Archiv der Kategorie: Steuern & Recht

Länder warnen vor Belastung für Autofahrer

Der Bundesrat hat Bedenken gegen den Vorschlag der Bundesregierung, die geplante Pkw-Maut (s. TOP 14a, Drucksache 648/14) durch eine abgesenkte Kfz-Steuer zu kompensieren.

In seiner Stellungnahme zum Regierungsentwurf äußert er die Sorge, dass die Steuerentlastung inländischer Kfz-Halter nicht mit Europäischem Recht vereinbar ist. Falls sie für rechtswidrig erklärt, die Maut aber dennoch erhoben werde, führe dies zu einer unerwünschten Doppelbelastung.

Der Bundesrat kritisiert zudem, dass die geplanten Änderungen der Kfz-Steuer deren bisherige ökologische Lenkungswirkung empfindlich abschwächen. Dies lehnen die Länder ab und fordern, die Lenkungswirkung im bisherigen Umfang zu erhalten.

Mit der Kritik der Länder befasst sich zunächst die Bundesregierung, anschließend berät der Bundestag über den Gesetzentwurf.

  • Die Grunddrucksache und die Ausschussempfehlung zum Entwurf eines Zweiten Verkehrsteueränderungsgesetzes (VerkehrStÄndG 2) (Absenkung der Kfz-Steuer) (639/14) finden Sie auf der Homepage des Bundesrats.
  • Die Grunddrucksache und die Ausschussempfehlung zum Entwurf eines Gesetzes zur Einführung einer Infrastrukturabgabe für die Benutzung von Bundesfernstraßen (648/14) finden Sie auf der Homepage des Bundesrats.

Quelle: Bundesrat, Mitteilung vom 06.02.2015

 

Schädliche Steuergestaltungen

Unmittelbar nach Bekanntwerden der sog. Luxemburg-Leaks ist eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe einberufen worden, die die Daten auswertet. Dies teilt die Bundesregierung in ihrer Antwort (18/3662) auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen (18/3346) mit. Grund der Anfrage sind Absprachen von Unternehmen mit den Steuerbehörden in Luxemburg. Diese „Tax Rulings“ sind nach Ansicht der Regierung grundsätzlich geeignet, die Steuerpflichtigen auf der Grundlage der allgemein geltenden Steuergesetze Rechts- und Planungssicherheit für einen bestimmten Sachverhalt zu verschaffen. Allerdings sollten Tax Rulings verhindert werden, die schädliche Steuergestaltungen ermöglichen würden. Ergebnisse der Bund-Länder-Arbeitsgruppe liegen noch nicht vor.

Quelle: Deutscher Bundestag, Mitteilung vom 05.02.2015

hib-Nr. 69/2015

BdSt zum Soli: Ende der Extra-Steuer jetzt einläuten

Wie lange noch sollen die Steuerzahler in Deutschland den Soli zahlen? Der Bund der Steuerzahler (BdSt) fordert den sofortigen Einstieg in den Ausstieg. „Das Ende des Solidaritätszuschlags wäre ein wichtiges Signal an alle Bürger“, sagt BdSt-Präsident Reiner Holznagel. „Auch die Steuerzahler sollen von der guten Wirtschaftslage profitieren.“ Deshalb muss sich die Politik jetzt Gedanken machen, wie sie aus dem Soli aussteigt. Denn die Bürger zählen auf ein Ende dieser Extra-Steuer im Jahr 2019. Dann laufen auch die Finanzhilfen zum Aufbau Ost aus.

Das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) hat einen externen Drei-Stufen-Plan zum Abbau des Solidaritätszuschlags durchgerechnet. In der ersten Stufe sieht der Plan vor, Steuerzahler mit einem Einkommen bis 50.000 Euro beim Soli zu entlasten. In einer zweiten Stufe würde der Soli-Steuersatz von 5,5 Prozent auf 2,5 Prozent gesenkt werden und im Jahr 2020 schließlich komplett wegfallen. Dieser Vorschlag bleibt damit hinter den Forderungen des BdSt zurück, das Soli-Ende schon für das Jahr 2019 zu beschließen. Insgesamt ist das Ausstiegs-Szenario aber eine kluge Idee, das Soli-Ende endlich anzupacken. Vor allem kleinere und mittlere Einkommen könnten schon bald vom Soli befreit werden. Zumal der Bund bereits heute mehr Einnahmen aus dem Soli erhält, als er für die neuen Bundesländer an Aufbauhilfen wirklich ausgibt.

Quelle: BdSt, Mitteilung vom 05.02.2015

 

Kein Kindergeld für eine nicht sozialversicherte Person bei Anspruch auf Familienleistungen im EU-Ausland

BFH, Urteil III R 1/13 vom 13.11.2014

 

Leitsatz:

Der Anspruch auf Kindergeld nach deutschem Recht für ein im EU-Ausland lebendes Kind ist nach § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG ausgeschlossen, wenn für das Kind ein Anspruch auf ausländische Leistungen besteht, die dem Kindergeld vergleichbar sind, und der Anspruchsteller nicht vom Anwendungsbereich der VO (EWG) Nr. 1408/71 erfasst wird, weil er nicht in einem Sozialversicherungssystem versichert ist.

Tatbestand:

I.

1

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist polnische Staatsangehörige. Sie lebte in der Bundesrepublik Deutschland (Deutschland), ihr Ehemann wohnte mit den drei gemeinsamen Kindern, die in den Jahren 1982, 1988 und 1989 geboren sind, in Polen. Die Klägerin übte in Deutschland das Gewerbe „Betreuung von Behinderten und älteren Menschen, Reinigung sowie Büroservice“ aus. Sie war weder in Deutschland noch in Polen sozialversichert. Dem Ehemann der Klägerin, der in Polen nicht erwerbstätig war, standen im streitigen Zeitraum –Juni 2005 bis Juli 2006– polnische Familienleistungen für die Kinder zu.

2

Die Klägerin beantragte in Deutschland Kindergeld. Die Beklagte und Revisionsbeklagte (Familienkasse) setzte durch Bescheid vom 8. Februar 2006 Kindergeld ab Juni 2005 für die drei Kinder von jeweils 77 € monatlich fest, somit in Höhe der Hälfte des damals gesetzlich vorgesehenen Betrags. Der dagegen gerichtete Einspruch hatte keinen Erfolg (Einspruchsentscheidung vom 27. Juli 2006). Im Verlauf des anschließenden Klageverfahrens half die Familienkasse dem klägerischen Begehren hinsichtlich der im Jahr 1982 geborenen Tochter E ab und gewährte insoweit das volle Kindergeld.

3

Die Klage, die sich nunmehr dagegen richtete, dass die Familienkasse das Kindergeld für die beiden anderen Kinder (B und C) nicht in voller Höhe gewährte, hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) war der Ansicht, die Klägerin werde nicht vom persönlichen Anwendungsbereich der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern –in der im Streitzeitraum geltenden Fassung– (VO Nr. 1408/71) erfasst, da sie weder in Deutschland noch in Polen im Rahmen ihrer gewerblichen Tätigkeit versichert sei. Auch aus dem in der Rechtssache Hudzinski und Wawrzyniak ergangenen Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) vom 12. Juni 2012, C-611/10, C-612/10 (Deutsches Steuerrecht/Entscheidungsdienst –DStRE– 2012, 999) ergebe sich für die Klägerin kein Anspruch auf Kindergeld in voller Höhe, weil sie nicht ihre „gesamten Tätigkeiten“ in Deutschland ausgeübt habe. Die in dieser Entscheidung aufgestellten Grundsätze beträfen die Gruppe der Saisonarbeitnehmer und der entsandten Arbeitnehmer, für welche die Arbeitnehmerfreizügigkeit nach Art. 45 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union gelte. Hierauf könnten sich Selbständige nicht berufen. Nach § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes in der in den Jahren 2005 und 2006 geltenden Fassung (EStG) komme es darauf an, ob für die Kinder der Klägerin in Polen Familienleistungen gewährt worden seien oder bei Antragstellung zu gewähren gewesen wären. Hinsichtlich des Zeitraums Juni 2005 bis September 2005 gebe es unterschiedliche Angaben zur Frage, ob in diesen Monaten das Kindergeld gewährt oder nicht beansprucht worden sei. Maßgeblich sei jedoch, ob ein derartiger Anspruch in Polen bestanden habe. Dies sei hier der Fall. Die polnischen Familienleistungen seien sowohl im Hinblick auf Ziel als auch auf Funktion mit dem deutschen Kindergeld vergleichbar.

4

Zur Begründung ihrer Revision trägt die Klägerin vor, § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG verstoße gegen höherrangiges Recht. Das FG sei zu Unrecht der Ansicht, die Grundsätze des EuGH-Urteils in der Rechtssache Hudzinski und Wawrzyniak in DStRE 2012, 999 seien nur auf Wanderarbeitnehmer anwendbar.

5

Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§ 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung –FGO–).

Gründe:

II.

6

Im Streitfall hat zum 1. Mai 2013 ein gesetzlicher Beteiligtenwechsel stattgefunden. Beklagte und Revisionsbeklagte ist nunmehr die Familienkasse Sachsen (vgl. z.B. Urteile des Bundesfinanzhofs vom 16. Mai 2013 III R 8/11, BFHE 241, 511, BStBl II 2013, 1040, Rz 11, und vom 28. Mai 2013 XI R 38/11, BFH/NV 2013, 1774, Rz 14). Das Rubrum war deshalb zu ändern.

III.

7

Die Revision der Klägerin ist unbegründet und wird daher zurückgewiesen (§ 126 Abs. 2 FGO). Das FG hat zu Recht einen Anspruch der Klägerin auf Kindergeld in voller Höhe verneint. Ein solcher Anspruch wird nach deutschem Recht durch § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG ausgeschlossen und ergibt sich auch nicht aus Unionsrecht. Auf die Gründe, weshalb die Familienkasse Kindergeld in halber Höhe gewährt hat, kommt es nicht an.

8

1. Die Klägerin hatte dem Grunde nach einen Anspruch auf Kindergeld nach § 62 Abs. 1 Nr. 1, § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG i.V.m. § 32 Abs. 3 EStG für die beiden minderjährigen, in Polen lebenden Kinder B und C. Sie hatte unstreitig ihren Wohnsitz (§ 8 der Abgabenordnung) in Deutschland, die Kinder hatten ihren Wohnsitz in Polen und damit in einem Land der Europäischen Union (§ 63 Abs. 1 Satz 3 EStG).

9

2. Ein Anspruch auf Kindergeld in Höhe des nach § 66 EStG vorgesehenen Betrags von 154 € wird allerdings durch § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG ausgeschlossen. Hiernach wird kein Kindergeld für ein Kind gezahlt, für das im Ausland Leistungen gezahlt werden oder bei Antragstellung zu zahlen wären, die dem Kindergeld vergleichbar sind. Die Vorschrift ist mit Verfassungsrecht vereinbar (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 8. Juni 2004 2 BvL 5/00, BVerfGE 110, 412).

10

Nach den Feststellungen des FG bestand in Polen ein Anspruch auf polnische Familienleistungen, die dem deutschen Kindergeld vergleichbar sind. Zutreffend hat das FG entschieden, dass es nicht darauf ankommt, ob die Leistungen tatsächlich beantragt wurden.

11

3. Ein Anspruch auf Kindergeld nach deutschem Recht in voller Höhe ergibt sich auch nicht aus unionsrechtlichen Vorgaben.

12

a) Die Ansprüche auf Kindergeld nach deutschem Recht und auf Familienleistungen nach polnischem Recht sind nicht nach unionsrechtlichen Vorschriften zu koordinieren. Die VO Nr. 1408/71, die im streitigen Zeitraum noch galt, ist im Streitfall nicht anzuwenden, da der persönliche Anwendungsbereich der Verordnung nicht eröffnet ist.

13

aa) Nach Art. 2 Abs. 1 der VO Nr. 1408/71 gilt die Verordnung insbesondere für Arbeitnehmer und Selbständige, für welche die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten, soweit sie Staatsangehörige eines Mitgliedstaats sind, sowie für deren Familienangehörige und Hinterbliebene. Eine Person ist Arbeitnehmer oder Selbständiger i.S. von Art. 1 Buchst. a der VO Nr. 1408/71, wenn sie auch nur gegen ein einziges Risiko im Rahmen eines der in Art. 1 Buchst. a dieser Verordnung genannten allgemeinen oder besonderen Systeme der sozialen Sicherheit pflichtversichert oder freiwillig versichert ist (vgl. z.B. Senatsurteile vom 4. August 2011 III R 55/08, BFHE 234, 316, BStBl II 2013, 619, sowie vom 19. April 2012 III R 87/09, BFHE 237, 150, BStBl II 2013, 1030).

14

bb) Im Streitfall war die Klägerin nach den nicht mit Revisionsrügen angegriffenen Feststellungen des FG, an welche der Senat gemäß § 118 Abs. 2 FGO gebunden ist, weder in Deutschland noch in Polen in einem Zweig der Sozialversicherung versichert. Der persönliche Anwendungsbereich der VO Nr. 1408/71 ist für die Klägerin somit nicht eröffnet. Die Koordinierungsregelungen nach Art. 13 ff. dieser Verordnung sind nicht anwendbar, ebenso wenig die Antikumulierungsvorschrift des Art. 10 der Verordnung (EWG) Nr. 574/72 des Rates vom 21. März 1972 über die Durchführung der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern.

15

b) Aus dem Primärrecht der Europäischen Union ist kein Anspruch auf Kindergeld in Höhe der Sätze nach § 66 EStG abzuleiten.

16

aa) Der EuGH hat zwar in der Rechtssache Hudzinski und Wawrzyniak im Urteil in DStRE 2012, 999 entschieden, dass es mit der Grundfreiheit der Arbeitnehmerfreizügigkeit nicht zu vereinbaren ist, wenn in den Fällen, in denen nach den Koordinierungsregelungen der VO Nr. 1408/71 ein ausländischer Mitgliedstaat zur Gewährung von Familienleistungen zuständig ist, der Anspruch auf (Differenz-)Kindergeld durch eine nationale Antikumulierungsvorschrift wie § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG ausgeschlossen wird.

17

bb) Die in dieser Entscheidung aufgestellten Grundsätze gelten allerdings nicht für eine selbständig tätige Person, die nicht vom Anwendungsbereich der VO Nr. 1408/71 erfasst wird. Der vom EuGH im Urteil in DStRE 2012, 999 erwähnte erste Erwägungsgrund zu der Verordnung, wonach diese zur Verbesserung des Lebensstandards und der Arbeitsbedingungen der Wanderarbeitnehmer beitragen soll, kommt bei einer Person, die nicht unter den Anwendungsbereich der Verordnung fällt, nicht zum Tragen. Der Anwendung des § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG steht in einem derartigen Fall das Unionsrecht nicht entgegen (noch offen gelassen im Senatsurteil vom 18. Dezember 2013 III R 52/11, BFH/NV 2014, 851, Rz 36). Denn das Gemeinschaftsrecht lässt die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten zur Ausgestaltung ihrer Systeme der sozialen Sicherheit unberührt. Es ist Sache des jeweiligen Mitgliedstaats, die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen der sozialen Sicherheit sowie ihre Höhe und die Dauer ihrer Gewährung zu bestimmen (Urteil des EuGH in der Rechtssache Xhymshiti vom 18. November 2010 C-247/09, Slg. 2010, I-11845, Rdnr. 43).

Normen:

EStG:32/3  EStG:62/1/1  EStG:63/1/1/1  EStG:65/1/1/2  EStG:66  EWGVO-1408/71:1/a  EWGVO-1408/71:2/1  EWGVO-1408/71:13  EWGVO-574/72:10

 

Vorlage der Originalrechnung als Voraussetzung des Antrages auf Vorsteuervergütung nach § 18 Abs. 9 UStG

BFH, Urteil V R 39/13 vom 19.11.2014

 

Leitsatz:

  1. Die Antragsfrist des § 18 Abs. 9 UStG ist eine Ausschlussfrist, die nur durch einen vollständigen, dem amtlichen Muster in allen Einzelheiten entsprechenden Antrag gewahrt wird, wobei dem Antrag die Rechnungen und Einfuhrbelege im Original beizufügen sind.

  2. Das Verlangen nach Vorlage der Originalrechnung mit dem Vergütungsantrag kann unverhältnismäßig sein, wenn das Unvermögen des Antragstellers zur fristgerechten Vorlage der Originalrechnung vom Antragsteller nicht zu vertreten ist.

Tatbestand:

I.

1

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist ein Unternehmen mit Sitz in der Schweiz. Gegenstand des Unternehmens ist die Erbringung von Dienstleistungen im Bereich Sport-Marketing.

2

Die Klägerin beantragte am 23. November 2006 die Vergütung von Vorsteuerträgen in Höhe von 2.818.573,51 € im Rahmen des besonderen Vorsteuervergütungsverfahrens nach § 18 Abs. 9 des Umsatzsteuergesetzes in der im Streitjahr (2006) geltenden Fassung (UStG) i.V.m. §§ 59 bis 61 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung (UStDV) für den Vergütungszeitraum Juli bis September 2006. Am 29. Juni 2007 reichte die Klägerin für diesen Zeitraum einen weiteren Antrag auf Vorsteuervergütung in Höhe von 271.641,60 € ein. Mit den Anträgen wurde u.a. eine Rechnungsfotokopie des B vom 13. September 2006 (Vorsteuern in Höhe von 254.096 €) eingereicht. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Bundeszentralamt für Steuern –BZSt–) fasste die beiden Anträge zu einem Antrag zusammen.

