Archiv der Kategorie: Steuern & Recht

Hamburg bekommt ein neues, eigenes Grundsteuerrecht

Der Senat hat am 16.03.2021 den Gesetzentwurf zur neuen Hamburger Grundsteuer beschlossen und der Bürgerschaft zur weiteren Beratung vorgelegt. Die bisherige Einheitsbewertung für die Grundsteuer wurde durch das Bundesverfassungsgericht im April 2018 für verfassungswidrig erklärt, eine gesetzliche Neuregelung ist daher zwingend notwendig. Im Zuge der Verabschiedung des neuen bundesrechtlichen Grundsteuer- und Bewertungsrechts wurde 2019 eine Öffnungsklausel vereinbart, die es den Ländern ermöglicht, ein eigenes Modell anzuwenden. Hamburg hatte sich schon 2020 entschieden, einen eigenen Weg zu gehen, um zu vermeiden, dass die stark ansteigende Bodenwertentwicklung auf die Grundsteuer in Hamburg 1:1 durchschlägt und das Wohnen zusätzlich verteuert. Der Senat setzt für das ab 2025 geltende Hamburgische Grundsteuergesetz auf ein sog. Wohnlagemodell.

„Unser einfach anzuwendendes Wohnlagemodell bei der neuen Grundsteuer ist die richtige Antwort auf die teilweise dramatische Bodenwertentwicklung in unserer Stadt. Wir wollen Wohnen in Hamburg nicht weiter verteuern. Gerade günstiges Wohnen haben wir bei den verschiedenen Grundsteuer-Ermäßigungen besonders berücksichtigt. Das Wohnlagemodell ist sehr unbürokratisch, es werden nur wenige und einfach ermittelbare Angaben der Steuerpflichtigen benötigt, was wiederum technisch wenig Aufwand und im Ergebnis geringere Kosten bedeutet.“

Finanzsenator Dr. Andreas Dressel

„Das heute vom Senat beschlossene Grundsteuermodell ist auf die Erfordernisse Hamburgs mit seinem großen Bedarf an bezahlbarem Wohnraum zugeschnitten: Die neue Grundsteuer begünstigt das Wohnen deutlich und unterscheidet bei der Bemessungsgrundlage nach Flächengrößen und Wohnlagen, nicht nach reinen Bodenrichtwerten. So entkoppeln wir die Entwicklung der Mietnebenkosten ein Stück weit von der hohen Dynamik der Grundstückspreisentwicklung. Mit der Einführung einer erhöhten Grundsteuer C nehmen wir ab 2025 zusätzlich die Spekulation mit baureifen, aber unbebauten Grundstücken verstärkt ins Visier. Diese Grundstücksspekulation soll durch die Grundsteuer C unattraktiver werden, damit sie vor allem dem dringend benötigten Wohnungsbau nicht mehr im Weg steht.“

