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Einkünfteerzielungsabsicht im Fall des langjährigen Leerstands einer Wohnung

Tatbestand

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Streitig ist die Berücksichtigung von Verlusten aus Vermietung und Verpachtung.

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Der Kläger ist seit Ende 1991 Eigentümer des Grundstücks X-Str. in… Das Dachgeschoss dieses Gebäudes wurde von ihm ausgebaut und war im April 2002 fertiggestellt. Die Wohnung im Dachgeschoss mit ca. 68 qm stand ab Fertigstellung überwiegend leer. Erstmals wurde ein Mietvertrag ab Dezember 2007 für diese Wohnung abgeschlossen. Das Mietverhältnis dauerte insgesamt drei Monate. Die Wohnung wurde möbliert vermietet. Seit März 2008 steht die Wohnung wiederum leer.

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In seiner Steuererklärung für das Streitjahr hat der Kläger negative Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung für die Dachgeschosswohnung i.H.v. …. EUR erklärt. Im Rahmen einer Betriebsprüfung für die Veranlagungszeiträume 2007 – 2009 hatte der Kläger Unterlagen vorgelegt, aus denen hervorgeht, dass er in den Jahren 2006 – 2009 durchschnittlich drei bis fünf Anzeigen geschaltet hat, mit denen die leerstehende Wohnung zur Vermietung angeboten wurde. Weitere Nachweise über Vermietungsversuche konnten im Rahmen der Betriebsprüfung nicht vorgelegt werden. Das Finanzamt (FA) hat bei der Einkommensteuerveranlagung die negativen Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung nicht angesetzt, da eine Einkunftserzielungsabsicht nicht erkennbar sei.

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Gegen den Einkommensteuerbescheid vom … 2013 hat der Kläger fristgerecht Einspruch eingelegt, unter anderem mit dem Begehren, die Verluste aus Vermietung und Verpachtung wie erklärt anzusetzen. Nach wie vor bestehe eine Vermietungsabsicht. Dies könne er durch die Vermietungsanzeigen und durch Einschaltung eines Maklers nachweisen.

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Nach Ergehen eines Änderungsbescheides vom … 2013, der Gegenstand des Einspruchsverfahrens geworden ist, wies das FA den Einspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung seiner ablehnenden Entscheidung führt der Beklagte aus, dass der Kläger in den letzten Jahren nicht ernsthaft und nachhaltig bemüht gewesen sei, die im Dachgeschoss gelegene Wohnung zu vermieten. Drei bis fünf Anzeigen in der Zeitung seien nicht ausreichend.

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Hiergegen richtet sich die Klage, mit der der Kläger weiterhin die Berücksichtigung der Verluste aus Vermietung und Verpachtung begehrt.

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Er überreicht eine Bescheinigung des Maklerbüros …. aus …. vom … 2013 in dem es heißt:

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„Hiermit bescheinigen wir, dass wir die möblierte Zwei-Zimmer-Wohnung des Herrn … laut unseren Unterlagen seit dem Jahr 2006 zur Vermietung angeboten haben. Lediglich eine etwa halbjährige Unterbrechung gab es während der Zeit der Vermietung ab Dez. 2007 an Frau ….

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Ein adäquater Mieter ließ sich seitdem nicht finden.“

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Der Makler … habe das Objekt mehrfach in Tageszeitungen veröffentlicht und im Übrigen auch ins Internet gegeben, damit sich entsprechende Mietinteressenten melden könnten.

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Der Kläger habe im Februar 2013 zusätzlich den Makler …. mit der Vermietung der streitigen Wohnung beauftragt.

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Die Vermietung sei jedoch regelmäßig nicht am Preis gescheitert, sondern daran, dass die Interessenten ihre Möbel mitnehmen wollten und ihre Möbel nicht in der möblierten Zwei-Zimmer-Wohnung unterbringen konnten.

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In dem Zeitraum ab 2006 hätten insgesamt 63 Besichtigungen der Wohnung stattgefunden. Die Wohnungsbesichtigungen seien zusammen mit dem Kläger durchgeführt worden. Jede habe ca. 45 Minuten gedauert. In wenigen Fällen seien die Termine vom Makler vorgeschlagen und die Besichtigungen vom Makler in Abstimmung mit dem Kläger anberaumt worden, wobei lediglich zu Beginn die Fa. …bzw. Herr… mit anwesend gewesen sei. Bei diesen Wohnungsbesichtigungen hätten ein Teil aller anwesenden Interessenten freiwillig ihre Namen und Adresse mit Telefonnummer auf der ausliegenden Liste aufgeschrieben. Im Streitjahr 2011 hätten ca. 12 Wohnungsbesichtigungen stattgefunden. Ein Teil der Interessenten hätten ihren Namen nicht genannt bzw. sich nicht in die ausgelegte Liste eingetragen. Exemplarisch könne die Interessentin Frau … aus … genannt werden. Dieser habe die Wohnung bei der Besichtigung am … 2011 gefallen und sie habe Interesse bekundet. Ein zweiter Termin in der Wohnung von Frau … sei mündlich vereinbart worden, um weitere Vertragsdetails zu besprechen. An diesem vereinbarten zweiten Termin habe Frau … die Tür nicht geöffnet.

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Die Wohnung sei immer als teilmöblierte bzw. möblierte Zwei-Zimmer-Wohnung mit exklusivem Bad und Garten in der regionalen Tageszeitung (X- Zeitung) und im Internet angeboten worden. Bei Bedarf bzw. auf Nachfrage des Mieters hätte ein zusätzlicher Kellerraum an den Mieter vermietet werden können, wenn dieser z.B. für seine überzähligen Möbel diesen Raum benötigt hätte.

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Der Esstisch sei im Streitjahr zur Steigerung der Attraktivität der möblierten Wohnung im Obergeschoss angeschafft worden. Die Aufwendungen für eine Hausratsversicherung und eine Haushaltsglasversicherung beträfen das gesamte Haus, da die Möbel im Obergeschoss und die Glasscheiben mitversichert seien. Die Heizkosten seien nicht i.H.v… EUR, sondern i.H.v. … EUR anzusetzen.

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Ab …. 2014 sei die Wohnung nunmehr vermietet.

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Wegen des weitergehenden Klägervorbringens wird auf das Sitzungsprotokoll vom 17.September 2014 verwiesen.

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Nachdem der Kläger zunächst beantragt hat,

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den Einkommensteuerbescheid 2011 vom ….. 2013 abzuändern und einen Verlust aus Vermietung und Verpachtung i.H.v.  … EUR zzgl. … EUR (insgesamt …. EUR) und die Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer in Höhe von insgesamt …. EUR bei den  Einkünften aus selbständiger Arbeit zu berücksichtigen und die Einkommensteuer entsprechend herabzusetzten,

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hat er in der mündlichen Verhandlung seinen Antrag eingeschränkt und beantragt,

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den Einkommensteuerbescheid vom …. 2013 abzuändern und einen Verlust aus Vermietung und Verpachtung in Höhe von … EUR zzgl. …. EUR (insgesamt …. EUR) zu berücksichtigen und die Einkommensteuer entsprechend herabzusetzen.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Er ist der Auffassung, dass die Bescheinigung des Maklers nicht dazu geeignet sei, eine Vermietungsabsicht nachzuweisen. Sie enthalte keinerlei Angaben darüber, welche konkreten Maßnahmen der Makler unternommen habe, um die Wohnung am Markt anzubieten. Auf der Internetseite des Maklers werde die Wohnung des Klägers derzeit (Juni 2013) nicht zur Vermietung angeboten. Nach der aktuellen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs könne in Fällen eines besonders lang andauernden Leerstandes die Einkommenserklärungsabsicht auch ohne Zutun des Steuerpflichtigen wegfallen. Daher seien die Vermietungsbemühungen ernsthaft und nachhaltig durchzuführen und darzulegen. Seien die bisherigen Bemühungen des Steuerpflichtigen erkennbar nicht erfolgreich, habe er sein Verhalten anzupassen und andere Wege der Vermarktung zu beschreiten. Es sei dem Steuerpflichtigen auch zuzumuten, dass durch entsprechende Zugeständnisse bei der Ausgestaltung des Mietverhältnisses, der Höhe des Mietzinses oder bei der als Mieter akzeptablen Personen Zugeständnisse zu machen um die Attraktivität des Vermietungsobjektes zu erhöhen.

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Die nachgewiesenen Vermietungsbemühungen des Klägers beschränkten sich auf drei kleine, wenig aussagekräftige Zeitungsanzeigen in der örtlichen Tagespresse und einige nicht bewiesene Aushänge am Schwarzen Brett an der … und in der …. Die Anzeigen erscheinen in der X-Zeitung. Dabei handele es sich um ein kostenloses Sonntagsblatt, welches nur örtlich begrenzt ausgeteilt werde und nicht den gesamten Landkreis … abdecke. Insbesondere handele es sich lediglich um drei Anzeigen innerhalb eines Jahres und somit nicht um ein nachhaltiges Bemühen. Der Kläger habe zudem nicht mitgeteilt, welche Personen die Wohnung wann besichtigt haben. Die eingereichte Auflistung über angebliche Mietinteressenten weise keine Datumsangaben aus. Auch sei es verwunderlich, dass der Kläger die Wohnungsbesichtigungen allein, ohne den beauftragten Makler Herrn …, durchgeführt haben will. Insgesamt genügten die Maßnahmen nicht, um unter Berücksichtigung des Standards der Wohnung und der Dauer des Leerstands ernsthaft und nachhaltige Versuche zur Vermietung glaubhaft zu machen. Erschwerend komme hinzu, dass sämtliche vom Kläger beauftragten Makler die Wohnung nicht online zur Vermietung anböten. Das FA verweist insoweit auf die Ausdrucke aus dem Internet der Maklerfirmen ….. Letztlich weist das FA darauf hin, dass die Daten mit der zuletzt eingereichten Anlage V nicht mit den Angaben in der Einkommensteuererklärung und auch nicht mit den Werten übereinstimmen, die der Kläger zuvor im Schriftsatz vom ….2014 eingereicht habe.

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Zu den einzeln geltend gemachten Kostenpositionen machte das FA geltend: Es werde ein Betrag von … EUR als sofort abziehbarer Erhaltungsaufwendungen geltend gemacht, der verhältnismäßig aufgeteilt werde. Hierbei handele es sich um Aufwendungen für die Reparatur des Daches, Instandhaltung des Gartens und neue Fensterbänke. Aus der Rechnung der Fa. X über die Lieferung von Fensterbänken sei nicht ersichtlich, wo diese im Haus tatsächlich eingebaut worden seien.

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Bei den auf bis zu fünf Jahren zu verteilenden Erhaltungsaufwendungen handele es sich um die Erneuerung von Fenstern. Auch hier sei aus den Rechnungen der Fa. X nicht ersichtlich, ob tatsächlich auch Fenster in der zur Vermietung bereitgehaltenen Wohnung erneuert worden seien.

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Fraglich sei zudem, ob ein tatsächlicher Zusammenhang mit den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung mit den für Möbel geltend gemachten Kosten bestehe. Die Wohnung sei zwar möbliert angeboten worden, ernsthafte Mietinteressenten haben sich für eine möblierte Wohnung jedoch nicht finden lassen. Es erscheine daher nicht glaubwürdig, dass für eine angeblich leerstehende Wohnung neue Möbel gekauft werden.

29
Die Kosten für die Hausratversicherung und eine Haushaltsglasversicherung beträfen den privaten Haushalt des Klägers. Auch die geltend gemachten Heizkosten i.H.v. … EUR seien nicht nachvollziehbar. Maximal könnten nach den vorgelegten Unterlagen Heizkosten  i.H.v. … EUR angefallen sein.

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Das Gericht hat Beweis erhoben über den Inhalt des Maklerauftrags zwischen dem Kläger und der Firma … und darüber, welche Maßnahmen mit welchem Erfolg seitens der Firma … ergriffen worden sind im Zusammenhang mit der Vermietung der Wohnung im Obergeschoss …. durch Vernehmung der … als Zeugen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 17. September 2014 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist unbegründet.

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Der Einkommensteuerbescheid 2011 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung – FGO -). Zu Recht hat es das FA abgelehnt, die geltend gemachten Aufwendungen als vorab entstandene Werbungskosten und einen entsprechenden Verlust aus Vermietung und Verpachtung zu berücksichtigen.

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1. Zur Überzeugung des Gerichts hat der Kläger die streitigen Aufwendungen nicht mit der Absicht getragen, Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung der streitigen Dachgeschosswohnung zu erzielen. Der Kläger hat nicht glaubhaft gemacht, sich im Streitjahr ernsthaft und nachhaltig um die Vermietung der Wohnung und Erzielung von Einkünften aus Vermietung und Verpachtung bemüht zu haben.

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a) Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 Einkommensteuergesetz (EStG) sind Werbungskosten Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung von Einnahmen. Sie sind nach § 9 Abs. 1 Satz 2 EStG bei der Einkunftsart Vermietung und Verpachtung abzuziehen, wenn sie bei ihr erwachsen, und das heißt, durch sie veranlasst sind. Fallen Aufwendungen mit der beabsichtigten Vermietung eines (leerstehenden) Wohngrundstücks an, bevor mit dem Aufwand zusammenhängende Einnahmen erzielt werden, können sie als vorab entstandene Werbungskosten berücksichtigt werden, wenn ein ausreichend bestimmter wirtschaftlicher Zusammenhang zwischen den Aufwendungen und der Einkunftsart besteht, in deren Rahmen der Abzug begehrt wird (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. Urteile des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 15. Januar 2008 IX R 45/07, BStBl II 2008, 572; vom 12. Mai 2009 IX R 18/08, BFH/NV 2009, 1627).

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Die Berücksichtigung von Aufwand als (vorab entstandene) Werbungskosten bei der Einkunftsart Vermietung und Verpachtung setzt voraus, dass der Steuerpflichtige sich endgültig entschlossen hat, aus dem Objekt durch Vermieten Einkünfte nach § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG zu erzielen und diese Entscheidung später nicht aufgegeben hat. Der endgültige Entschluss zu vermieten – die Einkünfteerzielungsabsicht – ist eine innere Tatsache, die wie alle sich in der Vorstellung von Menschen abspielenden Vorgänge nur anhand äußerlicher Merkmale beurteilt werden kann. Aus objektiven Umständen muss auf das Vorliegen oder Fehlen der Absicht geschlossen werden. Daher muss sich der endgültige Entschluss des Steuerpflichtigen zur Vermietung anhand objektiver Umstände belegen lassen. Dabei ist der Tatbestand des § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG objektbezogen, das heißt grundsätzlich für jede einzelne vermietete Immobilie gesondert zu prüfen (BFH-Urteil vom 26. November 2008 IX R 67/07, BStBl II 2009, 370; vom 24. Juni 2008 IX R 12/07, BFH/NV 2008, 1484; BFH-Beschluss vom 12. Dezember 2011 IX B 132/11, BFH/NV 2012, 727).