3

Mit Bescheid vom 23. November 2007 versagte das BZSt die Vorsteuervergütung u.a. aus der Rechnung des B vom 13. September 2006 mangels Vorlage der Originalrechnung.

4

Mit ihrer Klageschrift vom 15. Dezember 2008 erhob die Klägerin Klage und reichte die Originalrechnung des B nach. Im Klageverfahren trug der Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit Schriftsatz vom 17. Juli 2009 vor, die Originalrechnung sei nie abhanden gekommen. Alle Buchhaltungsunterlagen der Klägerin seien im April 2007 an das Treuhandbüro der Klägerin versandt worden. Bis zum Ablauf der Antragsfrist am 30. Juni 2007 sei die Originalrechnung nicht auffindbar gewesen, weil die Buchhaltungsunterlagen in mehreren Kartons abgelegt gewesen seien. Erst im Dezember 2008 habe eine Mitarbeiterin die Rechnung zufällig in einem Ordner gefunden.

5

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage wegen der Versagung der Vorsteuervergütung aus der Rechnung des B ab. Zur Begründung seines in Entscheidungen der Finanzgerichte 2013, 1892 veröffentlichten Urteils führte das FG im Wesentlichen aus, da die Klägerin innerhalb der bis 30. Juni 2007 laufenden Frist des § 18 Abs. 9 UStG nicht die Originalrechnung vorgelegt habe, sei ihr die beantragte Vorsteuervergütung zu versagen. Zwar sei § 18 Abs. 9 Satz 4 UStG für den Fall des Verlustes der Originalrechnung dahingehend einschränkend auszulegen, dass für den Fall des vom Unternehmer nicht zu vertretenden Verlustes der Originalrechnung die Vorlage einer Zweitschrift der Rechnung oder einer Bestätigung des Rechnungsausstellers zu der Rechnungskopie innerhalb der Antragsfrist ausreiche. Die Vorlage einer einfachen Kopie, wie sie von der Klägerin vorgelegt worden sei, reiche aber nicht aus.

6

Hiergegen richtet sich die Revision der Klägerin, mit der sie Verletzung materiellen Rechts und Verfahrensfehler geltend macht. Aus § 18 Abs. 9 Satz 4 UStG ergebe sich lediglich, dass die Vorsteuerbeträge u.a. durch Vorlage der Originalrechnungen nachzuweisen seien, nicht aber, dass dies bereits mit Antragstellung erfolgen müsse. Aus dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) vom 11. Juni 1998 C-361/96 Société générale des grandes sources d’eaux minérales françaises (Slg. 1998, I-3495) folge, dass der Steuerpflichtige auch im Vergütungsverfahren die Möglichkeit habe, den Nachweis durch Vorlage einer Rechnungskopie zu führen. Ihr, der Klägerin, müsse ebenso wie einem inländischen Unternehmer die Möglichkeit eröffnet werden, den Nachweis der Berechtigung zum Vorsteuerabzug mit allen zulässigen Beweismitteln zu führen. Hierzu gehöre auch eine Rechnungskopie. Die Versagung dieser Möglichkeit führe zu einem Verstoß sowohl gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als auch gegen den Neutralitätsgrundsatz. Außerdem sei die Originalrechnung, wie es das FG für seine Forderung nach Vorlage einer Zweitschrift zugrunde lege, nicht abhanden gekommen. Die Originalrechnung sei nur zeitweise nicht auffindbar gewesen. Die Versagung des Vorsteuerabzugs sei im Übrigen vorliegend auch nicht zur Verhinderung einer Steuerhinterziehung erforderlich.

7

Das FG habe mit seinem Urteil auch gegen Verfahrensrecht verstoßen, weil es den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt habe, indem es seine Rechtsauffassung, wonach zum Nachweis der Berechtigung zum Vorsteuerabzug die Vorlage einer Zweitschrift der Rechnung zwingend erforderlich sei, den Beteiligten erst kurz vor Ende der mündlichen Verhandlung mitgeteilt habe. Hierin liege eine unzulässige Überraschungsentscheidung.

8

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des FG insoweit aufzuheben, als die Vergütung von Vorsteuerbeträgen in Höhe von 254.096 € abgelehnt worden ist und den Bescheid über die Vergütung von Vorsteuerbeträgen für den Zeitraum Juli bis September 2006 vom 23. November 2006 sowie die Einspruchsentscheidung vom 13. November 2008 dahingehend zu ändern, dass eine weitere Vergütung von Vorsteuern in Höhe von 254.096 € festgesetzt wird.

9

Das BZSt beantragt,

die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

10

Es macht sich im Wesentlichen die Ausführungen in den Gründen des FG-Urteils zu eigen.

Gründe:

II.

11

Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Sie ist daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung –FGO–). Zu Recht hat das FG entschieden, dass die Klägerin keinen zur Vorsteuervergütung berechtigenden Antrag nach § 18 Abs. 9 UStG gestellt hat, weil sie mit dem Antrag nicht das Original der Rechnung, aus der sie den Vorsteuerabzug geltend macht, sondern nur eine Kopie vorgelegt hat; die spätere Vorlage der Originalrechnung im Klageverfahren heilt dieses Versäumnis nicht.

12

1. Nach § 18 Abs. 9 Satz 1 UStG kann zur Vereinfachung des Besteuerungsverfahrens das Bundesministerium der Finanzen mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung die Vergütung der Vorsteuerbeträge (§ 15 UStG) an im Ausland ansässige Unternehmer, abweichend von § 16 UStG und von § 18 Abs. 1 bis 4 UStG, in einem besonderen Verfahren regeln. Der Vergütungsantrag ist gemäß § 18 Abs. 9 Satz 3 UStG binnen sechs Monaten nach Ablauf des Kalenderjahres zu stellen, in dem der Vergütungsanspruch entstanden ist. Der Unternehmer hat die Vergütung selbst zu berechnen und die Vorsteuerbeträge durch Vorlage von Rechnungen und Einfuhrbelegen im Original nachzuweisen (§ 18 Abs. 9 Satz 4 UStG).

13

a) Bei der Antragsfrist des § 18 Abs. 9 UStG handelt es sich um eine Ausschlussfrist (EuGH-Urteil vom 21. Juni 2012 C-294/11, Elsacom, BStBl II 2012, 942; Urteil des Bundesfinanzhofs –BFH– vom 8. August 2013 V R 3/11, BFHE 242, 535, BStBl II 2014, 46). Sie wird nur durch einen vollständigen, dem amtlichen Muster in allen Einzelheiten entsprechenden Antrag gewahrt (BFH-Beschluss vom 9. Januar 2014 XI B 11/13, BFH/NV 2014, 915). Aus der gesetzessystematischen Stellung des § 18 Abs. 9 Satz 4 UStG zwischen § 18 Abs. 9 Sätze 3 und 5 UStG, in denen ausdrücklich der Vergütungsantrag genannt ist, ergibt sich, dass bereits mit dem Vergütungsantrag die Rechnungen und Einfuhrbelege im Original beizufügen sind (BFH-Urteil vom 18. Januar 2007 V R 23/05, BFHE 217, 32, BStBl II 2007, 430, m.w.N.). Hieran hält der Senat fest. Im vorliegenden Fall konnte weder der fristgerechte Antrag unter Beifügung nur einer Kopie der Originalrechnung noch die Vorlage der Originalrechnung mit Klageerhebung nach Ablauf der Frist des § 18 Abs. 9 UStG einen Vergütungsanspruch der Klägerin begründen.

14

b) Die Einwendungen der Revision hiergegen greifen nicht durch. Ob und ggf. in welchem Umfang sich die im Drittlandsgebiet ansässige Klägerin auf für im Gemeinschaftsgebiet ansässige Steuerpflichtige geltende unionsrechtliche Grundsätze berufen kann, ist fraglich. Denn die dem Anwendungsbereich der Dreizehnten Richtlinie 86/560/EWG des Rates vom 17. November 1986 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Verfahren der Erstattung der Mehrwertsteuer an nicht im Gebiet der Gemeinschaft ansässige Steuerpflichtige (Richtlinie 86/560/EWG) unterliegenden Unternehmer in Drittländern können anders behandelt werden als die dem Anwendungsbereich der Achten Richtlinie 79/1072/EWG des Rates vom 6. Dezember 1979 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Verfahren zur Erstattung der Mehrwertsteuer an nicht im Inland ansässige Steuerpflichtige (Richtlinie 79/1072/EWG) unterliegenden Unternehmer im Unionsgebiet. Eine Ungleichbehandlung verstößt insoweit nicht gegen das Verbot der Diskriminierung nach Art. 12 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft –EGV– (Art. 18 Arbeitsweise der Europäischen Union), weil das Diskriminierungsverbot keine Anwendung im Falle einer Ungleichbehandlung zwischen Angehörigen der Mitgliedstaaten und Drittstaatsangehörigen findet (EuGH-Urteil vom 4. Juni 2009 C-22/08 und C-23/08, Vatsouras Koupatantze, Slg. 2009, I-4585, Rz 52; BFH-Urteil in BFHE 242, 535, BStBl II 2014, 46).

15

c) Der Senat braucht diese Frage aber nicht zu beantworten, weil sich im vorliegenden Sachverhalt auch für einen im Gemeinschaftsgebiet ansässigen Steuerpflichtigen kein Vergütungsanspruch ergeben würde.

16

aa) Aus dem EuGH-Urteil Société générale des grandes sources d’eaux minérales françaises in Slg. 1998, I-3495 folgt, dass ein nicht im Inland ansässiger Steuerpflichtiger einem Erstattungsantrag grundsätzlich die Originalrechnungen und Originaleinfuhrdokumente beizufügen hat, aus denen sich die Umsatzsteuerbeträge ergeben, deren Erstattung beantragt wird (EuGH-Urteil Société générale des grandes sources d’eaux minérales françaises in Slg. 1998, I-3495 Rz 26). Dabei muss aber das abgeleitete Recht die allgemeinen Rechtsgrundsätze und vor allem den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachten (EuGH-Urteile Société générale des grandes sources d’eaux minérales françaises in Slg. 1998, I-3495, Rz 30; vom 5. Juli 1977 Rs. C-114/76, Bela-Mühle, Slg. 1977, 1211, Rz 5 bis 7). Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit dürfen Maßnahmen nicht über das zur Erreichung ihres Zieles Erforderliche hinausgehen (vgl. z.B. EuGH-Urteil vom 18. Dezember 1997 C-286/94, Molenheide u.a., Slg. 1997, I-7281, Rz 48; BFH-Urteil vom 22. Juli 2010 V R 36/08, BFH/NV 2011, 316). Das Erfordernis der Vorlage der Originalrechnung ist unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit grundsätzlich berechtigt, weil es das einzige Mittel darstellt, um eine Mehrfachvergütung der Umsatzsteuer mit Sicherheit auszuschließen und die Anerkennung von Zweitschriften oder Kopien das Risiko von Mehrfachvergütungen birgt.

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(1) Allerdings folgt aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, dass der für im Gemeinschaftsgebiet ansässige Steuerpflichtige geltende Art. 3 Buchst. a der Richtlinie 79/1072/EWG dahin auszulegen ist, dass es einem Mitgliedstaat nicht verwehrt ist, in seinem innerstaatlichen Recht die Möglichkeit vorzusehen, dass ein nicht im Inland ansässiger Steuerpflichtiger bei von ihm nicht zu vertretendem Abhandenkommen einer Rechnung oder eines Einfuhrdokuments den Nachweis seines Erstattungsanspruchs durch Vorlage einer Zweitschrift der Rechnung oder des fraglichen Einfuhrdokuments führt, wenn der dem Erstattungsantrag zugrunde liegende Vorgang stattgefunden hat und keine Gefahr besteht, dass weitere Erstattungsanträge gestellt werden (EuGH-Urteil Societe generale des grandes sources d`eaux minerales françaises in Slg. 1998, I-3495, Rz 29 und 31).

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(2) Des Weiteren folgt aus dem Diskriminierungsverbot des Art. 6 EGV, dass ein Mitgliedstaat der EU, der –wie die Bundesrepublik Deutschland– den in seinem Staatsgebiet ansässigen Steuerpflichtigen die Möglichkeit einräumt, bei von ihnen nicht zu vertretendem Abhandenkommen der Originalrechnung den Nachweis ihres Anspruchs auf Erstattung der Umsatzsteuer durch Vorlage einer Zweitschrift oder einer Ablichtung der Rechnung zu führen, diese Möglichkeit auch nicht in diesem Mitgliedstaat ansässigen Steuerpflichtigen einräumen muss, wenn der dem Erstattungsantrag zugrunde liegende Vorgang zweifelsfrei stattgefunden hat, das Abhandenkommen der Rechnung oder des Einfuhrdokuments vom Steuerpflichtigen nicht zu vertreten ist und in Anbetracht der Umstände feststeht, dass die Gefahr weiterer Erstattungsanträge nicht gegeben ist (EuGH-Urteil Societe generale des grandes sourced d’eaux minerales francaises in Slg. 1998, I-3495, Rz 36).

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bb) Es liegt weder ein Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz noch gegen das Diskriminierungsverbot vor.

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(1) Ein Verzicht auf die Vorlage der Originalrechnung kommt sowohl unter dem Gesichtspunkt des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes als auch unter dem des Diskriminierungsverbotes nur in Betracht, wenn das Abhandenkommen der Rechnung oder des Einfuhrdokuments vom Steuerpflichtigen nicht zu vertreten ist (EuGH-Urteil Société générale des grandes sources d’eaux minérales françaises in Slg. 1998, I-3495, Rz 29 und 36). Das Unvermögen der Klägerin, die Originalrechnung innerhalb der Frist des § 18 Abs. 9 UStG vorzulegen, beruht aber auf einem von ihr zu vertretenden Organisationsverschulden. Die Klägerin hat es versäumt, ihre Belegverwaltung so zu organisieren, dass ihr ein jederzeitiger Zugriff auf Eingangsrechnungen möglich war. Dass der Verbleib der Rechnung des B vom 13. September 2006 im Zuge eines Umzuges zwischenzeitlich über einen längeren Zeitraum unklar war, liegt im Verantwortungsbereich der Klägerin.

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(2) Bei der Versäumung von Ausschlussfristen wird dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz im deutschen Recht darüber hinaus durch die verfahrensrechtlichen Regelungen in §§ 109, 110 der Abgabenordnung (AO) Rechnung getragen. Gemäß § 109 Abs. 1 AO können Fristen zur Einreichung von Steuererklärungen und Fristen, die von einer Finanzbehörde gesetzt sind, verlängert werden und nach § 110 Abs. 1 AO ist jemandem, der ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten, unter bestimmten weiteren Voraussetzungen auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

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Die Möglichkeiten, die das Verfahrensrecht durch §§ 109, 110 AO eröffnet, reichen aus, um dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in außergewöhnlichen Fällen der Fristversäumnis zu entsprechen. Die Klägerin hat von diesen Möglichkeiten aber keinen Gebrauch gemacht. Insbesondere hat sie innerhalb der Fristen von § 110 Abs. 2 und 3 AO keinen Antrag auf Fristverlängerung gestellt. Im Übrigen ist sie aus den unter II.1.c bb genannten Gründen auch nicht ohne Verschulden verhindert gewesen, die Frist des § 18 Abs. 9 UStG einzuhalten.

23

d) Es liegt auch kein Verstoß gegen sonstige unionsrechtliche Grundsätze, den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz nach Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG), gegen Art. 2 Abs. 2 des General Agreement on Trade in Services (GATS; BGBl II 1994, 1643), gegen Art. 25 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern von Einkommen und Vermögen vom 19. Januar 1973 (BGBl II 1973, 74) oder gegen Art. 11 Abs. 1 des Abkommens zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Bundesrepublik Deutschland zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Nachlass- und Erbschaftsteuern (BGBl II 1980, 1341, BStBl I 1980, 786) vor. Der Senat verweist insoweit auf seine Urteile in BFHE 242, 535, BStBl II 2014, 46, sowie in BFHE 217, 32, BStBl II 2007, 430.

24

2. Die von der Klägerin geltend gemachte Verletzung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, § 96 Abs. 2 FGO) durch Erlass einer Überraschungsentscheidung liegt nicht vor. Eine Überraschungsentscheidung kann gegeben sein, wenn das FG sein Urteil auf einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt stützt und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielzahl vertretbarer Rechtsauffassungen nach dem bisherigen Verlauf der Verhandlung nicht rechnen musste (z.B. BFH-Beschluss vom 13. Juli 2012 IX B 3/12, BFH/NV 2012, 1635). Einer umfassenden Erörterung der für die Entscheidung maßgeblichen Gesichtspunkte bedarf es dabei aber nicht (BFH-Beschluss vom 25. Mai 2000 VI B 100/00, BFH/NV 2000, 1235). Dadurch, dass das FG seine Rechtsansicht hinsichtlich der Notwendigkeit einer Rechnungszweitschrift erst kurz vor Ende der mündlichen Verhandlung hat erkennen lassen, liegt schon deshalb keine Überraschungsentscheidung vor, weil es keine allgemeine Hinweispflicht in dem Sinne gibt, dass das Gericht seine mögliche Beurteilung andeuten müsste (BFH-Beschlüsse vom 5. Februar 2014 III B 108/13, BFH/NV 2014, 706; vom 17. Oktober 2012 III B 68/12, BFH/NV 2013, 362). Im Übrigen haben gerade die Anforderungen an einen zum Vorsteuervergütungsanspruch führenden Antrag im Mittelpunkt des Rechtsstreits vor dem FG gestanden. Darin, dass das FG ohne vorherige Ankündigung nicht der Rechtsansicht der Klägerin gefolgt ist, ist keine Überraschungsentscheidung zu sehen.