Hintergrund:
Wie wird die Grundsteuer zukünftig berechnet?
Die Berechnung der Grundsteuer erfolgt in drei Schritten.
Ermittlung des Grundsteuerwertes (Bewertungsebene)
Ermittlung der Grundsteuermesszahl (Messbetragsebene)
Berechnung der Grundsteuer (Hebesatzebene)
Zu 1.) Die Ermittlung der Grundsteuerwerte erfolgt anhand von Äquivalenzzahlen multipliziert mit der Grundstücks- beziehungsweise Gebäudefläche. Künftig sollen unabhängig von ihrer Nutzung Grundstücksflächen mit 0,04 Euro/Quadratmeter multipliziert werden und Gebäudeflächen mit 0,50 Euro/Quadratmeter.
Bsp: Einfamilienhaus, normale Wohnlage, Grundstücksfläche 1.000 qm, Wohnfläche 100 qm
Bewertungsebene:
Grund und Boden:                    1.000 qm x 0,04 Euro/qm      =          40 Euro
Gebäude:                                     100 qm x 0,50 Euro/qm     =           50 Euro
Grundsteuerwert:                                                                                 90 Euro
Die unterschiedlichen Äquivalenzzahlen bestimmen keine Wertverhältnisse. Sie bilden lediglich Relationen ab, anhand derer die Kostentragung für öffentliche Leistungen zugeordnet wird, die dem örtlichen Grundstückseigentümer bezogen auf sein Steuerobjekt zu Gute kommen und nicht bereits durch besondere Gebühren und Beiträge abgegolten sind. Annahme ist: Wer viel Wohn- und Grundstücksfläche hat, profitiert mehr von öffentlichen Gütern wie Schulen, Brandschutz, Räumungsdiensten, Spielplätzen. Die Fläche ist somit der alleinige Bewertungsmaßstab, der im Sinne des Bundesverfassungsgerichts dazu geeignet ist, die Relation der Wirtschaftsgüter zueinander realitätsgerecht abzubilden.
Zu 2.) Der Messbetrag wird aus dem Ergebnis der Bewertungsebene, dem Grundsteuerwert, ermittelt. Der Grundsteuerwert für das Gebäude wird mit der jeweiligen Messzahl multipliziert. Die Messzahl bildet die Begünstigung verschiedener Parameter ab.
Bsp: Einfamilienhaus, normale Wohnlage, Grundstücksfläche 1.000 qm, Wohnfläche 100 qm
Messbetragsebene:
Messzahl (Grund und Boden):             1 x 40 Euro                            =           40 Euro
Messzahl (Wohnen):                            0,7 x 0,75 = 0,525
(Ermäßigung für Wohnen 30%) x (Lageermäßigung 25%)
                                                          0,525 x 50 Euro                        =          26,25 Euro
Grundsteuermessbetrag:                                                                    =          66,25 Euro
Im Bereich der Steuermesszahlen ist aus sozial- und wohnungspolitischen Gründen für Gebäudeflächen, die zu Wohnzwecken genutzt werden, eine Begünstigung von 30% gegenüber Gebäudeflächen, die nicht zu Wohnzwecken genutzt werden, vorgesehen. Diese Ursprungsmesszahl wird bei normalen Wohnlagen im Gegensatz zu guten Wohnlagen zusätzlich begünstigt, um Stadtentwicklungsgesichtspunkte zu berücksichtigen. Insgesamt führt das Gesetz somit tendenziell zu einer Begünstigung des günstigen Wohnens.
Zu 3.) Um die Grundsteuer zu ermitteln, wird der Grundsteuermessbetrag mit dem Hebesatz multipliziert. Der Hebesatz ist neben den Grundsteuermesszahlen das zentrale Instrument, um die Aufkommensneutralität zu gewährleisten. Er wird erst nach der Hauptfeststellung 2024 feststehen. Als fiktives Beispiel wird hier ein Hebesatz von 1000% angenommen.
Bsp: Einfamilienhaus, normale Wohnlage, Grundstücksfläche 1.000 qm, Wohnfläche 100 qm
Grundsteuer:
Hebesatz 1.000 % x 66,25 Euro Grundsteuermessbetrag = 662,50 Euro pro Jahr
Welche Ermäßigungen sind geplant?
Die Messzahlen reduzieren sich durch die gesetzlichen Ermäßigungen auf…
Wohnen: 70% (also 30% „Rabatt“)
Wohnen (in der normale Wohnlage, d.h. 0,7×0,75): 52,5%
Wohnen (im Denkmal, d.h. 0,7×0,75): 52,5%
Wohnen (in Sozialwohnungen, d.h. 0,7×0,75): 52,5%
Wohnen (in normaler Wohnlage UND im Denkmal , d.h. 0,7×0,75×0,75): ca. 39,4%
Wohnen (in normaler Wohnlage UND in Sozialwohnung): ca. 39,4%
Wohnen (in Sozialwohnung UND im Denkmal): ca. 39,4%
Wohnen (normale Wohnlage UND in Sozialwohnung UND im Denkmal): ca. 29,5%
C.)Was ist die Grundsteuer C?
Es wird neben der Grundsteuer A (für Land- und Forstwirtschaft, keine Abweichung vom Bundesrecht) und Grundsteuer B (für Grund und Boden und Gebäude, die nicht land- und forstwirtschaftlich genutzt werden), auch eine neue Grundsteuer C geben. Über einen gesonderten, höheren Hebesatz werden baureife, unbebaute Grundstücke besteuert. Dies soll Spekulationen mit für den Wohnungsbau geeigneten Grundstücken verhindern und gezielt die Wohnungsbauaktivität im Interesse der städtebaulichen Entwicklung fördern. Die Details (Wer ist betroffen und wie viel?) werden nun erarbeitet und bis 2024 auf den Weg gebracht.
D.)Was gilt für Gewerbegrundstücke?
Da es kein Gewerbelagenverzeichnis als Maßstab gibt, kommt keine Ermäßigung wie im Bereich Wohnen in Betracht. Es wird aber – neben den allgemeinen Erlassregelungen – eine gesonderte Härtefallregelung für besonders gelagerte Fälle im gewerblichen Bereich geben. Ein solcher Härtefall kann zum Beispiel bei einem groben Missverhältnis zwischen der Inanspruchnahme der kommunalen Infrastruktur und der Kostenanlastung gegenüber dem Grundstückseigentümer vorliegen (z.B. eine sehr große Gebäudefläche bei einer sehr geringen faktischen Nutzbarkeit).
E.)Warum geht Hamburg einen eigenen Weg bei der Grundsteuer?
Hamburg hat sich auf Basis mehrerer Proberechnungen, nach breiter Erörterung in Senat und Bürgerschaft sowie nach Konsultation aller Beteiligten (diverse Werkstattgespräche mit Kammern und Verbänden) in 2020 zur Nutzung der Öffnungsklausel entschieden. Im Rahmen der Proberechnungen hat sich die grobe Tendenz gezeigt, dass das von Hamburg favorisierte Wohnlagemodell im Bereich „Wohnen“ zu einer weniger heterogenen Belastungstendenz als das Bundesrecht kommt und die Belastungswirkungen im Metropolbereich eher dämpft. Das Bundesrecht hat für Hamburg insgesamt erhebliche Nachteile:
Es ist schwer administrierbar.
Verfassungsrechtlich bedenkliche Belastungsentscheidung und Ausgestaltungen (vgl. die Darstellung des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages vom 17.10.2019).
Das Aufkommen steigt mit der Bodenwertsteigerungen stetig (u.a. mit der Folge laufender Grundsteuererhöhungen und steigender Mietnebenkosten).
Die teilweise drastischen Bodenwertveränderungen seit der letzten Hauptfeststellung im Jahr 1964 würden 1:1 in die neue Grundsteuer einfließen, mit der Gefahr von übermäßigen Belastungsverschiebungen, von Segregation und im Ergebnis fehlender Akzeptanz.
F.)Wie ist das weitere Verfahren?
Ab dem Jahr 2025 wird die Grundsteuer nach dem neuen Recht berechnet (bis dahin gilt das alte Recht übergangsweise weiter). Auf den 01.01.2022 soll eine neue Hauptfeststellung für das neue Recht erfolgen. Die neuen Feststellungserklärungen werden voraussichtlich ab dem 01.07.2022 abzugeben sein – natürlich primär digital. Steuerpflichtige müssen grundsätzlich nur fünf Angaben machen (Steuer-ID, Name, Belegenheit, Grundfläche und Wohn- bzw. Nutzfläche). Die neue Hamburger Grundsteuer wird im Programmierverbund mit Bayern realisiert; ein behördenübergreifendes Umsetzungsprojekt mit Informationskampagne wird aktuell vorbereitet.
Das Gesamtaufkommen soll insgesamt und innerhalb der beiden Bereiche Wohnen und Gewerbe aufkommensneutral sein. Die Messzahlen und der Hebesatz sollen diesbezüglich ggf. im Jahr 2024 angepasst werden. Die Steuerschätzung geht für das Umstellungsjahr 2025 von einem Volumen von 500 Mio. Euro aus (bei über 400.000 Bewertungseinheiten).