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Nach diesen Grundsätzen können Aufwendungen für eine nach Herstellung, Anschaffung oder Selbstnutzung leerstehende Wohnung als vorab entstandene Werbungskosten abziehbar sein, wenn der Steuerpflichtige die Einkünfteerzielungsabsicht hinsichtlich dieses Objektes erkennbar aufgenommen (und sie später nicht aufgegeben) hat (vgl. BFH-Urteil vom 28. Oktober 2008 IX R 1/07, BStBl II 2009, 848, m.w.N.). Unbeschadet davon kann auch ein besonders lang andauernder Leerstand der Wohnung nach vorheriger, auf Dauer angelegter Vermietung dazu führen, dass eine vom Steuerpflichtigen aufgenommene Einkünfteerzielungsabsicht ohne sein Zutun oder Verschulden wegfällt; davon kann im Einzelfall aber nur ausgegangen werden, wenn absehbar ist, dass das maßgebliche (dem Grunde nach betriebsbereite) Objekt entweder wegen fehlender – und unter zumutbaren Umständen auch nicht herbeizuführender – Marktgängigkeit oder aufgrund anderweitiger struktureller Vermietungshindernisse in absehbarer Zeit nicht wieder vermietet werden kann.

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Die Einzelfallumstände, aus denen sich der endgültige Entschluss zu vermieten ergibt, sind in erster Linie ernsthafte und nachhaltige Vermietungsbemühungen des Steuerpflichtigen. Grundsätzlich steht es dem Steuerpflichtigen frei, die im Einzelfall geeignete Art und Weise der Platzierung des von ihm angebotenen Mietobjekts am Wohnungsmarkt und ihrer Bewerbung selbst zu bestimmen. Daher kann auch die Reaktion auf „Mietgesuche“ oder die Bewerbung von Mietobjekten in geschlossenen Foren, etwa in Unternehmenspublikationen oder am Schwarzen Brett, als ernsthafte Vermietungsbemühung anzusehen sein. In diesen Fällen sind die doch an die Nachhaltigkeit solcher Bemühungen erhöhte Anforderungen zu stellen.

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Sind die vom Steuerpflichtigen selbst unternommenen Bemühungen erkennbar nicht erfolgreich, ist er gehalten, sein Verhalten anzupassen und sowohl geeignetere Wege der Vermarktung zu suchen als auch seine Vermietungsbemühungen, beispielsweise durch Einschaltung eines Maklers oder durch Nutzung alternativer Bewerbungsmöglichkeiten, zu intensivieren. Für die Beurteilung der Frage, ob im Einzelfall unternommene Vermietungsbemühungen (ggf. weiterhin) als erfolgversprechend angesehen werden können oder ob diese nach Art und Intensität anzupassen sind, steht dem Steuerpflichtigen ein inhaltlich angemessener, zeitlicher doch begrenzter Beurteilungsspielraum zu. Ferner kann es dem Steuerpflichtigen im Einzelfall auch zuzumuten sein, durch entsprechende Zugeständnisse bei der Ausgestaltung des Mietverhältnisses (etwa der Vertragslaufzeit oder dem Vertragsgegenstand), bei der Höhe des Mietzinses oder im Hinblick auf die für den Steuerpflichtigen aus persönlichen Gründen als Mieter akzeptablen Personen die Attraktivität des Objekts zu erhöhen (BFH-Urteil vom 11. Dezember 2012 IX R 14/12, BStBl II 2013, 279).

39
Für die Feststellung des Bestehens oder der Aufgabe der Einkünfteerzielungsabsicht als innere Tatsache können äußere Umstände als Indizien herangezogen werden; im Rahmen der Gesamtbeurteilung sind überdies spätere Tatsachen und Ereignisse zu berücksichtigen (BFH-Urteil vom 31. Juli 2007 IX R 30/05, BFH/NV 2008, 202). Ist zu prüfen, ob der Steuerpflichtige die Einkünfteerzielungsabsicht hinsichtlich eines nach Herstellung, Anschaffung oder Selbstnutzung länger leerstehenden Objekts aufgenommen oder die Einkünfteerzielungsabsicht hinsichtlich eines nach vorheriger auf Dauer angelegter Vermietung langfristig leerstehenden Objekts wieder aufgegeben hat, könne mithin – rückblickend – der zeitliche Zusammenhang zwischen Beginn des Leerstands und späterer (tatsächlicher) Vermietung, die (unter Umständen fehlende) Absehbarkeit, ob und ggf. wann die Räume im Rahmen der Einkunftsart Vermietung und Verpachtung genutzt werden sollen oder auch die Dauer einer in der Leerstandszeit          – vom Steuerpflichtigen ggf. auch selbst – durchgeführten Renovierung zur Vorbereitung einer erneuten Vermietung als Indizien herangezogen werden.

40
Für die Ernsthaftigkeit und Nachhaltigkeit von Vermietungsbemühungen als Voraussetzung einer (fort-)bestehenden Einkünfteerzielungsabsicht, deren Feststellung und Würdigung im Wesentlichen dem FG als Tatsacheninstanz obliegt, trägt der Steuerpflichtige die Feststellungslast. Das FA entscheidet nach seiner freien aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung, ob im Einzelfall eine Einkünfteerzielungsabsicht vorliegt; es ist bei seiner tatrichterlichen Würdigung nicht an starre Regeln für das gewichten einzelner Umstände gebunden (BFH-Urteil vom 11. Dezember 2012 IX R 14/12 a.a.O. mit weiteren Nachweisen).

41
b) Nach diesen Grundsätzen ist davon auszugehen, dass der Kläger hinsichtlich der Dachgeschosswohnung in … im Streitjahr keine Einkünfteerzielungsabsicht – mehr – hatte.

42
Die Maßnahmen, die der Kläger im Streitjahr ergriffen hat, um die – bis auf einen  dreimonatigen Zeitraum von Dezember 2007 bis März 2008 – seit Fertigstellung im April 2002 leerstehende Wohnung zu vermieten, waren nicht ausreichend, um ernsthafte und nachhaltige Vermietungsbemühungen annehmen zu können.

43
Der Kläger selbst hat nach den vorgelegten Belegen im gesamten Streitjahr lediglich drei Zeitungsannoncen geschaltet, in denen er die Wohnung zur Vermietung angeboten hat. Diese drei Annoncen sind nach Auffassung des Senats unzureichend, um einen Mieter zu finden, zumal die Annoncen lediglich in einem kostenlosen Sonntagsblatt (X-Zeitung) erschienen, das nur einen begrenzten Leserkreis hat. Der Kläger hat darüber hinaus zwar noch das Immobilienbüro … mit der Vermietung beauftragt, wie die Zeugen … und … bestätigt haben. Der Zeuge …. hat angegeben, dass nach seinen Unterlagen die Firma … im Juli 2011 mit der Vermietung der streitigen Wohnung beauftragt wurde, aber auch schon vor dem Jahr 2011 Kontakt mit dem Kläger wegen der Vermietung der Wohnung bestanden hat. Jedoch hat das Maklerbüro … nach Aussage des Zeugen ….  die Wohnung des Klägers nicht regelmäßig wöchentlich inseriert. Ob die Wohnung im Internet angeboten worden ist, konnte keiner der Zeugen erinnern. Die Tatsache, dass sowohl die eigenen als auch die vom Maklerbüro ergriffenen Maßnahmen zur Vermietung der Wohnung über einen jahrelangen Zeitraum erfolglos geblieben sind, hätte dem Kläger Anlass geben müssen, die bisherigen Vermietungsbemühungen zu überdenken. Dabei hätte er zu dem Schluss kommen müssen, dass die Verfahrensweise des Maklerbüros (keine regelmäßigen Zeitungsannoncen und Internetangebote) unzureichend war und eine intensivere Vermarktung der Wohnung erforderlich war.

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Hinzu kommt, dass die Wohnung möbliert war und der Kläger nach Aussage des Zeugen … die Möbel in der Wohnung belassen wollte. Wie der Kläger selbst angegeben hat (Schriftsatz vom …. 2013) scheiterte die Vermietung in der Regel daran, dass die Mietinteressenten ihre Möbel mitnehmen wollten, diese aber in der bereits möblierten Wohnung nicht zusätzlich unterbringen konnten. In Anbetracht der jahrelangen erfolglosen Versuche, die möblierte Wohnung zu vermieten, hätte es nahe gelegen, die Wohnung unmöbliert auf dem Markt anzubieten. Dies hat der Kläger aber nicht getan, sondern weiterhin das bisher erfolglose Vermietungsangebot in unveränderter Form beibehalten. Trotz der langjährigen Erfahrung, dass für die Vermietung der möblierten Wohnung offensichtlich kein Markt bestand, hat er sich nicht durchringen können, die Möbel aus der Wohnung zu entfernen und eine unmöblierte Wohnung zur Vermietung anzubieten. Stattdessen hat er im Streitjahr weitere Möbelstücke (Esstisch mit Stühlen) in die Wohnung gestellt. Dieses Verhalten zeigt zur Überzeugung des erkennenden Senats, dass ein ernsthaftes Bemühen des Klägers, die Wohnung zu vermieten, im Streitjahr nicht vorgelegen hat, der Kläger hinsichtlich des streitigen Vermietungsobjekts im Streitjahr somit keine Einkunftserzielungsabsicht mehr hatte.

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Dass die Wohnung nunmehr ab … 2014 vermietet worden ist, lässt keine Rückschlüsse auf das Streitjahr 2011 zu.

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2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung.

Anrechnung von Einkommensteuervorauszahlungen unter Ehegatten

Niedersächsisches Finanzgericht 5. Senat, Urteil vom 28.08.2014, 5 K 193/12

§ 218 AO, § 218 Abs 2 AO, § 36 Abs 4 AO, § 37 Abs 2 AO, § 44 Abs 1 AO

Tatbestand

1
Die Beteiligten streiten über die Frage der Anrechnung von Einkommensteuervorauszahlungen unter Ehegatten.

2
Der Kläger erzielte im Streitjahr als selbständiger Architekt ausschließlich Einkünfte aus selbständiger Arbeit, seine damalige Ehefrau war als Angestellte im städtischen Kindergarten tätig. Sie erzielte ausschließlich Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit.

3
Der Beklagte (das Finanzamt – FA -) setzte gegen die Ehegatten Einkommensteuervorauszahlungen pro Quartal in Höhe von 565 € fest. Hinzu kam der Solidaritätszuschlag in Höhe von 15 € und die evangelische Kirchensteuer von 20 €, insgesamt also 600 € pro Quartal. Die Vorauszahlungen entrichtete der Kläger von seinem eigenen Konto bei der X-Bank. Die entsprechenden Überweisungen erfolgten am 10.03., 10.06., 10.09., 10.12.2008. Bei der Abgabe der Einkommensteuererklärung 2008 im Februar 2010 wurde die getrennte Veranlagung beantragt. Im März 2010 erging an die damalige Ehefrau des Klägers ein Einkommensteuerbescheid 2008 unter Anrechnung der Vorauszahlungen in Höhe von 1.130 EUR auf die Einkommensteuer, 30 EUR Solidaritätszuschlag und – da nur sie einer Konfession angehörte – der gesamten Kirchensteuer in Höhe von 80 EUR. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers wies das Finanzgericht mit Schreiben vom 08.04.2010 – noch vor Durchführung seiner Veranlagung – schriftlich darauf hin, dass der Kläger die Vorauszahlungen ausschließlich für eigene Rechnung aufgrund seiner selbständigen Tätigkeit geleistet habe. Wörtlich heißt es:

4
Sehr geehrte Damen und Herren,

5
im Auftrag meines Mandanten teile ich Ihnen mit, dass Herr … die Einkommensteuervorauszahlungen ausschließlich für eigene Rechnung aufgrund seiner selbständigen Tätigkeit geleistet hat bzw. künftig leisten wird.

6
Mit freundlichen Grüßen

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8
Das Finanzamt bestätigte mit Schreiben vom 14.04.2010 den Eingang dieses Schreibens vom 08.04.2010, wies allerdings gleichzeitig darauf hin, dass es diese Erklärung des Klägers bei der noch ausstehenden Veranlagung nicht berücksichtigen werde.

9
Im Einkommensteuerbescheid 2008 vom 15.04.2010 berücksichtigte das Finanzamt die vom Kläger geleisteten Vorauszahlungen auf Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag bei ihm nur zur Hälfte. Gegen den Einkommensteuerbescheid 2008 legte der Kläger am 16.04.2010 Einspruch ein, mit der Begründung, die geleisteten Einkommensteuervorauszahlungen seien in voller Höhe bei ihm zu berücksichtigen. Hilfsweise beantragte der Kläger die Erteilung eines Abrechnungsbescheides nach § 218 Abs. 2 AO. Ein derartiger Abrechnungsbescheid wurde am 06.08.2010 zur Post gegeben. Hiergegen legte der Kläger Einspruch ein. Zur Begründung führte er aus, dass eine Aufteilung des Erstattungsbetrages nach Köpfen nicht rechtmäßig sei, weil es anderweitige Anhaltspunkte zur Ermittlung der Willensrichtung gebe. So sei die getrennte Veranlagung für das Jahr 2008 beantragt worden und die mit Schreiben vom 08.04.2010 – also vor Erlass seines Steuerbescheides – erklärt worden, dass der Kläger die Vorauszahlungen ausschließlich auf eigene Rechnung geleistet habe. Somit sei der Wille bezüglich der Vorauszahlungen klar und deutlich dokumentiert.

10
Das Finanzamt hat den Einspruch mit Bescheid vom 03.07.2012 als unbegründet zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass im Zeitpunkt der Zahlungen im Jahr 2008 für das Finanzamt nicht ersichtlich gewesen sei, dass es sich hier nicht mehr um eine bestehende und intakte Ehe gehandelt habe. Die Vorauszahlungen seien zu den jeweiligen Terminen ohne weiteren Hinweis oder ein gesondertes Anschreiben beim Finanzamt eingegangen. Dass die Ehe nicht mehr intakt sei, habe das Finanzamt erst im Jahr 2011 erfahren. Folge sei, dass beide Ehegatten erstattungsberechtigt seien.