Normen:

GG:3/1  GG:103/1  UStG:15  UStG:16  UStG:18/1  UStG:18/2  UStG:18/3  UStG:18/4  UStG:18/9  AO:109  AO:110  FGO:96/2  EGV:6  EGV:12  EWGRichtl-79/1072:3

Kraftfahrzeugsteuerbefreiung von Zugmaschinen der Land- und Forstwirtschaft

Einordnung eines Fahrzeugs als Zugmaschine

BFH, Urteil II R 38/13 vom 15.10.2014

Leitsatz:

  1. Ob ein Fahrzeug für Zwecke der Kraftfahrzeugsteuer als land- und forstwirtschaftliche Zugmaschine einzuordnen ist, ist anhand aller objektiven Merkmale des Fahrzeugs festzustellen.

  2. Wesentliches Merkmal einer land- und forstwirtschaftlichen Zugmaschine ist –neben ihrer Eignung und Bestimmung zur Fortbewegung von Lasten durch Ziehen von Anhängern– ihre Eignung und Bestimmung zum Ziehen, Schieben, Tragen und Antrieb von auswechselbaren Geräten für land- oder forstwirtschaftliche Arbeiten.

Tatbestand:

I.

1

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) unterhält einen landwirtschaftlichen Betrieb. Sie ist Halterin eines Fahrzeugs „DB Unimog 427/10“, das als Zugmaschine zugelassen ist. Es verfügt über eine Masse von 4 500 kg sowie über ein zulässiges Gesamtgewicht von 7 500 kg. Das Fahrzeug weist neben der Fahrerkabine mit drei Sitzplätzen eine Ladefläche von 1,95 m x 1,90 m auf.

2

Mit Bescheid vom 28. Dezember 2010 setzte das seinerzeit zuständige Finanzamt die Kraftfahrzeugsteuer für die Zeit vom 4. November 2010 bis zum 3. November 2011 auf 500 € fest und versagte zugleich die Steuerbefreiung nach § 3 Nr. 7 des Kraftfahrzeugsteuergesetzes (KraftStG). Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) mit der Begründung ab, bei einem Unimog handele es sich schon aufgrund der Namensbezeichnung und nach der Beschreibung im Internet um ein vielseitig verwendbares Fahrzeug, das nicht nur zum Ziehen von Lasten geeignet und bestimmt sei. Dafür sprächen auch die Zahl der zugelassenen Sitzplätze und die Ladefläche mit einer Zulademöglichkeit von 3 000 kg. Die unstreitig bestehende Möglichkeit zur Fortbewegung von Lasten durch Ziehen von Anhängern stehe nicht dermaßen im Vordergrund, dass der Transport von Lasten dahinter völlig zurücktrete. Die Entscheidung ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2014, 225 veröffentlicht.

3

Mit der Revision rügt die Klägerin eine Verletzung ihres Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs. Das FG habe ihren Antrag auf Verlegung des Termins zur mündlichen Verhandlung zu Unrecht abgelehnt.

4

Die Vorentscheidung verletze auch § 3 Nr. 7 KraftStG. Bereits mit Urteil vom 27. April 1962 II 173/61 U (BFHE 75, 32, BStBl III 1962, 281) habe der Bundesfinanzhof (BFH) entschieden, dass ein Unimog eine begünstigte Zugmaschine sei, wenn das Fahrzeug ausschließlich in land- und forstwirtschaftlichen Betrieben eingesetzt werde. Dies sei bei dem streitgegenständlichen Fahrzeug der Fall. Im Übrigen müsse nach der Rechtsprechung des BFH die Beurteilung eines Fahrzeugs für Zwecke der Kraftfahrzeugsteuer unter Berücksichtigung aller Merkmale erfolgen. Das Urteil des FG beziehe sich jedoch im Wesentlichen nur auf einen Auszug aus dem Internet.

5

Während des Revisionsverfahrens ist der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Hauptzollamt –HZA–) für die Kraftfahrzeugsteuer zuständig geworden.

6

Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben, den Kraftfahrzeugsteuerbescheid vom 28. Dezember 2010 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 15. Februar 2011 zu ändern und die Kraftfahrzeugsteuer auf 0 € herabzusetzen.

7

Das HZA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Gründe:

II.

8

Der während des Revisionsverfahrens eingetretene Übergang der Zuständigkeit für die Kraftfahrzeugsteuer auf das HZA führt ohne Verfahrensunterbrechung zu einem gesetzlichen Beteiligtenwechsel (vgl. BFH-Urteil vom 16. Juli 2014 II R 39/12, BFH/NV 2014, 1863, Rz 7).

III.

9

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung). Das FG ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass allein die Eignung zum Transportieren von Lasten und Personen ausreicht, um das Fahrzeug nicht als Zugmaschine einzuordnen.

10

1. Gemäß § 3 Nr. 7 Satz 1 Buchst. a KraftStG ist u.a. das Halten von Zugmaschinen von der Steuer befreit, solange diese Fahrzeuge ausschließlich in land- oder forstwirtschaftlichen Betrieben verwendet werden.

11

Nach der bisherigen Rechtsprechung des BFH ist eine Zugmaschine i.S. des § 3 Nr. 7 KraftStG ein Fahrzeug, dessen wirtschaftlicher Wert im Wesentlichen in der Zugleistung liegt und das nach seiner Bauart und Ausstattung ausschließlich oder überwiegend zur Fortbewegung von Lasten durch Ziehen von Anhängern zu dienen geeignet und bestimmt ist (BFH-Urteile vom 3. April 2001 VII R 7/00, BFHE 194, 477, BStBl II 2001, 451, und vom 16. Februar 2011 II R 1/10, BFH/NV 2011, 1021, jeweils m.w.N.).

12

An dieser Begriffsbestimmung hält der Senat fest. Der Begriff muss jedoch für eine Zugmaschine, die nach ihrer Funktion zum Einsatz in einem land- und forstwirtschaftlichen Betrieb geeignet und bestimmt ist (sog. land- und forstwirtschaftliche Zugmaschine), angepasst werden. Wesentliches Merkmal einer land- und forstwirtschaftlichen Zugmaschine ist –neben ihrer Eignung und Bestimmung zur Fortbewegung von Lasten durch Ziehen von Anhängern– ihre Eignung und Bestimmung zum Ziehen, Schieben, Tragen und Antrieb von auswechselbaren Geräten für land- oder forstwirtschaftliche Arbeiten (vgl. § 2 Nr. 16 der Fahrzeug-Zulassungsverordnung vom 25. April 2006, BGBl I 2006, 988). Ist eine Zugmaschine zusätzlich für diesen besonderen Zweck geeignet und bestimmt, erfüllt sie die Voraussetzungen einer Zugmaschine i.S. von § 3 Nr. 7 KraftStG, auch wenn sie zum Transport von Lasten im Zusammenhang mit land- oder forstwirtschaftlichen Arbeiten eingerichtet oder mit Beifahrersitzen ausgestattet ist. Der für land- und forstwirtschaftliche Zugmaschinen geltende Begriff ist auch für Entrichtungszeiträume maßgebend, für die die Feststellungen der Zulassungsbehörden hinsichtlich der Fahrzeugklassen noch nicht i.S. von § 2 Abs. 2 Nr. 2 KraftStG i.d.F. des Verkehrsteueränderungsgesetzes vom 5. Dezember 2012 (BGBl I 2012, 2431) verbindlich sind.

13

2. Ob ein Fahrzeug danach für Zwecke der Kraftfahrzeugsteuer als land- und forstwirtschaftliche Zugmaschine einzuordnen ist, ist anhand aller objektiven Merkmale des Fahrzeugs festzustellen. Dabei ist zunächst festzustellen, ob der wirtschaftliche Wert des Fahrzeugs im Wesentlichen in der Zugleistung liegt und es nach seiner Bauart und Ausstattung ausschließlich oder überwiegend zur Fortbewegung von Lasten durch Ziehen von Anhängern zu dienen geeignet und bestimmt ist. Ist das Fahrzeug neben der Eignung zum Ziehen von Lasten auch für die Personenbeförderung oder den Transport von Lasten geeignet und bestimmt, gilt es festzustellen, ob dessen Funktion besonders in dem Betrieb von auswechselbaren land- oder forstwirtschaftlichen Geräten besteht.

14

Im Rahmen der dabei anzustellenden Gesamtwürdigung aller Fahrzeugmerkmale ist neben dem Verhältnis zwischen Eigengewicht, Zuladung und zulässiger Anhänge-/Zuglast auch von Bedeutung, ob das Fahrzeug über eine bloße Anhängevorrichtung hinaus über weitere, ausschließlich dem Ziehen von großen Lasten oder zum Anschluss und Betrieb von land- oder forstwirtschaftlichen Geräten dienende Vorrichtungen verfügt.

15

3. Im Streitfall ist das FG entgegen der vorstehenden Grundsätze davon ausgegangen, dass allein die Eignung zum Transportieren von Lasten ausreicht, um das Fahrzeug nicht als Zugmaschine einzuordnen. Dies führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.

16

Die Sache ist nicht spruchreif. Das FG hat keine Feststellungen zu der zulässigen Zuglast und zu den weiteren Zugvorrichtungen getroffen. Diese wird es in einer weiteren Verhandlung festzustellen und zu bewerten haben. Nach den Angaben der Klägerin verfügt das Fahrzeug über einen Zapfwellenanschluss sowie einen Heckkraftheber und erfüllt nach Angaben des Herstellers bauartbedingt alle technischen Voraussetzungen, die eine kraftverkehrsrechtliche Einordnung als Zugmaschine-Ackerschlepper ermöglichen. Wenngleich die kraftverkehrsrechtliche Einordnung –wie das FG zutreffend ausführt– im streitigen Entrichtungszeitraum für Zwecke der Kraftfahrzeugsteuer noch nicht bindend war, sind jedoch die objektiven, technischen Gegebenheiten, die zu einer solchen Einordnung führen, im Rahmen der Gesamtabwägung auch für Zwecke der Kraftfahrzeugsteuer zu berücksichtigen.

17

Sollte das FG im Rahmen einer erneuten Gesamtwürdigung aller Merkmale das Fahrzeug als Zugmaschine einordnen, ist in einem weiteren Schritt festzustellen, ob das Fahrzeug auch ausschließlich in einem land- und forstwirtschaftlichen Betrieb verwendet wird. Nach Angaben der Klägerin war dies bislang unstreitig. Feststellungen dazu hat das FG nicht getroffen, weil es darauf nach dessen bisheriger Rechtsansicht nicht ankam.

18

4. Über den von der Klägerin gerügten Verfahrensverstoß braucht nicht entschieden zu werden.

Normen:

KraftStG:3/7/1/a  KraftStG:3/7/1/b  KraftStG:3/7/2

 

Durch Wechsel im Gesellschafterbestand ausgelöste Grunderwerbsteuern sind keine Anschaffungskosten

Besteuerungsgegenstand des § 1 Abs. 2a GrEStG

BFH, Urteil IX R 50/13 vom 02.09.2014

Leitsatz

Die infolge eines Wechsels im Gesellschafterbestand ausgelösten Grunderwerbsteuern stellen keine Anschaffungs(neben)kosten der erworbenen Kommanditanteile oder des vorhandenen Grundbesitzes der Objektgesellschaft dar.

Tatbestand:

I.

1

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), eine GmbH & Co. KG, deren Zweck die Vermietung und Verpachtung eigenen Grundbesitzes ist, ist Eigentümerin eines Bürogebäudes in X, das sie nach dessen Fertigstellung im Streitjahr 2002 vermietete. Gesellschafter der Klägerin waren als Komplementärin ohne Beteiligung am Vermögen und am Ergebnis die Z-GmbH und als Kommanditisten die E-S.a.r.l., eine Körperschaft, sowie die B-GmbH.

2

Die S-GmbH & Co. KG (S-KG), deren Unternehmensgegenstand den Erwerb, die Verwaltung und die Vermietung des Bürogebäudes in X umfasst, ist eine Fondsgesellschaft, bei der eine GmbH als persönlich haftende Gesellschafterin und drei Kommanditisten, die natürliche Personen sind, zur Geschäftsführung befugt sind. Zur Verwirklichung des Unternehmensgegenstands erwarb die S-KG mit Kauf- und Abtretungsvertrag sowie Vereinbarung über das Ausscheiden und den Eintritt von Gesellschaftern vom 27. Juli 2001 (Kaufvertrag) mit wirtschaftlicher Wirkung zum 28. Februar 2002 sämtliche Kommanditanteile von den Kommanditisten der Klägerin; die Kommanditanteile wurden mit Wirkung zum 28. Februar 2002 an die S-KG abgetreten. Sie hält infolge des Erwerbs 99,98 % der Kommanditanteile der Klägerin.

3

Der Klägerin traten mit Wirkung zum 28. Februar 2002 drei weitere natürliche Personen als zur Geschäftsführung befugte Kommanditisten sowie die S-GmbH als Komplementärin bei; die Z-GmbH schied aus der Gesellschaft aus. Die S-GmbH, die im Streitjahr eine Haftungsvergütung in Höhe von 2.081 € erhielt, ist weder am Vermögen noch am Ergebnis der Klägerin beteiligt.

4

Das Finanzamt X setzte wegen des Gesellschafterwechsels mit Bescheid vom 19. Dezember 2002 gegenüber der Klägerin Grunderwerbsteuer in Höhe von 1.634.640 € fest. Nach § 8 Ziff. 1 des Kaufvertrags, zu dessen Vertragsparteien neben der S-KG und den bisherigen Kommanditisten der Klägerin u.a. auch die Klägerin zählte, sollten Steuererstattungen und Steuernachzahlungen für Sachverhalte vor dem Stichtag 28. Februar 2002 zu Lasten der bisherigen Kommanditisten gehen, wobei dies –mit Ausnahme der Grunderwerbsteuer– auch für etwa im Zusammenhang mit dem Verkauf und der Abtretung der Kommanditanteile anfallende Steuern gelten sollte, die zu Lasten der Klägerin erhoben werden. Die Grunderwerbsteuer sollte den Kaufpreis nicht mindern. Sie wurden von der Klägerin am 30. Dezember 2002 entrichtet und an die S-KG weiterbelastet, wo sie als Aufwand erfasst wurde.

5

Die S-KG berücksichtigte in ihrer Erklärung zur gesonderten und einheitlichen Feststellung von Grundlagen für die Einkommensbesteuerung für das Streitjahr die Grunderwerbsteuer in voller Höhe als Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung. Nach Durchführung einer Außenprüfung erkannte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt –FA–) die Grunderwerbsteuer im geänderten Feststellungsbescheid vom 20. Juni 2008 nicht in voller Höhe als Werbungskosten an, sondern beurteilte sie als Anschaffungs(neben)kosten und ließ lediglich einen Betrag im Rahmen der Absetzungen für Abnutzung (AfA) zum Abzug zu. Das nach erfolglosem Einspruchsverfahren von der S-KG beim Finanzgericht (FG) München erhobene Klageverfahren (Az. 5 K 1701/09) wurde mit Beschluss vom 28. März 2012 bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Grundlagen für die Einkommensbesteuerung für 2002 der Klägerin ausgesetzt. Die hiergegen beim Bundesfinanzhof (BFH) erhobene Beschwerde wurde mit Senatsbeschluss vom 19. September 2012 zurückgewiesen (IX B 65/12, BFH/NV 2013, 15).

6

Das FA änderte aufgrund eines Antrags der Klägerin den Bescheid für 2002 über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen und des verrechenbaren Verlustes nach § 15a Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) vom 2. März 2009 mit Bescheid vom 14. Juni 2012 gemäß § 174 der Abgabenordnung, berücksichtigte jedoch bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung lediglich einen der Höhe nach unstreitigen AfA-Betrag von 36.586 € als weitere (Sonder)Werbungskosten und stellte Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung in Höhe von 767.036 € (davon 2.081 € Haftungsvergütung als Sondereinnahmen der S-GmbH) fest. Dementsprechend verminderte es nach dem zwischen den Beteiligten unstreitigen Gewinnverteilungsschlüssel die der S-KG zuzurechnenden Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung um einen Betrag von 36.586 €. Das FA beurteilte die entrichtete Grunderwerbsteuer als Anschaffungs(neben)kosten und ließ insoweit lediglich einen AfA-Betrag zum Abzug zu. Der Einspruch gegen den Bescheid vom 14. Juni 2012, der am 12. September 2012 nochmals aus nicht streitgegenständlichen Gründen geändert worden ist, blieb erfolglos.

7

Das FG gab der Klage mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2014, 478 veröffentlichten Urteil statt. Die aufgrund der Übertragung von mehr als 95 v.H. der Kommanditanteile an der Klägerin auf die S-KG nach § 1 Abs. 2a des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) in Höhe von 1.634.640 € festgesetzte Grunderwerbsteuer sei nicht den Anschaffungs(neben)kosten zuzuordnen und demgemäß nicht nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 7 Satz 1 i.V.m. § 7 EStG im Rahmen der AfA, sondern –auch wenn die Grunderwerbsteuer im Rechtsverhältnis untereinander von der S-KG getragen werde– als sofort abziehbare Werbungskosten bei den gesondert und einheitlich festzustellenden Einkünften aus Vermietung und Verpachtung auf der Ebene der Klägerin mindernd im Streitjahr zu berücksichtigen.