Quelle: Hamburger Senat, Pressemitteilung vom 16.03.2021

Konsultationsvereinbarung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik vom 13. Mai 2020 zur Besteuerung von Grenzpendlern – Dritte Verlängerung

Entlastung der grenzüberschreitend tätigen Arbeitnehmer*innen im Hinblick auf die Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie

Die am 13. Mai 2020 mit der Französischen Republik abgeschlossene Konsultationsvereinbarung zum Abkommen vom 21. Juli 1959 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik zur Vermeidung der Doppelbesteuerungen und über gegenseitige Amts- und Rechtshilfe auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie der Gewerbesteuern und der Grundsteuern in der Fassung des Revisionsprotokolls vom 9. Juni 1969 und der Zusatzabkommen vom 28. September 1989, 20. Dezember 2001 und 31. März 2015 verlängert sich am Ende eines jeden Kalendermonats automatisch jeweils um einen Monat, sofern sie nicht von der zuständigen Behörde eines der Vertragsstaaten mindestens eine Woche vor Beginn des jeweils folgenden Kalendermonats durch schriftliche Erklärung an die zuständige Behörde des anderen Vertragsstaats gekündigt wird.

Aufgrund des aktuellen Pandemiegeschehens hat sich das BMF mit Frankreich darauf verständigt, dass die Konsultationsvereinbarung zumindest bis zum 30. Juni 2021 Bestand haben wird. Hierzu haben die zuständigen Behörden eine schriftliche Absprache unterzeichnet, die hiermit übersendet wird.

Das Schreiben wird im Bundessteuerblatt veröffentlicht.

Quelle: BMF, Schreiben IV B 3 – S-1301-FRA / 19 / 10018 :007 vom 16.03.2021

Zum Recht eines Dritten auf Einsichtnahme in die Steuerakten eines Steuerpflichtigen

Kein Recht eines Dritten auf Einsichtnahme in die Steuerakten eines Steuerpflichtigen – auch nicht, wenn gegen den Steuerpflichtigen der Verdacht des Betrugs zum Nachteil des die Akteneinsicht Begehrenden besteht.

So entschied das Finanzgericht Baden-Württemberg mit Urteil vom 25. November 2020 (Az. 4 K 1065/19). Die Revision wurde zugelassen.