11
Hiergegen richtet sich die Klage. Zur Begründung bringt der Kläger vor, dass die Zahlungen im Jahr 2008 – unstreitig – unter seinem Namen von seinem Konto damit aus seinem Vermögen erfolgt seien. Bereits hierin liege eine Tilgungsbestimmung, deren eindeutige Aufklärung durch das Finanzamt sich geradezu aufgedrängt habe. Im Übrigen habe der Kläger dem Finanzamt vor Durchführung der Veranlagung klarstellend schriftlich mitgeteilt, dass er nur seine eigene Steuerschuld tilge. Soweit das Finanzamt im Einspruchsbescheid auf ein BFH-Urteil vom 30.09.2008 – VII R 18/08, BStBl 2009, 38 verweise, gehe dieser Hinweis fehl, denn in diesem Verfahren sei es gerade um zusammenveranlagte Ehegatten gegangen, bei denen davon ausgegangen werden konnte, dass durch die Vorauszahlungen die gemeinsame Steuerschuld beider Ehegatten bewirkt werden sollte. Im Streitfall handele es sich jedoch um eine von vorne herein beantragte getrennte Veranlagung. Dabei sei im Übrigen völlig unbeachtlich, ob eine „Ehe“ vorgelegen habe oder nicht, da die getrennte Veranlagung deshalb gewählt worden sei, weil sie zum günstigsten Ergebnis geführt habe. Werde – wie hier – eine eindeutige Tilgungsbestimmung getroffen, so sei dieser ab Zugang dieser Willenserklärung zu beachten. Diese Tilgungsbestimmung habe der Kläger auch – einseitig ohne Einwilligung der geschiedenen Ehefrau – treffen können denn der Kläger habe die streitigen Vorauszahlungen allein und ausschließlich aus seinem eigenen Vermögen erbracht und den Verwendungszweck auch vor Durchführung der Veranlagung kundgetan. Eine Rechtsgrundlage für das Erfordernis einer Zustimmung der Ehefrau sei nicht ersichtlich.

12
 Der Kläger beantragt,

13
unter Änderung des Abrechnungsbescheides vom 06.08.2010 und des dazu ergangenen Einspruchsbescheids vom 03.07.2012 festzustellen, dass auf die Einkommensteuerschuld 2008 Einkommensteuervorauszahlungen in Höhe von 2.260 € anzurechnen sind.

14
Der Beklagte beantragt,

15
die Klage abzuweisen.

16
Der Kläger verkenne, dass seine Tilgungsbestimmung vom 08.04.2010 nicht maßgeblich sei. Bei Erlass des Vorauszahlungsbescheides vom 14.01.2008 sei das Finanzamt davon ausgegangen, dass die Einkommensteuer-Vorauszahlung 2008 nach dem Splittingverfahren (§ 26 b EStG) zu bestimmen sei. Weder im Zeitpunkt der Festsetzung der Vorauszahlungen 2008 noch bei Zahlung der Vorauszahlungen seien dem Finanzamt Anhaltspunkte oder Absichtserklärungen bekannt gewesen, nach denen das Finanzamt an einer intakten Ehe hätte zweifeln müssen. Erstmals mit Abgabe der Einkommensteuererklärung
– 2009 – also für das Folgejahr – am 23.03.2011 habe der Kläger dem Finanzamt mitgeteilt, dass die Eheleute seit dem 19.12.2009 getrennt lebten. Im Jahr 2008 habe danach zweifelsfrei eine Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft bestanden. Es spiele keine Rolle, dass die Beträge ausschließlich vom Konto des Klägers abgebucht worden seien und dass die festgesetzten Vorauszahlungen unter Umständen ausschließlich auf den Einkünften des Klägers aus selbständiger Tätigkeit beruhten. Hinsichtlich der Tilgungsabsicht sei es unerheblich, welcher der Ehegatten in seiner Person Tatbestände verwirklicht habe, die zum Entstehen der die Eheleute als Gesamtschuldner treffenden Steuerschuld geführt hätten. Vor Durchführung der getrennten Jahresveranlagung 2008 habe zwar die Willenserklärung des Klägers, nicht aber die Willenserklärung der inzwischen von ihm geschiedenen Ehefrau vorgelegen. Die Ehegattengemeinschaft sei im Jahr 2009 auseinandergebrochen. Demgemäß hätte das Finanzamt abweichend von der gemeinsamen Tilgung der Einkommensteuervorauszahlung 2008 eine Anrechnung ausschließlich zugunsten des Klägers dann vornehmen können, wenn auch die Einwilligung der geschiedenen Ehefrau zu diesem Vorgehen vorgelegen hätte. Eine entsprechende Willenserklärung der geschiedenen Ehefrau sei dem Finanzamt jedoch nicht vorgelegt worden, so dass die Anrechnung nur je zur Hälfte hätte erfolgen können. Die ausschließlich vom Kläger abgegebene abweichende Tilgungsbestimmung ausschließlich zu seinen Gunsten reiche nicht aus.

Entscheidungsgründe

17
Die Klage ist unbegründet.

18
Der angefochtene Abrechnungsbescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

19
Über Streitigkeiten wie Verwirklichung der Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis betreffen, entscheidet die Finanzbehörde nach § 218 Abs. 2 Satz 1 AO durch Verwaltungsakt. Das gilt auch dann, wenn die Streitigkeit einen Erstattungsanspruch gemäß § 37 Abs. 2 AO betrifft, § 218 Abs. 2 Satz 2 AO.

20
Im Streitfall hat das beklagte Finanzamt zutreffend festgestellt, dass die aufgrund des Vorauszahlungsbescheides geleisteten Vorauszahlungen im Jahr 2008 nur zur Hälfte auf die Einkommensteuerschuld des Klägers anzurechnen sind (§ 36 Abs. 2 Nr. 1 EStG) und nur in diesem Umfang in die Ermittlung des ihm zustehenden Erstattungsanspruches gemäß § 36 Abs. 4 Satz 2 EStG einfließen.

21
Erstattungsberechtigt ist nach § 37 Abs. 2 AO derjenige, auf dessen Rechnung die Zahlung bewirkt worden ist. Es kommt daher für die Erstattungsberechtigung nicht darauf an, von wem oder mit wessen Mitteln gezahlt worden ist, sondern nur darauf, wessen Steuerschuld nach dem Willen des Zahlenden, wie er im Zeitpunkt der Zahlung dem Finanzamt gegenüber erkennbar hervorgetreten ist, getilgt werden sollte (ständige Rechtsprechung des BFH, vgl. z. B. BFH – Urteil vom 25. 07.1989 – VII R 118/87 BStBl II 1990, 41; BFH-Urteil vom 04.04.1995 – VII R 82/94, BStBl II 1995, 492; BFH-Urteil vom 23.08 2001 – VII R 94/99, BStBl II 2002, 330; BFH-Urteil vom 30.03.2010 – VII R 17/09, BFH/NV 2010,1412).

22
Diese Rechtsgrundsätze gelten auch für den Fall, dass mehrere Personen die überzahlte Steuer als Gesamtschuldner gemäß § 44 Abs. 1 AO schuldeten. Nach dem Regelungsinhalt des Vorauszahlungsbescheides wurden die Vorauszahlungen vom Kläger und seiner früheren Ehefrau als Gesamtschuldner geschuldet. Lässt sich aus den dem Finanzamt bei Zahlung erkennbaren Umständen nicht entnehmen, wessen Steuerschuld der zahlende Gesamtschuldner begleichen wollte, so wird angenommen, dass er nur seine eigene Steuerschuld tilgen wollte (vgl. z. B. BFH-Urteil vom 22.03.2011 – VII R 42/10, BStBl II 2011, 607). Anders ist es jedoch wenn ein Ehegatte auf die Gesamtschuld gezahlt hat. Liegen keine gegenteilige Anhaltspunkte oder anders lautende Absichtserklärungen vor, kann das Finanzamt als Zahlungsempfänger, solange die Ehe besteht und die Eheleute nicht dauernd getrennt leben, aufgrund der zwischen ihnen bestehende Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft davon ausgehen, dass derjenige Ehegatte, der auf die gemeinsame Steuerschuld mit seiner Zahlung auch die Steuerschuld des anderen mit ihm veranlagten Ehegatten begleichen will (vgl. z. B. BFH-Urteil vom 30.09.2008 – VII R 18/08, BStBl II 2009,38). Ob die Eheleute sich später trennen oder einer der Ehegatten nachträglich die getrennte Veranlagung beantragt, ist für die Beurteilung unerheblich (Niedersächsisches FG, Urteil vom 12.02.2014 – 4 K 261/13, EFG 2014, 883). Entscheidend ist nur, wie sich die Umstände dem Finanzamt im Zeitpunkt der Vorauszahlungen darstellen.

23
Ausgehend davon hat der Kläger die seinem Konto belasteten Vorauszahlungen aus dem Jahr 2008 nicht nur auf seine eigene, sondern zugleich auch auf Rechnung seiner früheren Ehefrau entrichtet. Daraus, dass der Kläger die Vorauszahlungen von seinem Konto bei der X-Bank geleistet hat und die festgesetzten Vorauszahlungen ausschließlich auf den Einkünften des Klägers aus selbständiger Tätigkeit beruhten, lässt sich keine Tilgungsbestimmung ersehen. Denn es ist hinsichtlich der Tilgungsabsicht unerheblich, welcher der Ehegatten in seiner Person Tatbestände verwirklicht hat, die zum Entstehen der die Eheleute als Gesamtschuldner treffenden Steuerschuld geführt haben (BFH-Urteil vom 22.03.2011 – VII R 42/10, BStBl II 2011, 607; BFH-Urteil vom 15.11.2005 – VII R 16/05, BStBl II 2006, 453). Die nachträglich dem Finanzamt gegenüber vorgelegte „Tilgungsbestimmung“ mit Schreiben 08.04.2010 führt zu keinem anderen Ergebnis. Hierbei handelt es sich nur um eine Willenserklärung des Klägers, nicht aber um eine Willenserklärung der zu diesem Zeitpunkt bereits vom Kläger geschiedenen Ehefrau. Dieser gegenüber war jedoch bereits im März 2010 und damit vor Abgabe der Tilgungsbestimmung seitens des Klägers die Festsetzung der Einkommensteuer 2008 unter Anrechnung der Hälfte der Einkommensteuervorauszahlungen erfolgt, so dass eine Änderung des entsprechenden Bescheides zu ihren Lasten bei fehlender Zustimmung nur unter den einschränkenden Voraussetzungen der §§ 172 ff. AO möglich gewesen wäre.

24
Eine derartige Erklärung, wie sie der Kläger mit Schreiben vom 08.04.2010 abgegeben hat, führt nicht (nachträglich) zu einer abweichenden Tilgungsbestimmung ausschließlich zu seinen Gunsten. Entscheidend ist vielmehr der Zeitpunkt der Zahlung – also hier das Jahr 2008. In diesem Zeitraum lagen dem Finanzamt keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Kläger mit der Zahlung von seinem Konto eine Tilgungsbestimmung ausschließlich zu seinen Gunsten treffen wollte. Die vom Kläger geleisteten Zahlungen wurden damit für Rechnung beider Gesamtschuldner entrichtet und waren deshalb nach Köpfen zwischen den inzwischen geschiedenen Eheleuten aufzuteilen.

25
Im Ergebnis war die Klage abzuweisen.

26
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

27
Der Senat hat die Revision gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen. Die Frage, ob nach Zahlung, aber vor Durchführung der Veranlagung noch eine Tilgungsbestimmung getroffen werden kann, hat grundsätzliche Bedeutung.

ges. Feststellung des Grundstückswerts zum 1.7.2010 für das Mietwohngrundstück I. Str. 20 in S.

Niedersächsisches Finanzgericht 1. Senat, Beschluss vom 24.03.2015, 1 K 204/13

Tenor

Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.

Gründe

1
I. Nachdem der Beklagte dem Begehren der Klägerin voll entsprochen hat und die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, sind dem Beklagten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen (§ 138 Abs. 2 Satz 1 Finanzgerichtsordnung            -FGO-).

2
Zu den Verfahrenskosten gehören nach § 139 Abs. 1 FGO die Gerichtskosten, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten und die Kosten des Vorverfahrens.

3
II. Dem Antrag des Beklagten, der Klägerin die Verfahrenskosten aufzuerlegen, folgt das Gericht nicht.

4
Der obsiegenden Klägerin können nach § 138 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit der hier allein in Betracht kommenden Regelung des § 137 Satz 1 FGO die Kosten des Verfahrens auferlegt werden, wenn die Entscheidung auf Tatsachen beruht, die sie früher hätte geltend machen oder beweisen können und sollen. Im Streitfall hätte die Klägerin den geringeren gemeinen Wert des Grundstücks schon im Verwaltungsverfahren durch das erst im Klageverfahren vorgelegte Gutachten nachweisen können. Gleichwohl ist die Vorlage des Gutachtens erst während des Klageverfahrens nicht als verspäteter Sachvortrag im Sinne von § 137 Satz 1 FGO zu werten.

5
1. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) trägt der Steuerpflichtige im Rahmen der Bedarfsbewertung gemäß § 198 S. 1 Bewertungsgesetz (BewG) die Nachweislast für den niedrigeren gemeinen Wert des Grundstücks (vgl. etwa BFH, Urteil vom 10.11.2004 – II R 69/01 – BStBl II 2005, 259, zu § 146 Abs. 7 BewG a.F.). Legt ein Kläger zum Nachweis des geringeren gemeinen Werts ein Gutachten erst im Klageverfahren vor, obwohl er es schon im Verwaltungsverfahren hätte vorlegen können und aufgrund seiner aus § 198 Satz 1 BewG resultierenden Mitwirkungspflicht auch hätte vorlegen müssen, handelt es sich grundsätzlich um verspäteten Sachvortrag im Sinne von     § 137 Satz 1 FGO.

6
Es wurde auch vertreten, dass aus der im Bewertungsgesetz normierten Nachweislast auch eine entsprechende Kostentragungslast für den Steuerpflichtigen folgt (vgl. Nds. FG, Beschluss vom 31.08.2007 – 1 KO 6/07 – EFG 2007,1814).

7
2. Gleichwohl ist das Gericht der Auffassung, dass im Rahmen des von ihm nach          § 137 Satz 1 FGO auszuübenden Ermessens und unter Beachtung seiner Verpflichtung zur verfassungskonformen Auslegung dieser Norm die Verfahrenskosten dem Beklagten aufzuerlegen sind. Andernfalls wären die Grundrechte der Klägerin auf Wahrung der prozessualen Waffengleichheit insbesondere im Hinblick auf das Kostenrisiko (Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz -GG-) und auf wirkungsvolle Justizgewährung (Art. 19 Abs. 4 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip und Art. 2 Abs. 1 GG) verletzt.

8
a) Eine wichtige Ausprägung des Gleichheitssatzes im Prozessrecht ist die „Waffengleichheit“. Sie soll das Risiko am Prozessausgang gleichmäßig verteilen und sie ist besonders wichtig im Prozess vor den Finanzgerichten, vor denen sich die Finanzbehörde und der Steuerpflichtige nicht als Gleichgeordnete gegenüberstehen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 28.01.1970 – 1 BvL 19/68 – BVerfGE 27, 391, 395).