8

Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts (§ 9 Abs. 1 Satz 1, Satz 3 Nr. 7 und § 7 EStG i.V.m. § 255 des Handelsgesetzbuchs –HGB– i.V.m. § 1 Abs. 2a GrEStG). Die entrichtete Grunderwerbsteuer sei als Anschaffungskosten bei der Klägerin zu aktivieren. Anschaffungskosten seien neben der Entrichtung des Kaufpreises alle sonstigen Aufwendungen des Erwerbers, die in einem unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang mit der Anschaffung stünden, insbesondere zwangsläufig im Gefolge der Anschaffung anfielen. Die Anschaffung eines Anteils an einer vermögensverwaltenden Personengesellschaft stehe ertragsteuerlich der Anschaffung des anteiligen Grundstücks gleich. Bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise finde bei einer vollständigen oder einer wesentlichen Änderung des Gesellschafterbestandes die Übertragung des Grundstücks im Gesellschaftsvermögen von der aus den „Altgesellschaftern“ bestehenden Gesellschaft auf eine aus den „Neugesellschaftern“ bestehende Personengesellschaft statt. Hätte diese neue KG das Grundstück von der bisherigen KG erworben, wäre die Grunderwerbsteuer zu den Anschaffungs(neben)kosten zu zählen gewesen. Werde im Streitfall auf zivilrechtlich anderem Wege wirtschaftlich das gleiche Ergebnis erzielt wie durch einen unmittelbaren Grundstückserwerb, so müssten auch die steuerrechtlichen Folgen die Gleichen sein.

9

Das FA beantragt,

das angefochtene Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

10

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Gründe:

II.

11

Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung). Zutreffend hat das FG die gegen die Klägerin festgesetzte und im Streitjahr entrichtete Grunderwerbsteuer in Höhe von 1.634.640 € als sofort abziehbare Werbungskosten (§ 9 Abs. 1 Satz 1 EStG) bei den gesondert und einheitlich festgestellten Einkünften aus Vermietung und Verpachtung mindernd berücksichtigt. Sie stellt keine Anschaffungs(neben)kosten des Vermietungsobjekts dar, die in Höhe der AfA abzusetzen (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 7 i.V.m. § 7 EStG) wären.

12

1. Welche Aufwendungen zu den Anschaffungskosten zählen, bestimmt sich für die steuerrechtliche Beurteilung und insbesondere auch für Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung nach § 255 Abs. 1 HGB (vgl. BFH-Urteile vom 3. August 2005 I R 36/04, BFHE 211, 112, BStBl II 2006, 369; vom 20. Juli 2010 IX R 4/10, BFHE 230, 392, BStBl II 2011, 35; vom 9. Juli 2013 IX R 43/11, BFHE 242, 51).

13

Nach § 255 Abs. 1 Satz 1 HGB sind Anschaffungskosten alle Aufwendungen, die u.a. geleistet werden, um einen Vermögensgegenstand zu erwerben, ihn also von der fremden in die eigene Verfügungsmacht zu überführen. Dazu gehören nach § 255 Abs. 1 Satz 2 HGB auch die Nebenkosten des Erwerbs, die alle im wirtschaftlichen Zusammenhang mit dem Anschaffungsvorgang verbundenen Kosten umfassen (vgl. BFH-Urteile vom 19. April 1977 VIII R 44/74, BFHE 122, 108, BStBl II 1977, 600; vom 20. April 2011 I R 2/10, BFHE 233, 251, BStBl II 2011, 761). Nicht entscheidend ist, ob diese Nebenkosten bereits vor oder im Zeitpunkt des Erwerbs oder erst im Anschluss hieran als Folgekosten des Erwerbsvorgangs entstehen (vgl. Beschluss des Großen Senats des BFH vom 12. Juni 1978 GrS 1/77, BFHE 125, 516, BStBl II 1978, 620; BFH-Urteile vom 3. Juli 1997 III R 114/95, BFHE 183, 504, BStBl II 1997, 811; in BFHE 242, 51).

14

Allerdings können „Anschaffungs“kosten eines Wirtschaftsguts nur solche Kosten sein, die nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten dessen Beschaffung tatsächlich zuzuordnen sind (BFH-Urteile in BFHE 183, 504, BStBl II 1997, 811; vom 17. Oktober 2001 I R 32/00, BFHE 197, 58, BStBl II 2002, 349; in BFHE 233, 251, BStBl II 2011, 761). Hierzu ist ein bloßer kausaler oder zeitlicher Zusammenhang mit der Anschaffung nicht ausreichend. Vielmehr kommt es auf die Zweckbestimmung der Aufwendungen an (finaler Begriff der Anschaffungskosten, vgl. BFH-Urteile vom 13. Oktober 1983 IV R 160/78, BFHE 139, 273, BStBl II 1984, 101; in BFHE 233, 251, BStBl II 2011, 761, jeweils m.w.N.).

15

2. Nach diesen Maßstäben hat das FG –entgegen der Auffassung des FA– zu Recht die entrichtete Grunderwerbsteuer in Höhe von 1.634.640 € als sofort abziehbare Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung berücksichtigt.

16

a) Im Streitfall ist die Grunderwerbsteuer nach Maßgabe des § 1 Abs. 2a GrEStG festgesetzt worden. Gehört zum Vermögen einer Personengesellschaft ein inländisches Grundstück und ändert sich innerhalb von fünf Jahren der Gesellschafterbestand unmittelbar oder mittelbar dergestalt, dass mindestens 95 v.H. der Anteile am Gesellschaftsvermögen auf neue Gesellschafter übergehen, gilt dies nach § 1 Abs. 2a Satz 1 GrEStG als ein auf die Übereignung eines Grundstücks auf eine neue Personengesellschaft gerichtetes Rechtsgeschäft. Steuerschuldner ist bei Änderung des Gesellschafterbestandes einer Personengesellschaft die Personengesellschaft (§ 13 Nr. 6 GrEStG).

17

Ob die Grunderwerbsteuer, die bei Änderung des Gesellschafterbestands einer grundstücksbesitzenden Personengesellschaft nach Maßgabe von § 1 Abs. 2a GrEStG entsteht, als Anschaffungsnebenkosten „auf die Beteiligung“ (so Rundverfügung der Oberfinanzdirektion –OFD– Frankfurt am Main vom 2. Mai 2013 S 2171 A-21-St 210, ofix HE EStG/6/57, unter 2.) bzw. „auf die Anteile an den Grundstücken“ (so OFD Niedersachsen vom 19. Januar 2012, aktualisiert am 22. August 2013, S 2171-65-St 221/St 222, juris) anzusehen ist, wird unterschiedlich beurteilt. Die Finanzverwaltung bejaht dies (s. die soeben genannten Verwaltungsanweisungen und OFD Rheinland vom 23. Januar 2012 S 2174 – St 141, Der Betrieb –DB– 2012, 486), während sich die herrschende Meinung in der Literatur für eine Behandlung als sofort abziehbaren Aufwand ausspricht (vgl. Behrens, Deutsches Steuerrecht –DStR– 2008, 338 f.; Lohmann/von Goldacker/Gick, Betriebs-Berater –BB– 2007, 295, 296; Lohmann/von Goldacker/Zeitz, BB 2009, 477, 480; Adolf, GmbH-Rundschau 2011, 834, 836; Henerichs/Stadje, Finanz-Rundschau 2011, 890, 895; Bührer, Steuern und Bilanzen 2011, 825, 827; Gadek/Mörwald, DB 2012, 2010, 2012).

18

b) Bei der nach Maßgabe des § 1 Abs. 2a GrEStG festgesetzten Grunderwerbsteuer handelt es sich –wie der Senat (Beschluss in BFH/NV 2013, 15) bereits entschieden hat– um eine gemeinschaftlich verwirklichte Besteuerungsgrundlage. Die Grunderwerbsteuer führt nicht schon deshalb zu Sonderwerbungskosten der S-KG, weil sie sie nach den gesellschaftsinternen Vereinbarungen –also im Rechtsverhältnis der Gesellschafter untereinander– allein zu tragen hatte. Es handelt sich vielmehr um Aufwand der Klägerin und nicht um einen solchen des Gesellschafters. Allein die Klägerin ist nach § 13 Nr. 6 GrEStG Steuerschuldnerin; sie kann jedoch ihren daraus entstehenden Aufwand auch abweichend vom allgemeinen Gewinnverteilungsschlüssel auf ihre Gesellschafter verteilen (BFH-Beschluss in BFH/NV 2013, 15).

19

c) Gegenstand der Besteuerung nach § 1 Abs. 2a Satz 1 GrEStG ist nicht die geänderte Sachherrschaft (gesamthänderische Mitberechtigung/Beteiligung am Vermögen der Gesamthand) in der Person des einzelnen Neugesellschafters oder auch mehrerer Neugesellschafter, sondern die geänderte Zuordnung der Gesellschaftsgrundstücke auf der Gesellschaftsebene (Gesamthand als eigenständiger Rechtsträger). § 1 Abs. 2a GrEStG enthält die Fiktion eines auf Übereignung des Grundstücks auf eine neue Personengesellschaft gerichteten Rechtsgeschäfts (BFH-Urteil vom 8. November 2000 II R 64/98, BFHE 194, 252, BStBl II 2001, 422; BFH-Beschluss vom 11. September 2002 II B 113/02, BFHE 199, 32, BStBl II 2002, 777). Das Gesetz fingiert folglich mit Hilfe des Ersatztatbestands des Wechsels im Gesellschafterbestand einen zivilrechtlich nicht vorhandenen grundstücksbezogenen Erwerbsvorgang. Die Fiktion des Grundstücksübergangs gilt nur im Rahmen der Grunderwerbsteuer, während zivilrechtlich die Identität der grundbesitzenden Personengesellschaft unberührt bleibt (ebenso Behrens, DStR 2008, 338).

20

d) Auf der Ebene der Klägerin als grundbesitzenden Gesamthand liegt daher ertragsteuerlich keine „Anschaffung“ des Bürogebäudes vor. Der Grundbesitz befindet sich nach dem Wechsel im Gesellschafterbestand unverändert im zivilrechtlichen und wirtschaftlichen Eigentum der Klägerin. Die Verfügungsmacht über den Grundbesitz ist weder rechtlich noch wirtschaftlich Gegenstand der Erwerbsvorgänge in Bezug auf die Kommanditanteile. Der grunderwerbsteuerrechtliche Besteuerungstatbestand des § 1 Abs. 2a GrEStG findet im Ertragsteuerrecht keine Entsprechung (vgl. auch BFH-Urteil in BFHE 233, 251, BStBl II 2011, 761 zu § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG).

21

Das FG hat zutreffend erkannt, dass die Grunderwerbsteuer nicht „für“ die Anschaffung der Kommanditanteile entstanden ist. Es fehlt ertragsteuerlich an einem über die reine Kausalität hinausgehenden inhaltlichen Zusammenhang zwischen der Anschaffung der Kommanditanteile und der Grunderwerbsteuer. Da der Anknüpfungspunkt für die Entstehung der Steuer nicht der Gesellschafterwechsel als solcher, sondern eine spezifisch grunderwerbsteuerrechtliche Fiktion im Hinblick auf ein anderes, nicht vom Anteilserwerber angeschafftes und nicht bei diesem zu erfassendes Wirtschaftsgut ist, handelt es sich dabei um Aufwand, der aus ertragsteuerlicher Sicht nicht spezifisch und final den erworbenen Kommanditanteilen zugeordnet werden kann.

22

Für die Richtigkeit dieses Ergebnisses spricht zudem, dass das fingierte Rechtsgeschäft i.S. des § 1 Abs. 2a GrEStG –neben einem einzelnen Rechtsvorgang– auch aus einer Summe von Teilakten bestehen kann, die zusammen die vollständige oder wesentliche Änderung des Gesellschafterbestandes einer Personengesellschaft ausmachen. Dies kann sich über einen Zeitraum von längstens fünf Jahren hinziehen und in eine unbegrenzte Zahl von Teilakten zerfallen, die zusammen genommen tatbestandserfüllend sind und deren letzter die wesentliche Änderung des Gesellschafterbestandes endgültig herbeiführt (BFH-Urteil in BFHE 194, 252, BStBl II 2001, 422). Rechtsgeschäft i.S. des § 1 Abs. 2a GrEStG ist demnach nicht die letzte, zur Vollständigkeit oder Wesentlichkeit führende Veränderung im Gesellschafterbestand, sondern die Summe aller Rechtsakte, die die vollständige oder wesentliche Änderung des Gesellschafterbestandes bedeuten (BFH-Urteil in BFHE 194, 252, BStBl II 2001, 422). Auch daran wird erkennbar, dass der Aufwand ertragsteuerlich nicht final den erworbenen Kommanditanteilen zugeordnet werden kann.

23

e) Entgegen der Auffassung des FA folgt aus § 23 Abs. 1 Satz 4 EStG, wonach die Anschaffung einer unmittelbaren Beteiligung an einer Personengesellschaft als Anschaffung der anteiligen Wirtschaftsgüter gilt, kein anderes Ergebnis. Denn die im Streitfall gegenständliche Grunderwerbsteuer stellt –wie oben dargestellt– bereits keine „Anschaffungs“(neben)kosten des Grundbesitzes der Klägerin dar. Der dem Streitfall zugrunde liegende Sachverhalt ist überdies aus ertragsteuerlicher Sicht gerade nicht mit dem Fall vergleichbar, dass eine „neue KG“ ein Grundstück von einer „bisherigen KG“ erwirbt. Anders als in der gegebenen Konstellation des § 1 Abs. 2a GrEStG wird in einem solchen Fall auf der Ebene der Gesamthand das Grundstück angeschafft.

Normen:

EStG:9/1/1  EStG:9/1/3/7  EStG:23/1/4  GrEStG:1/2a  GrEStG:13/6  HGB:255/1

Bindungswirkung einer Bescheinigung gemäß § 7h Abs. 2 EStG

BFH, Urteil X R 15/13 vom 22.10.2014

 

Leitsatz:

  1. Die Bindungswirkung des Grundlagenbescheides gemäß § 7h Abs. 2 EStG erstreckt sich auf die in § 7h Abs. 1 EStG benannten Tatbestandsmerkmale. Daher prüft allein die Gemeinde, ob Modernisierungs- und Instandsetzungsmaßnahmen i.S. des § 177 BauGB durchgeführt wurden (Änderung der Senatsrechtsprechung).

  2. Keine Bindungswirkung besteht demgegenüber in Bezug auf die Höhe der begünstigten Herstellungskosten, da bei Maßnahmen i.S. des § 7h EStG nicht gesetzlich vorgeschrieben ist, dass sich aus der Bescheinigung auch die Höhe der begünstigten Aufwendungen für Modernisierungs- und Instandsetzungsmaßnahmen ergeben muss.

  3. Veräußert eine Gemeinde ein Sanierungsobjekt, das noch von ihr instandgesetzt oder modernisiert werden soll, ist der Erwerber nicht von der Förderung gemäß § 7h Abs. 1 Satz 3 EStG ausgeschlossen.

Tatbestand:

I.

1

Die in den Streitjahren zusammen veranlagten Kläger und Revisionskläger (Kläger) erwarben mit notariellem Kaufvertrag vom 25. Juni 2003 von der Stadt M (Stadt) einen Miteigentumsanteil an dem Gebäude O mit dem Sondereigentum an der Wohnung Nr. 3 im 2. Obergeschoss samt Balkonen und im Dachgeschoss sowie am Abstellraum Nr. 3 im Erdgeschoss. Die Stadt verpflichtete sich in Abschn. III des Vertrages, die Anlage auf dem Vertragsgrundbesitz nach den vereinbarten Bauplänen und der vereinbarten Baubeschreibung in angemessener Zeit nach den anerkannten Regeln der Baukunst und den Bauvorschriften technisch einwandfrei zu erstellen. Zum Umfang der Herstellungsverpflichtung wurde klargestellt, dass das Gebäude einer umfassenden Sanierung unter weitgehender Erhaltung der Altbausubstanz unterzogen werde. In dem vereinbarten Kaufpreis von 120.100 € waren sämtliche Aufwendungen für die Sanierung des Kaufobjekts gemäß der Bau- und Sanierungsbeschreibung, alle Baunebenkosten und die Kosten für den Erwerb des Grund und Bodens enthalten, ferner die Anliegerleistungen im weitesten Sinne.

2

Nachdem die Kläger im August 2004 die Eigentumswohnung bezogen hatten, beantragten sie zunächst die Eigenheim- und die Kinderzulage. Im Rahmen dieses Verfahrens wurde vom Bausachverständigen des Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt –FA–) festgestellt, nach dem Gesamtbild der Verhältnisse sei von einem bautechnisch neuen Gebäude auszugehen.

3

In ihren Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre beantragten die Kläger gemäß § 10f Abs. 1 i.V.m. § 7h Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) hinsichtlich der über die Bemessungsgrundlage für die Eigenheimzulage hinausgehenden Baukosten für die zu eigenen Wohnzwecken genutzte Wohnung die Berücksichtigung eines Abzugsbetrages für 2004 in Höhe von 7.775 € sowie für 2005 und 2006 jeweils in Höhe von 8.638 €.