Die Klägerin, Mitglied eines Bankenkonsortiums, hatte Geschäftsbeziehungen mit einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH). Deren Gesellschafter-Geschäftsführer hatte sich im Jahr 2008 für Verbindlichkeiten der GmbH selbstschuldnerisch verbürgt. 2009 wurde auf Antrag der GmbH über deren Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet und der Gesellschafter-Geschäftsführer aus der Bürgschaft in Anspruch genommen. Es folgten Vergleichsverhandlungen zwischen der Klägerin und dem Gesellschafter-Geschäftsführer. Dieser legte der Klägerin zum 30. Juni 2009 eine Vermögensübersicht vor und versicherte eidesstattlich deren Richtig- und Vollständigkeit. Diese führte zu einem Vergleich. 2015 erstattete die Klägerin bei der Staatsanwaltschaft Strafanzeige gegen den Gesellschafter-Geschäftsführer wegen des Verdachts des Betrugs. Die Klägerin erlangte aus den Ermittlungsakten Kenntnis über eine Selbstanzeige des Gesellschafter-Geschäftsführers und ein beim beklagten Finanzamt geführtes steuerstrafrechtliches Ermittlungsverfahren. Daraufhin beantragte die Klägerin Einsicht in die bei der Straf- und Bußgeldsachenstelle des beklagten Finanzamts geführten Ermittlungsakten und Auskunft zu Schweizer Konten des Gesellschafter-Geschäftsführers. Das beklagte Finanzamt gewährte unter Bezugnahme auf das Steuergeheimnis keine Akteneinsicht. Es erteilte keine Auskünfte.

Das Finanzgericht Baden-Württemberg wies die Klage auf Akteneinsicht ab. § 30 der Abgabenordnung (AO) regle das Steuergeheimnis und abschließend die Voraussetzungen für eine Offenbarung oder Verwertung geschützter Daten. Das beklagte Finanzamt sei nicht nach § 30 Abs. 4 AO zur Offenbarung seiner Kenntnisse befugt. Diese seien nicht „in einem Verfahren wegen einer Steuerstraftat oder Steuerordnungswidrigkeit erlangt worden“, sondern vor dessen Einleitung aufgrund der Selbstanzeige des Gesellschafter-Geschäftsführers. Diese Mitteilung von Tatsachen sei nicht freiwillig erfolgt. Hierzu sei der Gesellschafter-Geschäftsführer nach den Vorschriften der AO verpflichtet gewesen. Mit seiner Selbstanzeige habe er nicht zugleich eine allgemeine Straftat offenbart. Alleine die Erkenntnis über (weitere) Einkünfte reiche für die Annahme eines Betrugs zulasten der Klägerin nicht aus. Die von der Klägerin begehrte Mitteilung werde auch nicht zur Verfolgung eines Verbrechens benötigt. Ein Betrug sei kein Verbrechenstatbestand mit mindestens einjähriger Freiheitsstrafe. Dieser sei eine Wirtschaftsstraftat. Daher bestehe eine Offenbarungsbefugnis des beklagten Finanzamts nur, wenn sich die Straftat gegen die gesamtwirtschaftliche Ordnung richten würde. Solch gravierende Auswirkungen habe das Vorgehen des Gesellschafter-Geschäftsführers jedoch nicht. Dessen Vorgehen sei auch nicht geeignet, das Vertrauen in die Redlichkeit des geschäftlichen Verkehrs erheblich zu erschüttern. Gehe es im Streitfall der Klägerin letztendlich um die zivilrechtliche Rechtsverfolgung, die Klägerin möchte Schadensersatzansprüche gegen den Gesellschafter-Geschäftsführer geltend machen, bestehe auch kein „zwingendes öffentliches Interesse“ an der Offenbarung der Vermögenssituation des Gesellschafter-Geschäftsführers durch das beklagte Finanzamt.

Quelle: FG Baden-Württemberg, Pressemitteilung vom 17.03.2021 zum Urteil 4 K 1065/19 vom 25.11.2020

Stromlieferung als selbstständige Leistung neben einer umsatzsteuerfreien Vermietung

In einer aktuellen Entscheidung hatte der 11. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts über die Frage zu entscheiden, ob Strom, den der Vermieter über eine Photovoltaikanlage erzeugt und an die Mieter liefert, umsatzsteuerlich als Nebenleistung der Vermietung anzusehen ist. Das Gericht hat diese Frage in seinem Urteil vom 25. Februar 2021 verneint und der Klage stattgegeben.

Hintergrund: Der Kläger vermietet mehrere Wohnungen umsatzsteuerfrei (§ 4 Nr. 12 Buchst. a UStG) und hatte im Streitjahr auf dem Dach der Häuser Photovoltaikanlagen installiert. Den erzeugten Strom speicherte der Kläger und lieferte ihn an die Mieter zu einem handelsüblichen Preis. Die jährliche Abrechnung erfolgte über einzelne Zähler mit einer individuellen Abrechnung für jeden Mieter. Hierzu schloss der Kläger mit den Mietern eine Zusatzvereinbarung zum Mietvertrag, in der u. a. geregelt war, dass der Stromlieferungsvertrag mit einer Frist von vier Wochen zum Monatsende gekündigt werden kann. Für einen anderweitigen Bezug des Stroms hatte der Mieter die dafür erforderlich werden Umbaukosten (ca. 500 Euro) zu tragen. Die Vorsteuer (§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG) aus den Eingangsrechnungen des Installationsbetriebs machte der Kläger steuermindernd geltend. Das beklagte Finanzamt versagte den Abzug mit der Begründung, dass die Stromlieferung eine unselbstständige Nebenleistung zur umsatzsteuerfreien Vermietung sei (Hinweis auf Abschn. 4.12.1 Abs. 5 Satz 3 UStAE).