9
Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluss vom 20.06.1973 (1 BvL 9,10/71 – BVerfGE 35, 283, 289) hervorgehoben, dass im Rahmen eines Prozess- oder Verwaltungsverfahrens Waffen- und Chancengleichheit auch in Bezug auf den Auslagenersatz herrschen soll. Nach Sinn und Zweck des Art. 3 Abs. 1 GG genüge es, so das Bundesverfassungsgericht, dass der Steuerfiskus als Verfahrensbeteiligter in eine mit den Steuerpflichtigen vergleichbare Kostensituation gelange.

10
Im Beschluss vom 12.09.2005 – 2 BvR 277/05 – NJW 2006, 136 führt das Bundesverfassungsgericht aus:

11
„Die Garantie wirkungsvollen Rechtsschutzes ist ein wesentlicher Bestandteil des Rechtsstaates (vgl.BVerfGE 88, 118, 123; 96, 27, 39f.), die vom Grundgesetz nicht nur durch Art. 19 Abs. 4 GG, sondern darüber hinaus im Rahmen des allgemeinen Justizgewährungsanspruchs garantiert wird. Dieser ist Bestandteil des Rechtsstaatsprinzips in Verbindung mit den Grundrechten, insbesondere Art. 2 Abs. 1 GG (vgl. BVerfGE 93, 99, 107; 107, 395, 401). Die grundgesetzliche Garantie eines wirkungsvollen Rechtsschutzes gewährleistet nicht nur den Rechtsweg im Rahmen der jeweiligen einfach-gesetzlichen Verfahrensordnungen, sondern garantiert auch die Effektivität des Rechtsschutzes. Der Zugang zu Gericht darf nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden (vgl. BVerfGE 40, 272, 274f.; 78, 88, 99; 88, 118, 124).

12
Auch die Festsetzung der Verfahrenskosten darf daher nicht in einer Weise erfolgen, die dem Betroffenen die Anrufung des Gerichts praktisch unmöglich macht (vgl. BVerfGE 11, 139, 143; 54, 39, 41). Eine Kostenregelung darf in ihrer tatsächlichen Auswirkung nicht dazu führen, dass Rechtsschutz vor staatlichen Gerichten vornehmlich nach Maßgabe wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit eröffnet wird (vgl. BVerfGE 50, 217, 231). Andernfalls würde das Kostenrecht zur faktischen Rechtswegsperre, weil ein Unbemittelter oder wirtschaftlich schwächer Gestellter schon aus finanziellen Gründen außerstande wäre, sein Recht zu verfolgen. Eine derartig rechtsschutzhemmende Wirkung liegt aber nicht nur vor, wenn das Kostenrisiko die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Einzelnen übersteigt. Vielmehr wird die Beschreitung des Rechtswegs oder die Ausschöpfung prozessualer Möglichkeiten auch dann faktisch vereitelt, wenn das Kostenrisiko zu dem mit dem Verfahren angestrebten Erfolg außer Verhältnis steht, so dass die Inanspruchnahme der Gerichte nicht mehr sinnvoll erscheint (vgl. BVerfGE 85, 337, 347). Auch die Versagung des Kostenerstattungsanspruchs für die obsiegende Partei widerspricht daher grundsätzlich den verfassungsrechtlichen Garantien (vgl. BVerfGE 74, 78,  94).“

13
b) Im isolierten Einspruchsverfahren sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Steuerpflichtigen – wozu auch die Kosten für die Erstellung von Wertgutachten in Bewertungsfällen gehören können – mangels gesetzlicher Grundlage nicht erstattungsfähig (vgl. BFH, Beschluss vom 23.07.1996 – VII B 42/96 – BStBl II 1996, 501).

14
c) Würde das beschließende Gericht in Streitfällen der vorliegenden Art den betroffenen Klägern die Verfahrenskosten mit der Begründung auferlegen, dass sie das zur Erledigung führende Wertgutachten erst im Klageverfahren und damit verspätet vorgelegt hätten, was offensichtlich gängige Spruchpraxis der Finanzgerichte ist, müssten die Kläger neben den übrigen Verfahrenskosten die Kosten für das von ihnen vorgelegte Gutachten in jedem Falle tragen, gleichgültig, ob sie das Gutachten im Vorverfahren oder im Klageverfahren vorgelegt haben.

15
Auch wenn die fehlende Erstattungsfähigkeit der Gutachterkosten im isolierten Vorverfahren und die Verweigerung des Kostenerstattungsanspruchs im Klageverfahren wegen verspäteten Vorbringens, je für sich allein betrachtet, zweifellos verfassungsmäßig sind, führt das Zusammenspiel beider Regelungen in Fällen der vorliegenden Art im Ergebnis zur ausnahmslosen Verweigerung des Kostenerstattungsanspruchs für die obsiegende Partei. Eine solche Spruchpraxis verstieße gegen das vom Bundesverfassungsgericht postulierte Verbot der vollständigen Versagung des Kostenerstattungsanspruchs und des Auslagenersatzes für den obsiegenden Steuerpflichtigen.

16
d) Die Finanzbehörde wäre in keiner denkbaren Fallgestaltung kostenpflichtig. Darin läge außerdem ein Verstoß gegen das verfassungsgerichtliche Postulat, dass sich der Steuerfiskus als Verfahrensbeteiligter in einer mit dem Steuerpflichtigen vergleichbaren Kostensituation befinden muss.

17
Die durch Typisierungserfordernisse begründete Nachweislast des Steuerpflichtigen für den niedrigeren gemeinen Wert (vgl. § 198 Satz 1 BewG; BT-Drs. 16/11107, S. 22) ist angesichts der grundsätzlichen Verpflichtung der Finanzbehörden zu einer Ermittlung des Sachverhalts von Amts wegen (vgl. § 88 Abs. 1 Satz 1 Abgabenordnung -AO-) und zur Beiziehung von Sachverständigen (vgl. § 92 Nr. 2 AO) umso bedenklicher, als die typisierenden Bewertungsverfahren des 6. Abschnitts des Bewertungsgesetzes offenbar in vielen Fällen zu Überbewertungen führen. § 183 Abs. 3 BewG schließt ausdrücklich die Berücksichtigung von wertbeeinflussenden Belastungen privatrechtlicher und öffentlich-rechtlicher Art aus. Der Gesetzgeber hat schon im Gesetzgebungsverfahren erkannt, dass die Bedarfsbewertung in bestimmten Fällen zu Werten führt, die den gemeinen Wert übersteigen und deshalb die Regelung in § 198 BewG geschaffen (vgl. BT-Drs. 16/11107, S. 22 unter Hinweis darauf, dass der Steuerpflichtige hierdurch die Möglichkeit erhalte, den Nachweis des niedrigeren gemeinen Werts auf der Grundlage der Wertermittlungsverordnung zu führen und dabei sämtliche wertbeeinflussenden Umstände geltend zu machen, was ihm nach den Bewertungsvorschriften des 6. Abschnitts des BewG verwehrt ist; zum Ganzen auch Broekelschen/Maithert, StuW 2010, 33, Krause/Grootens BBEV 2009, 18). Der gesetzliche Ausschluss der Berücksichtigung sämtlicher wertbeeinflussender Umstände bei der Bedarfsbewertung rechtfertigt die Annahme, dass sich der Gesetzgeber bei der Typisierung nicht am Regelfall orientiert und die Wirklichkeit nicht realitätsnah erfasst hat (vgl. zu den verfassungsrechtlichen Grenzen zulässiger Typisierungen BVerfG Beschlüsse vom 01.04.1997 – 2 BvL 77/92 – BVerfGE 96, 1; vom 11.01.2005 – 2 BvR 167/02 – BVerfGE 112, 164; vom 16.03.2005 – 2 BvL 7/00 – BVerfGE 112, 268; vom 06.07.2010 – 2 BvL 13/09 – BVerfGE 126, 268). In Fällen der Überbewertung durch Nichtberücksichtigung wertbeeinflussender Umstände ist der Nachweis des geringeren gemeinen Werts durch ein vom Steuerpflichtigen in Auftrag gegebenes Sachverständigengutachten die einzige Möglichkeit, eine zutreffende Bewertung des betreffenden Objekts zu erreichen. Unter diesen Umständen wäre die ausnahmslose Befreiung der Finanzbehörden von einer Kostenerstattungspflicht ein besonders schwerer Verstoß gegen die prozessuale Waffengleichheit.

18
e) Darüber hinaus ergäbe sich in allen vergleichbaren Sachverhalten für die betroffenen Steuerpflichtigen ein Kostenrisiko, welches im Hinblick auf die erreichbare Steuerminderung eine Inanspruchnahme des Finanzgerichts in vielen Fällen nicht mehr sinnvoll erscheinen ließe und damit die Beschreitung des Rechtswegs faktisch vereiteln würde. Es ist gerichtsbekannt, dass viele Kläger wissen, dass sie die Aufwendungen für die Erstellung eines Wertgutachtens nach der derzeitig vorherrschenden Spruchpraxis der Finanzgerichte unabhängig vom Erfolg ihrer Klage regelmäßig selbst tragen müssen. Viele Betroffene versuchen deshalb, die Vorlage eines Wertgutachtens zu vermeiden und eine Herabsetzung des von der Finanzbehörde festgesetzten Wertes auf anderem Wege zu erreichen. Vielfach wird die Vorlage eines Gutachtens wegen der damit verbundenen hohen Kosten, die regelmäßig vierstellige, manchmal auch fünfstellige Eurobeträge ausmachen, oft auch unter Inkaufnahme eines klageabweisenden Urteils, verweigert. Es ist zu vermuten, dass aus den geschilderten Gründen in vielen Fällen erst gar keine Klage erhoben wird. Die Verweigerung des Kostenerstattungsanspruchs in diesen Fällen wäre ein Verstoß gegen die Garantie des auch im Kostenrecht zu verwirklichenden wirkungsvollen Rechtsschutzes.

19
f) Der durch das unverhältnismäßige Kostenrisiko verursachte Verstoß gegen das Gebot eines wirkungsvollen Rechtsschutzes wird auch nicht durch die Möglichkeit des Abzugs der Gutachterkosten als Nachlassverbindlichkeit im Rahmen der Erbschaftsteuerfestsetzung (vgl. BFH, Urteil vom 19.06.2013 – II R 20/12 – BStBl II 2013, 738) geheilt. Denn deren Abzug als Nachlassverbindlichkeit führt im günstigsten Fall lediglich zu einer Minderung der Erbschaftsteuer in Höhe des darauf entfallenden Erbschaftsteuersatzes und im ungünstigsten Fall, so wie im Streitfall, zu keiner Minderung der Erbschaftsteuer, weil nach dem Ansatz des durch das Gutachten nachgewiesenen geringeren gemeinen Werts des Grundstücks und nach Abzug der Nachlassverbindlichkeiten und der Freibeträge kein steuerpflichtiger Erwerb im Sinne des § 10 Erbschaftsteuergesetz übrig bleibt und deshalb die Erbschaftsteuer bereits ohne Berücksichtigung der Gutachterkosten 0,– Euro beträgt. Soweit Steuerpflichtige im Kostenfestsetzungsverfahren eine Erstattung der Gutachterkosten erhalten, erlangen sie dadurch auch keinen Vorteil. Denn der Abzug dieser Aufwendungen als Nachlassverbindlichkeit wäre mangels eigener Belastung des jeweiligen Steuerpflichtigen ausgeschlossen.

20
Weil aus den genannten Gründen der erfolgreichen Klägerin ein Anspruch auf Erstattung ihrer zur Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen zugestanden werden muss, der nach den geschilderten Umständen nur erreichbar ist, wenn das Wertgutachten erst im Klageverfahren vorgelegt wird, kann von ihr nicht verlangt werden, dass sie das Gutachten schon während des Einspruchsverfahrens hätte vorlegen müssen. Es handelt sich deshalb nicht um verspäteten Vortrag im Sinne von § 137 Satz 1 FGO.

21
III. Für das nachfolgende Kostenfestsetzungsverfahren weist das Gericht darauf hin, dass die Aufwendungen für die Erstellung des Wertgutachtens für die Rechtsverfolgung der Klägerin notwendig waren. Sie sind damit auch erstattungsfähig.

22
Will der Steuerpflichtige im Rahmen der Bedarfsbewertung, wie in den vorliegenden Fällen, den Nachweis des geringeren gemeinen Werts durch ein Sachverständigengutachten führen, so hat er nach der Rechtsprechung des BFH das Gutachten durch den örtlich zuständigen Gutachterausschuss oder durch einen Sachverständigen für die Bewertung von Grundstücken erstellen zu lassen. Weil dem Steuerpflichtigen nicht lediglich die Darlegungs- und Feststellungslast, sondern die Nachweislast für den geringeren gemeinen Wert obliegt, hat er den Nachweis durch ein Sachverständigengutachten so zu führen, dass ihm das Finanzgericht regelmäßig ohne Bestellung weiterer Sachverständiger folgen kann (vgl. BFH, Urteil vom 11.11.2004 – II R 69/01 – BStBl II 2005, 259). Dieses Ziel würde nach der soeben zitierten Entscheidung verfehlt, wenn Gutachten anderer Personen für den Nachweis durch den Steuerpflichtigen zugelassen würden, weil das Finanzgericht sich zu deren Überprüfung dann doch eines Sachverständigen bedienen müsste.

23
In dem vorliegenden Verfahren war also das vorgelegte – im vorstehend erläuterten      Sinne – „qualifizierte“ Privatgutachten für die Rechtsverfolgung der Klägerin notwendig, weil ein zeitnaher Verkauf der Grundstücke nicht stattgefunden hat und ihr deshalb nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung kein anderer Weg für den Nachweis des geringeren gemeinen Werts zur Verfügung stand.

24
Zwar sind nach, soweit ersichtlich, unbestrittener Auffassung die Kosten für Privatgutachten in der Regel nicht erstattungsfähig, weil es im finanzgerichtlichen Verfahren grundsätzlich dem Finanzgericht obliegt, den Sachverhalt zu erforschen, den Umfang der Beweisaufnahme zu bestimmen und in geeigneten Fällen die Einholung eines Sachverständigengutachtens anzuordnen (vgl. z.B. Gräber/Stapperfend, Kommentar zur FGO, 7. Aufl. 2010, § 139 Tz. 11). Dies gilt aber gerade nicht für Fallgestaltungen der vorliegenden Art, weil die höchstrichterliche Rechtsprechung im Anwendungsbereich des § 198 BewG für den Nachweis des geringeren gemeinen Werts verlangt, dass der Steuerpflichtige den Nachweis durch ein Sachverständigengutachten so zu führen hat, dass ihm das Finanzgericht regelmäßig ohne Bestellung weiterer Sachverständiger folgen kann.