4

Die Stadt bestätigte mit Schreiben vom 26. Oktober 2005,

„dass das Gebäude O in M in einem durch Sanierungssatzung vom xx.yy.1998 förmlich festlegten Sanierungsgebiet belegen ist. Im Zuge der Sanierung wurden 4 Wohnungen hergerichtet, welche als Eigentumswohnungen verkauft wurden. Bauherr der Maßnahme war die Stadt M.

An dem Gebäude sind durchgeführt worden: Maßnahmen, die der Erhaltung, Erneuerung und funktionsgerechten Verwendung eines Gebäudes dienen, das wegen seiner geschichtlichen oder städtebaulichen Bedeutung erhaltenswert ist.

Für die Käufer der Eigentumswohnung 3, <Namen der Kläger>, sind Aufwendungen von 138.359,04 € einschließlich Mehrwertsteuer für den Erwerb und für Bauleistungen in Eigenregie entstanden.

Die Aufwendungen sind in dem anliegenden Verzeichnis der Kosten, das Bestandteil dieser Bescheinigung ist, gekennzeichnet. Die dargestellten Kosten sind nachgewiesen worden. Die Bescheinigung ist nicht alleinige Voraussetzung für die Inanspruchnahme der Steuervergünstigung. Die Finanzbehörde prüft weitere steuerrechtliche Voraussetzungen, insbesondere die Abziehbarkeit der Aufwendungen als Betriebsausgaben, Werbungskosten oder Sonderausgaben und die Zugehörigkeit der Aufwendungen zu den Anschaffungskosten i. S. des § 7h Abs. 1 Satz 3 EStG oder den Herstellungskosten, zu den Werbungskosten, insbesondere zum Erhaltungsaufwand, oder zu den nicht abziehbaren Kosten… .“

5

Ein weiteres Schreiben vom 20. Dezember 2006 der Stadt hatte den Wortlaut:

„… ergänzend zu der Bescheinigung vom 26.10.2006 bestätigen wir Ihnen hiermit, dass der bescheinigte Betrag für Herstellungskosten in Höhe von 138.359,04 € für Maßnahmen im Sinne des § 177 BauGB angefallen ist, welche der Erhaltung, Erneuerung und funktionsgerechten Verwendung des Gebäudes bzw. der Wohnung in diesem Gebäude dienten, das wegen seiner geschichtlichen und städtebaulichen Bedeutung erhalten werden sollte.“

6

Das FA lehnte den Sonderausgabenabzug mit der Begründung ab, nur Herstellungskosten an einem bestehenden Gebäude seien gemäß § 10f i.V.m. § 7h EStG begünstigt, nicht hingegen der Neu- oder Wiederaufbau von Gebäuden. Die Bescheinigungen der Stadt enthielten –entgegen der Auffassung der Kläger– keine anders lautende bindende Entscheidung. Nach der für Thüringen relevanten Bescheinigungsrichtlinie habe die Bescheinigungsbehörde zu prüfen und zu bescheinigen, ob die in § 7h Abs. 1 EStG aufgeführten Tatbestandsmerkmale vorlägen; die Entscheidung über das Vorliegen der übrigen steuerlich bedeutsamen Tatbestandsmerkmale falle jedoch in die Zuständigkeit der Finanzbehörden, sofern die Bescheinigung nach § 7h Abs. 2 EStG den Hinweis enthalte, die Bescheinigung sei nicht alleinige Voraussetzung für die Inanspruchnahme der Steuervergünstigung. Zu der der Finanzbehörde obliegenden Prüfung gehöre auch die Beurteilung, ob durch die Baumaßnahmen ein Neubau oder ein bautechnisch neues Gebäude entstanden sei. Zwischen den Beteiligten sei im Streitfall unstreitig, dass die vorgenommenen Baumaßnahmen zu einem bautechnisch neuen Gebäude geführt hätten.

7

Ihre nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage begründeten die Kläger unter Bezugnahme auf das Senatsurteil vom 24. Juni 2009 X R 8/08 (BFHE 225, 431, BStBl II 2009, 960) vor allem damit, dass der Normzweck des § 7h EStG mit dem des § 7i EStG vergleichbar sei. Beide Vorschriften zielten erkennbar auf die Erhaltung von Gebäuden, sei es als Baudenkmal oder sei es wegen seiner geschichtlichen, künstlerischen oder städtebaulichen Bedeutung. Es gebe keinen Grund, die vom Bundesfinanzhof (BFH) vorgenommene tatbestandsspezifische Einschränkung des Neubaubegriffs in § 7h EStG nicht ebenfalls vorzunehmen.

8

Das Finanzgericht (FG) hat die Klage mit dem nicht veröffentlichten Urteil abgewiesen.

9

Ihre Revision begründen die Kläger mit der Verletzung materiellen Rechts.

10

Die Kläger beantragen sinngemäß,

das angefochtene Urteil und die Einspruchsentscheidungen vom 29. September 2010 aufzuheben sowie den Einkommensteuerbescheid für 2004 vom 28. April 2006 dahingehend zu ändern, dass ein Abzugsbetrag in Höhe von 7.775 € gemäß § 10f i.V.m. § 7h EStG berücksichtigt wird, und die Einkommensteuerbescheide für 2005 vom 14. Februar 2007 und für 2006 vom 20. Juni 2008 so zu ändern, dass jeweils ein Betrag in Höhe von 8.638 € gemäß § 7h i.V.m. § 10f EStG abgezogen wird.

11

Das FA beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Gründe:

II.

12

Die Revision der Kläger ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung –FGO–).

13

Der erkennende Senat teilt nicht die Auffassung des FG, den Klägern sei der Abzug der Aufwendungen für die Baumaßnahmen allein deshalb zu versagen, weil durch sie ein nicht nach § 7h EStG geförderter Neubau im bautechnischen Sinne errichtet worden sei (dazu unten 1.). Der Senat kann jedoch auf der Grundlage der vom FG getroffenen Feststellungen nicht abschließend entscheiden, ob die Voraussetzungen des § 10f i.V.m. § 7h EStG im Streitfall erfüllt worden sind (unten 2.). Die Sache geht daher zur Nachholung tragfähiger Feststellungen an das FG zurück.

14

1. Nach § 10f Abs. 1 EStG kann der Steuerpflichtige bei Stellung des Bauantrags vor dem 31. Dezember 2003 (argumentum aus § 52 Abs. 27 Satz 2 EStG) Aufwendungen „an einem eigenen Gebäude“ im Kalenderjahr des Abschlusses der Baumaßnahme und in den neun folgenden Kalenderjahren jeweils bis zu 10 % wie Sonderausgaben abziehen, wenn die Voraussetzungen des –hier relevanten– § 7h EStG oder des § 7i EStG vorliegen. Die Aufwendungen sind nur begünstigt, soweit der Steuerpflichtige das Gebäude in dem jeweiligen Kalenderjahr zu eigenen Wohnzwecken nutzt und die Aufwendungen nicht in die Bemessungsgrundlage nach § 10e EStG oder dem Eigenheimzulagengesetz einbezogen hat (§ 10f Abs. 1 Satz 2 EStG). Nach § 10f Abs. 5 EStG ist Abs. 1 „auf Eigentumswohnungen“ entsprechend anzuwenden.

15

a) Nach Maßgabe des § 7h Abs. 1 Satz 1 EStG kann der Steuerpflichtige –abweichend von § 7 Abs. 4 und 5 EStG– bei einem im Inland belegenen Gebäude in einem förmlich festgelegten Sanierungsgebiet oder städtebaulichen Entwicklungsbereich im Jahr der Herstellung und in den folgenden neun Jahren jeweils bis zu 10 % der Herstellungskosten für Modernisierungs- und Instandsetzungsmaßnahmen i.S. des § 177 des Baugesetzbuchs (BauGB) absetzen. § 7h Abs. 1 Satz 1 EStG ist entsprechend anzuwenden auf Herstellungskosten für Maßnahmen, die der Erhaltung, Erneuerung und funktionsgerechten Verwendung eines Gebäudes im Sinne des Satzes 1 dienen, das wegen seiner geschichtlichen, künstlerischen oder städtebaulichen Bedeutung erhalten bleiben soll, und zu deren Durchführung sich der Eigentümer neben bestimmten Modernisierungsmaßnahmen gegenüber der Gemeinde verpflichtet hat (§ 7h Abs. 1 Satz 2 EStG). Der Steuerpflichtige kann die erhöhten Absetzungen ebenfalls für Anschaffungskosten in Anspruch nehmen, die auf Maßnahmen im Sinne der Sätze 1 und 2 entfallen, soweit diese nach dem rechtswirksamen Abschluss eines obligatorischen Erwerbsvertrages oder eines gleichstehenden Rechtsakts durchgeführt worden sind (§ 7h Abs. 1 Satz 3 EStG).

16

b) Der Steuerpflichtige muss gemäß § 7h Abs. 2 Satz 1 EStG die Voraussetzungen des Abs. 1 für das Gebäude und die Maßnahmen durch eine Bescheinigung der zuständigen Gemeindebehörde nachweisen. Die Bescheinigung ist materiell-rechtliche Abzugsvoraussetzung für die Begünstigung des § 7h EStG und Grundlagenbescheid i.S. des § 171 Abs. 10, § 175 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (BFH-Urteil vom 22. September 2005 IX R 13/04, BFHE 215, 158, BStBl II 2007, 373, m.w.N.). Dies folgt aus dem Zweck des § 7h Abs. 2 EStG. Denn mangels eigener Sachkunde ist es den Finanzbehörden nicht möglich zu überprüfen, ob Maßnahmen i.S. des § 7h Abs. 1 EStG durchgeführt worden sind.

17

aa) Die Bindungswirkung der Bescheinigung erstreckt sich auf die in § 7h Abs. 1 EStG benannten Tatbestandsmerkmale, nämlich auf die Feststellung, ob das Gebäude in einem Sanierungsgebiet belegen ist, ob Modernisierungs- und Instandsetzungsmaßnahmen i.S. des § 177 BauGB bzw. Maßnahmen i.S. des § 7h Abs. 1 Satz 2 EStG durchgeführt und ob Zuschüsse aus Sanierungs- oder Entwicklungsförderungsmitteln gewährt worden sind. Nach diesen Grundsätzen prüft allein die Gemeinde, ob Modernisierungs- und Instandsetzungsmaßnahmen i.S. des § 177 BauGB durchgeführt wurden. Aufgrund der Wertungen des Baugesetzbuchs muss entschieden werden, wie die Begriffe „Modernisierung“ und „Instandsetzung“ zu verstehen sind und ob darunter auch ein Neubau in bautechnischem Sinne zu subsumieren ist.

18

Vertritt das FA eine von der bescheinigenden Gemeinde abweichende Auffassung und hält es den Grundlagenbescheid für rechtswidrig, so hat es nur die Möglichkeit, bei der Gemeinde darauf hinzuwirken, dass sie ihre Bescheinigung zurücknimmt oder ändert (vgl. dazu auch BFH-Urteil vom 17. Dezember 1996 IX R 91/94, BFHE 182, 175, BStBl II 1997, 398) und ist nach Remonstration auf den Verwaltungsrechtsweg verwiesen (vgl. zu dem Vorstehenden BFH-Urteile vom 21. August 2001 IX R 20/99, BFHE 196, 191, BStBl II 2003, 910; in BFHE 215, 158, BStBl II 2007, 373, und jüngst vom 6. Mai 2014 IX R 15/13, BFHE 246, 61; IX R 16/13, BFH/NV 2014, 1729, und IX R 17/13, BFH/NV 2014, 1731). Sollte sich dieser Weg in der Praxis als ungeeignet erweisen, um etwaigen offensichtlich unrichtigen Bescheinigungen wirksam entgegenzutreten, wäre es die Aufgabe des Gesetzgebers, die gegebene Kompetenzverteilung im Interesse der Gesetzmäßigkeit der Besteuerung zu überprüfen und ggf. zu korrigieren.

19

Der erkennende Senat schließt sich damit für die Frage der Bindungswirkung der gemeindlichen Bescheinigung gemäß § 7h Abs. 2 EStG der Rechtsprechung des IX. Senats des BFH an.

20

bb) Der Senat weist jedoch ausdrücklich darauf hin, dass sich die Bindungswirkung der Bescheinigung gemäß § 7h Abs. 2 EStG lediglich auf die in § 7h Abs. 1 EStG benannten Tatbestandsmerkmale erstreckt, nämlich auf die Feststellung, ob das Gebäude in einem Sanierungsgebiet belegen ist, ob Modernisierungs- und Instandsetzungsmaßnahmen i.S. des § 177 BauGB bzw. Maßnahmen i.S. des § 7h Abs. 1 Satz 2 EStG durchgeführt und ob Zuschüsse aus Sanierungs- oder Entwicklungsförderungsmitteln gewährt worden sind.

21

Keine Bindungswirkung besteht demgegenüber in Bezug auf die Höhe der begünstigten Herstellungsaufwendungen. Bei Maßnahmen i.S. des § 7h EStG ist nämlich –anders als bei den nach § 7i EStG geförderten Baumaßnahmen an Baudenkmälern– nicht gesetzlich vorgeschrieben, dass sich aus der Bescheinigung selbst auch die Höhe der begünstigten Herstellungskosten ergeben muss (so BFH-Urteil vom 4. Mai 2004 XI R 38/01, BFHE 207, 100, BStBl II 2005, 171 zur Vorgängervorschrift des § 82g der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung; ebenso Clausen in Herrmann/Heuer/Raupach –HHR–, § 7h EStG Rz 21; Schmidt/ Kulosa, EStG, 33. Aufl., § 7h Rz 7; Kaligin in Lademann, EStG, § 7h EStG Rz 26; derselbe, Deutsches Steuerrecht –DStR– 2008, 1763; Beck, DStR 2009, 1412; Handzik in Littmann/Bitz/ Pust, Das Einkommensteuerrecht, Kommentar, § 7h Rz 11a; a.A. R 7h Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 des Amtlichen Einkommensteuer-Handbuchs 2013; wohl auch FG Baden-Württemberg, Urteil vom 26. Juni 1996 5 K 269/95, Entscheidungen der Finanzgerichte 1996, 1209).

22

Dies folgt aus dem Wortlaut des § 7h Abs. 2 EStG, in dem lediglich gefordert wird, dass der Steuerpflichtige durch die Bescheinigung die Voraussetzungen des Abs. 1 für das Gebäude und die Maßnahmen nachweist; die Höhe der Herstellungskosten ist dagegen nicht genannt. Demgegenüber sind in § 7i Abs. 2 EStG die Voraussetzungen des § 7i Abs. 1 EStG für das Gebäude und die Erforderlichkeit der Aufwendungen nachzuweisen, so dass diese Bescheinigung auch die Höhe der Aufwendungen enthalten muss (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 31. Mai 2001 IX R 23/97, BFH/NV 2001, 1397; Schmidt/Kulosa, a.a.O., § 7i EStG Rz 7).

23

Ist aber die Höhe der Aufwendungen kein notwendiger Bestandteil der Bescheinigung gemäß § 7h Abs. 2 EStG, kann die bescheinigte Höhe auch nicht für die Finanzverwaltung bindend sein. Infolgedessen hat die Finanzbehörde nicht nur die Möglichkeit, sondern auch die Verpflichtung, die Höhe der geltend gemachten Aufwendungen zu überprüfen.

24

2. Der Senat kann im Streitfall nicht durcherkennen, da die sich in den Akten befindenden Bescheinigungen, die von den Klägern vorgelegt wurden, weder vollständig noch widerspruchsfrei sind. Sie reichen nicht als Nachweis gemäß § 7h Abs. 2 EStG aus.

25

a) Zunächst kann den beiden aufeinander aufbauenden Bescheinigungen der Stadt vom 26. Oktober 2005 und vom 20. Dezember 2006 nicht entnommen werden, ob es sich um Aufwendungen i.S. des § 7h Abs. 1 Satz 2 EStG oder um solche i.S. des § 7h Abs. 1 Satz 1 EStG gehandelt hat.

26

In der Bescheinigung vom 26. Oktober 2005 wird das Vorliegen der Voraussetzungen i.S. des § 7h Abs. 1 Satz 2 EStG bestätigt, nämlich dass an dem Gebäude Maßnahmen durchgeführt worden seien, die der Erhaltung, Erneuerung und funktionsgerechten Verwendung eines Gebäudes dienten, das wegen seiner geschichtlichen oder städtebaulichen Bedeutung erhaltenswert sei. In der ergänzenden Bescheinigung vom 20. Dezember 2006 bestätigt die Stadt demgegenüber, dass Herstellungskosten für Maßnahmen i.S. des § 177 BauGB –und damit Maßnahmen i.S. des § 7h Abs. 1 Satz 1 EStG– angefallen seien, welche der Erhaltung, Erneuerung und funktionsgerechten Verwendung des Gebäudes bzw. der Wohnung in diesem Gebäude dienten, das wegen seiner geschichtlichen oder städtebaulichen Bedeutung erhaltenswert sei.

27

Zwar kann in der Bescheinigung auf eine Unterscheidung zwischen Modernisierungs- und Instandsetzungsmaßnahmen i.S. des § 7h Abs. 1 Satz 1 EStG und solchen i.S. des § 7h Abs. 1 Satz 2 EStG verzichtet werden (so BFH-Urteil in BFHE 215, 158, BStBl II 2007, 373, unter II.1.b). Enthält die Bescheinigung aber eine Präzisierung, muss sie in sich widerspruchsfrei sein.