Das Finanzgericht sah dies anders und gab der Klage statt.

Es handele sich bei der Stromlieferung um eine selbstständige Leistung neben der Vermietung. Maßgebend dafür sei, dass die Verbrauchsmenge individuell mit den Mietern abgerechnet werde und die Mieter die Möglichkeit hätten, den Stromanbieter frei zu wählen. Dass sie für den Fall der Kündigung des Stromliefervertrags mit dem Kläger die Umbaukosten zu tragen hätten, um dann den Strom von einem anderen Anbieter zu beziehen, erschwere den Wechsel zwar, mache ihn aber keinesfalls unmöglich. Auch der EuGH habe in einem vergleichbaren Fall die Stromlieferung als von der Vermietung getrennt angesehen (EuGH, Urteil vom 16.04.2015 – C-42/14).

Im Hinblick darauf, dass der BFH über diese Rechtsfrage noch nicht ausdrücklich entschieden hat und die Finanzverwaltung das EuGH-Urteil in der Rechtssache C-42/14 nicht anwendet, hat das Finanzgericht die Revision zugelassen. Ein Aktenzeichen des BFH liegt noch nicht vor.

Quelle: FG Niedersachsen, Mitteilung vom 17.03.2021 zum Urteil 11 K 201/19 vom 25.02.2021

Der Hamburger Hafen als weiträumiges Tätigkeitsgebiet im Sinne des neuen Reisekostenrechts

Der 4. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts hat mit Urteil vom 3. Februar 2021 entschieden, dass das Hamburger Hafengebiet für einen Hafenarbeiter, der im Rahmen der Arbeitnehmerüberlassung seines Arbeitgebers bei verschiedenen Hafeneinzelbetrieben auf diesem Gebiet eingesetzt wird, „dasselbe typischerweise arbeitstäglich aufzusuchende weiträumige Tätigkeitsgebiet“ darstellt, sodass Fahrten zwischen Wohnung und dem Hafenzugang nur mit der Entfernungspauschale berücksichtigt werden können.

Damit gelangt das Finanzgericht auf den ersten Blick zu einem anderen Ergebnis als der Bundesfinanzhof (BFH), der bereits im Jahr 2019 den Hamburger Hafen im Lichte des neuen Reisekostenrechts zu bewerten hatte (BFH, Urteil vom 11. April 2019 – VI R 36/16, BFHE 264, 240, BStBl II 2019 S. 543).

In dem damaligen Revisionsfall des Bundesfinanzhofs hatte der Revisionskläger als sog. Gesamthafenarbeiter neben seinem Dienstverhältnis mit dem Gesamthafenbetrieb Hamburg zusätzlich Dienstverhältnisse mit den verschiedenen Hafeneinzelbetrieben, die auf die jeweilige – teilweise eintägige – Dauer seines dortigen Arbeitseinsatzes befristet waren. Für diese – wenn auch nur sehr kurze – „Dauer des Dienstverhältnisses“ erfolgte eine Zuordnung des Revisionsklägers zu der ortsfesten betrieblichen Einrichtung des Hafeneinzelbetriebes, sodass dort nach § 9 Abs. 4 EStG die erste Tätigkeitsstätte des jeweiligen Dienstverhältnisses gegeben war und die Entfernungspauschale zur Anwendung kam.

Der Kläger im Fall des Niedersächsischen Finanzgerichts war dagegen kein solcher Gesamthafenarbeiter mit mehreren Dienstverhältnissen. Er war vielmehr ausschließlich bei einem Unternehmen angestellt, das u. a. auch die Arbeitnehmerüberlassung auf dem Gebiet des Hamburger Hafens betrieb. Im Rahmen dieser Arbeitnehmerüberlassung wurde der Kläger bei verschiedenen Hafeneinzelbetrieben tätig. Die jeweilige Zuordnung zu diesen Hafeneinzelbetrieben erfolgte durch den Arbeitgeber des Klägers an jedem Arbeitstag neu, sodass sie nicht „dauerhaft“ war und in der Folge keine erste Arbeitsstätte vorlag. Der Kläger hatte für seinen Arbeitseinsatz jedoch „typischerweise arbeitstäglich“ das Gebiet des Hamburger Hafens und damit „dasselbe weiträumige Tätigkeitsgebiet“ aufzusuchen. Trotz Fehlens einer ersten Arbeitsstätte waren die Fahrten von seiner Wohnung bis zum Hafenzugang daher nur mit der Entfernungspauschale anzusetzen.