Bedarfsbewertung/ Ertragswert/ Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts

Niedersächsisches Finanzgericht 1. Senat, Urteil vom 27.11.2014, 1 K 77/13

§ 181 Abs 3 BewG, § 182 Abs 3 BewG, § 186 Abs 1 BewG, § 198 BewG

Tatbestand

1
Streitig ist die Höhe des festzustellenden Grundstückswerts.
2
Die Klägerin erwarb im Mai 2011 von Todes wegen das mit einem Mehrfamilienhaus bebaute Grundstück X-Str. … in Y. Von den im Haus befindlichen 8 Wohnungen waren zu diesem Zeitpunkt nur 5 vermietet. Die übrigen 3 Wohnungen befanden sich zu Sanierungszwecken in einem rohbauähnlichen Zustand.
3
Das Finanzamt für Verkehrssteuern und Grundbesitz A beantragte beim Beklagten eine Feststellung des Grundbesitzwerts für das o.g. Grundstück und übersandte die Kopie eines Marktwertgutachtens von Herrn Dipl.-Ing. F vom 22. August 2011, in dem dieser für das Objekt einen Marktwert in Höhe von … € ermittelte …
4
Am 4. Mai 2012 forderte der Beklagte eine baufachliche Stellungnahme der Bausachverständigen beim Finanzamt Y an.
5
Diese führte am 11. Mai 2012 eine Besichtigung des Objektes unter Anwesenheit u.a. der Klägerin und des Sachgebietsleiters durch. …
6
Mit Schreiben vom 29. Juni 2012 … nahm F noch einmal Stellung zu einigen Punkten in seinem Gutachten.
7
In ihrer Stellungnahme vom 8. Juli 2012 vertrat die Bausachverständige die Auffassung, selbst mit Hilfe der Erläuterungen von F könne dessen Wertermittlung nicht nachvollzogen werden. Das eingereichte Gutachten sei nicht anzuerkennen. Wegen der Einwände im Einzelnen wird auf … Bezug genommen.
8
Daraufhin legte die Klägerin ein Verkehrswertgutachten von Herrn Dipl.-Ing. N vom 19. Oktober 2012 … vor, in dem dieser einen Verkehrswert in Höhe von … € ermittelte.
9
In ihrer Stellungnahme zum Gutachten N teilte die Bausachverständige mit, das Gutachten könne in mehreren Punkten nicht nachvollzogen und somit nicht anerkannt werden…
10
Der Beklagte führte eine Wertermittlung für das Gebäude im Wege des Ertragswertverfahrens nach dem Bewertungsgesetz (BewG) durch. Als Rohertrag übernahm er dabei die im Gutachten F angesetzten Mieten in Höhe von … € und kam zu einem Grundbesitzwert in Höhe von … €. Er erließ am 28. Februar 2013 einen entsprechenden Bescheid über die gesonderte Feststellung des Grundstückswerts zum Besteuerungszeitpunkt … Mai 2011.
11
Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin Einspruch ein. Sie habe den Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts gemäß § 198 BewG durch Vorlage von Gutachten öffentlich bestellter und vereidigter Gutachter geführt. Diese kämen unabhängig voneinander zu annähernd gleichen Werten.
12
Mit Bescheid vom 17. April 2013 wies der Beklagte den Einspruch der Klägerin als unbegründet zurück. Die beiden eingereichten Gutachten seien nach Überprüfung durch die Bausachverständige nicht anzuerkennen.
13
Mit der vorliegenden Klage begehrt die Klägerin den Grundstückwert auf … € herabzusetzen.
14
Sie habe durch Vorlage zweier Gutachten einen niedrigeren Wert nachgewiesen.
15
Darüber hinaus dürften im Rahmen des Ertragswertverfahrens nach dem BewG nur die am Bewertungsstichtag tatsächlich erzielten Einnahmen zu Grunde gelegt werden. Ein etwaiger fiktiver Wert für die leerstehenden Wohnungen sei nicht anzusetzen, diese seien im damaligen Zustand nicht vermietbar gewesen. Alternativ sei bei der Ertragswertberechnung des Finanzamts die Kosten für die Sanierung auf den jeweiligen „Etagenstandard“ zu berücksichtigen, dieser betrage schätzungsweise rund 100.000 €.
16
Die unterlassenen Instandhaltungen führten zu einer Verkürzung der üblichen Restnutzungsdauer. Bei dem Gebäude bilde sich ein Riss in der Fassade, welcher diese nach vorne kippen lasse. Das Dach befinde sich in einem schlechten Zustand. Die Schäden in den rohbauähnlichen leerstehenden Wohnungen müssten ebenfalls zu einer Verkürzung der Restnutzungsdauer führen.
17
Die Klägerin legte Tabellen über die Vermietung der Wohnungen und deren Zustand zum Bewertungsstichtag und am … September 2013 und die entsprechenden Mietverträge vor. Zudem übersandte sie Bilder der am Bewertungsstichtag nicht vermieteten Wohnungen im Zustand zum Zeitpunkt des Erbfalles  sowie im Zustand nach den durchgeführten Baumaßnahmen und eine Aufstellung der im Jahr 2012 angefallenen Sanierungskosten – aufgeteilt auf die einzelnen Wohnungen und den allgemeinen Bereich.
18
Im weiteren Klageverfahren reichte die Klägerin darüber hinaus ergänzende Stellungnahmen der Gutachter F und N ein …
19
Die Klägerin beantragt,
20
den Bescheid über die gesonderte Feststellung des Grundstückswerts zum Besteuerungszeitpunkt … Mai 2011 vom 28. Februar 2013 in der Fassung des Einspruchsbescheides vom 17. April 2013 dahingehend zu ändern, dass der Grundstückswert von … € um … € auf … € herabgesetzt wird.
21
Der Beklagte beantragt,
22
die Klage abzuweisen, wobei gegen eine Herabsetzung auf den Wert von … € keine Einwände erhoben werden.
23
Er hält an der Auffassung fest, dass die Gutachten, aus den von der Bausachverständigen dargestellten Gründen, nicht anerkannt werden könnten.
24
Während des Klageverfahrens führte der Beklagte eine Ertragswertberechnung nach dem BewG unter Zugrundelegung der tatsächlich erzielten Mieten durch, wobei er für die leerstehenden Wohnungen jeweils den qm-Preis der auf der gleichen Etage liegenden vermieteten Wohnung ansetzte. Die führte ausgehend von einem Rohertrag in Höhe von … € zu einem Grundbesitzwert in Höhe von … € …
25
Der Beklagte legte einen Mietspiegel 2012 von Y für nicht preisgebundenen Wohnraum (künftig Mietspiegel) vor und erläuterte, für das Jahr 2011 habe die Stadt keinen Mietspiegel erstellt.
26
Weiter reichte er eine Stellungnahme der Bausachverständigen zu den ergänzenden Stellungnahmen der Gutachter F und N ein, in der diese ausführt, die Gutachten könnten nach wie vor nicht anerkannt werden. …