28

b) Zudem ist den Bescheinigungen der Stadt das geförderte Objekt nicht eindeutig zu entnehmen. Während sich die Bescheinigung vom 26. Oktober 2005 lediglich auf das Gebäude O bezieht, wird in der ergänzenden Bescheinigung vom 20. Dezember 2006 sowohl das Gebäude als auch die Wohnung der Kläger als das „instandgesetzte“ Objekt bezeichnet. Nach der Rechtsprechung des BFH muss sich in den Fällen, in denen die Begünstigung des § 7h EStG nicht für das Gebäude als Ganzes, sondern objektbezogen für die erworbene Eigentumswohnung des Steuerpflichtigen als selbständiges Wirtschaftsgut in Anspruch genommen wird, der gemäß § 7h Abs. 2 EStG erforderliche Nachweis ausdrücklich auf die erworbene Eigentumswohnung beziehen (s. BFH-Urteile in BFHE 246, 61; in BFH/NV 2014, 1729; in BFH/NV 2014, 1731, sowie Senatsurteil vom 16. September 2014 X R 29/12, www.bundesfinanzhof.de).

29

c) Im Streitfall ist die Besonderheit zu berücksichtigen, dass die Stadt selbst als Bauherrin tätig geworden ist. In einem solchen Fall besteht nicht die Möglichkeit, ein Gebot zu einer Maßnahme gemäß § 177 BauGB auszusprechen oder eine Baumaßnahme gemäß § 7h Abs. 1 Satz 2 EStG zu vereinbaren, weil die Gemeinde sich nicht selbst zur Beseitigung der Missstände oder Behebung der vorhandenen Mängel verpflichten kann (s.a. Köhler in Schrödter, Baugesetzbuch, 7. Aufl., § 177 Rz 9).

30

Daraus folgt aber nicht, dass der Erwerber eines Gebäudes (oder einer Eigentumswohnung), das von der verkaufenden Gemeinde noch instandgesetzt oder modernisiert werden soll, grundsätzlich von der Förderung gemäß § 7h EStG ausgeschlossen wäre, da ansonsten die Sanierungsbemühungen der Gemeinde und damit die Verwirklichung des Zwecks des § 7h EStG erschwert würden.

31

Es bedarf in einer solchen Konstellation indes einer dem § 7h Abs. 1 Satz 1 oder Satz 2 EStG vergleichbaren Verpflichtung der Gemeinde, die es der Finanzbehörde ermöglicht, die Höhe der förderungsfähigen Sanierungsaufwendungen zu überprüfen. So könnte sich im Streitfall die Verpflichtung der Stadt aus dem Kaufvertrag vom 25. Juni 2003 ergeben, in dem sie sich den Klägern gegenüber zur Erbringung von bestimmten Sanierungsmaßnahmen verpflichtete, die laut Kaufvertrag einer als Anlage beigefügten Beschreibung entnommen werden konnte.

32

Eine besonders intensive Prüfung der –sich nicht in den Akten befindenden– Anlagen sowohl des Kaufvertrages als auch der Bescheinigung vom 26. Oktober 2005 ist auch deshalb gefordert, weil es in einer Situation wie der vorliegenden an einem natürlichen Interessengegensatz bei der Gemeinde fehlt. Diese ist einerseits als Bauherrin und Verkäuferin an der Erzielung eines möglichst hohen Verkaufserlöses interessiert und kann andererseits eine Bescheinigung ausstellen, die als Grundlage für eine Steuervergünstigung des Käufers dient und die zu Lasten des Steueraufkommens des Bundes und der Länder wirkt.

33

d) Es ist ebenfalls darauf hinzuweisen, dass die Kläger als Käufer und nicht als Bauherren gemäß § 7h Abs. 1 Satz 3 EStG die Steuervergünstigung für die in den Sätzen 1 und 2 genannten Modernisierungs- und Instandsetzungsmaßnahmen in Anspruch nehmen wollen. Der Steuerabzug umfasst dann den Teil der Anschaffungskosten, der auf Maßnahmen i.S. des § 7h Abs. 1 Sätze 1 und 2 EStG entfällt, soweit diese nach dem Abschluss eines obligatorischen Erwerbsvorgangs –hier also nach dem 25. Juni 2003– vorgenommen worden sind.

34

Gefördert wird damit nicht der Kaufpreis an sich, sondern nur der Teil, der sich auf Baumaßnahmen i.S. des § 7h Abs. 1 Sätze 1 und 2 EStG bezieht. Der Gesamtkaufpreis, der auch sämtliche bis zum Abschluss der Baumaßnahmen entstehende Aufwendungen umfasst, ist damit aufzuteilen und dem Grund und Boden, der Altbausubstanz des Gebäudes, den Baumaßnahmen i.S. des § 7h Abs. 1 Satz 3 EStG, den übrigen Baumaßnahmen und den sofort abziehbaren Werbungskosten zuzuordnen (vgl. dazu auch Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 20. Oktober 2003, BStBl I 2003, 546, Rz 10; Stuhrmann in Bordewin/Brandt, § 7h EStG Rz 16 f.; HHR/Clausen, § 7h EStG Rz 18; Kaligin in Lademann, a.a.O., § 7h EStG Rz 19).

35

e) Im Streitfall kann der Senat mangels tatsächlicher Feststellungen des FG nicht beurteilen, welche Bauverpflichtungen die Stadt eingegangen ist. In den Akten sowohl des FG als auch des FA sind die konkreten Vereinbarungen wegen der fehlenden Anlagen nicht enthalten. Auch ist den Akten nicht zu entnehmen, wann die Modernisierungs- und Instandsetzungsarbeiten, zu denen die Stadt sich verpflichtet hat, vorgenommen wurden. Weder das FA noch das FG haben –ausgehend von ihrem Rechtsstandpunkt zu Recht– entsprechende Unterlagen angefordert.

Normen:

EStG:7h  EStG:10f  AO:171/10

 

Abschreibung bei Erwerb von Schiffsfondsanteilen auf dem sog. Zweitmarkt

BFH, Pressemitteilung Nr. 9/15 vom 04.02.2015 zum Urteil IV R 1/11 vom 20.11.2014

Mit Urteil vom 20. November 2014 IV R 1/11 hat der IV. Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) entschieden, dass der Erwerber eines Anteils an einer Personengesellschaft, der im Hinblick auf stille Reserven in Wirtschaftsgütern des Gesellschaftsvermögens einen Kaufpreis über dem Buchwert des übernommenen Kapitalkontos zahlt, den Mehrpreis als Anschaffungskosten der betreffenden Wirtschaftsgüter so abzuschreiben hat, als hätte er die Güter in diesem Zeitpunkt als Einzelunternehmer erworben.

Im Streitfall ging es um eine Personengesellschaft, die ein Containerschiff erworben und auf Basis der seinerzeitigen Nutzungsdauer abgeschrieben hatte. Jahre später verkauften Gesellschafter ihre Anteile zu Kaufpreisen oberhalb des jeweiligen Buchwerts der Kapitalkonten. Die Neugesellschafter wollten die Mehrbeträge, die auf das bereits weitgehend abgeschriebene Schiff entfielen, in ihren Ergänzungsbilanzen korrespondierend zur (Rest-)Abschreibung des Schiffs in der Gesellschaftsbilanz abschreiben. Das Finanzamt vertrat demgegenüber die Auffassung, die Abschreibung sei über einen längeren Zeitraum, nämlich über die für ein gebraucht erworbenes Seeschiff geltende Restnutzungsdauer im Erwerbszeitpunkt der Anteile vorzunehmen.

Während das Finanzgericht (FG) der von der klagenden Personengesellschaft vertretenen Rechtsansicht gefolgt war, sah der IV. Senat des BFH die Dinge anders: Zweck der Ergänzungsbilanz ist es danach, den Gesellschafter so weit wie möglich einem Einzelunternehmer gleichzustellen, der entsprechende Wirtschaftsgüter erwerben würde. Deshalb muss bezogen auf die Abschreibung der in der Ergänzungsbilanz ausgewiesenen Mehrwerte die Restnutzungsdauer im Zeitpunkt des Anteilserwerbs neu geschätzt werden. Zugleich stehen dem Gesellschafter die gleichen Abschreibungswahlrechte zu wie einem Einzelunternehmer. Da Feststellungen zur aktualisierten Restnutzungsdauer und zur Wahlrechtsausübung fehlten, hob der BFH das FG-Urteil auf und verwies den Rechtsstreit an das FG zurück.

 

Bundesfinanzhof, IV-R-1/11

Urteil vom 20.11.2014

Ergänzungsbilanz bei Anteilserwerb: Abschreibung auf Restnutzungsdauer und Wahlrecht zur AfA-Methode


Leitsatz:

Wird für den Erwerber eines Anteils an einer Personengesellschaft eine positive Ergänzungsbilanz aufgestellt, sind die darin erfassten Anschaffungskosten so fortzuführen, dass der Gesellschafter soweit wie möglich einem Einzelunternehmer, dem Anschaffungskosten für entsprechende Wirtschaftsgüter entstanden sind, gleichgestellt wird. Deshalb sind AfA auf die im Zeitpunkt des Anteilserwerbs geltende Restnutzungsdauer eines abnutzbaren Wirtschaftsguts des Gesellschaftsvermögens vorzunehmen. Zugleich stehen dem Gesellschafter die Abschreibungswahlrechte zu, die auch ein Einzelunternehmer in Anspruch nehmen könnte, wenn er ein entsprechendes Wirtschaftsgut im Zeitpunkt des Anteilserwerbs angeschafft hätte.

Tatbestand:

I.

1

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine in Liquidation befindliche KG, deren Unternehmensgegenstand der Bau und Betrieb eines Containerschiffs war. Die Klägerin hatte das Schiff, welches im Wesentlichen ihr Gesamthandsvermögen bildete, 1985 erworben. Zunächst schrieb sie das Schiff degressiv ab, wechselte aber im Jahr 1993 zur linearen Abschreibung des Restbuchwerts auf der Grundlage einer Restnutzungsdauer von viereinhalb Jahren.

2

An der Klägerin war eine Vielzahl von Kommanditisten beteiligt. Vom 1. Januar 1992 bis zum 1. Januar 1995 erwarben die Beigeladenen zu 1. bis 3. und L Anteile von ausscheidenden Kommanditisten.

3

Da die Kaufpreise jeweils die Buchwerte der Kapitalkonten der ausscheidenden Gesellschafter überstiegen, erfasste die Klägerin die übersteigenden Beträge in den Ergänzungsbilanzen der Beigeladenen zu 1. bis 3. und des L als Mehrwerte gegenüber den in ihrer Gesamthandsbilanz ausgewiesenen Wertansätzen für das von ihr betriebene Schiff. Diese Mehrwerte schrieb sie in den Ergänzungsbilanzen für die Streitjahre (1993 bis 1996) korrespondierend zu der Abschreibung des Schiffs in der Gesamthandsbilanz ab.

4

Im Rahmen einer bei der Klägerin durchgeführten Außenprüfung vertrat der Prüfer die Auffassung, zwar seien für die in den Ergänzungsbilanzen aktivierten Mehrwerte grundsätzlich die gleiche Abschreibungsmethode und die gleiche Restnutzungsdauer wie in der Gesamthandsbilanz zugrunde zu legen. Hiervon seien jedoch Ausnahmen geboten, nämlich etwa wenn die zu erwartende tatsächliche Restnutzungsdauer wesentlich länger sei als die Restnutzungsdauer, die sich aus der in der Gesamthandsbilanz zugrunde gelegten Gesamtnutzungsdauer rein rechnerisch ergebe, und der gezahlte Mehrbetrag erheblich sei. Entsprechend sei vorliegend bei der Abschreibung der Mehrwerte jeweils die für ein gebraucht erworbenes Seeschiff geltende Restnutzungsdauer anzusetzen. Dementsprechend verteilte der Prüfer die vorhandenen Mehrwerte in den Ergänzungsbilanzen mit der Folge der Minderung der Abschreibungsbeträge auf eine Restnutzungsdauer von sechs bzw. fünf Jahren.

5

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt –FA–) folgte dieser Auffassung und änderte die zunächst unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Bescheide über die gesonderte und einheitliche Feststellung der Besteuerungsgrundlagen für die Streitjahre entsprechend; zugleich hob er den Vorbehalt der Nachprüfung auf. Der hiergegen gerichtete Einspruch der Klägerin blieb ohne Erfolg.

6

Mit in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2010, 558 veröffentlichtem Urteil gab das Finanzgericht (FG) der auf Berücksichtigung der ursprünglich jeweils angesetzten Restnutzungsdauer und somit auf Herabsetzung der Einkünfte der Klägerin aus Gewerbebetrieb und entsprechende niedrigere Feststellung der Gewinne der Beigeladenen zu 1. bis 3. und des L für die Streitjahre gerichteten Klage statt. Ein in der Ergänzungsbilanz eines Mitunternehmers aktivierter Mehrwert eines abnutzbaren beweglichen Wirtschaftsguts des Gesellschaftsvermögens sei entsprechend der in der Gesamthandsbilanz zugrunde gelegten Abschreibungsmethode und Restnutzungsdauer abzuschreiben.

7

Dagegen richtet sich die Revision des FA, die auf die Verletzung des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. § 7 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes in der in den Streitjahren geltenden Fassung (EStG) gestützt wird.

8

Das FA beantragt, das angefochtene Urteil des Niedersächsischen FG vom 20. Oktober 2009 8 K 323/05 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

9

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

10

Während des Revisionsverfahrens verstarb der bereits beigeladene L. Auf Ersuchen des Senats hat das Amtsgericht … –Nachlassgericht– mit Beschluss vom 27. August 2014 festgestellt, dass ein anderer Erbe als der Fiskus …, vertreten durch die Finanzbehörde … (Beigeladener zu 4.), nicht vorhanden ist. Diese Behörde hat mit Schreiben vom 25. September 2014 erklärt, sie werde das Verfahren nicht aufnehmen. Das FA hat nach Hinweis auf § 239 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) vorsorglich beantragt, die vorgenannte Behörde zur Aufnahme des unterbrochenen Verfahrens zu laden.

Gründe:

II.

11

Der Senat ist durch den Tod des L nicht daran gehindert, in der Sache zu entscheiden. Zwar war dadurch das Verfahren zunächst nach § 155 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.V.m. § 239 Abs. 1 ZPO bis zur Aufnahme durch den Rechtsnachfolger unterbrochen. Der Beigeladene zu 4. als Rechtsnachfolger hat erklärt, das Verfahren nicht aufnehmen zu wollen. Allerdings ist der Rechtsnachfolger zur Aufnahme des Rechtsstreits verpflichtet, wenn der Gegner –wie im Streitfall das FA– nach § 239 Abs. 2 ZPO den Antrag stellt, ihn zur Aufnahme und zugleich zur Verhandlung der Hauptsache zu laden (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 30. Aufl., § 239 Rz 16). Das Verfahren nach § 239 Abs. 2 ZPO dient dabei dazu, aufzuklären, wer Rechtsnachfolger nach dem verstorbenen Prozessbeteiligten geworden ist. Steht –wie im Streitfall durch den Beschluss des Nachlassgerichts– schon fest, wer Rechtsnachfolger geworden ist, und erklärt der Rechtsnachfolger –wie im Streitfall– bereits vor der Ladung zur mündlichen Verhandlung, er werde das Verfahren nicht aufnehmen, so ist ein Antrag gemäß § 239 Abs. 2 ZPO nicht erforderlich. Denn der Rechtsnachfolger ist zur Aufnahme des Verfahrens verpflichtet, wie sich aus § 239 Abs. 5 ZPO ergibt. Des besonderen Verfahrens nach § 239 Abs. 2 ZPO bedarf es in einem solchen Fall nicht. Vielmehr kann ohne besonderen Hinweis auf § 239 Abs. 2 ZPO zur mündlichen Verhandlung geladen werden. Erscheint der ordnungsgemäß zur mündlichen Verhandlung geladene Rechtsnachfolger dann nicht zum Termin, so kann das Gericht –wie geschehen– in der Sache entscheiden.

III.

12

Die Revision ist begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen FG-Urteils sowie zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO).

13

Das FG ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass die in den Ergänzungsbilanzen aktivierten Mehrwerte des abnutzbaren Wirtschaftsguts „Containerschiff“ entsprechend der in der Gesamthandsbilanz der Klägerin zugrunde gelegten (Rest-)Nutzungsdauer und Abschreibungsmethode abzuschreiben waren. Vielmehr war in den Ergänzungsbilanzen auf der Grundlage der Restnutzungsdauer im Zeitpunkt des Anteilserwerbs abzuschreiben. Außerdem stand jedem Anteilserwerber das Recht zur Wahl der Abschreibungsmethode zu. Das FG hat aufgrund der von ihm vertretenen Rechtsansicht folgerichtig noch keine Feststellungen zur Nutzungsdauer getroffen.