Quelle: FG Niedersachsen, Mitteilung vom 17.03.2021 zum Urteil 4 K 11006/17 vom 03.02.2021

Ertragsteuerliche Erfassung der Zinsen auf Steuernachforderungen und Steuererstattungen gem. § 233a AO – Billigkeitsregelung

Unter Bezugnahme auf das Ergebnis der Erörterungen mit den obersten Finanzbehörden der Länder wird das BMF-Schreiben vom 5. Oktober 2000 (BStBl I S. 1508) wie folgt neu gefasst:

Aufgrund der Aufhebung des § 10 Abs. 1 Nr. 5 EStG und der Änderung des § 10 Nr. 2 KStG durch das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 vom 24. März 1999 (BGBl. I S. 402) können Zinsen auf Steuernachforderungen gemäß § 233a AO mit Wirkung ab dem Veranlagungszeitraum 1999 nicht mehr steuermindernd geltend gemacht werden. Demgegenüber führen Zinsen auf Steuererstattungen gemäß § 233a AO beim Gläubiger zu Einkünften aus Kapitalvermögen im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG oder in Verbindung mit § 20 Abs. 8 EStG zu Einkünften anderer Art. Diese unterschiedliche steuerliche Behandlung von Zinsen führt regelmäßig nicht zu einer sachlichen Unbilligkeit. Es handelt sich vielmehr um eine bewusste gesetzgeberische Entscheidung, die konsequent daran anknüpft, dass private Schuldzinsen nicht abzugsfähig, Guthabenzinsen aber steuerpflichtig sind. Die Regelung kann jedoch in Einzelfällen zu einem sachlich unbilligen Ergebnis führen, wenn – bezogen auf die Steuerbemessungsgrundlage der Einkommen- oder Körperschaftsteuer – sowohl Steuernachforderungen als auch Steuererstattungen gegenüber demselben Steuerpflichtigen auf ein und demselben Ereignis beruhen.

Zur Vermeidung unbilliger Härten gilt nach dem Ergebnis der Erörterungen mit den obersten Finanzbehörden der Länder Folgendes:

Aus Gründen sachlicher Härte sind auf Antrag Erstattungszinsen im Sinne des § 233a AO nach § 163 AO nicht in die Steuerbemessungsgrundlage einzubeziehen, soweit ihnen nicht abziehbare Nachzahlungszinsen gegenüberstehen, die auf ein und demselben Ereignis beruhen. Dabei sind die Erstattungszinsen und die diesen gegenüberstehenden Nachzahlungszinsen auf den Betrag der jeweils tatsächlich festgelegten Zinsen begrenzt. Der Antrag ist bei dem für die Personensteuer örtlich zuständigen Finanzamt zu stellen.

Ereignis in diesem Sinne ist der einzelne Vorgang, der Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis im engen zeitlichen und sachlichen Zusammenhang erhöht oder vermindert (z. B. Erhöhung des Warenbestandes eines Jahres/Erhöhung des Wareneinsatzes im Folgejahr).

Dieses Schreiben wird im Bundessteuerblatt Teil I veröffentlicht.

Quelle: BMF, Schreiben (koordinierter Ländererlass) IV C 1 – S-2252 / 19 / 10012 :011 vom 16.03.2021

Vorsteuer-Vergütungsverfahren (§ 18 Abs. 9 UStG, §§ 59 bis 61a UStDV) – Gegenseitigkeit (§ 18 Abs. 9 Satz 5 UStG)

Mit BMF-Schreiben IV D 3 – S-7359 / 07 / 10009 (2014/0927860) vom 17. Oktober 2014 (BStBl I S. 1369) zum Vorsteuer-Vergütungsverfahren ist je ein Verzeichnis der Drittstaaten, zu denen die Gegenseitigkeit im Sinne des § 18 Abs. 9 Satz 4 UStG (neu: § 18 Abs. 9 Satz 5 UStG) besteht, und der Drittstaaten, zu denen die Gegenseitigkeit nicht gegeben ist, herausgegeben worden.

Hiermit werden die Verzeichnisse durch die beiliegenden, geänderten Verzeichnisse ersetzt. Die Änderungen beruhen auf der Feststellung, dass die Gegenseitigkeit zum Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland (Vereinigtes Königreich) seit dem 1. Januar 2021 gegeben ist. Außerdem wurde festgestellt, dass die Gegenseitigkeit zu Antigua und Barbuda, Iran, Liberia und zum Königreich Eswatini (ehemals: Swasiland) nicht mehr und zu Laos, Gambia, Kosovo sowie St. Kitts und Nevis nicht gegeben ist. Ergänzungen und Änderungen sind durch Randstriche kenntlich gemacht.