Entscheidungsgründe

27
Die Klage ist teilweise begründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, soweit der festgestellte Grundbesitzwert … € übersteigt.
28
I. Die Wertermittlung des Beklagten ist unzutreffend, da er nicht die vertraglich vereinbarten Mieten zugrunde gelegt hat.
29
Nach § 182 Abs. 3 BewG sind Mietwohngrundstücke im Ertragswertverfahren nach §§ 184 bis 188 BewG zu bewerten.
30
1. Mietwohngrundstücke sind nach § 181 Abs. 3 BewG Grundstücke, die zu mehr als 80 Prozent, berechnet nach der Wohn- oder Nutzfläche, Wohnzwecken dienen, und nicht Ein- und Zweifamilienhäuser oder Wohnungseigentum sind.
31
Vorliegend ist von einem Mietwohngrundstück mit 8 Wohnungen auszugehen. Der Umstand, dass im Bewertungszeitpunkt nur 5 Wohnungen vermietet waren, während drei weitere rohbauartig zurückgebaut leer standen, führt zu keiner anderen Beurteilung. Führen Umbau- und Renovierungsarbeiten an einem Gebäude zu einer nur vorübergehenden Unbenutzbarkeit des Gebäudes oder einiger Gebäudeteile, hat dies keine bewertungsrechtlichen Auswirkungen (vgl. BFH-Urteil vom 14. Dezember 1994 II R 104/91, BFHE 176, 439, BStBl II 1995, 360). Tatsächlich war der rohbauartige Zustand hier nur vorübergehend. Nach Darstellung der Klägerin sind die Wohnungen zwischenzeitlich alle vermietet.
32
2. Bei der Ermittlung des Gebäudeertragswerts ist von dem Reinertrag des Grundstücks auszugehen. Dieser ergibt sich nach § 185 Abs. 1 BewG aus dem Rohertrag des Grundstücks (§ 186 BewG) abzüglich der Bewirtschaftungskosten (§ 187 BewG).
33
Nach § 186 Abs. 1 BewG ist Rohertrag das Entgelt, das für die Benutzung des bebauten Grundstücks nach den am Bewertungsstichtag geltenden vertraglichen Vereinbarungen für den Zeitraum von zwölf Monaten zu zahlen ist. Umlagen, die zur Deckung der Betriebskosten gezahlt werden, sind nicht anzusetzen. Für Grundstücke oder Grundstücksteile, die eigengenutzt, ungenutzt, zu vorübergehendem Gebrauch oder unentgeltlich überlassen sind oder solche, die der Eigentümer dem Mieter zu einer um mehr als 20 Prozent von der üblichen Miete abweichenden tatsächlichen Miete überlassen hat, ist nach § 186 Abs. 2 BewG die übliche Miete anzusetzen. Diese ist in Anlehnung an die Miete zu schätzen, die für Räume gleicher oder ähnlicher Art, Lage und Ausstattung regelmäßig gezahlt wird, Betriebskosten sind nicht einzubeziehen.
34
Für die fünf tatsächlich vermieteten Wohnungen ist demnach die tatsächliche Miete anzusetzen. Die Mietminderung von … € bei der Wohnung … ist dabei nicht zu berücksichtigen, da das Entgelt nach den geltenden vertraglichen Vereinbarungen anzusetzen ist.
35
Für die drei rohbauartig zurückgebauten Wohnungen ist dagegen die übliche Miete zu Grunde zu legen, da diese zum Bewertungsstichtag ungenutzt waren. Soweit die Klägerin meint, für diese Wohnungen dürfe keine Miete erfasst werden, folgt der Senat dem nicht. Wie oben dargestellt, hat es keine bewertungsrechtlichen Auswirkungen, wenn Umbau- und Renovierungsarbeiten an einem Gebäude zu einer nur vorübergehenden Unbenutzbarkeit des Gebäudes oder einiger Gebäudeteile führen (vgl. BFH-Urteil vom 14. Dezember 1994 II R 104/91, BFHE 176, 439, BStBl II 1995, 360). Für diese Wohnungen kann die übliche Miete aus den vereinbarten Mieten für die andere Wohnungen auf der jeweils selben Etage geschätzt werden.
36
Es ist daher von einem Rohertrag in Höhe von … € auszugehen, wie ihn der Beklagte während des Klageverfahrens berechnet hat.
37
3. Einwände gegen den vom Beklagte angesetzten Bodenrichtwert, den vom Beklagte verwendeten Liegenschaftszins, die vom Beklagte ermittelte Restnutzungsdauer, den Ansatz der Bewirtschaftungskosten mit 27 % und die Ermittlung der Bodenwertverzinsung hat die Klägerin nicht geltend gemacht und sind auch nicht ersichtlich.
38
Dementsprechend ergibt sich nach dem Ertragswertverfahren im Sinne der §§ 184 bis 188 BewG ein Grundbesitzwert in Höhe von … €.
39
II. Die Klägerin hat aber darüber hinaus einen niedrigeren gemeinen Wert in Höhe von … € nachgewiesen.
40
Nach § 198 BewG ist ein geringer Wert anzusetzen, wenn der Steuerpflichtige nachweist, dass der gemeine Wert der wirtschaftlichen Einheit am Bewertungsstichtag niedriger ist als der nach den §§ 179, 182 bis 196 BewG ermittelte Wert.
41
In der Wahl der Mittel zum Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts ist der Steuerpflichtige grundsätzlich frei (BFH-Urteile vom 8. Oktober 2003 II R 27/02, BFHE 204, 306, BStBl II 2004, 179 und vom 2. Juli 2004 II R 55/01, BFHE 205, 492, BStBl II 2004, 703). Ein solcher Nachweis kann sowohl durch Vorlage eines Gutachtens des örtlich zuständigen Gutachterausschusses oder eines Sachverständigen für die Bewertung von Grundstücken geführt werden als auch durch einen im gewöhnlichen Geschäftsverkehr zeitnah zum maßgeblichen Besteuerungsstichtag erzielten Kaufpreis für das zu bewertende Grundstück (BFH-Urteil vom 2. Juli 2004 II R 55/01, BFHE 205, 492, BStBl II 2004, 703). Das vom Steuerpflichtigen gewählte Mittel zum Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts muss allerdings von einer Aussagekraft sein, die der eines Gutachtens des Gutachterausschusses oder eines Sachverständigen bzw. von Kaufpreisen für entsprechende Grundstücke vergleichbar ist. Für jedes der zum Nachweis gewählten Mittel gilt, dass es grundsätzlich der freien Beweiswürdigung des Gerichts unterliegt (BFH-Urteil vom 10. November 2004 II R 69/01, BFHE 207, 352, BStBl II 2005, 259 und BFH-Beschluss vom 31. August 2006 II B 115/05, BFH/NV 2007, 11).
42
Soll der Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts durch Vorlage des Gutachtens eines Sachverständigen für die Bewertung von Grundstücken geführt werden, muss dieses Gutachten inhaltlich richtig sein und den allgemein anerkannten Grundsätzen der Wertermittlung genügen (vgl. etwa BFH-Beschluss vom 9. September 2009 II B 69/09, BFH/NV 2009, 1972). Ein Sachverständigengutachten kann nur dann als Nachweis eines niedrigeren Verkehrswerts dienen, wenn der hierin gefundene Wert in jeder Hinsicht nachvollziehbar und hinsichtlich seiner Berechnungsgrundlagen genügend transparent ist (vgl. Finanzgericht München, Urteil vom 7. März 2012 4 K 826/09, juris). Ob das Gutachten den geforderten Nachweis erbringt, unterliegt der freien Beweiswürdigung des Finanzamts und des Finanzgerichts (vgl. BFH-Urteile vom 10. November 2004 II R 69/01, BFHE 207, 352, BStBl II 2005, 259 und vom 3. Dezember 2008 II R 19/08 BFHE 224, 268, BStBl II 2009, 403). Der Nachweis ist erbracht, wenn dem Gutachten ohne Einschaltung bzw. Bestellung weiterer Sachverständiger gefolgt werden kann. Einem Gutachten, das bei Fehlen bewertungsrechtlicher Sonderregelungen den Vorgaben der Wertermittlungsverordnung (WertV) entspricht und plausibel ist, wird regelmäßig zu folgen sein (BFH-Urteil vom 3. Dezember 2008 II R 19/08 BFHE 224, 268, BStBl II 2009, 403).
43
Nach Auffassung des Senats ist es ausreichend, wenn sich die vom Gutachter angesetzten Werte im Rahmen des Vertretbaren bewegen. Maßstab für die Beurteilung sind dabei neben der Kommentarliteratur auch die erstmals 1955 für den Bereich der Bundesvermögens- und Bauverwaltung vom Bundesministerium der Finanzen erlassenen Richtlinien für die Ermittlung des Verkehrswerts von Grundstücken (zu Einzelheiten der Geschichte und des Anwendungsbereichs der Richtlinien vgl. Kleiber, Verkehrswertermittlung von Grundstücken, 7. Auflage, 2014, S. 507 Rn. 40 ff). Der Senat ist sich bewusst, dass er in keiner Weise an die bundesministeriellen Richtlinien gebunden ist. Er sieht hierin aber Bewertungsgrundsätze, auf die in der Rechtsprechung – wie schon geschehen (Kleiber, Verkehrswertermittlung von Grundstücken, 7. Auflage, 2014, S. 513 Rn. 57 und Fußnoten 177, 178 mit Nachweisen zur Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, des Bundesverwaltungsgerichts und des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg) – zurückgegriffen werden kann. Dies ist dadurch gerechtfertigt, dass die „Wertermittlungsrichtlinien in Zusammenarbeit mit Vertretern der zuständigen Bundes- und Landesressorts, den Vertretern der kommunalen Spitzenverbände sowie der Fachkommission „Städtebau“ in der Arbeitsgemeinschaft der für das Bau-, Wohnungs- und Siedlungswesen zuständigen Ministerien der Länder (Argebau) entstanden sind“ (Kleiber, Verkehrswertermittlung von Grundstücken, 7. Auflage, 2014, S. 513 Rn. 57).
44
Entspricht das Gutachten nicht in jeder Hinsicht den zu stellenden Anforderungen, berechtigt dies nicht ohne weiteres dazu, das Gutachten insgesamt unberücksichtigt zu lassen. Ist etwa ein vorgenommener Abschlag nicht hinreichend begründet, ist lediglich dieser Abschlag zu streichen (vgl. BFH-Urteil vom 5. Mai 2010 II R 25/09, BFHE 230, 72, BStBl II 2011, 203). Das Finanzgericht kann sich seine Überzeugung von einem niedrigeren gemeinen Wert des zu bewertenden Grundstücks auch dadurch bilden, dass es aus mehreren vom Steuerpflichtigen vorgelegten Gutachten diejenigen Ansätze bezüglich derselben Bewertungsmethode übernimmt, die gemäß der WertV ermittelt und plausibel sind, und diese Ansätze – sofern möglich – zu einem Ganzen zusammenfügt (vgl. BFH-Beschluss vom 9. September 2009 II B 69/09, BFH/NV 2009, 1972). Etwaige Lücken in einem Gutachten können vom Finanzamt und vom Finanzgericht selbst geschlossen werden, wenn und soweit dies ohne Sachverständige im üblichen Rahmen einer Beweiswürdigung möglich ist (vgl. BFH-Beschluss vom 9. September 2009 II B 69/09, BFH/NV 2009, 1972).
45
Unter Zugrundelegung dieser Maßgaben folgt der Senat der Ermittlung im Gutachten F mit Ausnahme der Höhe des Mietausfallwagnisses und des Abschlages für Instandsetzungs- und Fertigstellungsarbeiten.
46
1. Gegen die von F vorgenommene Anwendung des Ertragswertverfahrens bestehen keine Bedenken, da dieses für Mietwohngrundstücke geeignet ist (vgl. Kleiber, Verkehrswertermittlung von Grundstücken, 7. Auflage, 2014, S. 1603 Rn. 1).
47
2. Der von F angesetzte Rohertrag in Höhe von … € ist nicht zu beanstanden.
48
F hat zu seinem Ansatz von 5 €/qm ergänzt, er halte diesen Ansatz für angebracht und objektrelevant. Es handle sich dabei um eine moderate „Bindungsmiete an den Mieter für längere Zeit“. Die Mieter müssten aufgrund der fehlenden Wärmedämmung mit niedrigeren Nettokaltmieten „angelockt“ werden. Diese Erläuterungen sind einleuchtend und nachvollziehbar. Zwar liegt der Ansatz von 5 €/qm etwas unterhalb der im Mietspiegel genannten Beträge (ohne Zu- und Abschläge) von 5,29 €/qm bzw. 5,31 €/qm. Ein Abweichen von unter 10 % erscheint aber unbedenklich, wenn ein Gutachter – wie vorliegend – das Objekt in Augenschein genommen hat und unter Berücksichtigung individueller Merkmale zu einem geringeren Wert kommt.
49
Tatsächlich liegt der von F gewählte Ansatz ca. 10 % über den zum Bewertungsstichtag tatsächlich erzielten Mieten, selbst wenn man für die drei rohbauartig zurückgebauten Wohnungen den qm-Preis der vermieteten Wohnung auf derselben Etage ansetzt. Den tatsächlich unter fremden Dritten vereinbarten Mieten kommt insoweit ein höherer Beweiswert zu als den Mieten nach dem Mietspiegel, denn letztere geben nur das durchschnittliche Mietniveau für Standardwohnungen wider, ohne individuelle Besonderheiten zu berücksichtigen. Demnach lässt sich nicht feststellen, dass die von F verwendete Nettokaltmiete – auch unter Berücksichtigung der Sanierung von 3 Wohnungen – offensichtlich unangemessen wäre.
50
3. Bei den von F berücksichtigten Bewirtschaftungskosten (Verwaltungskosten in Höhe von 3 %, Instandhaltungskosten in Höhe von 25 % und Mietausfallwagnis in Höhe von 5 % des Rohertrags) ist lediglich der Ansatz für das Mietausfallwagnis herabzusetzen. Im Übrigen ist eine Überschreitung des gutachterlichen Ermessens des F nicht zu erkennen.
51
a. Die Verwaltungskosten bewegen sich bei Wohnimmobilien je nach Bundesland in einer Größenordnung von 3 % bis zu 10 % der Jahresbruttomiete (Kleiber, Verkehrswertermittlung von Grundstücken, 7. Auflage, 2014, S. 1829 Rn. 63). Die Richtlinien für die Ermittlung des Verkehrswerts von Grundstücken vom 11. Juni 1991 (WertR91; BAnz Nr. 182a vom 27. September 1991) nennen 3 % bis 5 % des Rohertrags. Der Senat hat daher keine Bedenken gegen den von F gewählten Ansatz von 3 %. Zwar sind in Nr. 3.5.2.3 der inzwischen gültigen Richtlinien vom 1. Juni 2006 (WertR) keine Prozentangaben mehr enthalten, diese geben stattdessen durch Bezugnahme auf die den Richtlinien als Anlage 3 auszugsweise beigefügten Verordnung über wohnungswirtschaftliche Berechnungen nach dem Zweiten Wohnungsbaugesetz (Zweite Berechnungsverordnung, in der den auf den 1.1.2011 aktualisierten Fassung – künftig II. BV) nur Höchstbeträge als Anhaltspunkte an. Der dort genannte Höchstbetrag für Verwaltungskosten von 263,55 € jährlich je Wohnung wird im Streitfall jedoch deutlich unterschritten. Der Ansatz liegt auch noch unterhalb des niedrigsten von Kleiber mitgeteilten Spannenwerts, weil im Gutachten des F Bezugsgröße nicht die Bruttomiete, sondern nur der Rohertrag ist.
52
b. Der Ansatz der Instandhaltungskosten mit 25 % liegt zwar etwas über den von Kleiber (Verkehrswertermittlung von Grundstücken, 7. Auflage, 2014, S. 1845 Rn. 139, 140) unter Berufung auf die in der nicht mehr gültigen WertR91 genannten Zahlen für vor 1925 errichtete Gebäude bei einfacher Ausstattung (ohne Bad, ohne Heizung) von etwa 20-25 %, bei mittlerer und besserer Ausstattung von etwa 15-20 % des Rohertrags. In der aktuellen WertR06 sind bis 13,18 €/qm Wohnfläche je Jahr für Wohnungen, deren Bezugsfertigkeit mindestens 32 Jahre zurück liegt, als Anhaltspunkt angegeben (Nr. 3.5.2.4 i.V.m. Anlage 3 WertR). Das vorliegend zu bewertende Gebäude verfügt über Bäder und Heizung, ist jedoch deutlich vor 1925 errichtet worden und ganz erheblich älter als 32 Jahre. Zwar finden sich in den Akten unterschiedliche Angaben zum Baujahr des Gebäudes. So gehen N und die Bausachverständige von 1890 aus, in der Einheitswertakte ist als Baujahr 1897 eingetragen und F nimmt 1900 an. Es steht für das Gericht danach aber fest, dass das zu bewertende Objekt mindestens 25 Jahre vor den ältesten von Kleiber berücksichtigten Gebäuden erbaut worden und ca. 80 Jahre älter als die in Anlage 3 der WertR aufgeführten Gebäude ist. Unter diesen Umständen ist der Ansatz des F nicht zu beanstanden. Er hält sich im Rahmen seines gutachterlichen Ermessens, wenn er die zu erwartenden Instandhaltungskosten bei einem Gebäude, das deutlich älter ist als die, für die in Literatur oder Richtlinien Werte angegeben werden, moderat höher als dort vertreten berücksichtigt.
53
Dies gilt erst recht, wenn – wie vorliegend – das Haus ursprünglich mit einfachen Baustoffen errichtet wurde, die Kellergeschosswände und -fußböden baujahrestypisch durchfeuchtet sind und es an nennenswerten Wärmedämmmaßnahmen fehlt. Der von F gewählte Ansatz ist daher nicht zu bemängeln.
54
Soweit der Beklagte dem die „komplette Instandsetzung“ des Gebäudes entgegenhält, führt dies zu keiner anderen Beurteilung. Die ursprünglich verwendeten einfachen Baustoffe sind weiterhin vorhanden. In der von F vorgenommenen Auflistung der Baukosten sind keine Aufwendungen für Wärmedämmung enthalten. Eine Doppelberücksichtigung ergibt sich auch nicht bezüglich der Positionen Treppenhaus, Dachgeschoss und Durchfeuchtung der Kellerräume, da – wie unter II.4.b.cc. ausgeführt – die von F hierfür veranschlagten Baukosten nicht abgezogen werden können.
55
c. Das Mietausfallwagnis mit 5 % des Rohertrags zu bewerten, erscheint dem Senat dagegen zu hoch. Nach 3.5.2.5 WertR i.V.m. Anlage 3 WertR (§ 29 Satz 3 II. BV) können insoweit 2 % der Nettokaltmiete als Anhaltspunkt gelten. Die von F für den höheren Wert angeführten Gründe überzeugen den Senat nicht.
56
Die erforderlichen Sanierungsarbeiten und die Herrichtung der derzeit nicht bewohnbaren Wohnungen rechtfertigen eine Erhöhung des Mietausfallwagnisses für die gesamte Restnutzungsdauer, wie sie in dem Ansatz eines höheren Prozentsatzes des Rohertrags zum Ausdruck kommt, nicht. Mit dem Beklagten geht der Senat davon aus, dass der vorübergehenden Nichtvermietbarkeit der leerstehenden Wohnungen dadurch Rechnung zu tragen ist, dass insoweit ein besonderer Ertragsausfall berücksichtigt wird (vgl. Kleiber, Verkehrswertermittlung von Grundstücken, 7. Auflage, 2014, S. 1836 Rn. 102).
57
Für die Ermittlung des Ertragsausfalls geht das Gericht von einer sanierungsbedingten Unvermietbarkeit von sechs Monaten aus. Dabei ist es unbeachtlich, ob die Klägerin tatsächlich länger für die Sanierungsmaßnahmen gebraucht hat, da es darauf ankommt, welche Abzüge insoweit bei Verhandlungen mit einem gedachten Erwerber vereinbart würden. Es wäre zu erwarten, dass die Vertragsparteien ihrer Wertermittlung die Annahme zugrunde legten, die Sanierungsmaßnahmen würden ohne Verzögerungen aufgenommen und durchgeführt. Der Ertragsausfall ermittelt sich daher anhand der von F berücksichtigten monatlichen Mieterträge für die Wohnungen EG rechts und 1. OG rechts (je … €) und DG rechts (… €) mit (… €/Monat * 6 Monate =) … €. Eine entsprechende Korrektur des Gutachtens hält sich im üblichen Rahmen der Beweiswürdigung und ist ohne Zuziehung eines Sachverständigen möglich.
58
4. Der von F berücksichtigte Liegenschaftszins von 7 % liegt nach Auffassung des Senats nicht außerhalb des Vertretbaren.
59
Liegenschaftszinssätze werden von den Gutachterausschüssen für Grundstückswerte abgeleitet und in den Grundstücksmarktberichten veröffentlicht. Der Grundstücksmarktbericht 2012 für Y weist für die Jahre 2010 und 2011 bei einem Baujahr vor 1945 einen Liegenschaftszins von 5,9 % aus. In dem Grundstücksmarktbericht ist erläutert, dass abweichende Merkmale des Objektes von den durchschnittlichen Eigenschaften zu Veränderungen des Liegenschaftszinssatzes von bis zu 1,0 in beide Richtungen führen. Nach Kleiber (Verkehrswertermittlung von Grundstücken, 7. Auflage, 2014, S. 1232 Rn. 179) sind Abweichungen vom Liegenschaftszinssatz der Grundstücksmarktberichte nicht nur zulässig, sondern in der Regel geboten, denn es handle sich um durchschnittliche Liegenschaftszinssätze, die für durchschnittliche Eigenschaften der Grundstücke abgeleitet seien, ohne dass nach der örtlichen Lage oder der Restnutzungsdauer unterschieden werde. Wenn sich ein Gutachter mit nachvollziehbarer Begründung für einen Liegenschaftszins innerhalb der Spanne von +/- 1 des angegebenen Liegenschaftszins entscheidet, ist dies demzufolge in der Regel nicht zu beanstanden.
60
F hat den von ihm für richtig erachten Liegenschaftszins hinreichend begründet. Er führt aus, dass er sich an den Wert aus dem Grundstücksmarktbericht angelehnt habe. Im Schreiben vom 28. Oktober 2013 hat er erläutert, dass aus seiner Sicht ein Liegenschaftszins von 7 % für die Altimmobilie aus der Zeit vor 1900 objektangepasst sei. Zudem hat er u.a. das mietfeindliche Mietumfeld mit tristen kleinen Hinterhöfen, den Parkplatzmangel und den laufenden Verkehr, die eingeschränkte Möglichkeit des Einbaus eines Fahrstuhles und die schlechte Wärmedämmung zur Begründung angeführt. Dies hält das Gericht für hinreichend nachvollziehbar. Der Gutachter hat die Immobilie besichtigt. Seine Argumentation ist schlüssig. Soweit der Beklagte die Beurteilung der Wohnlage unter Hinweis auf den Bodenrichtwert in Höhe von … €/qm in Frage stellt, ist dem nicht zu folgen, denn der Bodenrichtwert bildet nur allgemein die Werte für einen größeren Bereich ab. Dass innerhalb dieses Bereichs konkrete Wohnlagen aufgrund individueller Besonderheiten dennoch weniger gut sein können, kann aufgrund des Bodenrichtwerts gerade nicht ausgeschlossen werden.
61
Es ist auch unschädlich, dass die Abweichung tatsächlich mehr als 1, nämlich 1,1, beträgt. Die Überschreitung der Spanne des Grundstücksmarktberichts um 0,1 hält der Senat für zu gering, als dass man nicht mehr von einer vertretbaren Auffassung ausgehen könnte. Darüber hinaus weist der Grundstücksmarktbericht 2011 für das Jahr 2010 einen Liegenschaftszins von 6,0 % aus, allerdings mit dem Hinweis, dass er durch das Ergebnis 2011 noch korrigiert werde. Das Gutachten F datiert vom 22. August 2011 – also von einem Zeitpunkt, als der Grundstücksmarktbericht 2012 noch nicht vorlag. Aus Sicht des Gerichts ist es in einem solchen Fall nicht zu beanstanden, wenn sich der Gutachter am aktuellsten Grundstücksmarktbericht orientiert.
62
5. Den von F vorgenommen Abzug für Instandsetzungs- und Fertigstellungsarbeiten in Höhe der vollen Kosten hält der Senat dagegen nicht für akzeptabel.
63
a. In der gängigen Wertermittlungspraxis werden Baumängel und Bauschäden sowie sonstige Abweichungen vom normalen baulichen Zustand dadurch berücksichtigt, dass zunächst der (vorläufige) Vergleichs-, Ertrags- oder Sachwert unter Ausblendung der Baumängel und Bauschäden für ein (fiktiv) ordnungsgemäß instand gehaltenes und mangelfreies Gebäude ermittelt wird und dieser „vorläufige“ Wert um die aus dem Baumangel bzw. Bauschaden resultierende Wertminderung gesenkt wird (sog. externalisierende Vorgehensweise; Kleiber, Verkehrswertermittlung von Grundstücken, 7. Auflage, 2014, S. 978, Rdnr. 206). Dieser Vorgehensweise entspricht die von F vorgenommene Ermittlung. Es ist nicht ersichtlich, dass F bereits andere Parameter aufgrund von Baumängeln oder Bauschäden, für die er Instandsetzungs- und Fertigstellungsarbeiten abgezogen hat, verändert hat. Die von F angesetzte Jahresmiete liegt mit … € über der tatsächlich erzielten/vereinbarten Jahresmiete in Höhe von … € bzw. … € (bei Einbezug der im Umbau befindlichen Wohnungen). Bei den Instandhaltungskosten hat er sich nicht auf die „jetzige Sanierungs- und Instandsetzung“ bezogen, sondern erläutert, dass trotz dieser eine weitere Rissbildung in Betracht kommt. Den Liegenschaftszins hat er u.a. mit dem mietfeindlichen Mietumfeld, der eingeschränkten Möglichkeit des Einbaus eines Fahrstuhles und der schlechten Wärmedämmung begründet, also mit Umständen, die durch die von ihm angesetzten Baukosten nicht verändert würden.
64
b. Das Gericht folgt dem Gutachten F aber nicht, soweit die aufgelisteten Kosten in voller Höhe abgezogen werden. Die Wertminderung wegen Baumängeln und Bauschäden darf nicht mit den Kosten für ihre Beseitigung (Schadensbeseitigungskosten) gleichgesetzt werden. Diese Kosten können allenfalls einen Anhaltspunkt für die Wertminderung geben. Es kommt entscheidend darauf an, wie der allgemeine Grundstücksmarkt Baumängel und Bauschäden wertmindernd berücksichtigt (vgl. Kleiber, Verkehrswertermittlung von Grundstücken, 7. Auflage, 2014, S. 975 Rz. 199 ff). Eine nachvollziehbare Begründung, warum hier die Wertminderung in voller Höhe der Schadensbeseitigungskosten anzusetzen sein sollte, gibt F nicht.
65
c. Der Senat ist der Auffassung, dass die angesetzte Wertminderung nur teilweise zu berücksichtigen ist. Er hält es für möglich, das Gutachten F ohne Zuhilfenahme eines Sachverständigen entsprechend zu korrigieren.
66
aa. Aus der Tabelle auf S. 11 des Gutachtens ergibt sich, dass die ersten 14 Positionen die Kosten auflisten, die für die Fertigstellung der rohbauähnlich rückgebauten Wohnungen anfallen. Diese Kosten können aus Sicht des Gerichtes in voller Höhe angesetzt werden, denn ein möglicher Erwerber wäre gezwungen, diese Wohnungen wieder herzurichten, da sie sich nicht in einem vermietbaren Zustand befanden. Der allgemeine Grundstücksmarkt würde diese Kosten vollumfänglich beim Angebot einpreisen.
67
Der von F angesetzte Betrag in Höhe von … € für die Baumaßnahmen in den leerstehenden Wohnungen kann aus Sicht des Gerichtes so übernommen werden. Zwar erwähnt F in seinem Gutachten vier rohbauartig zurückgebaute Wohnungen, obwohl sich in dem Gebäude am Bewertungsstichtag tatsächlich nur drei rohbauartig zurückgebaute Wohnungen befanden. Dabei handelt es sich aber erkennbar um einen Flüchtigkeitsfehler. So spricht F in seiner Stellungnahme vom 29. Juni 2012 selbst von drei rohbauähnlich rückgebauten Wohnungen. Zudem legt F als Wohnfläche bei seiner Aufstellung maximal … qm zugrunde. Dies entspricht 2 x … qm plus 1 x … qm, also den von ihm angesetzten Wohnflächen für die tatsächlich rohbauähnlich zurückgebauten Wohnungen EG rechts, 1. OG rechts und DG rechts. Bei seiner Ermittlung hat F also nur die Fläche für die drei leerstehenden Wohnungen verwendet. Auch der Beklagte hat nicht gerügt, dass sich die von F ausgewiesen Baukosten für die Fertigstellung der rohbauartig zurückgebauten Wohnungen auf eine unzutreffende Wohnungsanzahl beziehe.
68
Anhaltspunkte, dass F die zu erwartenden Baukosten für die Positionen 1 bis 14 mit … € zu hoch angesetzt haben könnte, sind nicht ersichtlich. Diese Einschätzung wird gestützt durch den Umstand, dass die Klägerin ausweislich der eingereichten Kostenaufstellung für die Sanierung der drei Wohnungen tatsächlich über … € aufgewendet hat.
69
bb. Zusätzlich zu diesen … € hält der Senat es für angezeigt, noch die zu erwartenden Baukosten für die „Fassade, Rissbildung“ von … € (Position 18) in voller Höhe abzuziehen.
70
Die Klägerin verweist auf einen Riss in der Fassade. F erwähnt in seinem Gutachten, es gebe massive Rissbildungen an der westlichen Gebäudetrennwand. N benennt senkrecht und waagrecht verlaufende Mauerrisse und schwere Schäden an der straßenseitigen Fassade. Der Beklagte hat eine entsprechend Rissbildung nicht bestritten, sondern ausweislich der handschriftlichen Notizen für das EG einen starken Riss in einer tragenden Wand bestätigt. Aus den eingereichten Bildern und den Gutachten hat der Senat die Überzeugung gewonnen, dass eine Beseitigung der Risse bzw. eine Sanierung der Fassade für eine weitere sinnvolle Vermietung zwingend erforderlich ist. Wenn für einen möglichen Erwerber aber feststeht, diese Kosten auf jeden Fall aufwenden zu müssen, um eine langfristige Vermietbarkeit sicherzustellen, ist davon auszugehen, dass er sein Kaufangebot entsprechend mindern wird.
71
cc. Die in den Positionen 15, 16, 17 und 19 genannten Kosten können aus Sicht des Senats demgegenüber nicht in voller Höhe angesetzt werden. Es ist nicht ersichtlich, dass der allgemeine Grundstücksmarkt diese vollständig wertmindernd berücksichtigen würde. Aus dem Gutachten und den Ausführungen von F ergeben sich hierfür auch keine Gründe.
72
Der Senat sieht sich aber nicht in der Lage, die Wertminderung aus den voraussichtlichen Baukosten abzuleiten. Eine marktkonforme Ermittlung der Wertminderung ist problematisch, da in aller Regel keine Vergleichsdaten zur Verfügung stehen und daher in der Praxis auf allgemeine Erfahrungssätze und auf deduktive analytische Verfahren zurückgegriffen wird (vgl. Kleiber, Verkehrswertermittlung von Grundstücken, 7. Auflage, 2014, S. 978 Rn. 207). Dies muss nach der Auffassung des Senats einem sachkundigen Gutachter vorbehalten bleiben. Mangels Anpassungsmöglichkeit durch das Gericht können diese Positionen keine Berücksichtigung finden.
73
6. Es ergibt sich damit folgende Berechnung: …
74
1. Rohertrag =
2. Bewirtschaftungskosten
Verwaltungskosten = 3 %
Instandhaltungskosten = 25 %
Mietausfallwagnis = 2 %
Bewirtschaftungskosten = 30 % =
3. Reinertrag =
4. Bodenwert am Reinertrag
… € x 7,0 % =
5. Gebäudeanteil am Reinertrag =
6. Gebäudeertragswert
40 Jahre Restnutzung
Barwertfaktor bei 7,0 % = 13,33
Reinertrag x Barwertfaktor
… € x 13,33 =
Zwischensumme 1 =
Bodenwert Bauland =
Ertragswert, Fertigstellung aller Wohnungen =
abzüglich Positionen 1 – 14
abzüglich Positionen 18
abzüglich Ertragsausfall
Ertragswert nach Fertigstellung =
angepasster Wert =
75
Die Klägerin hat daher zur Überzeugung des Senates mittels des Gutachtens F einen niedrigeren gemeinen Wert in Höhe von … € nachgewiesen.
76
7. Der Nachweis eines noch geringeren gemeinen Wertes ist ihr dagegen nicht gelungen.
77
Bei dem Gutachten N hält es der Senat entsprechend der o.g. Ausführungen ebenfalls für nicht angemessen, die Bauschäden in voller Höhe der Beseitigungskosten als Wertminderung zu berücksichtigen. In der Aufstellung im Gutachten N gibt es aber keine eindeutige Aufteilung zwischen den Kosten für die rohbauartig zurückgebauten Wohnungen bzw. die „Fassade/Rissbildung“ und den übrigen Kosten. Eine Anpassungsmöglichkeit durch das Gericht ist hier aus den unter II.5.b.cc. angeführten Gründen ausgeschlossen.
78
Um das Gutachten verwenden zu können, wäre daher zumindest der Abzug der Position „Wertminderung/Reparaturstau“ in Höhe von … € nicht zu berücksichtigen. Dann würde jedoch ein Wert in Höhe von … € verbleiben, der sogar noch über dem nach dem Ertragswertverfahren im Sinne der §§ 184 bis 188 BewG ermittelten Grundbesitzwert von … € läge. Es kann daher offen bleiben, inwieweit die vom Beklagten gegen das Gutachten N vorgetragen Punkte darüber hinaus durchgreifen würden.
79
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung (FGO).
80
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 151 Abs. 1 und 3 FGO i.V.m. 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).