14

1. Der entgeltliche Erwerb eines Mitunternehmeranteils an einer Personengesellschaft ist einkommensteuerrechtlich nicht als Erwerb des Gesellschaftsanteils als Wirtschaftsgut, sondern als Anschaffung von Anteilen an den einzelnen zum Gesellschaftsvermögen gehörenden Wirtschaftsgütern zu werten (ständige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs –BFH–, vgl. u.a. Beschluss des Großen Senats des BFH vom 25. Februar 1991 GrS 7/89, BFHE 163, 1, BStBl II 1991, 691; BFH-Urteile vom 12. Dezember 1996 IV R 77/93, BFHE 183, 379, BStBl II 1998, 180, und vom 6. Mai 2010 IV R 52/08, BFHE 229, 279, BStBl II 2011, 261). Beim Erwerb eines Gesellschaftsanteils gegen Zahlung eines Entgelts, das den Betrag des übergehenden Kapitalkontos übersteigt, wird nach ständiger Rechtsprechung des BFH vermutet, dass das Entgelt auf stille Reserven in Wirtschaftsgütern des Gesellschaftsvermögens entfällt (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 12. Juni 1975 IV R 129/71, BFHE 116, 335, BStBl II 1975, 807; vom 18. Februar 1993 IV R 40/92, BFHE 171, 422, BStBl II 1994, 224). Nur wenn und soweit feststeht, dass stille Reserven oder nicht bilanzierte Wirtschaftsgüter nicht vorhanden sind, kommt ggf. ein sofortiger Betriebsausgabenabzug in Betracht (vgl. BFH-Urteile in BFHE 116, 335, BStBl II 1975, 807; in BFHE 171, 422, BStBl II 1994, 224).

15

2. Soweit danach das über das übergehende Kapitalkonto hinaus geleistete Entgelt auf zum Gesellschaftsvermögen gehörende Wirtschaftsgüter entfällt, entstehen dem Erwerber des Gesellschaftsanteils Anschaffungskosten für die betreffenden Güter, die über die in der Gesellschaftsbilanz ausgewiesenen und anteilig auf die Gesellschafter entfallenden Anschaffungs- und Herstellungskosten der Gesellschaft hinausgehen. Diese sind in einer von der Gesellschaft aufzustellenden Ergänzungsbilanz für den Anteilserwerber auszuweisen.

16

a) Subjekt der Einkommensbesteuerung ist nicht die Personengesellschaft selbst, sondern die Gesellschafter unterliegen nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 Halbsatz 1 EStG mit ihren Anteilen am Gewinn der Personengesellschaft der Einkommensteuer (Beschluss des Großen Senats des BFH vom 25. Juni 1984 GrS 4/82, BFHE 141, 405, BStBl II 1984, 751). Dabei wird vorausgesetzt, dass die Gesellschafter Mitunternehmer des Betriebs der Personengesellschaft sind. Aus der Gleichstellung des Mitunternehmers nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 Halbsatz 1 EStG mit dem Einzelunternehmer nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG hat der BFH gefolgert, dass die Besteuerung des Mitunternehmers soweit wie möglich der des Einzelunternehmers angenähert werden muss.

17

b) Der Erwerb eines Mitunternehmeranteils ist im Einkommensteuerrecht grundsätzlich nicht anders zu behandeln als der Erwerb eines Einzelunternehmens. Dies bedeutet, dass der Kaufpreis für den Mitunternehmeranteil Ausgangspunkt für den in der Folge vom Gesellschafter erzielten Gewinn ist, wie das auch für den Erwerber eines Einzelunternehmens zutrifft. Da der Erwerber eines Mitunternehmeranteils aber die bestehenden Vermögensrechte aus der Beteiligung und damit auch das Kapitalkonto seines Vorgängers übernimmt, lässt sich der Anschaffungspreis des Erwerbers für seinen Anteil am Reinvermögen der Personengesellschaft nur darstellen, indem in einer für ihn aufzustellenden Ergänzungsbilanz das Kapitalkonto des Veräußerers in der Gesellschaftsbilanz auf den Anschaffungspreis berichtigt wird (BFH-Urteil vom 21. April 1994 IV R 70/92, BFHE 174, 413, BStBl II 1994, 745). Ergebnisse aus einer Ergänzungsbilanz führen im Interesse einer zutreffenden Besteuerung des Gesellschafters zu einer Korrektur des Gewinnanteils, der sich aus der Gesellschaftsbilanz ergibt. Die in der Ergänzungsbilanz ausgewiesenen Beträge stellen Korrekturen zu den Wertansätzen in der Steuerbilanz der Personengesellschaft für die Wirtschaftsgüter des Gesellschaftsvermögens dar (BFH-Urteil vom 28. September 1995 IV R 57/94, BFHE 179, 84, BStBl II 1996, 68, m.w.N.).

18

3. In der Ergänzungsbilanz erfasste Anschaffungskosten des Anteilserwerbers sind so fortzuführen, dass der Gesellschafter soweit wie möglich einem Einzelunternehmer, dem Anschaffungskosten für entsprechende Wirtschaftsgüter entstanden sind, gleichgestellt wird. Deshalb sind Absetzungen für Abnutzung (AfA) auf die im Zeitpunkt des Anteilserwerbs geltende Restnutzungsdauer eines abnutzbaren Wirtschaftsguts des Gesellschaftsvermögens vorzunehmen. Zugleich stehen dem Gesellschafter die Abschreibungswahlrechte zu, die auch ein Einzelunternehmer in Anspruch nehmen könnte, wenn er ein entsprechendes Wirtschaftsgut im Zeitpunkt des Anteilserwerbs angeschafft hätte.

19

a) Im Hinblick auf den Zweck der Ergänzungsbilanz, den Mitunternehmer möglichst einem Einzelunternehmer gleichzustellen, kann die Auflösung der in der Ergänzungsbilanz ausgewiesenen Anschaffungskosten nicht von der Handhabung in der Gesamthandsbilanz abhängig sein, sondern muss die steuerlichen Verhältnisse in der Person des Mitunternehmers berücksichtigen. Der Senat folgt nicht der im Schrifttum vertretenen Meinung, der Grundsatz der Einheitlichkeit der Gesellschaftsbilanz erfasse auch die Ergänzungsbilanz mit der Folge, dass AfA für dieselbe Restnutzungsdauer und nach derselben Methode vorzunehmen seien wie in der Gesellschaftsbilanz (so etwa Blümich/ Bode, § 15 EStG Rz 556a; Dreissig, Betriebs-Berater 1990, 958, 959; Ley, Kölner Steuerdialog 1992, Nr. 11, 9152, 9160; anderer Ansicht aber z.B. Regniet, Ergänzungsbilanzen bei der Personengesellschaft, S. 180; Niehus, Steuer und Wirtschaft 2002, 116, 119 ff.; Schmidt/Wacker, EStG, 33. Aufl., § 15 Rz 465 in Bezug auf die Restnutzungsdauer; Reiß in Kirchhof, EStG, 13. Aufl., § 15 Rz 251; derselbe in: Kirchhof/Söhn/ Mellinghoff, EStG, § 15 Rz E 251; Tiede in Herrmann/Heuer/ Raupach, § 15 EStG Rz 505).

20

b) Die bisherige höchstrichterliche Rechtsprechung steht den dargelegten Grundsätzen nicht entgegen.

21

aa) Der Senat hat zwar bereits entschieden, dass Auf- und Abstockungen in der Ergänzungsbilanz mit dem Verbrauch der korrespondierenden Wirtschaftsgüter korrespondierend aufzulösen sind (vgl. BFH-Urteil in BFHE 179, 84, BStBl II 1996, 68). Dieses Urteil enthält aber keine Aussage dazu, welche Restnutzungsdauer bezogen auf die in einer Ergänzungsbilanz auszuweisenden Mehrwerte anzusetzen ist bzw. ob die AfA-Methode neu gewählt werden kann.

22

bb) Für den Fall negativer Ergänzungsbilanzen nach § 24 Abs. 2 des Umwandlungssteuergesetzes (UmwStG) 1995 hat der BFH wiederholt entschieden, die Auflösung der in der Ergänzungsbilanz ausgewiesenen Korrekturposten habe korrespondierend zur Veränderung der Buchwerte in der Gesamthandsbilanz zu erfolgen (BFH-Urteile in BFHE 179, 84, BStBl II 1996, 68; vom 6. Juli 1999 VIII R 17/95, BFH/NV 2000, 34). Diese Beurteilung lässt sich allerdings schon deshalb nicht auf die im Streitfall relevante Fortführung positiver Ergänzungsbilanzen übertragen, weil die Auflösung des Korrekturpostens bei der negativen Ergänzungsbilanz dazu dient, ein für den betreffenden Gesellschafter zu hohes Abschreibungspotential, das sich aus den –gemessen an den tatsächlichen Anschaffungskosten des Gesellschafters zu hohen– Buchwerten in der Gesellschaftsbilanz ergibt, zu neutralisieren. Der Fall der Fortführung eines positiven Korrekturpostens liegt deshalb anders, weil es dort gerade darum geht, den vom betreffenden Gesellschafter gegenüber dem Kapitalkonto aufgewendeten Mehrbetrag in der Höhe auszuweisen, in dem er zum jeweiligen Bilanzstichtag noch in dessen Vermögen vorhanden ist (vgl. Urteil des Niedersächsischen FG vom 28. Oktober 2003 1 K 595/00, Deutsches Steuerrecht/Entscheidungsdienst 2005, 376).

23

cc) Soweit der erkennende Senat schließlich für den Fall, dass eine GmbH in eine KG umgewandelt wird und dabei die Wertansätze der nach § 7 Abs. 1 EStG abzuschreibenden Wirtschaftsgüter aufgrund eines Übernahmeverlusts nach § 4 Abs. 6 UmwStG 1995 aufgestockt werden, entschieden hat, dass die Restnutzungsdauer dieser Wirtschaftsgüter neu zu schätzen ist (BFH-Urteil vom 29. November 2007 IV R 73/02, BFHE 220, 70, BStBl II 2008, 407), liegt ebenfalls kein dem Streitfall vergleichbarer Sachverhalt vor. Denn das UmwStG 1995 enthält für den Fall, dass übergegangene Wirtschaftsgüter in der steuerlichen Schlussbilanz der Körperschaft gemäß § 3 UmwStG 1995 aufgestockt wurden (Zwischen- oder Teilwertansatz), in § 4 Abs. 3 UmwStG 1995 die (positive) Aussage, dass die AfA bei der Personengesellschaft in den Fällen des § 7 Abs. 4 Satz 1 und Abs. 5 EStG nach der bisherigen Bemessungsgrundlage, in allen anderen Fällen aber nach dem Buchwert, jeweils vermehrt um den Unterschiedsbetrag zwischen dem Buchwert der einzelnen Wirtschaftsgüter und dem Wert, mit dem die Körperschaft die Wirtschaftsgüter in der steuerlichen Schlussbilanz angesetzt hat, zu bemessen sind. Zwar hat der Senat zur letztgenannten Regelung eine gesetzliche Regelungslücke angenommen. Das ändert aber nichts daran, dass das UmwStG 1995 eine unmittelbare Anknüpfung an § 7 EStG enthält.

24

c) Entsprechend ist im Streitfall die betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer i.S. des § 7 Abs. 1 Sätze 1 und 2 EStG des Wirtschaftsguts „Containerschiff“ in den Ergänzungsbilanzen nach den Grundsätzen zu bestimmen, die für den Erwerb eines gebrauchten Seeschiffs gelten. Nach welcher Methode die AfA zu berechnen ist, hängt davon ab, ob der Anteilserwerber eine andere als die lineare Abschreibungsmethode nach § 7 Abs. 1 EStG wählen kann und ob ein ggf. bestehendes Wahlrecht bis zur Unanfechtbarkeit der Veranlagung ausgeübt wird (vgl. hierzu etwa BFH-Urteil vom 30. August 2001 IV R 30/99, BFHE 196, 507, BStBl II 2002, 49).

25

4. Da das FG im angefochtenen Urteil von anderen Grundsätzen ausgegangen ist, war sein Urteil aufzuheben. Die Sache ist nicht spruchreif und war deshalb zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen. Das FG wird dadurch in die Lage versetzt, die noch erforderlichen Feststellungen zur Nutzungsdauer des Schiffs zu treffen und Gelegenheit zur –in der mündlichen Verhandlung vor dem BFH angekündigten– Ausübung eines ggf. bestehenden Wahlrechts in Bezug auf die Abschreibungsmethode zu geben.

Normen:

EStG:15/1/1/2/1/  EStG:7/1/1  EStG:7/1/2  EStG:7/3/1  EStG:7/3/3  UmwStG:4/6  UmwStG:24/2

 

 

Ansatz der Entfernungspauschale statt der tatsächlichen Kosten für regelmäßige Fahrten eines Betriebsinhabers zu seinem einzigen Auftraggeber

BFH, Pressemitteilung Nr. 10/15 vom 04.02.2015 zum Urteil X R 13/13 vom 22.10.2014

Der X. Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) hat mit Urteil vom 22. Oktober 2014 X R 13/13 entschieden, dass auch regelmäßige Fahrten eines Betriebsinhabers zwischen seinem häuslichen Büro und dem Sitz seines einzigen Auftraggebers „Fahrten zwischen Wohnung und Betriebsstätte“ darstellen. In derartigen Fällen werden die Fahrtkosten einkommensteuerlich in Höhe fester Beträge abgesetzt („Entfernungspauschale“); auf die Höhe der tatsächlichen Fahrtkosten kommt es hingegen nicht an.

Der X. Senat hat damit an der bisherigen Rechtsprechung der für die Gewinneinkünfte zuständigen Senate zum Begriff der „Betriebsstätte“ festgehalten. Damit hat er sich zugleich von der – für Arbeitnehmer geltenden – Rechtsprechung des VI. Senats abgegrenzt, der in neueren Entscheidungen den Parallelbegriff der „regelmäßigen Arbeitsstätte“ stark eingeschränkt hat. Insbesondere sieht der VI. Senat die betriebliche Einrichtung eines Kunden des Arbeitgebers nicht als regelmäßige Arbeitsstätte des Arbeitnehmers an. Damit kann ein Arbeitnehmer in derartigen Fällen die tatsächlichen Kosten abziehen; die Entfernungspauschale ist nicht anwendbar.

Mit Wirkung ab dem 1. Januar 2014 hat der Gesetzgeber allerdings bereits auf die zum Begriff der regelmäßigen Arbeitsstätte ergangene Rechtsprechung des VI. Senats reagiert und in § 9 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes eine Definition des Begriffs der „ersten Tätigkeitsstätte“ festgeschrieben, die von den Grundsätzen der zwischenzeitlichen BFH-Rechtsprechung abweicht. Für Arbeitnehmer ist es damit – zunächst durch die Rechtsprechungsänderung des VI. Senats, danach durch die Gesetzesänderung – zu einer mehrfachen Änderung der Rechtslage gekommen. Für Betriebsinhaber hat die Entscheidung des X. Senats demgegenüber klargestellt, dass keine Änderung der Rechtslage eingetreten ist.

Für Betriebsinhaber, die nur einen Auftraggeber haben und für ihre regelmäßigen Fahrten einen Pkw nutzen, bedeutet die nunmehrige Entscheidung des X. Senats für die Zeit bis einschließlich 2013 eine Einschränkung der Abzugsmöglichkeiten im Vergleich zu Arbeitnehmern, weil die tatsächlichen Pkw-Kosten die Entfernungspauschale übersteigen. Für Nutzer öffentlicher Verkehrsmittel ergibt sich hingegen zumeist eine Verbesserung, da hier die Entfernungspauschale in der Regel über den tatsächlichen Kosten liegt.

Bundesfinanzhof, X-R-13/13

Urteil vom 22.10.2014

Fahrten zwischen Wohnung und Betriebsstätte bei den Gewinneinkünften


Leitsatz:

  1. Aufwendungen eines Erzielers von Gewinneinkünften für regelmäßige PKW-Fahrten zu seinem einzigen Auftraggeber sind nur in Höhe der Entfernungspauschale als Betriebsausgaben abziehbar.

  2. Betriebsstätte i.S. des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG ist –abweichend von § 12 AO– bei einem im Wege eines Dienstvertrags tätigen Unternehmer, der nicht über eine eigene Betriebsstätte verfügt, der Ort, an dem oder von dem aus die beruflichen oder gewerblichen Leistungen erbracht werden (Bestätigung der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung).

  3. Betrieblich genutzte Räume, die sich in der im Übrigen selbstgenutzten Wohnung des Steuerpflichtigen befinden, können wegen ihrer engen Einbindung in den privaten Lebensbereich nicht als Betriebsstätte i.S. des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG angesehen werden.

Tatbestand:

I.

1

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) erzielt als Einzelunternehmer Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Im Streitjahr 2008 hatte er lediglich einen einzigen Auftraggeber, für den er die Finanzbuchhaltung, die Lohn- und Gehaltsabrechnungen sowie das EDV-System betreute. Er suchte dessen Betrieb an vier bis fünf Tagen wöchentlich auf; weitere betriebliche Tätigkeiten führte er in Räumen durch, die im Obergeschoss des von ihm und seiner Lebensgefährtin bewohnten Einfamilienhauses liegen.

2

In seiner Gewinnermittlung zog der Kläger die Kosten für den zu seinem Betriebsvermögen gehörenden PKW auch insoweit in voller Höhe ab, als sie auf die Fahrten zwischen dem Einfamilienhaus und dem Betrieb des Auftraggebers entfielen. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt –FA–) setzte hingegen nur die Entfernungspauschale an und erhöhte den Gewinn entsprechend. Zur Begründung verwies er auf die Regelungen der § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6, § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) i.d.F. des Gesetzes zur Fortführung der Gesetzeslage 2006 bei der Entfernungspauschale vom 20. April 2009 (BGBl I 2009, 774), die gemäß § 52 Abs. 12 Satz 8, Abs. 23d Satz 1 EStG i.d.F. des genannten Gesetzes bereits für das Streitjahr anzuwenden sind.