Unter Bezugnahme auf das Ergebnis der Erörterungen mit den obersten Finanzbehörden der Länder wird darüber hinaus der Umsatzsteuer-Anwendungserlass (UStAE) vom 1. Oktober 2010, BStBl I S. 846, der zuletzt durch das BMF-Schreiben vom 12. März 2021 – III C 3 – S-7170 / 20 / 10005 :001 (2021/0226645) -, BStBl I S. xxxx, geändert worden ist, in Abschnitt 18.11 wie folgt geändert:

  1. Absatz 4 wird wie folgt geändert:

a) In Satz 1 wird im Klammerzusatz die Angabe „§ 18 Abs. 9 Satz 4 UStG“ durch die Angabe „§ 18 Abs. 9 Satz 5 UStG“ ersetzt.

b) In Satz 3 wird die Angabe „17. 10. 2014, BStBl I S. 1369,“ durch die Angabe „15. 3. 2021, BStBl I S. xxx,“ ersetzt.

  1. In Absatz 5 wird der Klammerzusatz wie folgt gefasst:

„(§ 18 Abs. 9 Satz 6 UStG)“.

Die Grundsätze dieses Schreibens sind in allen offenen Fällen anzuwenden.

Die Regelungen der Randziffern 18 bis 21 des BMF-Schreibens vom 10. Dezember 2020 – III C 1 – S-7050 / 19 / 10001 :002 (2020/1285153) -, BStBl I Seite 1370, bleiben unberührt.

Dieses Schreiben wird im Bundessteuerblatt Teil I veröffentlicht.

Quelle: BMF, Schreiben (koordinierter Ländererlass) III C 3 – S-7359 / 19 / 10005 :001 vom 15.03.2021

Umsatzsteuerliche Behandlung von Dienstleistungen durch Apotheken – Grippeschutzimpfungen und Sichtvergaben von Substitutionsmitteln

Durch Artikel 1 Nr. 2 der Dritten Verordnung zur Änderung der Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung vom 22. Mai 2017 wurde zum 30. Mai 2017 die Überlassung von Substitutionsmitteln durch Apotheken an den Patienten zum unmittelbaren Verbrauch geregelt. Ferner wurde durch Artikel 2 Nr. 5a des Gesetzes für den Schutz vor Masern und zur Stärkung der Impfprävention (Masernschutzgesetz) vom 10. Februar 2020 (BGBl. I S. 148) zum 1. März 2020 durch § 132j SGB V die Möglichkeit regionaler Modellvorhaben zur Durchführung von Grippeschutzimpfungen in Apotheken geschaffen.

Unter Bezugnahme auf das Ergebnis der Erörterung mit den obersten Finanzbehörden der Länder wird im Umsatzsteuer-Anwendungserlass vom 1. Oktober 2010, BStBl I S. 846, der zuletzt durch das BMF-Schreiben vom 4. März 2021 – III C 2 – S-7105 / 20 / 10001 :001 (2021/0174033), BStBl I S. xxx, geändert worden ist, in Abschnitt 4.14.4 Abs. 11 der Satz 1 wie folgt geändert:

  1. In Nummer 13 wird der Punkt am Ende durch ein Semikolon ersetzt.
  2. Nach Nummer 13 wird folgende Nummer 14 angefügt:

„14. Apothekerinnen und Apotheker, die im Rahmen des Modellvorhabens nach § 132j SGB V Grippeschutzimpfungen durchführen, oder die nach § 5 Abs. 10 Satz 2 Nr. 2 Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung Substitutionsmittel dem Patienten zum unmittelbaren Verbrauch überlassen.“

Die Grundsätze dieses Schreibens sind auf alle offenen Fälle anzuwenden. Für Umsätze, die vor dem 1. April 2021 ausgeführt werden, wird es nicht beanstandet, wenn der Unternehmer seine Leistungen abweichend von Abschnitt 4.14.4 Abs. 11 Nr. 14 UStAE umsatzsteuerpflichtig behandelt.

Dieses Schreiben wird im Bundessteuerblatt Teil I veröffentlicht.

Quelle: BMF, Schreiben (koordinierter Ländererlass) III C 3 – S-7170 / 20 / 10005 :001 vom 12.03.2021

Aufhebung des BMF-Schreibens zur untergesetzlichen Verlängerung der Steuererklärungsfrist des § 149 Abs. 3 Halbsatz 1 AO für den Veranlagungszeitraum 2019

Das Gesetz zur Verlängerung der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht und des Anfechtungsschutzes für pandemiebedingte Stundungen sowie zur Verlängerung der Steuererklärungsfrist in beratenen Fällen und der zinsfreien Karenzzeit für den Veranlagungszeitraum 2019 (BGBl. I S. 237) ist am 19. Februar 2021 und damit noch vor Ablauf der regulären Erklärungsfrist des § 149 Abs. 3 Halbsatz 1 AO in Kraft getreten. Mit diesem Gesetz wurde die Erklärungsfrist in beratenen Fällen für den Besteuerungszeitraum 2019 um sechs bzw. fünf Monate verlängert (Artikel 97 § 36 Abs. 1 EGAO). Einer Verlängerung der Steuererklärungsfrist durch BMF-Schreiben bedarf es deshalb nicht mehr.

Im Einvernehmen mit den obersten Finanzbehörden des Bundes und der Länder wird das BMF-Schreiben vom 21. Dezember 2020 (BStBl I 2021 S. 44) mit sofortiger Wirkung ersatzlos aufgehoben.