Kalte Progression: Entlastung angekündigt

Berlin: (hib/HLE) Die Bundesregierung hat die Kritik der EU-Kommission an einer zu hohen Steuerbelastung in Deutschland zurückgewiesen. „Aus Sicht der Bundesregierung ist das deutsche Steuer- und Abgabensystem leistungsgerecht, wettbewerbsfähig und sozial ausgewogen“ heißt es in dem von der Bundesregierung als Unterrichtung (18/4549) vorgelegten „Nationalen Reformprogramm 2015“. Die Kommission hatte anerkannt, dass die Konsumnachfrage deutscher Haushalte seit 2012 deutlich gestiegen sei, aber zugleich auf die vergleichsweise hohe Steuer- und Abgabenbelastung für Geringverdiener hingewiesen. „Aus Sicht der Kommission könnte dies in der Verbindung mit der kalten Progression die verfügbaren Einkommen der Privathaushalte verringern und so das Wachstum möglicherweise hemmen“, heißt es in der Unterrichtung.

Die Bundesregierung kündigt aber an, die finanziellen Voraussetzungen zu schaffen, „um für diese Legislaturperiode Bürgerinnen und Bürger bei der kalten Progression zu entlasten. Auch dies erhöht die Nettoeinkommen und schafft Freiraum für mehr Konsum und Investitionen“, stellt die Bundesregierung fest. Die einfache Forderung, Steuern und Abgaben insbesondere für Geringverdiener zu senken, sieht die Regierung aber „differenziert“. Zwar könne eine Senkung der Lohnzusatzkosten mit positiven Beschäftigungseffekten verbunden sein. Eine einseitige Senkung der Sozialausgaben könne aber dazu beitragen, dass das Sozialschutzniveau für Geringverdiener sinke.

Quelle: Deutscher Bundestag, Mitteilung vom 20.04.2015, hib-Nr. 195/2015

Keine zwei häuslichen Arbeitszimmer steuerlich absetzbar

Mit Urteil vom 25. Februar 2015 (Az. 2 K 1595/13) hat das Finanzgericht Rheinland-Pfalz (FG) entschieden, dass ein Steuerpflichtiger – auch wenn er aus beruflichen Gründen zwei Wohnungen hat – keine zwei Arbeitszimmer geltend machen kann. Wegen grundsätzlicher Bedeutung wurde die Revision zum Bundesfinanzhof – BFH – zugelassen.

