller darauf achten, ihre Rechte und Pflichten im Heimat- und Aufenthaltsland genau zu kennen, um Ansprüche nicht zu gefährden. Eine frühzeitige Beratung durch einen Steuerberater kann dabei helfen, rechtliche und finanzielle Nachteile zu vermeiden.