Quelle: BMF, Schreiben (koordinierter Ländererlass) IV A 3 – S-0261 / 20 / 10001 :010 vom 16.03.2021

Keine unbillige Doppelbelastung von Stückzinsen mit Erbschaft- und Einkommensteuer

Es ist nicht unbillig, Stückzinsen bei der Veräußerung ererbter Investmentanteile mit dem Abgeltungsteuersatz zu belasten, wenn diese auf einen Zeitraum vor dem Erbfall entfallen und daher bereits der Erbschaftsteuer unterlegen haben. Dies hat der 7. Senat des Finanzgerichts Münster mit Urteil vom 17. Februar 2021 (Az. 7 K 3409/20 AO) entschieden.

Der Kläger erbte im Jahr 2013 Investmentanteile an einem thesaurierenden Geldmarktfonds. Diese Anteile wurden mit einem Wert von ca. 120.000 Euro der Erbschaftsteuer unterworfen. Im Jahr 2017 veräußerte er die Wertpapiere zu einem Kurswert von ca. 115.000 Euro. Nach der Steuerbescheinigung der Sparkasse waren im Veräußerungserlös Stückzinsen in Höhe von ca. 35.000 Euro enthalten. Im Rahmen seiner Einkommensteuererklärung machte der Kläger geltend, dass aufgrund des gefallenen Kurses die Stückzinsen auf einen Zeitraum vor dem Erbfall entfielen. Die anteilige Erbschaftsteuerbelastung hierauf betrage 30 % (ca. 10.500 Euro), sodass die Einkommensteuer nach § 35b EStG zu ermäßigen sei. Das Finanzamt unterwarf die Stückzinsen dem Abgeltungsteuersatz von 25 % und berücksichtigte keine Steuerermäßigung, weil diese nur für die tarifliche Einkommensteuer gelte. Der Einkommensteuerbescheid wurde bestandskräftig, nachdem der Kläger auf Hinweis des Gerichts die hiergegen erhobene Klage zurückgenommen hatte. Anschließend beantragte der Kläger eine abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen und führte hierfür die Doppelbelastung der Stückzinsen an, die mit 30 % Erbschaftsteuer und 25 % Abgeltungsteuer über dem Spitzensteuersatz liege. Spätestens seit Einführung der Abgeltungsteuer seien Erbschaft- und Einkommensteuergesetz nicht hinreichend aufeinander abgestimmt. Das Finanzamt lehnte den Antrag ab und verwies auf die eindeutige gesetzliche Regelung in § 35b EStG, der nur die tarifliche Einkommensteuer erfasse, sowie auf die Möglichkeit der Günstigerprüfung nach § 32d Abs. 6 EStG.

Der 7. Senat des Finanzgerichts Münster hat die Klage abgewiesen. Der Umstand, dass die Steuerermäßigung nach § 35b EStG auf Kapitaleinkünfte, die dem Abgeltungsteuersatz unterliegen, nicht anwendbar sei, sei nicht sachlich unbillig. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber eine andere Regelung getroffen hätte, wenn er diese Frage als regelungsbedürftig erkannt hätte. Aus der gesetzlichen Systematik ergebe sich, dass die streitbefangenen Wertpapiere sowohl der Erbschaft- als auch der Einkommensteuer zu unterwerfen seien. Die aus der späteren Veräußerung resultierende Einkommensteuer sei nicht als Nachlassverbindlichkeit bei der Erbschaftsteuer abziehbar. Umgekehrt könne die Erbschaftsteuer als Personensteuer auch nicht bei der Einkommensteuer abgezogen werden. Mit § 35b EStG habe der Gesetzgeber zwar die Doppelbelastung mit beiden Steuern abmildern wollen, habe dies aber an bestimmte Voraussetzungen geknüpft. Diese Abmilderung habe er bewusst auf die tarifliche Einkommensteuer beschränkt. Hierfür spreche, dass bei Einfügung des § 35b im Jahr 2008 das Unternehmenssteuerreformgesetz, mit dem die Abgeltungsteuer eingeführt wurde, bereits verabschiedet gewesen sei. Außerdem solle mit § 35b EStG eine Doppelbelastung lediglich verringert und nicht vollständig ausgeschlossen werden. Bei Kapitaleinkünften, die dem Abgeltungsteuersatz unterliegen, falle die Doppelbelastung weniger stark ins Gewicht als bei anderen Einkünften. Zudem finde § 35b EStG bei einer positiv ausfallenden Günstigerprüfung Anwendung. Die Doppelbelastung führe auch nicht zu einer verfassungswidrigen Übermaßbesteuerung, da es sich bei der Erbschaftsteuer einerseits und der Einkommensteuer andererseits um unterschiedliche steuerauslösende Tatbestände handele.

Quelle: FG Münster, Pressemitteilung vom 15.03.2021 zum Urteil 7 K 3409/20 vom 17.02.2021