Die Kläger sind verheiratet und haben einen Wohnsitz in Rheinland-Pfalz und einen Wohnsitz in Thüringen. Der Kläger ist sowohl selbständig tätig (Seminare und Fortbildungskurse für Steuerberater) als auch – in Thüringen – nichtselbständig tätig.

In der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 2009 machte der Kläger Kosten für zwei Arbeitszimmer (insgesamt 2.575 Euro) als Betriebsausgaben geltend, mit der Begründung, er benötige in jeder der beiden Wohnungen ein Arbeitszimmer für seine selbständige Tätigkeit.

Das beklagte Finanzamt erkannte nur ein Arbeitszimmer und nur Kosten in Höhe von 1.250 Euro an.

Einspruchs- und Klageverfahren der Kläger waren erfolglos.

Mit (noch nicht rechtskräftigem) Urteil vom 25. Februar 2015 (Az. 2 K 1595/13) schloss sich das FG Rheinland-Pfalz der Auffassung des beklagten Finanzamtes an. Zur Begründung führte das FG im Wesentlichen Folgendes aus:

Im Einkommensteuergesetz (EStG) sei geregelt, dass Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer nur unter bestimmten Voraussetzungen und auch dann meistens nur beschränkt auf den Höchstbetrag von 1.250 Euro abzugsfähig seien. Nur ausnahmsweise, wenn das Arbeitszimmer den Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung bilde, könnten die Kosten unbeschränkt abgezogen werden. Letzteres sei beim Kläger nicht der Fall, da er seine Vortragstätigkeit (Seminare, Fortbildungen usw.) außerhalb seines Arbeitszimmers durchführe. Deshalb könne er die Aufwendungen nur beschränkt auf den Höchstbetrag von 1.250 Euro abziehen. Dieser Höchstbetrag sei (auch nach Meinungen in der juristischen Fachliteratur) personen- und objektbezogen. Daher könne er auch nur einmal jährlich (und nicht zwei- oder mehrfach) gewährt werden. Es komme zwar vor, dass Steuerpflichtige in einem Veranlagungszeitraum nacheinander oder auch zeitgleich verschiedene Arbeitszimmer nutzen würden, z. B. wegen eines Umzugs oder wenn jemand – wie die Kläger – zur gleichen Zeit zwei Wohnungen habe. Ein Steuerpflichtiger könne zwei Arbeitszimmer aber niemals zeitgleich nutzen. Daher könne der Höchstbetrag (1.250 Euro) selbst in diesen Fällen nur einmal und nicht mehrfach gewährt werden. Der Gesetzgeber habe die Abzugsbeschränkung nur für den Fall aufgehoben, dass das Arbeitszimmer den Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung bilde. Andere Fallgestaltungen (Umzug, doppelte Haushaltsführung usw.) sollten nach dem Willen des Gesetzgebers nicht dazu führen, dass der Abzugsrahmen (1.250 Euro) überschritten oder mehrfach ausgeschöpft werden könne. Dass der Höchstbetrag personen- und objektbezogen sei, könne sich übrigens auch zu Gunsten des Steuerpflichtigen auswirken. So habe der Bundesfinanzhof (BFH) z. B. entschieden, dass auch einem Steuerpflichtigen, der nur für bestimmte Monate (also nicht ganzjährig) ein Arbeitszimmer habe, der volle (ungekürzte) Höchstbetrag zustehe.

Das FG ließ die Revision zu, weil höchstrichterlich bisher nicht geklärt sei, ob ein Steuerpflichtiger, der in jedem seiner beiden Haushalte ein Arbeitszimmer nutze, den Höchstbetrag (1.250 Euro) einmal oder zweimal zum Abzug bringen könne.

Quelle: FG Rheinland-Pfalz, Pressemitteilung vom 20.04.2015 zum Urteil 2 K 1595/13 vom 25.02.2015 (nrkr)

 

Alleinerziehende stärker unterstützen – Entlastungsbetrag von 1.308 auf 1.908 Euro erhöhen

In Deutschland gibt es immer mehr Alleinerziehende. Keine andere Familienform hat in den vergangenen Jahren so stark zugenommen. Rund 20 Prozent aller Familien bestehen mittlerweile aus einer alleinerziehenden Mutter oder einem alleinerziehenden Vater und deren Kindern.

Alleinerziehende Erwerbstätige leisten enorm viel. Sie gehen arbeiten, kümmern sich um ihren Nachwuchs und führen den Haushalt – was sich Elternpaare teilen können, schultern sie allein. Alleinerziehende Frauen sind dabei überdurchschnittlich häufig erwerbstätig, sie verfügen im Schnitt jedoch über deutlich geringere Haushaltseinkommen als Paarfamilien und sind überproportional von Armut betroffen. Hinzu kommt, dass erwerbstätige Alleinerziehende häufig hohe Kinderbetreuungskosten haben.

Diese besondere Lebenssituation wollen wir besser berücksichtigen und die Alleinerziehenden gezielt unterstützen: Damit sie netto mehr Geld erhalten, wollen wir den steuerlichen Entlastungsbetrag anheben. Ihre Arbeit muss sich stärker lohnen. Zugleich unterstützen wir Frauen und Männer dabei, Beruf, Familie und gesellschaftliches Engagement vereinbaren zu können.

Dieses Vorhaben geht auf den Koalitionsvertrag zurück: CDU, CSU und SPD haben vereinbart, dass der steuerliche Entlastungsbetrag für Alleinerziehende angehoben und die Höhe des Entlastungsbetrags künftig nach der Zahl der Kinder gestaffelt werden soll.

Der Entlastungsbetrag für Alleinerziehende beträgt seit seiner Einführung zum 1. Januar 2004 unverändert 1.308 Euro. Der Kinderfreibetrag und das Kindergeld wurden im Zeitraum zwischen 2004 und 2015 um rd. 23 Prozent erhöht. Jetzt wollen wir den Entlastungsbetrag für Alleinerziehende um 600 Euro auf 1.908 Euro erhöhen. Die Umsetzung wird im Rahmen der parlamentarischen Beratungen des Gesetzes zur Anhebung des Grundfreibetrags, des Kinderfreibetrags, des Kindergeldes und des Kinderzuschlags mit Wirkung zum 1. Januar 2015 erfolgen.

Darüber hinaus haben wir im Koalitionsvertrag eine Staffelung des Entlastungsbetrags nach der Kinderzahl vereinbart. Aus diesem Grund wollen wir den Entlastungsbetrag für jedes weitere Kind um jeweils 240 Euro anheben. Denn je mehr Kinder zu betreuen sind, desto anstrengender wird es. Für alleinerziehende Eltern gilt dies umso mehr.
Die notwendige Finanzierung aus dem Haushalt des Familienministeriums muss zwischen diesem und dem Finanzministerium vereinbart werden.

Quelle: CDU/CSU und SPD

Übermittlung von Steuererklärungen durch Telefax

Unter Bezugnahme auf das Ergebnis der Erörterung mit den obersten Finanzbehörden der Länder wird das BMF-Schreiben vom 20. Januar 2003, BStBl I S. 74 mit sofortiger Wirkung aufgehoben.

Dieses Schreiben wird im Bundessteuerblatt Teil I veröffentlicht.

Quelle: BMF, Schreiben (koordinierter Ländererlass) IV A 3 – S-0321 / 07 / 10003 vom 16.04.2015
Text des Schreibens vom 20. Januar 2003:

Nach dem BFH-Urteil vom 4. Juli 2002 – V R 31/01 – (BStBl II 2003 S. …) kann eine Umsatzsteuer-Voranmeldung per Telefax wirksam übermittelt werden.

Unter Bezugnahme auf das Ergebnis der Erörterung mit den obersten Finanzbehörden der Länder sind die Grundsätze dieses Urteils zur Telefax-Übermittlung auf sämtliche Steuererklärungen anzuwenden, für die das Gesetz keine eigenhändige Unterschrift des Steuerpflichtigen vorschreibt. Somit können beispielsweise Lohnsteuer-Anmeldungen und Kapitalertragsteuer-Anmeldungen per Telefax wirksam übermittelt werden, nicht jedoch beispielsweise Einkommensteuererklärungen und Umsatzsteuererklärungen für das Kalenderjahr oder für den kürzeren Besteuerungszeitraum.

Zusatz der OFD Koblenz v. 12. Februar 2003:
Das Ministerium der Finanzen hat hierzu mit Erlass vom 21. Januar 2003 – S-0321 A – 446 ergänzend darauf hingewiesen, dass keine Verpflichtung der Finanzämter bestehe, zusätzliche Telefax-Verbindungen einzurichten bzw. weitere Telefax-Geräte anzuschaffen. Sofern zum Abgabetermin die vorhandenen Anschlüsse überlastet sein sollten und damit Anmeldungen verspätet eingehen, gehe dies zu Lasten der Steuerpflichtigen.

 

Aufforderung zur Einreichung von Unterlagen nach Einstellung der Kindergeldzahlung stellt einen Aufhebungsbescheid dar

Der 11. Senat des Finanzgerichts Münster hat mit Gerichtsbescheid vom 5. Februar 2015 (Az. 11 K 1172/14 Kg) die Aufforderung der Familienkasse, mit der sie Unterlagen zur Prüfung des Kindergeldanspruchs anfordert, nachdem sie die Kindergeldzahlung eingestellt hatte, als Aufhebung der Kindergeldfestsetzung beurteilt.

Die Familienkasse gewährte dem Kläger für seinen volljährigen Sohn Kindergeld. Ohne die Festsetzung aufzuheben, stellte sie die Zahlung des Kindergeldes ein. In einem Schreiben teilte sie dem Kläger mit, dass die rechtlichen Voraussetzungen zu prüfen seien und forderte ihn auf, entsprechende Unterlagen einzureichen.

Hiergegen legte der Kläger nach Ablauf der Monatsfrist Einspruch ein, woraufhin die Familienkasse die Kindergeldzahlung wieder aufnahm. Die Übernahme der vom Kläger für das Verfahren geltend gemachten Kosten lehnte die Familienkasse ab, weil nach ihrer Auffassung kein Einspruchsverfahren durchgeführt worden sei. Die bloße Einstellung der Kindergeldzahlung stelle keinen anfechtbaren Verwaltungsakt dar.

Das Gericht gab der nach erfolglosem Einspruchsverfahren gegen die Ablehnung der Kostenerstattung erhobenen Klage statt. Die Familienkasse sei zur Erstattung der Kosten nach § 77 EStG verpflichtet, weil der Kläger erfolgreich Einspruch eingelegt habe. Zwar könne die Einstellung der Kindergeldauszahlung als bloßer Realakt nicht mit dem Einspruch angefochten werden. Das Aufforderungsschreiben der Behörde habe jedoch einen Verwaltungsakt dargestellt. Die Mitteilung, das Bestehen eines Kindergeldanspruchs erneut rechtlich zu prüfen, könne im Zusammenwirken mit der Einstellung der Kindergeldauszahlung vom Bürger nur so verstanden werden, dass die Kindergeldfestsetzung zunächst aufgehoben werden sollte. Da das Schreiben keine Rechtsbehelfsbelehrung enthielt, habe die Einspruchsfrist ein Jahr betragen.

Quelle: FG Münster, Mitteilung vom 15.04.2015 zum Gerichtsbescheid 11 K 1172/14 vom 05.02.2015

 

Häusliches Arbeitszimmer eines Handelsvertreters kann Tätigkeitsmittelpunkt sein

Liegt der qualitative Schwerpunkt der Tätigkeit eines selbständigen Handelsvertreters in seinem häuslichen Arbeitszimmer, können die Kosten hierfür vollständig als Betriebsausgaben anerkannt werden. Dies hat der 5. Senat des Finanzgerichts Münster mit Urteil vom 5. März 2015 (Az. 5 K 980/12 E) entschieden.

Der Kläger war als selbständiger Handelsvertreter im Bereich des Wurst- und Käsevertriebs überregional vor allem für einen Hauptauftraggeber tätig. Dabei verbrachte er etwa die Hälfte seiner Arbeitszeit mit Kundenbesuchen im gesamten Bundesgebiet und in den Niederlanden. Im Übrigen war er in seinem häuslichen Arbeitszimmer tätig.
Das Finanzamt erkannte die für das Arbeitszimmer geltend gemachten Kosten nur in Höhe von 1.250 Euro an, da es nicht den Tätigkeitsmittelpunkt des Klägers bilde. Hiergegen wandte der Kläger ein, dass er die meisten seiner Aufgaben nicht im Außendienst habe erledigen können. Vielmehr erfolge die Aufnahme und die Abwicklung der Aufträge im Arbeitszimmer. Hierzu gehöre auch eine umfangreiche individuelle Bedarfsermittlung der Frischeprodukte sowie die Kundenakquise und -pflege. Die Vorstellung neuer Produkte finde in der Regel nicht beim Kunden vor Ort, sondern auf Messen statt.

Das Finanzamt ging weiterhin davon aus, dass die prägenden Tätigkeiten des Klägers im Außendienst stattfinden. Hierfür spreche insbesondere eine Klausel mit seinem Hauptauftraggeber, wonach er verpflichtet sei, die Kunden mindestens einmal monatlich zu besuchen.

Das Gericht gab der Klage statt. Das Arbeitszimmer des Klägers bilde den qualitativen Schwerpunkt seiner Betätigung. Die vertragliche Verpflichtung, seine Kunden mindestens einmal im Monat zu besuchen, habe er tatsächlich nicht gelebt, weil hierfür kein Anlass bestanden habe. Die Reisetätigkeit sei nicht als Mittelpunkt seiner Tätigkeit anzusehen. Der Kläger übe keine klassische Außendiensttätigkeit aus, in der lediglich vor- und nachbereitende Tätigkeiten im Arbeitszimmer vorgenommen werden. Die Produkte liefere er nicht selbst an die Kunden aus. Vielmehr stehe er ihnen bezüglich des Sortiments, für die Annahme von Bestellungen und Reklamationen als Ansprechpartner zur Verfügung. Seine Hauptaufgabe liege darin, den Überblick über das Bestellverhalten des jeweiligen Kunden zu behalten und eine individuelle Angebots- und Bedarfsermittlung vorzunehmen. Diese Aufgabe habe qualitativ ein höheres Gewicht als die Präsenz beim Kunden vor Ort, weil sich die Preise und das Sortiment der frischen Produkte häufig ändere und daher im Tagesgeschäft auf individuelle Kundenwünsche eingegangen werden müsse. Auch die Akquise von Neukunden erfolge zunächst vom Arbeitszimmer aus. Diese Tätigkeiten seien nicht lediglich als dem Außendienst dienende Tätigkeiten anzusehen.

Quelle: FG Münster, Mitteilung vom 15.04.2015 zum Urteil 5 K 980/12 vom 05.03.2014