3

Nach erfolglosem Einspruchsverfahren gab das Finanzgericht (FG) der Klage statt (Entscheidungen der Finanzgerichte –EFG– 2013, 765) und setzte wieder den vom Kläger erklärten Gewinn an. Die für Aufwendungen für die Wege des Steuerpflichtigen zwischen Wohnung und Betriebsstätte geltende Abzugsbeschränkung des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG sei nicht anwendbar, weil der Kläger im Betrieb des Auftraggebers keine Betriebsstätte unterhalten habe. Zwar sei der in der genannten Vorschrift verwendete Begriff der Betriebsstätte in der bisherigen Rechtsprechung der für die Gewinneinkünfte zuständigen Senate des Bundesfinanzhofs (BFH) abweichend von der gesetzlichen Definition in § 12 der Abgabenordnung (AO) ausgelegt worden. Daran könne aber angesichts der neueren Rechtsprechung des VI. Senats des BFH, wonach eine betriebliche Einrichtung eines Kunden des Arbeitgebers nicht als regelmäßige Arbeitsstätte des Arbeitnehmers anzusehen sei, nicht mehr festgehalten werden, so dass die Definition des § 12 AO auch für Zwecke der Anwendung des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG uneingeschränkt heranzuziehen sei. Daher sei die Abzugsbeschränkung hier nur dann noch anzuwenden, wenn der Steuerpflichtige bei seinem Auftraggeber eine eigene Betriebsstätte unterhalte. Vorliegend sei dies mangels der hierfür erforderlichen Verfügungsbefugnis des Klägers über Einrichtungen des Auftraggebers aber nicht der Fall gewesen. Danach komme es nicht mehr darauf an, ob die vom Kläger im Einfamilienhaus genutzten Räume als Betriebsstätte oder aber als häusliches Arbeitszimmer anzusehen seien.

4

Mit seiner Revision beruft das FA sich auf die höchstrichterliche Rechtsprechung, wonach als Betriebsstätte i.S. des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG auch der Ort anzusehen sei, an dem der Unternehmer die geschuldete Leistung zu erbringen habe. Dies müsse erst recht bei Unternehmern gelten, die nur einen einzigen Auftraggeber hätten. Vor diesem Hintergrund hätte das FG die Frage, ob die Räume im selbstgenutzten Einfamilienhaus eine Betriebsstätte darstellten, nicht offenlassen dürfen.

5

Das FA beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

6

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Gründe:

II.

7

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung –FGO–).

8

Zur Abgeltung der Aufwendungen für die Wege des Steuerpflichtigen zwischen Wohnung und Betriebsstätte ist gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 Sätze 1 und 2 EStG u.a. die Vorschrift des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG (Entfernungspauschale) entsprechend anzuwenden. Das FG hat zu Unrecht in bewusster Abkehr von der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung eine Betriebsstätte des Klägers bei seinem Auftraggeber verneint (dazu unten 1.). Die Sache ist nicht spruchreif, weil es für die Entscheidung des Streitfalls darauf ankommt, ob der Kläger auch in dem ansonsten zu eigenen Wohnzwecken genutzten Einfamilienhaus eine Betriebsstätte unterhalten hat, das FG diese Frage aber ausdrücklich offengelassen hat (unten 2.).

9

1. Der Kläger hat bei seinem Auftraggeber eine Betriebsstätte i.S. des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 Satz 1 EStG unterhalten.

10

a) Nach ständiger Rechtsprechung der für die Gewinneinkünfte zuständigen Senate des BFH ist als Betriebsstätte bei einem im Wege eines Dienstvertrags tätigen Unternehmer, der nicht über eine eigene Betriebsstätte verfügt, der Ort anzusehen, an dem er die geschuldete Leistung zu erbringen hat, in der Regel also der Betrieb des Auftraggebers (mit ausführlicher Begründung BFH-Urteil vom 13. Juli 1989 IV R 55/88, BFHE 157, 562, BStBl II 1990, 23; ferner BFH-Urteile vom 27. Oktober 1993 I R 99/92, BFH/NV 1994, 701, und vom 19. August 1998 XI R 90/96, BFH/NV 1999, 41). In anderen Entscheidungen wird die Formulierung verwendet, es handele sich um den Ort, an dem oder von dem aus die beruflichen oder gewerblichen Leistungen erbracht werden (BFH-Urteile vom 19. September 1990 X R 110/88, BFHE 162, 82, BStBl II 1991, 208; X R 44/89, BFHE 162, 77, BStBl II 1991, 97, unter I.2.; vom 31. Juli 1996 XI R 5/95, BFH/NV 1997, 279, unter II.1., und vom 29. April 2014 VIII R 33/10, BFHE 246, 53, BStBl II 2014, 777, unter II.1.c aa; ebenso Hessisches FG, Urteil vom 20. Juni 2012 12 K 1511/09, Revision III R 59/13), ohne dass in diesem Formulierungsunterschied allerdings eine inhaltliche Abweichung zu sehen ist.

11

Die für Arbeitnehmer entwickelten Ausnahmen von der –für PKW-Nutzer– mit der Anwendung des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG verbundenen Abzugsbeschränkung gelten allerdings auch zugunsten der Bezieher von Gewinneinkünften. Dies ist bisher vor allem für Steuerpflichtige entschieden worden, die an –so die Terminologie der damaligen Rechtsprechung– ständig wechselnden Einsatzstellen tätig waren (vgl. –im Ergebnis jeweils nicht tragend– die Ausführungen in den BFH-Urteilen vom 5. November 1987 IV R 180/85, BFHE 151, 413, BStBl II 1988, 334, unter 2.a; in BFHE 162, 77, BStBl II 1991, 97, unter I.3.; in BFH/NV 1994, 701, unter II.3., und in BFHE 246, 53, BStBl II 2014, 777, unter II.1.c aa; tragend im BFH-Urteil in BFH/NV 1997, 279, unter II.2.; im Ergebnis ebenso, wenn auch mit abweichender Begründung Urteile des FG Baden-Württemberg vom 27. Oktober 2011 3 K 1849/09, EFG 2012, 310, Revision VIII R 47/11, und des FG Münster vom 22. März 2013 4 K 4834/10, EFG 2013, 839, Revision III R 19/13).

12

Die dargestellte, zu § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG entwickelte Definition der Betriebsstätte weicht zwar vom allgemeinen Betriebsstättenbegriff des § 12 AO ab, der eine nicht nur vorübergehende Verfügungsmacht des Steuerpflichtigen über die von ihm genutzte Einrichtung voraussetzt (vgl. BFH-Urteil vom 4. Juni 2008 I R 30/07, BFHE 222, 14, BStBl II 2008, 922, unter II.2.a, m.w.N.). Diese normspezifische Gesetzesauslegung ist jedoch im Hinblick auf den mit § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG verfolgten Zweck, die Bezieher von Gewinneinkünften in Bezug auf regelmäßige Fahrten mit Arbeitnehmern gleichzustellen (vgl. hierzu Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 2. Oktober 1969 1 BvL 12/68, BVerfGE 27, 58, unter C.II.3.c), geboten (ausführlich BFH-Urteil in BFHE 157, 562, BStBl II 1990, 23). Demgegenüber dient der Betriebsstättenbegriff des § 12 AO im Wesentlichen der Abgrenzung von Besteuerungsbefugnissen zwischen verschiedenen Steuergläubigern (z.B. Gewerbesteuerzerlegung nach § 28 des Gewerbesteuergesetzes, nationales Zugriffsrecht auf die Einkünfte von Steuerausländern nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG, Aufrechterhaltung des nationalen Zugriffsrechts in Anwendung des im Recht der Doppelbesteuerungsabkommen entwickelten Betriebsstättenbegriffs), was für den Regelungsbereich des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG indes nicht von Bedeutung ist.

13

b) An der dargestellten Auslegung des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG ist –entgegen der Auffassung des FG– ungeachtet der neueren Rechtsprechung des VI. Senats des BFH zu dem in § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG verwendeten Begriff der regelmäßigen Arbeitsstätte festzuhalten.

14

Der VI. Senat hat für die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit in seiner neueren Rechtsprechung allerdings angenommen, regelmäßige Arbeitsstätte könne nur eine betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers sein, nicht aber die betriebliche Einrichtung eines Kunden des Arbeitgebers (BFH-Urteile vom 10. Juli 2008 VI R 21/07, BFHE 222, 391, BStBl II 2009, 818, unter II.1.b; vom 9. Juli 2009 VI R 21/08, BFHE 225, 449, BStBl II 2009, 822, und vom 17. Juni 2010 VI R 35/08, BFHE 230, 147, BStBl II 2010, 852). Dies soll selbst dann gelten, wenn der Arbeitnehmer jahrzehntelang ausschließlich in derselben Einrichtung des Kunden des Arbeitgebers tätig wird (vgl. den Sachverhalt zum BFH-Urteil vom 13. Juni 2012 VI R 47/11, BFHE 238, 53, BStBl II 2013, 169).

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Auch nach Bekanntwerden dieser Rechtsprechung haben verschiedene für die Gewinneinkünfte zuständige Senate des BFH hinsichtlich des Begriffs der Betriebsstätte an der dargestellten, langjährigen Auslegung des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG festgehalten (z.B. BFH-Entscheidungen vom 25. Juli 2012 X B 11/11, BFH/NV 2013, 245, und in BFHE 246, 53, BStBl II 2014, 777, unter II.1.b aa). Der erkennende Senat schließt sich dem an.

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Eine Abweichung von der neueren Rechtsprechung des VI. Senats liegt darin schon deshalb nicht, weil umgekehrt auch der VI. Senat bei Begründung seiner neueren Rechtsprechung keine Abweichung von der –wesentlich älteren– Rechtsprechung aller für die Gewinneinkünfte zuständigen Senate des BFH zum Betriebsstättenbegriff des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG gesehen und folgerichtig von einer Anfrage nach § 11 Abs. 3 FGO bei diesen Senaten abgesehen hat. Vor allem aber ist das vom VI. Senat für Zwecke der Besteuerung von Arbeitnehmern entwickelte Differenzierungskriterium, ob deren Arbeitgeber bei dem Kunden, in dessen Räumen der Arbeitnehmer tätig sei, eine eigene Betriebsstätte unterhalte oder nicht, auf die Gewinneinkünfte nicht übertragbar. Denn dort fehlt es bei typisierender Betrachtung an dem für die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit typischen Dreiecksverhältnis zwischen dem Arbeitnehmer, seinem Arbeitgeber und dem Kunden des Arbeitgebers. Vielmehr ist allein das zweipolige Rechtsverhältnis zwischen dem Gewerbetreibenden und seinem Kunden maßgebend. Zudem fehlt es an einem Direktionsrecht eines Arbeitgebers, das der VI. Senat als entscheidend für seine Differenzierung angesehen hat (vgl. BFH-Urteil in BFHE 225, 449, BStBl II 2009, 822, unter II.1.c). Der Gewerbetreibende ist vielmehr regelmäßig selbst Herr seiner Entscheidungen.

17

Im Übrigen hat der Gesetzgeber der neueren Rechtsprechung des VI. Senats mit Wirkung ab dem Veranlagungszeitraum 2014 durch Änderungen in § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4, Abs. 4 EStG teilweise die Grundlage entzogen. Der erkennende Senat erachtet es aber auch im Interesse der Kontinuität der Rechtsanwendung nicht für sachgerecht, die höchstrichterliche Rechtsprechung zur Auslegung des Betriebsstättenbegriffs des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG für Sachverhalte, die in der Vergangenheit liegen, zu ändern –zumal dies ohnehin erst nach einer Anfrage bei den meisten für Gewinneinkünfte zuständigen Senaten bzw. nach Anrufung des Großen Senats möglich wäre–, um dann für Veranlagungszeiträume ab 2014 aufgrund der gesetzgeberischen Reaktion auf die Rechtsprechung des VI. Senats wieder zu der bisherigen Handhabung zurückzukehren. Auch die Finanzverwaltung will für die Zeit ab 2014 weiterhin ausdrücklich den dargestellten, normspezifischen Betriebsstättenbegriff i.S. des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG anwenden (vgl. Rz 1 des Entwurfs eines Schreibens des Bundesministeriums der Finanzen zur ertragsteuerlichen Beurteilung von Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Betriebsstätte und von Reisekosten unter Berücksichtigung der Reform des steuerlichen Reisekostenrechts zum 1. Januar 2014 IV C 6 – S 2145/10/10005:001).

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c) Vorliegend hatte der Kläger nach den Feststellungen des FG nur einen einzigen Auftraggeber und hat dessen Betrieb an vier bis fünf Tagen wöchentlich aufgesucht. Damit stellt der Betrieb des Auftraggebers für Zwecke des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG in Anwendung der dargestellten ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung zugleich eine Betriebsstätte des Klägers dar. Die für ständig wechselnde Einsatzstellen entwickelte Ausnahme ist im Streitfall nicht einschlägig, da der Kläger nicht an unterschiedlichen Einsatzstellen tätig war.

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2. Die Sache ist nicht spruchreif, weil es nach dem Vorstehenden für die Entscheidung des Streitfalls darauf ankommt, ob der Kläger auch in den von seiner Lebensgefährtin angemieteten Räumen des im Übrigen selbstgenutzten Einfamilienhauses eine Betriebsstätte unterhalten hat, das FG diese Frage aber ausdrücklich offengelassen hat.

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a) Sind auch die Räume im Einfamilienhaus als Betriebsstätte anzusehen, stellen die Fahrten des Klägers zu seinem Auftraggeber Wege zwischen zwei Betriebsstätten dar. Derartige Aufwendungen fallen nach ständiger Rechtsprechung nicht unter die Abzugsbeschränkung des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG (vgl. BFH-Urteil vom 31. Mai 1978 I R 69/76, BFHE 125, 381, BStBl II 1978, 564, unter 2.b, betreffend Fahrten von einer Produktionsstätte, die sich auf demselben Grundstück wie die Privatwohnung befindet, zu der auswärtigen Hauptproduktionsstätte; BFH-Urteil vom 29. März 1979 IV R 137/77, BFHE 128, 196, BStBl II 1979, 700, betreffend Fahrten von einem Ingenieurbüro, das sich im selben Gebäude wie die Privatwohnung befindet, zu einem weiteren auswärtigen Ingenieurbüro). Die Sachverhalte, die den beiden vorstehend zitierten Entscheidungen zugrunde lagen, waren allerdings dadurch gekennzeichnet, dass die Betriebsstätten von den jeweils selbstgenutzten Wohnungen räumlich getrennt waren (so ausdrücklich BFH-Urteil vom 15. Juli 1986 VIII R 134/83, BFHE 147, 169, BStBl II 1986, 744); eine solche räumliche Trennung ist für die Annahme von Fahrten zwischen zwei Betriebsstätten zwingend erforderlich (BFH-Urteil in BFHE 157, 562, BStBl II 1990, 23).

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b) Sind die Räume wegen ihrer engen Einbindung in den privaten Lebensbereich hingegen nicht als Betriebsstätte anzusehen, überlagert die Nutzung des Gebäudes als Wohnung die dort auch verwirklichten betrieblichen Zwecke. In einem solchen Fall kann nicht davon gesprochen werden, dass der Steuerpflichtige seine auswärtige Betriebsstätte von einer in der Wohnung befindlichen Betriebsstätte aufsucht; Ausgangs- und Endpunkt der Fahrten ist vielmehr die Wohnung (BFH-Urteil in BFHE 147, 169, BStBl II 1986, 744). Damit würde es sich bei den streitgegenständlichen Fahrtkosten um Aufwendungen für Wege zwischen Wohnung und Betriebsstätte handeln, die unter die Abzugsbeschränkung des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG fallen.

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Der BFH hat in diesem Zusammenhang bereits vielfach entschieden, dass insbesondere ein häusliches Arbeitszimmer stets derart in den privaten Bereich eingebunden ist, dass seine Existenz die Anwendung des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG nicht ausschließt (BFH-Entscheidungen vom 7. Dezember 1988 X R 15/87, BFHE 155, 353, BStBl II 1989, 421; in BFHE 162, 82, BStBl II 1991, 208; in BFHE 162, 77, BStBl II 1991, 97, unter I.1.; in BFH/NV 1994, 701, unter II.1.a; in BFH/NV 1997, 279, unter II.1.; in BFH/NV 1999, 41, und vom 28. Juni 2006 IV B 75/05, BFH/NV 2006, 2243, unter II.2.c). Auch dies dient der Gleichbehandlung der Bezieher von Gewinneinkünften mit Arbeitnehmern, bei denen allein die Existenz eines häuslichen Arbeitszimmers nicht dazu führt, dass die Entfernungspauschale auf ihre Wege zwischen der Wohnung und der regelmäßigen Arbeitsstätte keine Anwendung mehr findet.

23

Schon nach dem eigenen Vorbringen des Klägers im Verwaltungs- und Klageverfahren spricht zwar Vieles dafür, dass die Räume im Einfamilienhaus lediglich als häusliches Arbeitszimmer anzusehen sind und ihre betriebliche Nutzung der Anwendung des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG daher nicht entgegensteht. Da das FG hierzu aber keine Feststellungen getroffen hat, ist dem Senat eine eigene Entscheidung verwehrt.

Normen:

EStG:4/5/1/6  EStG:9/1/3/4  AO:12